Beschluss des Abgeordnetenhauses zur Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts bei Zwangsverheiratungen unverzüglich umsetzen
Für die Besprechung haben wir wie immer eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD, und zwar die Abgeordnete Frau Neumann. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Morgen ist der Internationale Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Gewalt gegen Frauen berührt die Grundwerte unserer Gesellschaft und Verfassung. In Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Das gilt umfassend für alle Menschen, für Männer, Frauen und Kinder, unabhängig von der Nationalität in allen Lebensbereichen, auch am Arbeitsplatz, in Ehen, Familien, im sozialen Nahbereich insgesamt. Um den Schutz der Menschenwürde der Betroffenen ging es im Abgeordnetenhaus, als wir am 17. März dieses Jahres den Senat aufforderten, Maßnahmen zur Bekämpfung der Zwangsverheiratung zu ergreifen. Die vorliegende Mitteilung – zur Kenntnisnahme – des Senats berichtet über eine breite Palette von Maßnahmen, um dem Auftrag gerecht zu werden, von der Erhebung von Tatsachen über die unterschiedlichen Angebote für Betroffene bis hin zu den Initiativen, Gesetze den Erfordernissen der Gewaltbekämpfung anzupassen. Ich will mich im Schwerpunkt auf diesen Teil der Problematik konzentrieren.
In seinem Beschluss forderte das Abgeordnetenhaus den Senat auf, sich auf Bundesebene für Gesetzesänderungen zur Bekämpfung von Zwangsheirat einzusetzen. Unter Federführung der Senatsverwaltung für Justiz erarbeitete der Senat einen Gesetzentwurf, der die vom Abgeordnetenhaus genannten Punkte berücksichtigt. In das Strafrecht soll ein eigener Straftatbestand „Zwangsheirat“ eingefügt werden. Im Ausland begangene Taten sollen auch in Deutschland verfolgt werden und Opfer Nebenklage erheben können. Im Zivilrecht soll die Frist für den Antrag auf Aufhebung der Zwangsehe von einem Jahr auf drei Jahre verlängert und das Erbrecht so geändert werden, dass alle vom Erbrecht am Vermögen des Opfers ausgeschlossen werden können, die an der Drohung beteiligt waren.
Vor allem wollte der Senat zugleich das Aufenthaltsgesetz ergänzen. Wer infolge einer Zwangsverheiratung das Bundesgebiet verlassen musste, soll dadurch keine aufenthaltsrechtlichen Nachteile erleiden. Der Berliner Vorstoß hat den Bundesrat tätig werden lassen, entsprechend seiner Mehrheit beschloss er aber nicht den aktuellen Antrag aus Berlin, sondern einen in seinen Ausschüs
sen auf Eis liegenden baden-württembergischen Antrag. Die Strafandrohung wurde erhöht, die Frist verlängert, einen Antrag auf Aufhebung der Ehe zu stellen. Der Versuch, den Gesetzentwurf um die notwendige Änderung im Aufenthaltsrecht zu ergänzen, scheiterte.
Jetzt war Zwangsverheiratung ein Thema der Koalitionsvereinbarung, an denen unsere Justizsenatorin Karin Schubert teilnahm, wobei sie versucht hat, die Berliner Vorstellungen einzubringen. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, alle zur Bekämpfung der Zwangsverheiratung geeigneten rechtlichen Instrumente zu prüfen, nicht nur die Aufnahme von strafrechtlichen und zivilrechtlichen Regelungen, sondern auch Änderungen im Aufenthaltsgesetz. Schon jetzt wird übrigens die Senatsverwaltung für Inneres der Ausländerbehörde Weisung erteilen, Opfern von Zwangsverheiratung unter bestimmten Voraussetzungen die Rückkehr zu ermöglichen.
Wir alle wissen, dass zur Bekämpfung von Zwangsverheiratung die Sensibilisierung und Aufklärung der fachlich betroffenen Berufsgruppen und der Öffentlichkeit erforderlich ist. Nötig sind ebenso Beratungs- und Unterstützungsangebote, nicht zuletzt Zufluchtsorte für von Zwangsverheiratungen Bedrohte.
Daneben bleibt es unabdingbar, in der Rechtsordnung Regelungen zu schaffen, die zur Bekämpfung von Zwangsheirat in allen ihren Facetten beitragen und den Opfern helfen. Dazu wollen wir beitragen. Dabei wissen wir den Senat und besonders unsere Justizsenatorin auf unserer Seite. Gestern im Fachausschuss waren sich alle Fraktionen einig, dass alle hier vertretenen Parteien, auch die CDU, auf Bundesebene für unseren umfassenden Ansatz zur Bekämpfung von Zwangsverheiratung eintreten und dass das auch Verbesserungen des Aufenthaltsgesetzes einschließt. Deswegen verwundert es mich doch sehr, dass von den Grünen und von der FDP noch ein Antrag zum Aufenthaltsrecht eingebracht wird. Meines Erachtens sind diese beiden Anträge überflüssig.
