Protocol of the Session on September 29, 2005

Wer nur die Beschlussempfehlung in den Händen hält, könnte meinen, die Koalitionsfraktionen hätten kein Herz für hilfebedürftige Kinder und Jugendliche und wollten sie im Stich lassen, indem gutgemeinte Anträge der Opposition einfach abgelehnt würden. Bei genauerer Betrachtung – hier sollte man doch sehr aufmerksam sein und auf das Datum gucken – kann man aber feststellen, dass der Antrag bereits zwei Jahre alt ist. Damals ging es um den Haushalt 2004/2005. Zu dieser Zeit wurde der Antrag von der CDU eingebracht, lag – aus welchen Gründen auch immer – auf Eis, und jetzt wird er auf einmal wieder hervorgeholt, wird im Ausschuss sachlich diskutiert und abgelehnt.

Bis heute hat sich auf diesem Gebiet aber sehr viel getan. In Mitteilungen – zur Kenntnisnahme – erbringt die Senatsverwaltung den Nachweis, wie bei den Hilfen zur Erziehung umstrukturiert wurde und noch weiter umgestaltet wird und wie sich die Transferausgaben im Laufe der Jahre entwickelt haben. Dem Grunde nach wurde der Antrag abgelehnt, weil er sich in Gänze durch Zeitablauf erledigt hat, und die Erledigung wurde bereits vor einem Jahr, vor der Besprechung im Ausschuss mit der Mitteilung – zur Kenntnisnahme – am 8. September 2004 den Parlamentariern zur Kenntnis gegeben. Manchmal braucht man eben etwas länger, bis man auf dem Grund der Sache steht.

Die Ablehnung des vorliegenden Antrags heißt aber nicht, dass es jetzt in dem Bereich Hilfen zur Erziehung keine Probleme mehr gibt. Wir sind uns dessen wohl bewusst, dass die begonnene Umstrukturierung hin zur Sozialraumorientierung auf einem guten Weg, aber noch lange nicht abgeschlossen ist. Ebenfalls sind wir uns der Tatsache bewusst, dass die Frage, welche Mittel notwendig sind, um diesen Haushaltstitel auskömmlich auszugestalten, ohne dass die Bezirke in finanzielle Nöte geraten, auch noch lange nicht geklärt ist.

Es wird uns Jugendpolitikern und Jugendpolitikerinnen in der nächsten Zeit eine vordringliche Aufgabe sein, uns mit der fachlichen und der nötigen finanziellen Ausstattung der Hilfen zur Erziehung auseinander zu setzen, aber – das sollte nie vergessen werden, und so, wie dies Herr Steuer gesagt hat, ist es auch nicht hinzunehmen – der im Kinder- und Jugendhilfegesetz festgeschriebene Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung wurde nie in Frage gestellt und wird es auch nie werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Danke schön, Frau Kollegin Müller! – Für die Fraktion der Grünen hat nunmehr Frau Pop das Wort. – Bitte schön, Frau Pop!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Steuer von der CDU hat es bereits gesagt: In keinem anderen Politikbereich hat es so massive Kürzungen gegeben wie in der Jugendhilfe. Ich nenne auch noch einmal die Zahlen: Im Jahr 2002 haben wir noch 452 Millionen € für Kinder, Jugendliche und Familien ausgegeben. Die Zielplanung des Senats für 2007 heißt 290 Millionen €. Zurzeit sind wir bei 330 Millionen €. Das sind trockene Haushaltszahlen. Was bedeuten sie? Sie bedeuten, dass mehr als 5 000 Kinder, Jugendliche und ihre Familien in den letzten Jahren keine Hilfen mehr erhalten haben. Die Umsetzung Ihrer Kürzungen wird bedeuten, dass weitere 1 400 aus den Hilfen herausfallen würden. Von den Kürzungen sind Kinder, Jugendliche und Familien betroffen, die sozial benachteiligt sind, Alleinerziehende, die Unterstützung brauchen, vernachlässigte und misshandelte Kinder.

Berlin ist leider nicht nur die politische Hauptstadt, sondern auch die Hauptstadt der Kinderarmut – fast jedes dritte Kind wächst hier in Armut auf. Berlin ist auch die Hauptstadt der Kindesmisshandlungen – 361 Fälle letztes Jahr, und sie werden immer mehr. Berlin ist leider auch die Hauptstadt der Jugendarbeitslosigkeit mit fast 40 000 arbeitslosen Jugendlichen. Vor diesem Hintergrund diskutieren wir die Kürzungen der Jugendhilfe. Die Situation ist anderenorts deutlich anders. An anderen Orten steigen die Ausgaben. An anderen Orten werden Kinder und Jugendliche unterstützt. An ihnen wird nicht gespart wie in Berlin.

Wir wissen alle, dass in Berlin in den letzten Jahren ein großzügiges Hilfesystem existierte hat. Das stellt auch niemand in Frage. Wir finden den Umbau der Hilfen auch nötig und die Hilfen dringend reformbedürftig. Die Stichworte kennen wir alle aus der Fachdiskussion: die Sozialraumorientierung der Jugendhilfe, ambulante vor stationäre Hilfen gewähren und die Hilfen individuell und passgenau den Kindern und Jugendlichen zu gewähren. Was ist mir nicht alles erzählt worden von „Maßanzüge statt von der Stange“ und so weiter.

Wenn man sich aber anschaut, wie die Entwicklung in den letzten Jahre gelaufen ist, kann ich nur feststellen, dass wir die äußerste Grenze der Kürzungen erreicht haben, und zwar ohne eine Strukturreform, denn diese verzögert sich. Weitere Absenkungen werden dazu führen, dass Kinder, Jugendliche und Familien von den Jugendämtern abgewiesen werden müssen, und es wird sich zeigen, dass es auch finanzpolitisch keine klare Glanznummer ist, Herr Sarrazin, sondern ein Verschieben der Probleme in die Zukunft. Wenn Sie bereits heute wissen, dass Sie ein Defizit einfahren werden, das Sie abfedern müssen, ist das unseriös. Wir bitten Sie deshalb darum, die Zahlen realistisch einzuschätzen.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Dr. Augstin (FDP)]

Die Strukturreform hat wohl noch nicht richtig gegriffen, Herr Böger. Die Kostensenkung ist zwar knallhart vollzogen worden, die Strukturreform verzögert sich je

doch. Massive Absenkungen haben stattgefunden, gerade bei den ambulanten Hilfen, die Sie so wunderbar besser ausgestalten wollten. Die Hilfen werden gekürzt. Sie werden größtenteils nicht gewährt. Sie werden in die Zukunft verschoben und eingeschränkt gewährt. Das rächt sich jetzt, dass dort nichts geschehen ist, denn die Fallzahlen steigen wieder, weil die Jugendlichen mit weniger Unterstützung nicht weniger Probleme haben, sondern dummerweise mehr Probleme bekommen. Wenn wir nicht frühzeitig mit Familienhilfen oder anderen ambulanten Hilfen eingreifen, ist irgendwann die Heimeinweisung nötig, und die ist weder für die Jugendlichen gut noch finanzpolitisch sinnvoll.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Steuer (SPD)]

Deswegen werden wir in den Haushaltsberatungen auf eine realistische Veranschlagung der Mittel drängen, denn es ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit, wie finanzielle Mittel und Hilfen für Kinder und Jugendliche in diesem Haushalt eingestellt werden. – Danke!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Frau Kollegin Pop! – Das Wort für die Linkspartei hat nunmehr Frau Dr. Barth. – Bitte schön, Frau Dr. Barth!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun spreche ich besonders die Damen und Herren von der CDU an: Eigentlich brauchen wir über den Antrag heute wirklich kein Wort mehr zu verlieren, denn der Antrag – das haben meine Vorredner deutlich gemacht – ist von 2003.

[Dr. Augstin (FDP): Immer noch aktuell!]

Wenn ich ihn richtig in Erinnerung habe, Herr Steuer, geht es darum, dass Sie fordern, umgehend ein Konzept mit entsprechenden Kriterien zu erarbeiten. Aber das ist nicht der Punkt.

Es dürfte doch auch an Ihnen nicht vorbeigegangen sein, dass wir inzwischen eine Vielzahl von Fach- und Finanzkonzepten haben, die in den Bezirken, zwischen den Bezirken und mit der zuständigen Fachverwaltung sowie unter Einbeziehung auch der Liga – der freien Träger also – erarbeitet wurden, um den fach- und finanzpolitisch notwendigen Prozess zur Umsteuerung der Hilfen zur Erziehung zu ermöglichen.

Ich gebe Ihnen aber Recht: Wir haben ein ganz aktuelles Problem. Diesem aktuellen Problem müssen wir uns stellen. Nachdem seit 2002 über 90 Millionen € eingespart wurden und in diesem Jahr eine weitere Einsparung von circa 37 Millionen € vorgesehen ist, soll das Ausgabenniveau 2006 auf 305 Millionen € und 2007 auf 290 Millionen € weiter abgesenkt werden. Das ist aus Sicht meiner Fraktion sehr problematisch, und zwar deshalb, weil tatsächlich die Gefahr besteht, dass notwendige Hilfen in Zukunft gar nicht mehr

[Zuruf des Abg. Schruoffeneger (Grüne)]

oder nicht mehr in der erforderlichen Art und/oder in dem erforderlichen Umfang gewährt werden können.

Angesichts der zunehmend schwierigen sozialen Lage vieler Familien in der Stadt ist das sehr bedenklich. Deshalb haben wir gesagt, dass es notwendig ist, noch einmal auf der Grundlage der jetzigen Vorgaben zu schauen, dass keine neuen Haushaltsrisiken in den Bezirken entstehen, vor allem bei den Altschulden, die in einigen Bezirken seit Jahren bestehen. Deshalb ist auch die 50-prozentige Abfederung nicht wirklich hilfreich.

Wir gehen davon aus, dass genau dieses Thema noch einmal auf den Prüfstand gestellt wird und vor allem für das Jahr 2006 und das Jahr 2007 überprüft wird, ob diese Zahlen realistisch sind. Das hat aber mit dem Antrag nichts zu tun. Denn Ihr Antrag geht in eine etwas andere Richtung, und deswegen haben wir den Antrag im Fachausschuss auch abgelehnt. Das werden wir auch heute tun.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Danke schön, Frau Kollegin! – Jetzt hat für die FDP der Kollege Augstin das Wort. – Bitte schön, Herr Dr. Augstin!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ihrem Antrag fordert die CDU-Fraktion den Senat auf, seiner Verantwortung gerecht zu werden, indem er das uneinheitliche Verfahren in den Bezirken beendet und die Hilfen für benachteiligte Kinder und Jugendliche sicherstellt. Ich stelle an dieser Stelle fest, Frau Barth, dass es immer noch ein uneinheitliches Verfahren gibt und dass man da etwas tun muss.

[Beifall des Abg. Steuer (CDU)]

Es soll ein Konzept mit dem Bezirk und den freien Trägern der Jugendhilfe erarbeitet werden, mit dem durch Umstrukturierungen die Vorgaben des Kinder- und Jugendhilfegesetzes in diesem Bereich kostengünstiger gestaltet werden können. Jedes Kind und jeder Jugendliche mit unabweisbarem Hilfebedarf sollte auch die notwendigen Unterstützungen erhalten. Ich schließe an das an, was Herr Steuer und auch Frau Pop gesagt haben: Es gibt noch erheblichen Bedarf in dieser Stadt, und es kommt sehr darauf an, an den richtigen Stellen die richtige Hilfe zu gewähren. Es hilft nichts, wenn man wieder Sparmaßnahmen vornimmt, und das ohne ein ausgegorenes Konzept. – Wir teilen deshalb die Ansicht der CDU-Fraktion insoweit. Die bisherige Vorgehensweise der flächendeckenden Kürzungen hat nicht nur für alle Hilfearten, wie die CDU-Fraktion in ihrem Antrag begründet, sondern in der gesamten Jugendarbeit dazu geführt, dass vielen problembelasteten Kindern und Jugendlichen nicht mehr die Unterstützung zuteil wird, die sie von der Gesellschaft brauchen.

Aber auch die präventiv wirkende Jugendarbeit, die mehr Haushaltszwängen – diese jetzt auch schon wieder! – als fachlich fundierten Zielsetzungen für die Jugendarbeit folgt, ist durch flächendeckende Kürzungen chaotisiert worden. Wir Liberalen haben deshalb heute

einen Antrag in das Plenum eingebracht, in dem der Senat aufgefordert wird, unter Beteiligung der Bezirke und der freien Träger ein umfassendes Konzept zur künftigen Gestaltung der Jugendarbeit für das Land Berlin zu entwickeln.

[Beifall bei der FDP]

Dieses Konzept soll Aufgaben und Zielsetzungen für den Bereich der Jugendarbeit klar definieren und präzise darlegen. Dabei ist entscheidend, dass anhand der erarbeiteten Vorlage ein Instrumentarium geschaffen wird, mit dem das Angebot auf bezirklicher Ebene mit der Zielsetzung des Landes Berlin abgeglichen wird, so dass nicht wieder verschiedene Methoden in den Bezirken zu sehr uneinheitlichen Ergebnissen führen. Die Ergebnisse sollen damit sowohl qualitativ messbar als auch quantitativ bewertbar sein. Das von der CDU-Fraktion eingeforderte Konzept für den Bereich der Hilfen zur Erziehung kann dazu einen inhaltlichen Beitrag leisten, und deshalb werden wir diesem Antrag zustimmen. – Ich danke.

[Beifall bei der FDP]

Der Ausschuss empfiehlt mehrheitlich gegen CDU, Grüne und FDP die Ablehnung. Wer diesem Antrag jedoch seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der CDU, der FDP und der Grünen. Die Gegenprobe! – Das sind die beiden Koalitionsfraktionen. Letzteres war die Mehrheit. Dann ist der Antrag damit abgelehnt. Enthaltungen? – Enthaltungen sehe ich nicht.

Lfd. Nr. 17 haben wir als Priorität der Fraktion der FDP unter Tagesordnungspunkt 4 c aufgerufen. Lfd. Nr. 18 ist bereits durch die Konsensliste erledigt.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 19:

Beschlussempfehlung

100 Prozent Einsatz für Fifty-Fifty – Beteiligung von Schulen an Projekten der Energie-, Ressourcen- und Kosteneinsparungen erleichtern und sichern!

Beschlussempfehlung JugFamSchulSport Drs 15/4272 Antrag der Grünen Drs 15/2407

Dazu haben die Kolleginnen und Kollegen dankenswerterweise die Beiträge zu Protokoll gegeben.

[Vereinzelter Beifall]

Ja, Beifall ist gut. Herr Mutlu, Sie sind gemeint. Danke schön!

Ich verweise auf meine Ausführungen in der Sitzung

des Ausschusses für Jugend, Familie, Schule und Sport am 8. September 2005 – vgl. Inhaltsprotokoll –.

Frau Dr. Barth

Energieprojekte an Schulen – bekannt geworden unter

dem Namen „Fifty-Fifty“ – haben sich in den letzten Jahren als optimale Methode zur Energie- und Kosteneinsparung erwiesen.