Protocol of the Session on April 28, 2005

Danke schön, Frau Simon! – Für die Fraktion der Grünen hat nunmehr der Abgeordnete Schruoffeneger das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal hatte man jetzt den Eindruck, dass wir die Debatte über die Märchentage vorzie

hen, nur leider mit verdoppelter Redezeit. Das ist dann etwas ärgerlich.

[Beifall bei der FDP]

Ein Teil dieser Märchenstunde, Herr Kollege Pape, ist es zum Beispiel, wenn Sie uns die Erfolgsstory von Vivantes mit der guten wirtschaftlichen Bilanz in diesem Jahr erzählen, dabei aber leider hinzuzufügen vergessen, dass dieses Ergebnis durch einen Zuschuss des Landes, eine Eigenkapitalerhöhung um über 200 Millionen € im letzten Jahr und durch einmalige Schließungskosten von 12 Millionen € zustande gekommen ist; sonst wären wir gleich wieder im Minus, und dann wäre Ihre Märchenstunde beendet.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Wenn man diese Diskussion zum Thema „öffentliche Trägerschaft oder nicht“ hört, wundert es mich, Frau Knake-Werner, wie Sie die Notwendigkeit von Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft begründen. Sie reden davon, dass bestimmte Spezialisierungen sichergestellt werden müssten. Ich glaube, das ist eine Verkennung. Es ist Ihre Aufgabe als für Krankenhausplanung zuständige Behörde, darauf zu achten. Ich sage Ihnen, was mich an Ihrer Politik irritiert: Wir durften vor eineinhalb Jahren erleben, dass Vivantes als einziger Krankenhausbetrieb in Berlin die Aufnahme irakischer Kriegsopfer mit der Begründung verweigerte, das könnten sie sich betriebswirtschaftlich nicht leisten. So verspielt dieser Betrieb seine Existenzberechtigung als öffentliches Haus. Es ist die Pflicht öffentlicher Häuser, auch solche Aufgaben zu erfüllen. Dazu haben Sie damals sehr lange geschwiegen. [Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Wir reden hier nicht darüber, was einzelne Häuser falsch machen, sondern über die strategische Planung, die Herr Sarrazin immer für die Beteiligung des Landes einfordert: Ziele setzen! Wenn man beiden Häusern nur das Ziel gibt, wirtschaftlich werden zu müssen, gehen sie natürlich in Konkurrenz zueinander. Sie haben es bisher versäumt, die strategische Zielsetzung für beide Häuser gegeneinander abzugrenzen. Deswegen kritisieren wir weniger die Häuser und mehr die politische Nichtverantwortung des Senats.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Die Gesundheitspolitik und die gesundheitspolitischen Strukturen stehen vor riesigen Umwälzungen und großen Herausforderungen. Die Einführung der Fallpauschalen führt zu einem neuen Finanzierungssystem, das eine Anpassung aller Strukturen notwendig macht. Der medizinische Fortschritt, die Einführung ambulanter Operationen, die minimalinvasive Chirurgie – all das fordert neue Behandlungsstrategien, aber auch neue Finanzierungsstrategien. Die demographische Entwicklung führt zu einer Verschiebung von Krankheitsbildern. Es gibt einen höheren Bedarf an Versorgung multimorbider Patienten und an ganzheitlicher Betreuung und Pflege. All das muss in die Konzeptionen der Häuser eingearbeitet werden. Die Patientenorientierung in der Versorgungskette muss gestärkt werden. Die Politik und das Land haben in diesem Be

reich der Daseinsvorsorge eine besondere Verantwortung für die Qualitätssicherung und die Krankenhausplanung mit einem Sicherstellungsauftrag, der verhindert, dass einzelne Träger nur Rosinenpickerei betreiben. Die vorhandene Struktur von gemeinnützigen, privat-gewerblichen und öffentlichen Krankenhäusern ist sinnvoll, um den Qualitätswettbewerb zu Gunsten der Patienten zu fördern. Die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Häuser ist die Voraussetzung, um die Qualität zu sichern. Sie ist die Voraussetzung sowohl für eine wohnortnahe Grundversorgung als auch für eine Spezialbehandlung in der Hochleistungsmedizin.