In der Bundesratsinitiative, die vom Senat eingebracht worden ist, haben wir dieses mit aufgenommen.
Frau Präsidentin! Sehr geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die uns vorliegende Mitteilung – zur Kenntnisnahme – geht auf den hier gefassten Be
schluss vom 17. März zurück. Ausführlich wurde darüber gestern im Ausschuss für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen debattiert. Ob die Debatte heute im Plenum schon neue Erkenntnisse im Vergleich zu gestern hervorbringen kann, wage ich zu bezweifeln. Aber sei es drum. Wenn es dazu beiträgt, dass in Zukunft weniger Männer, aber vor allem weniger Frauen Opfer von Zwangsverheiratung werden, tauschen wir gern die Argumente im Plenum noch einmal aus.
Wir erkennen an – das habe ich gestern für meine Fraktion im Ausschuss auch so dargestellt –, dass das Land Berlin, in dem Fall vertreten durch seine Justizsenatorin, in der Länderkammer immerhin die Verlängerung der Antragsfrist zur Aufhebung der Zwangsehe entsprechend dem Gesetzesantrag des Landes Berlin von einem auf drei Jahre im Bürgerlichen Gesetzbuch durchsetzen konnte. Ansonsten wurde dem Gesetzentwurf aus BadenWürttemberg in der Länderkammer mehrheitlich gefolgt. Das ist aus Sicht der CDU-Fraktion ein Erfolg. Wir haben diesen Gesetzentwurf während des gesamten Verfahrens hier im Haus stets favorisiert. Er deckt sich im Kernelement, nämlich Zwangsheirat als eigenen Straftatbestand im Strafgesetzbuch aufzunehmen, mit dem vom Senat eingebrachten Bundesratsentwurf.
Mehr ist sicherlich immer drin. Das sage ich auch deutlich im Hinblick auf eine Änderung des Aufenthaltsrechts. Dazu liegen noch einmal Anträge vor. Wir gehen davon aus, dass diese in den Fachausschuss überwiesen werden. Insofern möchte ich mich heute gar nicht darauf konzentrieren, was zu tun ist, wenn das Verbrechen bereits begangen wurde, sondern vielmehr darauf, dass es in hoffentlich immer weniger Fällen zu Zwangsverheiratungen kommt, dass das Verbrechen in hoffentlich immer weniger Fällen passiert. Dazu scheint mir das gestern im Ausschuss von der Staatssekretärin Ahlers Vorgetragene etwas dürftig zu sein. Denn aus unserer Sicht kommt der präventive Bereich zu kurz.
Wo ist hier der effektivste Ansatz zu sehen, zu wählen: In einer Notrufnummer, wie wir es der Mitteilung entnehmen können, in einer Plakataktion, auch das geht aus der Mitteilung hervor? – Das sind sicherlich nützliche Maßnahmen, beides ist nicht verkehrt. Aber wir stellen die größte Wirkungsentfaltung in präventiver Hinsicht dort her, wo wir die zukünftigen potentiellen Opfer, aber auch späteren potentiellen Täter in größtmöglicher Anzahl erreichen. Dieser Ort liegt eindeutig an unseren Schulen. Was können wir dem Bericht dazu entnehmen? – Dass an den Schulen etwas zu tun ist, hat der Senat erkannt.
Nur das entsprechend Dargestellte ist unzureichend. – Klar, das sagt die Opposition immer, werden Sie sich sagen von der Koalition, dass das, was die Regierung anfasst, zu wenig ist. Aber wenn es doch in anderen Bundesländern heute schon möglich ist, entsprechende Maßnahmen im Schulunterricht zu ergreifen, und wenn ich in der Vorlage lese, dass der Senat sich zurzeit auf dem Gebiet
der Prävention lediglich mit der Prüfung der Erstellung und Verteilung eines Informationspakets für Berliner Schulen befasst, dann ist das im Sinne der Einhaltung elementarer Menschenrechte eindeutig zu wenig. Wie gesagt, andere sind weiter.
