Ich wäre dankbar, wenn wir jetzt zur Sachlichkeit zurückkämen und uns nicht auf diese Art und Weise unterhielten, wie sie gerade vom Präsidenten gerügt wurde. Hier geht es nämlich um eine sehr wichtige Frage und um einen sehr wichtigen Vorgang.
Herr Oettinger ist der Vorsitzende der Föderalismuskommission II zur Neuordnung der Länderfinanzen. Er kommt nach Berlin, hält hier eine Rede und sagt – als Ministerpräsident eines reichen Landes, eines Geberlandes – etwas sehr Bemerkenswertes. Er sagt, er könne sich einen Entschuldungspakt für Berlin vorstellen. Das würde bedeuten, dass die anderen Länder und der Bund die 62 Milliarden € Schulden, die Berlin im Moment hat, mit schultern und übernehmen. Das heißt, er macht ein sehr weit gehendes Versprechen.
Ich habe Herrn Oettinger am letzten Montag gefragt: „Gibt es auf deine Rede irgendeine Reaktion des Regierenden Bürgermeisters? Hat er sich bedankt? Hat er dir einen kurzen Brief geschrieben? Hat er einmal durchrufen lassen? Hat er gesagt: Das ist eine interessante Initiative?“ – Herr Oettinger hat gesagt, es gebe nicht die geringste Reaktion des Regierenden Bürgermeisters. So kann man Berlin nicht regieren.
Wir haben 62 Milliarden € Schulden. Da ist es Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, da hinzugehen und sich zu melden!
Das Gleiche war bei Herrn Wulff. Auch Herr Wulff hat über einen nationalen Entschuldungspakt gesprochen. Anstatt, dass das von der Senatskanzlei positiv aufgenommen wurde, wurde Herr Wulff – auch hier im Haus – von Herrn Wowereit beschimpft.
Ich kann nur sagen: Wir sind finanziell nicht in einer so guten Lage, dass wir es uns leisten können, andere Leute, die es gut mit uns meinen, vor den Kopf zu stoßen. Jetzt ist es an der Zeit, Allianzen zu schmieden, mit den anderen zu reden, Pakte zu machen, die Länderfinanzausgleichsfragen vorzubereiten. All das geschieht nicht, sondern das Gegenteil geschieht. Insofern hat Herr Lindner mit seiner Intervention völlig recht. Es ist ein absoluter Skandal, wie Herr Wowereit mit Herrn Oettingers Rede und mit Herrn Wulffs Rede umgegangen ist!
Meine sehr verehrten Abgeordneten! Da wir uns offensichtlich in einer inhaltlichen Debatte befinden, sage ich Ihnen eins, Herr Pflüger: Erstens: Herr Milbradt (CDU) hat gerade das Gegenteil von Herrn Oettinger erzählt, nämlich dass er nicht daran denkt, einem Entschuldungspakt zuzustimmen.
Das hätten Sie dann wenigstens mit dazu sagen müssen! Es wird hoffentlich auch in der bundesrepublikanischen Diskussion noch Hunderte geben, die sich da zu Wort melden werden. Sie werden nicht im Ernst erwarten, dass der Senat jedes Mal eine Senatssitzung dazu macht.
[Dr. Martin Lindner (FDP): Das ist das Letzte! – Zurufe von den Grünen: Unglaublich! – Weitere Zurufe von der CDU, den Grünen und der FDP]
Wir haben ein Gremium. das ist vom Deutschen Bundestag und vom Deutschen Bundesrat eingesetzt worden. Es nennt sich Föderalismuskommission II. Das ist das Gremium, wo diese Dinge diskutiert werden müssen.
Jetzt sage ich Ihnen noch etwas: Ich habe die Rede von Herrn Wulff positiver aufgenommen als viele aus konservativen Kreisen in Berlin. Ich habe mit Herrn Wulff auch darüber geredet. Es ist typisch, dass sich Ministerpräsidenten regelmäßig treffen und über vieles reden, gerade über Finanzen. Ich persönlich habe mich darüber gefreut, dass Herr Oettinger, bevor er in andere Turbulenzen geraten ist, ein deutliches Signal gegeben hat, dass man darüber reden kann – nicht mehr und nicht weniger. Sie müssen auch einmal das Kleingedruckte lesen! Dann hat Herr Milbradt erklärt: Das kommt nicht in Frage. – Wir kennen die Debatten aus vielen Runden finanzpolitischer Art.
