Protocol of the Session on January 12, 2006

Nur ignoriert die gegenwärtige, emotional sehr hochgekochte Debatte ein grundsätzliches Problem. Schade, dass Sie sich darum drücken, Herr Lehmann-Brauns! Die fortschreitende Verödung der Innenstadtbereiche – ich rede im Plural – ist zwangsläufiges Ergebnis einer stadtentwicklungspolitischen Strategie, die bundesweit läuft und die Citybereiche sukzessive immobilienwirtschaftlichen Verwertungsinteressen unterwirft. Hinterher ist die Verwunderung groß, wenn Immobiliengesellschaften tatsächlich das tun, wofür sie etabliert wurden, ihren Anliegern wenn schon keine solide Rendite, so wenigstens den Schutz ihrer Einlagen zu garantieren.

[Unruhe bei der Linkspartei.PDS – Zurufe von der Linkspartei.PDS]

So Herr Flierl, vor kurzer Zeit. Pardon, sagt er, das sehe er so, das sei ein Stück Finanzkapitalismus.

[Zuruf des Abg. Liebich (Linkspartei.PDS)]

Versuchen Sie, eine Zwischenfrage zu stellen, und unterbrechen Sie mich nicht! –

[Zurufe von der Linkspartei.PDS – Zuruf des Abg. Pewestorff (Linkspartei.PDS)]

Frau Präsidentin! Könnten Sie bitte dafür sorgen, dass ich zu Wort kommen kann!

Ja! Das Wort hat Herr Lehmann-Brauns!

[Zuruf des Abg. Brauer (Linkspartei.PDS)]

Sie sehen, ich bin auf dem richtigen Weg, und Sie sind auf dem falschen Fuß erwischt! – Finanzkapitalismus – das ist die hilflose Stimme von Herrn Flierl, die hilflose Stimme der DDR.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS – Gelächter bei der Linkspartei.PDS – Heiterkeit des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Herr Flierl und Herr Lindner, ich muss Ihnen sagen: Wenn man sich die Marktwirtschaft so vorstellt, dass man hilflos ist gegen ihre Bewegungen, dann ist man wirklich schief gewickelt. Herr Lindner weiß das ganz genau. Seine Schützenhilfe sollte man besser aus dem Protokoll streichen.

Ich habe jetzt eine zweite Anfrage. Die eine steht noch aus, Sie wollten das signalisieren.

Ich bin sofort fertig! – Deshalb ist meine Hoffnung eher auf den Regierenden Bürgermeister gerichtet. In der Koalition wird der Senator ja gar nicht mehr gefragt, sondern es geht mit Recht gleich an Regierenden Bürgermeister. Er wohnt ja jetzt auch schräg gegenüber. Ein Besuch heute im Theater ist nett von ihm, bewegt aber noch nichts. Auch diese brieflichen Weichspülereien finde ich nicht ausreichend.

Meiner Ansicht nach muss er folgendes tun: Er muss nach Frankfurt am Main fahren, er muss Herrn Ackermann persönlich treffen und ihm dieses Szenario vorstellen.

[Zuruf des Abg. Gaebler (SPD) – Zurufe von der FDP]

Dieses Szenario, das auch die Deutsche Bank, die in Deutschland einiges für die Kultur getan hat, erheblich beschädigen würde, muss man ausspielen. Dieses Szenario muss man aufbauen. Meine Fraktion wünscht deshalb dem Regierenden Bürgermeister viel Erfolg auf so einem Weg. Aber er sollte eines machen: Er sollte Herrn Flierl zu Hause lassen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Jetzt bin ich gerne bereit.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Ich sehe nicht, dass jemand ernsthaft umsteuern will, respektive umsteuern kann. Eine Ausnahme bildet Frau Ströver vorhin. Gut, viel Spaß, Frau Ströver, vielleicht schaffen Sie es ja! – Ich muss aber darauf hinweisen, dass der schleichende Niedergang des Kurfürstendamms und anderer Promeniermeilen dieser Stadt kein Prozess ist, der erst in 2005 einsetzte. Wo war denn Ihr kollektiver Aufschrei anlässlich der furchtbaren Verschandelung der Friedrichstraße?

[Zuruf des Abg. Wansner (CDU)]

Wo bleibt Ihr kollektiver Aufschrei, Herr Wansner – Sie schreien gern – angesichts der scheibchenweisen Aufgabe der einmal festgeschriebenen öffentlich-kulturellen Nutzung des – wie der Regierende Bürgermeister heute Nachmittag sagte – Gebäudes mit Schlossfassade in der Berliner Mitte? – Da schweigen Sie nur.

Wäre es nicht ehrlicher, gleich dem in seiner Konsequenz beachtenswerten Beispiel der Braunschweiger Stadtregierung zu folgen und hinter einer Pseudobarockfassade komplett eine Shoppingmeile einzubauen? – Das ist eine ehrliche Sache. Einem privaten Investor kann man nur schwer vorschreiben, was er hinter den Mauern seines Gebäudes zu betreiben gewillt ist. Wer glaubt, eingreifen zu können, ist hochgradig naiv oder hängt schlicht staatssozialistischen Utopien nach, vor denen der Herr Kollege

Ich finde es gut, wenn sich das Abgeordnetenhaus von Berlin hinter die Woelffer-Bühnen stellt und dies auch erklärt. Mehr ist mit einigermaßen realistischem Blick von diesem Haus aus auch nicht zu machen. „Von der Tragödie zur Farce“ sagt Hegel, „ist es nur ein kleiner Schritt.“ Das Thema ist viel zu ernst, um ein solches zuzulassen.

Wir sollten allerdings das aktuelle Geschehen zum Anlass nehmen nachzudenken und einer möglichen Verschleuderung weiterer kultureller Substanz in dieser Stadt Einhalt zu gebieten. – Einen Nachsatz zu verpassten Handlungschancen möchte ich mir noch erlauben auch von Leuten, die augenblicklich die Gefahren für die Woelffer-Bühnen heftig kritisieren und anderen Untätigkeit vorwerden. Ich möchte einfach abschließend die Frage stellen, weshalb das Bezirksamt CharlottenburgWilmersdorf von Berlin bislang jegliche Chance tatenlos hat verstreichen zu lassen, die beiden architekturhistorisch wertvollen Bühnenräume unter Denkmalschutz zu stellen. Das ist nicht geschehen. Jetzt kann man natürlich sehr leicht versuchen, den Schwarzen Peter dem Senat zuzuschieben. – Vielen herzlichen Dank!

Danke schön! – Das Wort für eine Kurzintervention hat der Abgeordnete Herr Braun. – Bitte sehr!

Lindner – Sie melden sich! – vorhin zu Recht gewarnt hat!

[Heiterkeit bei der FDP]

Angesichts der antragstellenden Fraktionen – –

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie Zwischenfragen?

Ja, bitte!

Ich habe hier sichtbar eine Meldung von Herrn Dr. Lindner und Herrn Braun.

Eine reicht!

Das entscheiden Sie!

Herr Kollege Brauer! Teilen Sie mit mir die Ansicht, dass es auch in Zentren des Finanzkapitalismus wie New York ganz ohne staatliche Intervention so etwas wie eine Bühnenkultur, einen Broadway und Kleinkunstbühnen gibt und dass auch in den Zwanziger Jahren ganz ohne Parlamentsanträge, ohne staatliche

[Brauer (Linkspartei.PDS): Wollen Sie eine Frage stellen oder nur reden?]

Unterstützung durchaus Bühnen entstanden sind und es nicht Ziel sein kann, durch mehr Intervention und mehr Sozialismus etwas herbeizuzaubern?

Herr Lindner! Habe ich das gefordert? – Das habe ich nicht gefordert! Ich habe nur gesagt, dass einige meiner Vorrednerinnen genau das von Ihnen eben monierte Szenario offensichtlich zu betreiben gewillt sind. Darum geht es. Man kann sich solche abenteuerlichen Vorstellungen vielleicht wünschen, aber sie sind nicht machbar. Seitens der antragstellenden Fraktionen, vor allem der CDU-Fraktion, erfüllt mich das dann doch mit Verwunderung. „Wer mit dem Teufel zu Tisch geht“, sagt das Sprichwort, „braucht einen verdammt langen Löffel.“ Diesen hat wohl angesichts der von der Deutschen Bank momentan eingerührten Suppe niemand in diesem Haus. Da sind die Anträge der Grünen und der CDU einigermaßen hilflos und bei näherem Betrachten bloßer populistischer Schaum.

Von Seiten der CDU wird dann auch noch mit der üblichen Portion Frechheit und Kraftmeierei garniert, wenn diese in einer heutigen Presseerklärung dem Kultursenator Desinteresse vorwirft. Herr Kollege Lehmann hat noch eines darauf gesetzt. Das Gegenteil ist der Fall! Allerdings sind die Handlungsmöglichkeiten des Senators wie des gesamten Senats durchaus beschränkt. Mehr als Bitten vorzubringen, den Konflikt zu Gunsten der Theater zu moderieren oder moderieren zu helfen, kann er wirklich nicht tun. Und das wird gemacht. Dass dabei posaunenstarke Begleitmusik nicht sonderlich hilfreich ist, weiß jeder, der einmal mit solchen Konflikten befasst war. Sie richten mit solchen starken Sprüchen mehr Schaden an, als dass sie Nutzen tun.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Brauer! Ich mache mir Sorgen über Ihr krauses Bild vom Kurfürstendamm. Ich schlage Ihnen folgendes vor: Nach einem Termin Ihrer Wahl lade ich Sie zu einem Spaziergang auf dem Kurfürstendamm ein. Ich werde Ihnen zeigen, dass er nicht verödet. Im Gegenteil: Er hat in den letzten Jahren viel gewonnen! Offensichtlich haben Sie aber Schwierigkeiten, hin und wieder aus Marzahn und Hellersdorf hinauszukommen. Wenn Sie Lust auf einen Spaziergang und eine Besichtigung des Kurfürstendamms haben, bin ich gern bereit, Ihnen zu zeigen, wie schön er ist. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Jetzt hat Herr Brauer die Möglichkeit der Erwiderung.

Herr Kollege Braun! Vielen Dank für die Einladung. Wir sollten vielleicht einmal in den Terminkalender schauen. Wir finden sicherlich einen Termin. – Allerdings muss ich Ihnen sagen, dass Sie vorhin wohl nicht recht zugehört haben. Ich finde es schön, wenn Sie bei der Linkspartei wach werden. Das ist eine tolle Sache. Vorhin haben Sie bei Rednerinnen und Rednern anderer Fraktionen und Oppositionsfraktionen geschwiegen, die nachdrücklich davor gewarnt haben, nach 19.00 Uhr dort flanieren zu gehen, weil angeblich die Lichter ausgehen und alles verödet. Es war nichts anderes. Schauen Sie in das Protokoll. Dann müssten wir sehen, welche Uhrzeit wir finden, um wirklich nicht in diese Gefahrenlöcher, die Frau Kollegin Ströver vorhin

beschrieben hat, hineinzufallen. Ansonsten bin ich gern jederzeit bereit, flanieren zu gehen.

Ich muss Sie aber darauf hinweisen, dass einige Cafés beispielsweise auf dem Berliner Kurfürstendamm, die ich kurz nach der Wende mit großer Freude aufgesucht habe, inzwischen zu Gunsten irgendwelcher Jeansläden, die ab 20.00 Uhr geschlossen sind, geschlossen haben. Da teile ich sehr nachdrücklich die diversen Initiativen der verehrten Kollegen der Fraktion der FDP, die immer wieder auf diese misslichen Entwicklungen, gerade was die kleinteiligen gastronomischen Einrichtungen anbelangt, hingewiesen haben. Davon lebt eine solche Stadt. Davon lebt eine solche Meile.

Wenn ab 20.00 Uhr – von mir aus auch flexible Ladenöffnungszeiten –, ab 22.00 Uhr die Cafés, Restaurants und Bars geschlossen haben, weil einfach ein Shoppingcenter seine Flügeltüren schließt, aus welchen Gründen auch immer, wird dies auch so in dieser Stadt geschehen. Sie können natürlich auch nach 19.00 Uhr die Friedrichstraße auf- und abgehen. Im Sommer ist es ein wenig angenehmer, aber genauso unfreundlich ist es dort auch. Den Spaziergang können wir machen! – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Aber bevor Sie sich auf den Ku’damm begeben, fahren wir weiter in der Redeliste fort. – Jetzt ist die FDP an der Reihe. Frau Abgeordnete Meister hat das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war ganz überrascht, dass Sie mich doch noch aufgerufen haben. Ich war mir gar nicht sicher, ob wir hier weiterhin zur Sache sprechen wollen, oder ob wir uns selbst noch ein wenig beweihräuchern, wer am nächsten dran bei den Bühnen steht und wer der bessere Mensch ist. Ich bin mir im Moment nicht ganz sicher, ob das vorangegangene Schauspiel, das wir uns geleistet haben, den Bühnen wirklich etwas genutzt hat. Gut, dass es keiner mehr mitbekommen hat.