Deshalb fordern wir den sofortigen Eingang des Themas in ein dafür geeignetes Unterrichtsfach. Denn was da zu tun ist, ist eigentlich relativ klar: Es geht um die Sensibilisierung und die Kommunikation mit Schülern im Unterricht, um alle zu ermutigen, nicht wegzuschauen, oder um es potentiellen Opfern zu erleichtern, Hilfe in Anspruch nehmen zu können, oder – darüber wurde hier bislang relativ wenig gesprochen bzw. noch gar nicht – um potentiellen zukünftigen Tätern die Möglichkeit zu geben, ein Unrechtsbewusstsein in dieser Thematik zu entwickeln. Seit den Ehrenmorden wissen wir, dass dieses Unrechtsbewusstsein in manchen Kulturkreisen – um die geht es hier vor allem – überhaupt nicht vorhanden ist.
Damit können wir die hier vorliegende Mitteilung – zur Kenntnisnahme – im Hinblick auf das, was beschlossen wurde, nicht als erledigt ansehen. Im präventiven Bereich muss eindeutig mehr getan werden. Es muss entschlossener gehandelt werden. Es kommt jetzt darauf an, die Weichen so zu stellen, dass die Zahl der Zwangsehen in Zukunft sinkt. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gut, dass wir uns nun im Rahmen der Prioritäten mit dem Thema Gewalt an Frauen beschäftigen können.
Dass wir dabei den Blick insbesondere auf Zwangsverheiratungen fokussieren, soll nicht heißen, die anderen Formen von Zwang und Gewalt gegen Frauen aus dem Blick zu verlieren. Ich habe es bei der Begründung zur Aktualität schon erwähnt: Berlin beteiligt sich anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen mit einer Fülle von Veranstaltungen, mit Fahnenaktionen und mit Infoständen an den weltweiten Aktionen. Aber hier im Hause sollten wir uns damit auseinander setzen, was seit dem Mord an Hatun Sürücü getan wurde, um solchen Gewalttaten den Boden zu entziehen. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen wird, für Zwangsverheiratungen einen eigenständigen Straftatbestand einzuführen.
Gesetze allein helfen aber wenig, wenn es für betroffene Opfer nicht gleichzeitig ausreichende Beratung und Unterstützung für ein unabhängiges Leben danach gibt.
In Berlin haben wir sechs Frauenhäuser und spezifische Angebote für Migrantinnen, die wir ausdrücklich,
Frau Klotz, von Kürzungen ausgenommen haben. Alle Maßnahmen zielen auf eine eigenständige Existenzsicherung der Frauen. Bei Migrantinnen ist es außerdem wichtig, dass sie einen eigenständigen Aufenthaltsstatus bekommen. Diesem Punkt hat sich jedoch die Mehrheit im Bundesrat sowie die rot-grüne genau so wie die schwarzrote Koalition auf Bundesebene verschlossen.
Im Gegenteil: Aus den Verhandlungen zu dem Koalitionsvertrag war zu hören, Zuwanderungen wieder einschränken zu wollen, indem das Nachzugsalter von Ehepartnern auf 21 Jahre hochgesetzt werden soll. Dagegen wenden wir uns mit Nachdruck. Dass es Zwangsverheiratungen gibt, darf nicht dazu missbraucht werden, Hochzeitspaare generell unter Verdacht zu stellen und restriktive Ausländerpolitik durchzusetzen.
Wir sollten uns eher an die Forderungen der EU halten, Ehen vor dem Heiratsalter von 18 Jahren nicht anzuerkennen. In diesem Punkt bin ich mir mit Herrn Körting einig.
Darüber hinaus fordert die Europaratsversammlung richtigerweise, bereits in der Schule darauf einzuwirken, dass antidemokratische und menschenverachtende Bräuche nicht geduldet werden. Dafür ist Berlin ganz direkt in der Verantwortung. Ein entsprechender Ansatz findet sich folgerichtig in dem Aktionsplan „Freiräume und Integrationschancen für zugewanderte Frauen und Mädchen“.
Mit dem Bericht Drucksache 15/4417 haben wir uns einen Überblick über die Aktivitäten des Senats zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen verschafft. Im Vergleich zu den anderen Bundesländern – mit Ausnahme von Baden-Württemberg – sind wir weit gekommen, auch wenn der Bericht nicht den Auftrag einlöst, ein Konzept gegen Zwangsverheiratung vorzulegen. Es ist ganz im Interesse der Betroffenen, an die Arbeitszusammenhänge des Berliner Interventionsprojektes gegen häusliche Gewalt – BIG – des Arbeitskreises Zwangsverheiratung und der Fachkommission Frauenhandel anzuknüpfen. Schritt für Schritt kann es uns gelingen, die Probleme zielführend zu identifizieren und neue Schutzmöglichkeiten zu entwickeln.