Ich komme jetzt zu einigen Zitaten aus der Presseerklärung der Senatorin Knake-Werner und des Senators Flierl vom 25. September 2004. Dort schrieben Sie:

Das Land Berlin als Träger dieser öffentlichen Einrichtungen hat die Aufgabe, beide Unternehmen strategisch zu koordinieren.

Richtig! –

Wir setzen auf ein Kooperationsmodell, in dem es weite Bereiche von Zusammenarbeit gibt, von klar definierten Schwerpunktbildungen, aber in bestimmten Bereichen auch von Wettbewerb.

Richtig! –

Wir wollen nicht, dass die beiden Unternehmen in eine Situation destruktiver Konkurrenz versetzt werden. Ohne eine Ausrichtung an abgestimmten und öffentlich zu definierenden Zielen besteht das Risiko ungeordneter gegenseitiger Verdrängungskonkurrenz. Eine Regulation durch Marktbereinigung birgt das Risiko hoher Arbeitsplatzverluste und riskiert die öffentliche Trägerschaft weiter Teile des Berliner Gesundheitssystems.

Selten haben zwei Senatoren dieses rot-roten Senats eine Situation so richtig analysiert wie in diesem Text. Dann ist etwas passiert, was leider nicht mehr so selten ist: Sie sind abgetaucht und haben sich um die Umsetzung Ihrer Erkenntnisse überhaupt nicht mehr gekümmert. – Da hilft es auch nicht, wenn an diesem Montag nun endlich alle Beteiligten miteinander geredet haben – nach einer langen Debatte im Hauptausschuss, nach einer Großen Anfrage im Plenum. Jetzt wussten Sie, Sie kommen unter Handlungsdruck. Sie müssen wieder getrieben werden. Zu eigenständigem Handeln sind Sie nicht in der Lage. Wie ernst Sie das Thema nehmen, sieht man, wenn man sich die schriftliche Beantwortung der Großen Anfrage anschaut. Mit Datum vom 12. April 2005 schreiben Sie:

Nach Verabschiedung des Strukturkonzepts durch den Aufsichtsrat der Charité voraussichtlich am 25. Februar 2005 wird der Vorstand der Charité in einem nächsten Schritt...

Da legen Sie uns am 12. April 2005 einen Text vor, der mindestens zwei Monate alt ist, den Sie seitdem nicht mehr gelesen haben, der keineswegs aktualisiert ist. Das zeigt, wie aktiv Sie in diesem Politikfeld handeln, nämlich

gar nicht. Ab in die Ablage mit diesem Text, das war Ihr Verfahren!

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Kommen wir zu einigen Beispielen: Es wurde schon gesagt, dass das neue Abrechnungssystem zu einem deutlichen Bettenabbau in Berlin führen wird. Ca. 4 000 Betten stehen zur Debatte. Das heißt nicht gleichzeitig Personalabbau oder Einnahmewegfall. Aber das heißt, dass es enorme Raumreserven geben wird, Flächenreserven, die betriebswirtschaftlich zu hohen Kosten durch leere Gebäude und Räume führen, wenn man das Problem nicht löst. Nur ein Patientenzuwachs kann das ausgleichen. Charité und Vivantes konkurrieren um das gleiche Potential. Vivantes rechnet mit einem Zuwachs von 3 bis 5 %. Damit wäre die Sanierungskonzeption der Charité geplatzt oder umgekehrt. Das ist genau die destruktive Konkurrenz, die Sie in Ihrer Presseerklärung beschrieben haben. Die strategische Kooperation des Landes als Träger müsste die Aufgabenabgrenzung klären, entweder nach Fachrichtungen oder nach Versorgungsgraden – Grundversorgung/Hochleistungsmedizin. Die Uniklinik Hannover hat sich entschieden. Sie sagt: Wirtschaftlich sind wir nur, wenn wir uns auf die Hochleistungsmedizin konzentrieren. Die Regelversorgung müssen akademische Lehrkrankenhäuser für uns machen. – Das Stichwort „akademische Lehrkrankenhäuser“ ist hier mehrmals gefallen. Seit über einem Jahr tut sich hier überhaupt nichts mehr. Das hat einzig und allein Konkurrenzangstgründe der Charité vor Vivantes. Andere Gründe gibt es dafür nicht. Dies führt in beiden Häusern zu unwirtschaftlichem Verhalten bis dahin, dass sich Vivantes fehlendes Personal auf dem freien Markt über Verträge mit Dienstleistern zusätzlich besorgen muss. Wenn ich jetzt höre, dass Vivantes versucht, entsprechende Verträge über akademische Lehrkrankenhäuser mit Unikliniken anderer Bundesländer abzuschließen, dann wird die Absurdität auf die Spitze getrieben.

Noch extremer ist die Nichtkooperation im nichtmedizinischen Bereich. Sie führen in der schriftlichen Beantwortung der Großen Anfrage zu Recht aus:

Die Charité prüft derzeit alle peripheren Außenstandorte mit der prinzipiellen Option, diese aufzugeben.

In der Realität passiert etwas anderes. Die Zahnklinik wird aus dem Standort Mitte auf den Solitärstandort Aßmannshauser Straße verlagert. Damit wird der Standort Mitte noch defizitärer, als er schon ist. Die Chance, sich von Einzelstandorten zu lösen, die man vielleicht abstoßen und veräußern könnte, wird für lange Zeit zunichte gemacht.

Im Personalbereich dasselbe: Überhänge auf beiden Seiten, gleichzeitig werden Drittfirmen beauftragt, um zusätzliches Personal zu stellen.

In der Technik – das ist schon gesagt worden – gibt es die Ausschreibung eines riesigen Konzernbetriebs mit über 100 Millionen € Umsatz für 17 % des städtischen

Bedarfs, statt sektoral zu organisieren und gemeinsam mit Vivantes jeweils knapp 50 % auszuschreiben. Die Unehrlichkeit dieser Debatte wird deutlich, Herr Flierl, wenn Sie im „Tagesspiegel“ dazu sagen, dass Sie sich vorbehalten, dieses Vorhaben im Herbst zu prüfen. Sie kennen das Vergaberecht. Die Ausschreibung läuft. Wenn sie zum Abschluss gebracht ist, müssen Sie vergeben, sonst sind Sie schadenersatzpflichtig. Sie wissen, dass Sie im Herbst so viel prüfen können, wie Sie wollen, Sie können dann nicht mehr handeln. Das ist das, was wir von der PDS kennen: Die Unschuld vom Lande, die letztlich immer sagt, wir wollten das Beste, aber wir haben es nicht hinbekommen. – So darf das nicht funktionieren.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Zuruf des Abg. Klemm (PDS)]

Zum Abschluss: Ihre Presseerklärung vom September hat die Lage exzellent beschrieben. Wenn Sie nun nicht handeln, wird es nichts nützen, Herr Schulte-Sasse, wenn Sie dem neu gegründeten Verein der kommunalen Krankenhausträger beitreten. Das löst das Problem nicht. Ich erinnere noch einmal an einen Satz:

Eine Regulation durch Marktbereinigung birgt das Risiko hoher Arbeitsplatzverluste und riskiert die öffentliche Trägerschaft weiter Teile des Berliner Gesundheitssystems.

Ihr Nichthandeln riskiert diese öffentliche Trägerschaft. Wenn Sie weiter so handeln wie bisher – oder nicht handeln –, dann sind Sie letztendlich die Sargnägel an öffentlich getragenen Krankenhäusern in Berlin.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Danke schön! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Große Anfrage begründet, beantwortet und besprochen.

Die Großen Anfragen lfd. Nrn. 12 und 13 stehen bereits als vertagt auf der Konsensliste.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 14:

a) Beschlussempfehlung

Potsdamer Platz – Standortprobleme frühzeitig klären

Beschlussempfehlung StadtUm Drs 15/3791 Antrag der FDP Drs 15/3268

b) Beschlussempfehlung

Potsdamer Platz (2) – neue Entwicklungsperspektiven

Beschlussempfehlung StadtUm Drs 15/3793 Antrag der FDP Drs 15/3405

Beratung ist nicht mehr vorgesehen. Der Ausschuss empfiehlt jeweils die Ablehnung der Anträge gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion. Wer dem Antrag Drucksache 15/3268 seine Zustimmung zu geben

Schruoffeneger

wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die FDP. Gegenprobe! – Das sind alle anderen Fraktionen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Wer dem Antrag Drucksache 15/3405 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Wieder die FDP! Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist auch der zweite Antrag abgelehnt.

Die Beschlussempfehlung unter der lfd. Nr. 15 hatten wir bereits mit der Priorität der Fraktion der FDP unter der lfd. Nr. 4 e erledigt.

Lfd. Nr. 16: