aber insgesamt ist er ein Fortschritt. Deswegen ist es wichtig, dass dieser Vertrag unterschrieben wird.
Der nächste Punkt – auch das wissen Sie ganz genau, und das ist ein Punkt der politischen Verantwortung –: Wenn der Lissabon-Vertrag nicht zum Tragen kommt, dann wird es keinen neuen Anlauf geben. Wir haben die Ver
fassung schon in den Sand gesetzt. Insofern ist das der neue mühselige Kompromissanlauf der 27 Staaten.
Wenn Sie wollen, dass dieser Anlauf missglückt und dass Europa auf dem Level von Nizza stehen bleibt – und das ist Ihre Position –, dann sind Sie genau die, die nicht wollen, dass Europa wirklich nach vorne vorangeht mit Demokratie, mit sozialem Europa, mit Ökologie.
Doch! Aber so verhalten Sie sich mit dieser politischen Haltung. – Wir übernehmen alle Verantwortung, ohne dass wir im Einzelnen sagen, dass uns alles gefällt. Das ist genau der Unterschied zwischen Ihrer Fraktion und Ihrer Partei und allen anderen Parteien in diesem Lande, die genau wissen, dass dort Mängel sind, und trotzdem dazu stehen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Eichstädt-Bohlig! Sie haben eben eindrucksvoll demonstriert, warum Sie diesen Antrag ins Parlament eingebracht haben. Es geht Ihnen nicht um die Inhalte des Reformvertrags, es geht Ihnen ausschließlich darum, politische Gegner zu beschimpfen, den Regierender Bürgermeister, die Linkspartei, die SPD.
Das haben Sie die ganze Zeit vorexerziert. Kein einziges Wort zum Inhalt des Vertrags! Die Forderung nach dem Herrn im Roten Rathaus, den der Regierende spielen soll,
Wir werden hier im Parlament – anders als es die Grünen bisher gemacht haben – über die Inhalte des Reformvertrags sprechen müssen, auch im Ausschuss, auch im Plenum. Sie haben dazu nichts gesagt. Ich werde versuchen,
meine Zeit wenigstens ein bisschen dafür zu nutzen, damit ein bisschen deutlicher wird, wofür wir stehen.
Der EU-Reformvertrag ist ein bedeutender Fortschritt in der Europäischen Union, nämlich ein Fortschritt für die europäische Integration, für die Demokratisierung der Europäischen Union und die Arbeitsfähigkeit der europäischen Institutionen.
Er ist in vielerlei Hinsicht besser als der jetzige Zustand, und deswegen befürwortet die SPD diesen Reformvertrag.
Der noch geltende Vertrag von Nizza hätte über kurz oder lang die EU der 27 weitgehend handlungsunfähig gemacht. Eine nicht funktionierende EU würde zum Rückfall in nationale Egoismen führen, und das kann kein vernünftiger Mensch wollen. Wir wollen das jedenfalls nicht.
Lissabon ist besser als Nizza. Der Vertrag schafft eine tragfähige zeitgemäße Grundlage für europäische Politik, für die größer gewordene Gemeinschaft. Und deshalb wollen wir, dass dieser Vertrag in Kraft tritt.
Machen wir später, ich will erst einmal die Grundlagen erzählen! – Die SPD war übrigens schon für die Einigung Europas, als es manche von Ihnen hier und manche von Ihnen vertretene Parteien noch überhaupt nicht gab.
Die SPD hatte schon 1925 – vor der Katastrophe und dem Zivilisationsbruch, den der Präsident heute Mittag angesprochen hat – die Einigung der europäischen Völker und die Vereinigten Staaten von Europa gefordert. Sie wissen, dass die Sozialdemokratie in ihrer Geschichte wegen ihrer internationalen Ausrichtung auch vielfach angefeindet wurde.
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat es nicht nötig, Belehrungen zur Europafreundlichkeit entgegenzunehmen, von wem auch immer.
[Beifall bei der SPD – Zuruf von Joachim Esser (Grüne) – Mario Czaja (CDU): Sie sind ein Wackeldackel!]
Wir sind jetzt im Jahr 2008 erst recht für die Stärkung Europas, weil offenkundig ist: Klimaschutz, nachhaltiges Wirtschaften, sozialer Zusammenhalt und gemeinsame Sicherheit – all dies verlangt nach Gemeinschaftslösungen. Nationalstaatliche Antworten darauf gibt es nicht mehr. Nur über internationale Kooperation gewinnen Staaten ihre teilweise verlorengegangene Handlungsfähigkeit zurück, insbesondere wenn es um sozialstaatliche Antworten auf die Risiken der Globalisierung geht. Deshalb ist es richtig, dort Kompetenzen auf die EU zu übertragen, wo Europa nur gemeinsam erfolgreich handeln kann. Dieser Vertrag bietet die Möglichkeit, die EU sozialer zu machen.
Erstmals ist das Ziel des sozialen Fortschritts den wirtschaftlichen Zielen in Europa gleich gestellt. Erstmals müssen bei allen europäischen Entscheidungen die sozialen Dimensionen gleichrangig neben den Wettbewerbsaspekten beachtet werden. Das war, wie wir gerade beim Vergaberecht gesehen haben, bisher nicht der Fall. Schließlich sind Leistungen der Daseinsvorsorge künftig auch europarechtlich abgesichert. All dies sind Verbesserungen, für die Sozialdemokraten in Europa eingetreten sind und die wir jetzt für eine sozialere Politik auch in der Praxis in Europa nützen müssen.
Aber dieser Vertrag ist nicht ideal. Er hat Schwächen, und er hat Unklarheiten. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie hierüber ein Wort verlieren, aber Sie haben nichts dazu gesagt.
Sie jubeln und weiter nichts. Deshalb ist es so unbefriedigend, das mit Ihnen zu diskutieren. Der Vertrag hat Unklarheiten,
und er ist eben ein Kompromiss. Deshalb sind Pathos und Schwärmerei, wie zu hören war und in Ihrem Antrag zu lesen ist, nicht unsere Sache.
Sie schwärmen ein bisschen zu sehr. Es ist ein bisschen zu viel Jubel. Sie wollten auch, dass der Ratifikationsprozess beschleunigt wird. Es lag Mitte April noch nicht einmal eine lesbare, konsolidierte Fassung des Reformvertrages vor. Da gab es Verweisungen, die kein Mensch lesen konnte, und Sie wollten trotzdem schon ratifizieren. Das heißt, Sie wollen die Ängste und Bedenken der Menschen überhaupt nicht ernst nehmen. Sie wollen nur ein politisches Spielchen treiben.
Wir sollten uns ernsthaft mit den Vorteilen, Schwächen und Defiziten dieses Vertrages auseinandersetzen. Ich möchte die Zeit wenigstens für ein Thema nutzen, das uns bewegen muss: Ich habe von den sozialen Zielsetzungen gesprochen. Das sind Programmsätze, die berücksichtigt werden müssen. Aber bei den Grundrechten kommt es zum Schwur. Wir haben eine Charta der sozialen und
sonstigen Grundrechte. Bei den Grundrechten gibt es gewisse Abweichungen von dem Grundrechtsschutz, den wir nach dem Grundgesetz kennen. Da möchte ich gern wissen, wie ein Grundrechtsstandard, den wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, auf Dauer auch in Europa gewährt werden kann. Da gibt es Unklarheiten – ich will mich vorsichtig ausdrücken.
Die Unklarheit besteht darin, dass Grundrechtsinhalte anders formulierte sind, dass Grundrechtsschranken anders formuliert sind. Bei einem wichtigen Grundrecht wie der Koalitionsfreiheit und dem Streikrecht sind in der Formulierung aus meiner Sicht Defizite enthalten. Ich hoffe, dass die Rechtsprechung klar macht, dass der Grundrechtschutz in Deutschland auch bei Grundrechten wie der Koalitionsfreiheit auf europäischer Ebene nicht unterschritten wird. Da sehe ich eine gewisse Gefahr. Das ist unter anderem ein Grund dafür, warum ich nicht in diese Euphorie verfallen kann, die Sie an den Tag legen.