Der Dringlichkeit wird nicht widersprochen. Jeder Fraktion steht eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redner aufgeteilt werden kann. Wir beginnen mit den Wortmeldungen der ersten Redner
Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Es ist ganz spannend, die Debatten zu verfolgen, in denen auch von Ihnen, Herr Sarrazin, das Ammenmärchen erzählt wird, der Staat sei arm, er hätte so wenig Einnahmen, er müsse seine Einnahmen erhöhen für die vielen Aufgaben. Das sind Ammenmärchen, das ist das erste, womit man aufräumen muss.
2004 hat der Staat – Bund, Länder und Gemeinden – über 920 Milliarden € an Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen abkassiert. Gemessen am Bruttosozialprodukt sind das 41,74 %. 1965 waren es 66 Milliarden – da war er also deutlich bescheidener. Das waren 28,38 % des Bruttoinlandprodukts. Es ist also kein armer Staat, es ist ein gieriger großer Leviathan, wie das neulich in der „Welt“ Roger Köppel ausgedrückt hat, ein gieriger gefräßiger Staat, der uns immer mehr abkassieren will, sonst gar nichts.
Die Beispiele dafür sind vielfältig. Auf Landesebene erleben wir das kontinuierlich vor allen Dingen rund um die Immobilie: Wasserpreise erhöht, Grundsteuer erhöht, Müllgebühren erhöht und nun auch noch die Abzocke mit dem Straßenausbaubeitragsgesetz. Das ist ärgerlich, und zwar deswegen, weil es unmittelbar negativ in die wirtschaftlichen Zusammenhänge Berlins eingreift. Wir haben in Berlin niedrige Immobilienpreise. Das ist an sich ein negativer Wirtschaftsindikator. Dort, wo eine gesunde Wirtschaft ist – in Großstädten wie Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg oder München, aber auch außerhalb Deutschlands wie z. B. in London –, sind die Immobilienpreise wesentlich höher. Darin zeigt sich, dass dort mehr wirtschaftliche Prosperität herrscht. Wir haben die Chance, aus diesem schlechten wirtschaftlichen Indikator einen Standortvorteil zu machen, indem wir mit diesen günstigen Preisen werben. Aber was macht der rot-rote Senat? – Er macht sie kaputt, indem er künstlich die gewerbliche wie die private Immobilie immer mehr verteuert. Die Leidtragenden sind – und das werden wir auch hier wieder erleben – die Bürger, weil sie keine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt finden können.
Zweitens nenne ich nun beispielhaft einiges, was der Bund macht, und zwar mit besonders negativen Auswirkungen für Berlin: Die Tabaksteuer – dazu haben wir Ihnen heute einen Antrag vorgestellt – ist ein solches Beispiel. Dieser Tabaksteuererhöhung von Rot-Grün lag dieser ständige Irrglaube der Linken zu Grunde, man könne durch Erhöhung der Sätze die Einnahmen des Staates verbessern. Das ist ein ständig wiederkehrender Irrglaube, und gerade an dieser Stelle kann man exemplarisch darstellen, wie unsinnig diese Schlüsse sind.
Dazu noch ein anderer Aspekt: Der Staat macht das schon seit Jahrhunderten so. Er nennt ein PseudoPrimärziel und tut beispielsweise so, als ginge es um die Gesundheit. Aber dem Staat geht es nie um seine Primärziele. Diese sind nur vorgeschoben. Ihm geht es stets darum, mehr abzukassieren, und das Ganze wird dann mit der Volksgesundheit, dem Flottenbau oder mit irgendwelchen anderen relativ vergänglichen und albernen Angelegenheiten bemäntelt.
Die Bürger haben nicht mehr in der Tasche. Das müssen Sie begreifen. Die können ihren Euro nur einmal ausgeben. Die sind nicht unbeschränkt kreditfähig. Deswegen machen sie es dann wie nach der Erhöhung der Tabaksteuer so, dass sie ausweichen. Die rauchen ja nicht weniger. Es ist sogar ein Anstieg um 1,4 % zu verzeichnen. Gerade bei den jüngeren Rauchern betrug der Anstieg sogar 5 %. Heute oder gestern war in „SpiegelOnline“ zu lesen, dass sie stärker an ihren Zigaretten ziehen. Das ist kein besonders guter gesundheitspolitischer Effekt.
Vor allem rauchen sie geschmuggelte Zigaretten, und zwar in einem so breiten Ausmaß, dass das wiederum in wirtschaftspolitischer Sicht die Folge hat, dass Arbeitsplätze abgebaut werden, weil die Zahl der legal in Deutschland produzierten Zigaretten drastisch zurückgegangen ist. In Berlin kostet dieser Unsinn 200 Arbeitsplätze bei Reemtsma. Es war also haushaltspolitisch ein Flop, weil die Einnahmen um mehrere Hundert Millionen zurückgegangen sind. Es war gesundheitspolitisch ein Flop, weil nicht weniger, sondern mehr geraucht wird. Und es war wirtschaftspolitisch ein Desaster. Deshalb fordert unser Antrag: Das muss rückgängig gemacht werden. – Senator Wolf hat dazu im Übrigen diesmal etwas Richtiges gesagt.
Wie der Raucher kräftiger an seiner Zigarette zieht oder aus Polen geschmuggelte Zigaretten raucht, so wird auch der von dieser Steuer Betroffene seinen Ausweg finden. Das wird sicherlich nicht zu einem negativen Ergebnis führen, sondern es wird sich ungefähr aufheben, denn diejenigen, die abwandern, wandern nicht mit dem Mehrertrag, sondern ihrem gesamten zu versteuernden Einkommen ab. Gut, ein paar werden Sie abkassieren können, aber bedenken Sie, welches Signal Sie vor allem an ausländische Investoren senden: Deutschland wird auf dem Rücken von einigen seine Pseudonot lösen. – Das ist ein
Mehrwertsteuer: Dazu habe ich mich in meiner eigenen Partei vor dem Wahlkampf nicht zu aller Freude positioniert, und dazu stehe ich auch. Herr Solms, dem ich herzlich zu seinem heutigen 65. Geburtstag gratuliere, war nicht gerade erfreut, als ich meine Auffassung äußerte – der ich übrigens immer noch bin –, dass man für gezielte Einsätze die Mehrwertsteuer moderat erhöhen kann, und zwar im Zuge einer Gesamtsteuerreform, die zu einer Gesamtentlastung führt. Das waren die drei Bedingungen: Gesamtentlastung, maximal 18 % und nachlaufend zu einer großen Einkommensteuerreform! – Aber was haben sie gemacht? – Sie haben keine große Steuerreform durchgeführt. Die Einkommensteuer wird faktisch erhöht. Sie lassen die Sätze so, wie sie sind, aber Sie streichen auf breitem Feld die Vergünstigungen. Zudem erhöhen Sie die Mehrwertsteuer auf 19 %. Was für ein Irrsinn das ist! Als Kompromiss zwischen 0 und 18 nehmen Sie 19. Im Ergebnis wird es ohne jede systematische Reform gemacht. Es hat wieder unmittelbar Folgen für den Arbeitsmarkt. Das werden Sie auch wieder erleben.
Sie werden auch erleben, dass das selbstverständlich wieder kleinen und mittelständischen Unternehmen, den Handwerksbetrieben in Berlin schadet. Es ist pure Heuchelei, was Sie machen. Sie kommen mit solchen lächerlichen Schaufensteranträgen wie dieser Chipkartennummer daher. Begreifen Sie doch einmal, dass es die legal arbeitenden Handwerksbetriebe sind, die dann zukünftig ohne P. S. – ohne Peer Steinbrück – abrechnen werden. Da werden Sie mit Ihren Chipkarten nicht herankommen. Auch hier wird sich der Bürger eine sozusagen marktliberale Lösung für eine dirigistische Steuerwut suchen, und er wird sie auch wieder finden. Damit wird Ihre Rechnung ein weiteres Mal nicht aufgehen.
Wenn Sie glauben, Sie bekämen im nächsten Jahr eine Art Wirtschaftsstrohfeuer hin, so dass die Leute im nächsten Jahr tüchtig einkaufen, werden Sie Folgendes erleben: Die Betriebe werden im nächsten Jahr ihre Preise erhöhen. Die gehen davon aus, dass im nächsten Jahr – wegen der Mehrwertsteuererhöhung auf 19 % im Jahr 2007 – eine gewisse Kauffreudigkeit entsteht, und geben auf ihre Art eine Antwort, indem sie die Preise erhöhen.
