Protocol of the Session on January 12, 2006

Frau Präsidentin! Herr Lindner! Nur, weil Sie heute Abend das erste Mal merken, dass die Zukunft der Woelffer-Bühnen in Gefahr ist, das ein stadtpolitisches Thema von großer Tragweite ist und Ihnen bis auf diese Kurzintervention zu diesem Thema nichts eingefallen ist, können Sie sich nicht hinstellen und sagen: Sagen Sie mal, was zu tun ist! – Ich habe klipp und klar gesagt: Die Aufgabe des Regierenden Bürgermeisters ist es, konkret zu verhandeln.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Sie sollten vor allen Dingen einmal zuhören, Herr Wechselberg! Das ist beispielsweise eine erste Qualität.

[Beifall bei den Grünen]

Ich habe Ihnen eine Vielzahl von parlamentarischen und außerparlamentarischen Vorschlägen und zum Regierungshandeln gemacht – ich wiederhole sie gerne noch einmal –: Aktionen seitens der Bevölkerung finden statt. Gehen Sie ins Theater! Sorgen Sie dafür, dass der Wirtschaftssenator eine Studie über die ökonomische Bedeutung der Bühnen am Kurfürstendamm und die Bedeutung der Umwegrentabilität von Kultur und Kommerz an einem Boulevard fertigt! Das ist eine wichtige Aufgabe. Da spielen die Woelffer-Bühnen seit Jahrzehnten eine Rolle. Sie sind da vielleicht nicht, Herr Liebich, aber ich wohne da – noch.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Wenn Sie das auch täten, könnten Sie sehen, wie wichtig es ist, dass diese Bühnen existieren, da der Kurfürstendamm sonst nach 19.00 Uhr tot ist. Das ist ein ökonomischer Fakt, den man durch eine Studie unterlegen kann.

Ich finde auch, dass sich Herr Lindner im Fall „Tresor“ vorbildlich verhalten hat.

[Allgemeine Heiterkeit]

Der Regierende Bürgermeister, der Wirtschafts- und der Kultursenator sollten ebenfalls konkret als Mittler bei den Verhandlungen mit der Deutschen Bank bzw. ihrer Toch

ter DB Real Estate an der Seite der Bühnen auftreten. Die Woelffers wollen das. Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie mitbekommen, dass ich diesen Vorschlag bereits gemacht habe, und Sie hätten mich nicht zu weiteren drei Minuten herausfordern müssen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den Grünen]

Vielleicht sollten wir alle zusammen einmal auf den Woelffer-Bühnen auftreten. Das wäre doch mal was.

[Gram (CDU): In „Les Misérables“! – Allgemeiner Beifall und Heiterkeit]

Worum geht es? – Das Ku’damm-Karree ist nicht ausgelastet. Es gibt einen 30-prozentigen Leerstand. Dass sich daran etwas ändern muss, ist klar. Jeder, der abends durch diese Hallen geht, weiß, wie gruselig es da ist. Es muss wirklich etwas passieren.

[Zuruf des Abg. Brauer (Linkspartei.PDS)]

Zusätzlich steckt der Immobilienfonds in Schwierigkeiten. Das ist nicht den Theatern anzulasten, sondern dem Versagen des Managements. Vielleicht wissen Manager mit Dollarzeichen in den Augen nicht,

[Ritzmann (FDP): Mit Eurozeichen! – Zuruf des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

wie sich Kunst und Markt gegenseitig inspirieren. Schon historisch gesehen gibt es genügend Beispiele dafür, wie sich Immobilien und die Ansiedelung von Kulturbetrieben wechselseitig bedingen können.

[Zuruf des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Hören Sie mal zu, Herr Lindner! – Ein Blick nach Paris zeigt das. Der Begriff „Boulevard“ entstand durch die Ansiedelung von bürgerlichem Lachtheater an einem Straßenzug in Paris. Dies hatte durchaus das Ziel, die Immobilienspekulation voranzubringen. Wer darüber mehr wissen möchte, kann das bei Prof. Siebenhaar im Institut für Kulturmanagement nachlesen.

Für uns, für die Stadt Berlin, geht es um die Rettung dieser beiden renommierten Theater und um nichts weni

ger. Sie sind in den berühmten zwanziger Jahren entstanden. Ich erinnere an die Rede von Reich-Ranicki vor drei Tagen in der Freien Universität, in der er sich selbst und diese Stadt mit den zwanziger Jahren identifiziert hat. Um so mehr bedauere ich, dass offenbar niemand vom Senat und vom Parlamentspräsidium anwesend war. Immerhin hat die Rede auch gezeigt, wie wichtig die Bewahrung dieser Theater für die Stadt und ihre Gegenwart ist.

Sollte dieser brutale Plan in der Tat verwirklicht werden, so führt das zu einer Verarmung eines nicht ganz unbekannten Boulevards, dessen Mythos aus einer Melange aus Luxus, Genuss, Einzelhandel und Kultur lebt, eines Boulevards, in dem sich die Attraktivität dieser Stadt spiegelt und den man banalisiert, Herr Lindner, wenn man ihm den Faktor Kultur fortnimmt.

Wie sieht nun das bevorstehende Szenario aus? – Vielleicht nehmen Sie das dann etwas ernster. – An irgendeinem schönen Donnerstag werden die Bagger

anrücken. Die Abrissbirne knallt zunächst gegen den Bühneneingang, dann ist die Kasse dran, dann das Foyer, dann kommen die Theatersessel an die Reihe – wir wissen, die kann man leicht abschrauben –, dann Kronleuchter, Seitenlichter, die weinroten Wände, bis man die Bühne erreicht hat, auf der Tausende Stücke gespielt worden sind, auf der Tausende Schauspielerinnen und Schauspieler auftraten. Tut nichts, dieses Material wird zu Kleinholz verarbeitet. Dann passiert dasselbe noch einmal in dem anderen Theater, in der Komödie.

Ein weiteres Beispiel ist die Berliner Friedrichstraße. Auch hier verhalf die Ansiedelung von Kultureinrichtungen der Straße zum Aufstieg. Nicht zuletzt trug auch Max Reinhardts Theater am Kurfürstendamm zum Renommee des Kurfürstendamms bei. Markt und Kultur, das waren und sind die Motoren für eine wirtschaftliche Entwicklung, und sie tragen zu einem urbanen Lebensumfeld bei.

[Abg. Dr. Lindner (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lindner?

Nein! Ich möchte zu Ende reden.

Das ist in Ordnung!

Brauchen wir wirklich ein x-tes Einkaufszentrum? Ist es nicht genauso wichtig, dass Anita Kupsch, Herbert Herrmann, Mutter und Tochter Thalbach und wie sie alle heißen, uns in den beiden Theatern den Alltag vergessen lassen? – Ich habe in den vergangenen dreißig Jahren immer wieder die beiden Theater besucht und dabei erlebt, wie die Touristen nach Karten angestanden haben. Komödie und Kurfürstendamm-Theater sind in Deutschland bekannt für bestes Boulevardtheater. Die Deutsche Bank muss sich jetzt ihrer kulturellen Verantwortung bewusst werden, ansonsten verspielt sie jegliche Glaubwürdigkeit und entpuppt sich als Investor ohne ein Gespür für die Bedürfnisse unserer Stadt und ihrer Bürgerinnen und Bürger.

Was können wir tun? – Der Regierende Bürgermeister hat es ja schon deutlich gesagt, dass der Senat jede mögliche Unterstützung liefert. Was können wir als Abgeordnete tun? – Wir können nur Druck aufbauen. Es ist ein privates Vorhaben, es geht nicht anders als über Druck. Wir sind auch Kunden. Es gibt Banken, die eine andere Geschäftspolitik verfolgen.

Ich komme zurück auf Curth Flatows Erfolgsstück „Das Geld liegt auf der Bank“. Die Frage ist zukünftig, auf welcher. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Danke schön! – Für die Fraktion der CDU hat Herr Dr. Lehmann-Brauns das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Noch ein paar Sätze zu der feindlichen Übernahme des Kurfürstendamm-Karrees. – Ich bin überzeugt davon, dass die Tausende von Anlegern, diese anonymen Leute, die Zinsgewinne im Kopf haben, überhaupt nichts von diesen schaurigen Plänen wissen, die man macht. Vielleicht nach dem Filmmotto „Denn sie wissen nicht, was sie tun“.

[Abg. Dr. Lindner (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Lindner?

Wenn ich zu Ende bin, das ist gleich der Fall.

Gut!

Die Kulturstadt Berlin, so wäre dann der Vorwurf an uns alle, lässt es also zu, dass zwei renommierte, lebendige Theater zerhackt und pulverisiert werden. Berlin, durch die Fußball-WM vielleicht noch in den Köpfen, zeigte der Öffentlichkeit,

[Pewestorff (Linkspartei.PDS): Nein! Die Deutsche Bank zeigt es!]

wie es mit seinem Tafelsilber der Kultur umgehen lässt. Nun – denkt man – gibt es ja noch den Senator, der darauf geschworen hat, das Ansehen Berlins zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. Dieser Senator, bis 1989 ein wackerer Mitspieler der verblichenen DDR, hat die Situation schnell erfasst.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Es handele sich, so wie auch Herr Lindner das eben formuliert hat, um eine private Streitigkeit zwischen Vermieter und Mietern, die das unter sich ausmachen müssten.

Nein, das geht nicht mehr, weil die Redezeit beendet ist! – Dann geht es jetzt weiter mit der Linkspartei.PDS. Der Herr Abgeordnete Brauer hat das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Gutes Boulevardtheater ist unverzichtbar für eine so lebendige Theaterlandschaft, wie es die berliner nun einmal ist. Die Kudammbühnen bieten gutes Boulevardtheater. Die Pläne der DB-Immobilientochter sind schändlich. Der Senat ist daher aus gutem Grund aktiv, um die Gefährdung beider Bühnen abwenden zu helfen. Ich wiederhole es noch einmal: Der Senat ist aktiv.

Nur ignoriert die gegenwärtige, emotional sehr hochgekochte Debatte ein grundsätzliches Problem. Schade, dass Sie sich darum drücken, Herr Lehmann-Brauns! Die fortschreitende Verödung der Innenstadtbereiche – ich rede im Plural – ist zwangsläufiges Ergebnis einer stadtentwicklungspolitischen Strategie, die bundesweit läuft und die Citybereiche sukzessive immobilienwirtschaftlichen Verwertungsinteressen unterwirft. Hinterher ist die Verwunderung groß, wenn Immobiliengesellschaften tatsächlich das tun, wofür sie etabliert wurden, ihren Anliegern wenn schon keine solide Rendite, so wenigstens den Schutz ihrer Einlagen zu garantieren.