Jetzt ist das systematische Verfahren klar. Wenn die Bundesrepublik Deutschland extra eine Kommission einsetzt, die hochkarätig besetzt ist, in der die Finanzbeziehungen der Länder zum Bund, der Länder zu den Kommunen und beider zum Bund geklärt werden sollen, dann ist selbstverständlich ein Thema: Wie geht man mit einem Problem – nicht nur Berlin hat ja einen hohen Schuldenstand – systematisch um? Da gehört es hin, in die Föderalismuskommission. Dazu werden wir selbstverständlich etwas beitragen. Ich kann mich auch hierhin stellen und sagen: Die Länder sollen meine Schulden übernehmen. – Dann kriege ich von Ihnen wieder den Vorwurf: Außer Jammerei und Bettelei bei den anderen fällt Ihnen nichts mehr ein! –
[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Dr. Martin Lindner (FDP): Das ist doch nicht Ihr Ernst! – Weitere Zurufe von der FDP]
Das ist die Argumentation, die Sie haben. Einerseits sagen Sie bei jeder Forderung gegenüber dem Bund: Der Wowereit jammert nur herum! – Andererseits, wenn eine Forderung von woanders kommt: Aber bitte schnell nur noch fordern! – Nein, das wird nicht der Weg sein.
Es ist ein hochkompliziertes Verfahren. Selbst ein gutwilliger Ministerpräsident Wulff oder ein noch gutwilligerer Ministerpräsident Oettinger werden selbstverständlich in diesem komplizierten Verfahren niemals so weit gehen können, einfach zu sagen: Wir sammeln die Schulden ein
und zahlen sie für die armen Länder. – Das wird keiner machen, das könnte auch keiner machen. Dann würden die jeweiligen Parlamente sie zum Teufel jagen – in Baden-Württemberg ist das ja nicht so weit.
Diese würden nur dann nicht nur für die Länder gelten, die heute am stärksten verschuldet sind, sondern für alle. Das ist eine weitestgehende Aufgabe der Souveränität der einzelnen Länder in ihren Finanzbeziehungen. Das kann man machen. Für Berlin wäre das höchstwahrscheinlich – so, wie die Finanzlage jetzt aussieht – gar kein Problem. Zum Hinweis von Herrn Milbradt, wir müssten erst einmal auf plusminus null kommen, sage ich: Berlin wird früher in der Lage sein, das zu erreichen, als all die anderen Länder, selbst die reichen Länder. Das wird für uns nicht mehr das Problem sein, erst recht nicht, wenn uns der Schuldenstand von 60 Milliarden € weggenommen werden würde. Aber das hätte so weitreichende Konsequenzen im Finanzgefüge, in der Relation des Bundes und der Länder und der Gemeinden in unserem jetzigen Finanzsystem, dass das selbstverständlich nur in einem großen Kraftakt in der Föderalismuskommission geleistet werden kann. Alle wissen, wie man die Prognose für den Erfolg dieser Kommission heute bewertet. Es kann sich verändern und war bei der ersten auch anders.
Da ist der Ort, und da werden wir das diskutieren, Alle hilfreichen Vorschläge werden wir aufgreifen. Wir freuen uns über jeden Bündnispartner. Nur, bitte, verschonen Sie uns damit, dass Sie erwarten, dass der Senat bei jeder öffentlichen Rede oder bei jedem Presseartikel eine Krisensitzung macht, um dieses zu kommentieren!
Meine Damen und Herren! Ich will darauf aufmerksam machen, wo wir uns in der Tagesordnung befinden. Ich habe jetzt drei weitere Wortmeldungen. Eigentlich ist es bei der Diskussion über die Tagesordnung nicht vorgesehen, aber es ist offenkundig, dass unsere Geschäftsordnung das nicht regelt. Aber sie regelt, dass nach Stellungnahmen des Senats – eine solche hat vorgelegen – den Fraktionen hinterher immer Gelegenheit gegeben wird, darauf zu replizieren. In diesem Stadium des Verfahrens befinden wir uns.
Jetzt liegt die Wortmeldung von Frau Eichstädt-Bohlig, der Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen vor. – Frau Eichstädt-Bohlig, Sie haben das Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister! Eigentlich gehe auch ich davon aus, dass alles, was wir jetzt besprechen, unter Tagesordnungspunkt 4 b behandelt wird. Aber sei es drum, wenn sich das jetzt so entwickelt hat.
Herr Regierender Bürgermeister! Sie haben eben wieder gesagt, was die anderen alles könnten, sollten und was von ihnen zu erwarten sei. Dieses Haus hat ein Recht, von Ihnen auf drei Fragen endlich Antworten zu bekommen – da gebe ich Herrn Lindner und Herrn Pflüger recht.
Erstens: Mit welchen Vorstellungen und welchen Zielen gehen der Senat und der Regierende Bürgermeister in die Föderalismuskommission II hinein?
Wir haben nicht gefordert, dass Sie uns sagen, womit Sie am Ende aus der Föderalismuskommission herauskommen. Aber Sie sind uns schuldig zu sagen, welche Ziele Berlin in dieser Angelegenheit verfolgt, und zwar jetzt, bevor das Ganze verhandelt ist, damit wir hinterher auch messen können, was Berlins Initiativen gewesen sind und was Berlin im Ergebnis herausholen konnte – oder auch nicht. Darüber reden wir dann später.
Zweitens: Sie sind uns und diesem Hause schuldig, uns konkret zu sagen, in welcher Form Sie sich zu den verschiedenen Vorschlägen zur Schuldenbegrenzung verhalten, denn das ist für uns in Berlin von besonderer Wichtigkeit.
Drittens – auch das sind Sie Berlin und diesem Hause schuldig –: Herr Ministerpräsident Oettinger hat einen sehr konkreten Vorschlag zur Entschuldungshilfe für die Hauptstadt Berlin gemacht.
Wir alle wissen, dass das ein besonders sensibles Thema ist, und dass es da ein Urteil aus Karlsruhe gab – ich glaube, auch Sie erinnern sich noch daran –, dass das ein besonderes Problem für den alten Senat war und für den neuen Senat geworden ist. Dieses Haus hat das Recht, dass Sie eine Antwort auf dieses Angebot geben, unabhängig davon, ob es realistisch ist und was daraus bundespolitisch wird oder was eine Abstimmung zwischen Bund und Ländern ergibt. Es ist nicht Ihr Job, hier ständig zu spekulieren, was andere Ministerpräsidenten und andere politische Ebenen zu dem einen oder anderen Thema sagen, sondern Sie sind dazu da, uns zu sagen, was Sie daraus politisch zu machen gedenken, und können sich nicht darum drücken.
Jetzt doch noch ein Wort zu meiner Einschätzung. Die Tatsache, dass Sie nach dem Karlsruhe-Urteil im Haushaltspolitischen und bei der Haushaltskonsolidierung politisch gelähmt sind, hängt mit dieser Koalition Rot-Rot zusammen, die haushaltspolitisch extrem unterschiedliche Positionen hat. Die PDS ist der Meinung: Schulden machen macht eigentlich Spaß. Davon kann man gar nicht genug kriegen.
So ist auch der Kollege Ramelow in die Föderalismuskommission II hineingegangen. Gucken Sie sich das an, oder hören Sie sich das an, oder lesen Sie, was er dazu gesagt hat. So kann Berlin nicht Politik machen. Das müsste eigentlich auch Ihre Partei langsam verstehen und die Diskussion zwischen Bund und Land in ganz anderer Weise führen. Aber dazu sind Sie zu feige. Diese Tatsache hat dazu geführt, dass Berlin nicht nur haushaltspolitisch gelähmt ist, sondern nur davon lebt: Hoffentlich löst die Konjunktur unsere Probleme. – Wir werden sehen, dass sie die Probleme nur eine gewisse Zeit verschiebt, aber nicht lösen kann. Das ist der Hauptgrund, warum der Regierende Bürgermeister nicht in der Lage ist, mit einer konkreten Initiative in die Föderalismuskommission-IIVerhandlungen hineinzugehen und die Angebote, die von anderer Seite kommen, konstruktiv aufzunehmen.
Das ist ein großes Defizit und ein Schaden für unsere Stadt. Herr Regierender Bürgermeister, prüfen Sie, ob Sie da nicht endlich aktiv werden können!