Dann wird auch dieses Vorhaben ein Flop werden. Kaum etwas landet dort, wo es, wie Sie vorgeben, landen soll.
Meine Damen und Herren von der CDU! Ich wundere mich ein wenig darüber, dass die CDU das alles mitmacht. Sie bluten in einer Weise für die Kanzlerin Merkel, dass es mich wirklich erstaunt.
Ein vollständig sozialdemokratisches Regierungsprogramm und neun Sozialdemokraten am Kabinettstisch – acht von der SPD plus Herrn Seehofer macht neun!
Sie in Berlin regt das sicher nicht auf. Das haben Sie bei Diepgen ja auch so gemacht. Da haben Sie auch die Staatsbetriebe aufgefettet und die Gewerkschaften „gepampert“, aber die Quittung haben Sie hier in Berlin bekommen. Und Sie werden das nächste Mal auch die Quittung für diesen Verrat an den Interessen des Mittelstandes und der Unternehmerschaft bekommen.
Die Alternativen liegen auf der Hand. Österreich hat es vorgemacht. Am letzten Sonntag war der Finanzminister von Österreich, Herr Grasser, in der Fernsehsendung von Frau Christiansen und hat dargestellt, was der Staat durch Liberalisierung, Privatisierung und eine angebotsorientierte Politik erreichen kann. Darüber können Sie sich möglicherweise amüsieren, aber die haben kein Defizitverfahren am Hals, sondern gleichzeitig eine Arbeitslosenquote von 7,1 %. Das haben sie durch eine neoliberale, angebotsorientierte Politik erreicht, die auch für Deutschland das einzig Vernünftige wäre. Diese Politik werden wir in relativ kurzer Frist bekommen. Darin bin ich mir sicher, und insoweit haben wir auch nur eine rotschwarze Übergangsregierung. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst feststellen, dass ich in einem Landesparlament wie dem Berliner Abgeordnetenhaus gern über Landespolitik diskutiere. Dafür sind wir eigentlich auch hier.
Manche fühlen sich hier vielleicht unwohl und veranstalten dann Mini-Bundestag und machen den Mini-FranzJosef-Strauß. Aber ich fühle mich hier bereits wohl, wenn wir über landespolitische Themen diskutieren, obwohl die schwierig genug sind.
Nun haben wir diese Aktuelle Stunde, die mit zwei Anträgen verbunden ist, die schwierige Themen in Berlin betreffen. Damit meine ich vor allem das Thema Samsung. Aber die Diskussion wird bundespolitisch aufgemacht, und deswegen möchte ich auf die von der FDP begonnene Debatte eingehen. Wir hatten in den letzten sieben Jahren eine Entlastung von Privatpersonen und von Unternehmen im ertragsteuerlichen Bereich in Höhe von über 50 Milliarden €. Das ist die angebotsorientierte Politik, die Kollege Lindner eben eingefordert hat. Sie ist bei vielen in diesem Hause durchaus umstritten, aber sie ist
ausprobiert worden. Wir müssen feststellen, dass die Unternehmen – z. B. DAX-Unternehmen – beste Gewinne machen. Das ist unter anderem auf diese Steuerpolitik zurückzuführen. Aber es hat sich auf die Arbeitsplätze – speziell in Berlin – offensichtlich nicht so gut ausgewirkt. Nun sind die Kassen in der Tat leer. Jetzt muss man sich fragen, was man tun kann. Steuern und Abgaben nicht zu erhöhen, wie es die FDP offensichtlich will, würde heißen, man müsste die Konsolidierung der Haushalte vorantreiben. Mir sind gerade zwei Pressemitteilungen der FDP in die Hand gefallen. Die eine stammt aus dem Abgeordnetenhaus. Darin findet sich der schöne Satz:
Die Milliardenlöcher im Berliner Landeshaushalt schließt man nicht durch schädliche Millionenkürzungen.
Auf der Bundesebene gibt es einen ähnlich schmerzhaften Einschnitt im öffentlichen Dienst, wie er auch in Berlin durchgeführt wurde. Das Weihnachtsgeld soll halbiert werden. Dazu liest man in einer Pressemitteilung der FDP-Fraktion im Bundestag vom 21. November 2005: