Protocol of the Session on April 28, 2005

Ich sage gar nicht, dass Vivantes und die Charité von einem privaten Betreiber übernommen werden sollen, ich sage, dass wir derzeit keine vollständige Trägervielfalt haben, weil 50 Prozent des Angebots in staatlicher Hand sind.

[Schruoffeneger (Grüne): Was wollen Sie denn?]

Ich habe das noch nicht politisch bewertet. Politisch bewerten kann ich das erst etwas später.

[Gaebler (SPD): Aber die Zeit läuft! – Over (PDS): Aber erst einmal ein bisschen rumdrängeln!]

Es ist aber momentan gar nicht der Zeitpunkt, es politisch zu bewerten, weil sich Vivantes in einem Restrukturierungsprozess befindet und die CDU-Fraktion bei der Universitätsmedizin eine Privatisierung für sinnlos hält. Das wissen Sie, dass das der Fall ist. Deshalb stellt sich diese Frage, die Sie hier gebracht haben, nicht.

Dann kommen wir zu einem dritten Punkt. Da hat man den Eindruck, Frau Senatorin und insbesondere Herr Flierl befinden sich ein bisschen im Wachkoma.

[Zuruf von der SPD]

Sie sagen den Satz:

Eine Regulation durch Marktbereinigung birgt das Risiko hoher Arbeitsplatzverluste und riskiert die

öffentliche Trägerschaft weiterer Teile des Berliner Gesundheitssystems.

Natürlich ist das der Fall, dass eine Regulation die Marktbereinigung herbeiführt. Das ist keine Frage. Aber die Reduzierung im Krankenhausbereich um 20 bis 30 Prozent führt insgesamt schon zu einer Marktbereinigung. Deswegen weiß ich nicht, warum Sie Angst haben vor dem Arbeitsplatzverlust, denn der Patient wird nicht schneller gesund, nur weil er weniger im Krankenhaus behandelt wird, sondern er wird dann ambulant behandelt. Die Frage ist, wer diese ambulante Versorgung übernimmt: Macht das der Krankenhausträger selbst, oder machen das Partner des Krankenhausträgers oder Private, wie es heute auch der Fall ist?

Kurzum, Ihre Konzeption zur Kooperation zwischen Vivantes und der Charité geht bisher nicht auf. Es sind zwei konkurrierende Unternehmen. Diese beiden Unternehmen befinden sich in einem Umstrukturierungsprozess, in dem eine Privatisierung zweifelsohne schwierig ist.

Nun kommen wir zum Kernproblem. Das Kernproblem dieser beiden Unternehmen ist, dass sie Kapital brauchen, um in der Zukunft wettbewerbsfähig zu sein. Auf diese Frage, wie diese beiden Unternehmen zu Kapital kommen, haben Sie keine Antwort.

[Over (PDS): Und Sie haben kein Konzept!]

Auch Herr Sarrazin hat darauf keine Antwort. Er sagt zwar: „Doch!“, aber die Antwort kann nur sein, dass ich mir fremdes Kapital in die Stadt hole oder es aus dem Landeshaushalt heraus finanziere. Eins von beidem ist nur möglich.

Jetzt kommen wir zum Kern unserer Konzeption, dass es sinnvoll ist, Vivantes private Beteiligungen zu ermöglichen. Herr Kollege Pape, das kann heißen, dass man an Vivantes einzelne Häuser veräußert. Das kann heißen, dass man Vivantes private Beteiligungen am Gesamtunternehmen zulässt. Wir sind in dieser Frage offen und haben deswegen einen Interessenwettbewerb vorgeschlagen, ein Interessenbekundungsverfahren, in dem die privaten Investoren ihre Meinung dazu sagen sollen. Wir sind der Auffassung, dass dieses Kapital dafür genutzt werden sollte, um die notwendigen Investitionen bei der Charité in Mobilien wie in Immobilien vorzunehmen. Das halten wir für den sinnvollen Weg, nicht eine zwangsweise Kooperation von zwei Unternehmen, die derzeit miteinander nur konkurrieren.

Vivantes, das abschließend, Herr Kollege Lehmann, wird irgendwann ein ganz normales Krankenhausunternehmen sei. Ganz so schlimm, wie wir es befürchtet haben, sieht es nach der Drohverlustrückstellung, die man im letzten Jahr vorgenommen hat, nicht mehr aus. Damit konnte man die Bilanz ein bisschen positiv verändern und jetzt eine „schwarze Null“ präsentieren. Vivantes wird irgendwann ein ganz normales Krankenhausunternehmen sein, an dem, ob die Koalition das will oder nicht, privates

Kapital beteiligt sein wird, weil es gar keine andere Möglichkeit gibt.

Die Charité – da widerspreche ich Ihnen – sollte weiterhin mit ihrer Hochleistungsmedizin in staatlicher Verantwortung bleiben, dass nicht der private Eigentümer entscheidet, in welchen Schubladen geforscht wird, sondern dass in allen Kernbereichen, in allen Lebenswissenschaften geforscht werden kann. Das ist unsere Konzeption für die Kooperation zwischen der Charité und Vivantes. Die Antworten auf die Fragen und die vielen Floskeln, die der Senat momentan dazu vorträgt, bringen uns nicht weiter, sondern ein bisschen Realismus, ein bisschen Abgucken bei Herrn Sarrazin, was der über die Charité und Vivantes denkt, schadet den beiden PDSSenatoren nicht. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Für die PDS-Fraktion hat Frau Abgeordnete Simon das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es fällt einem wirklich schwer, sich seinem Redebeitrag, bei dem man ein paar Botschaften und vielleicht auch ein paar Anregungen vermitteln möchte, voll zu widmen angesichts der Vorredner aus den Reihen der Opposition.

[Hoffmann (CDU): Wir haben Ihre Bewertungen satt! Wir haben sie einfach satt!]

Polemik hat einen hohen Unterhaltungswert und kann auflockernd wirken in einer solchen Debatte, aber sie muss in irgendeiner Form dann einmünden in konkrete alternative Vorstellungen. Und wenn die Vorstellung der FDP darin gipfelt, Charité und Vivantes zusammenzuzwingen, Herr Lehmann, dann muss ich mich sehr wundern. Denn ich denke, dass die FDP in Bezug auf das Zwingen von zwei großen Wettbewerbern am Markt grundsätzlich eine andere Position vertritt.

Ich finde auch Ihren Vorwurf an die Senatorin hinsichtlich Realitätsferne ziemlich unverfroren und gebe den an Sie zurück, die Sie hier über Herrn Ganten und Herrn Schäfer Äußerungen getan haben, die in keiner Beziehung stehen zu den konkreten und heute von der Senatorin vorgestellten Ergebnissen.

[Frau Jantzen (Grüne): Konkret?]

Diese Ergebnisse sind konkret mit den Vorständen von Charité und Vivantes zusammengetragen worden. Ich fand es erstaunlich, nachdem wir wissen, dass das Konzept der Charité erst seit Februar auf dem Tisch liegt, wie weit man hier in Bezug auf bestimmte Vorschläge und Entwicklungen von Arbeitsstrukturen schon gekommen ist.

Herr Czaja, zu Ihnen möchte ich nur sagen: Wenn es tatsächlich so ist, dass Sie die Diagnose Wachkoma stellen möchten für unsere Senatorin und diejenigen, die hier betroffen sind, dann muss ich sagen, ist das schon eine

herausragende Leistung und ein medizinisches Wunder, wenn man im Zustand des Wachkomas solche Ergebnisse präsentieren kann, wie wir sie heute hier hörten.

[Heiterkeit – Ritzmann (FDP): Haben Sie jetzt die Diagnose bestätigt?]

Nun aber möchte ich mich ganz stringent an das eigentliche Thema halten, das die FDP uns aufgetragen hat. Ich habe in der Schule einmal gelernt, dass man versucht, ein Thema abzuarbeiten. Dieses Thema heißt heute „Konfrontation oder Kooperation“. Darauf möchte ich mich beziehen. Ich habe mich sehr gefreut, Herr Lehmann, dass Sie immerhin die Ergebnisse der PDS-Klausur vorgetragen und offenbar auch vorher gelesen haben.

[Beifall bei der PDS]

Da ich aber nicht davon ausgehen kann, dass das hohe Haus das insgesamt gemacht hat, nehme ich kurz Bezug auf diese Klausurtagung.

Anlässlich unserer Fraktionsklausur, auf der wir gemeinsam mit unseren Senatsmitgliedern gesundheitspolitische Leitsätze verabschiedeten, beschlossen wir auch, die weitere Entwicklung der Krankenhäuser von Vivantes und der Charité stärker aufeinander abzustimmen und die vorhandenen Handlungskorridore für eine künftige Koordination zu nutzen. Einen ähnlichen Anspruch äußerte der Regierende Bürgermeister in der Senatssitzung vom 22. Februar, wo er ein zukunftsweisendes Konzept für die Zusammenarbeit der beiden Landesunternehmen Charité und Vivantes forderte,

[Frau Jantzen (Grüne): Was ist weiter passiert?]

dem der Dekan der medizinischen Fakultät der Charité beipflichtete. Auch der hier schon zitierte Letter of Intent der beiden Vorstände geht in die Richtung Zusammenarbeit. Es herrscht offenbar große Einmütigkeit zwischen dem Regierenden Bürgermeister, der PDS und den Unternehmensvorständen im Bemühen um kooperative Beziehungen zwischen den beiden Landesunternehmen. Damit ist auch die Große Anfrage der FDP „Kooperation der Konfrontation“ bereits klar beantwortet: Kooperation ja, Konfrontation nein. Die Senatorin hat in ihren Ausführungen schon den Stand der derzeitigen Diskussion zwischen den beiden Vorständen und den beiden zuständigen Senatoren dargestellt. Damit wird deutlich, dass das Bestreben besteht, im gegenseitigen Interesse und zum gegenseitigen Vorteil bestimmte Programme auf den Weg zu bringen. Ich möchte gern daran anknüpfen und das eine oder andere bekräftigen.

Vor allem möchte ich nachhaltig den Wunsch und die Erwartung der Senatorin bekräftigen, dass die VivantesHäuser wieder akademische Lehrkrankenhäuser werden. Ich beziehe mich da ausdrücklich auf das Unternehmenskonzept der Charité, die als Aufgaben der akademischen Lehrkrankenhäuser formuliert, sie sollten nicht nur Ausbildungsorte für die Medizinabsolventen im praktischen Jahr sein. Die Charité wünscht sich die akademischen Lehrkrankenhäuser auch als Partner in einer weiter rei

chenden Zusammenarbeit, zum Beispiel in Forschungsverbünden der klinischen Forschung oder in Versorgungsketten der Krankenversorgung. Genau das könnten die Vivantes-Häuser mit ihrem breiten Angebot an unterschiedlichsten Disziplinen in verschiedenen Versorgungsbereichen bieten. Es ist gut, dass auch Brandenburger Kliniken zu akademischen Lehrkrankenhäusern der Charité geworden sind, aber es ist überfällig, dass Vivantes mit seinen Standorten und Häusern wieder diesen Titel erwirbt. Ich erwarte von allen Beteiligten, dass das unmittelbar vollzogen wird.

Ein zweites wichtiges Feld der Zusammenarbeit ist der Ausbildungsbereich, vor allem für medizinischtechnische und Pflegeberufe. Beide Häuser verfügen über Ausbildungszentren und Institutionen der Fort- und Weiterbildung. Die Studie der Industrie- und Handelskammer und der TU zum Gesundheitsmarkt Berlin vom November 2001, aber auch das gemeinsame Papier der Senatsverwaltungen für Wirtschaft, Wissenschaft und Gesundheit sehen große Chancen, Berlin zum Zentrum für die Ausbildung bestehender und für die Entwicklung neuer gesundheitsbezogener Berufe zu machen, zum Beispiel auch in den Feldern Biomedizin, Medizintechnik und Telemedizin. Auch hier bieten Charité und Vivantes auf Grund ihrer guten Rahmenbedingungen hervorragende Startbedingungen.

Ich habe ein drittes Anliegen als seniorenpolitische Sprecherin. Das Vivantes-Strategiekonzept und das Charité-Unternehmenskonzept betonen die hohe Bedeutung der bedarfsgerechten Versorgung vor allem älterer Menschen. Geriatrische und gerontologische Forschungskapazitäten an der Charité, das Zentrum für Altersmedizin bei Vivantes und seine Pflegeeinrichtungen bieten ein breites Spektrum an möglichen Kooperationsbeziehungen, um gemeinsam die Voraussetzungen für eine altersgerechte, den modernen Erkenntnissen der Altersforschung entsprechende stationäre und ambulante Betreuung zu schaffen.

Neben diesen von mir skizzierten Ansätzen zur Kooperation kann ich mir solche auch bei der Entwicklung und Qualifizierung von Patienten- und Behandlungspfaden, bei der Krankenhausplanung, der Abstimmung von Leistungsspektren und der Verbesserung des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes der Beschäftigten in beiden Häusern vorstellen.

Bei allen diesen Überlegungen und Vorschlägen für eine konzeptionelle und organisatorische Zusammenarbeit können und dürfen nicht die unternehmensspezifischen Rahmenbedingungen, Entwicklungsstadien der Konsolidierung und betrieblichen Besonderheiten ausgeklammert werden, denen beide Unternehmen unterliegen. Für kooperative Ansätze und Bemühungen kommt erschwerend hinzu, dass die durch Bundespolitik geschaffenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen eindeutig auf Wettbewerbsverschärfung und Verdrängungsstrategien orientieren. Diesem

Druck können sich auch Charité und Vivantes nicht völlig entziehen. Hinzu kommt, dass sowohl Vivantes als auch die Charité zurzeit und in den nächsten Jahren mit ihren Sanierungs- und Konsolidierungsprozessen hinreichend beschäftigt sein werden.

Die Charité ist vorrangig Ausbildungs- und Forschungsstätte, in die das Klinikum integriert ist. Forschung, Lehre und Krankenhausversorgung bilden eine untrennbare Einheit. Daraus ergibt sich auch die Einbindung des Klinikums zum Beispiel in forschungsorientierte Netzwerke mit Universitäten und Forschungseinrichtungen. Der Anteil der Krankenhausversorgung durch die Charité liegt in Berlin bei 17 %.

Vivantes ist das größte Krankenhausunternehmen der Stadt und trägt mit einem 30-%-Anteil entscheidend zur Sicherstellung der stationären Grund- und Regelversorgung bei, die ergänzt wird um Vivantes-Zentren mit spezialisierten Aufgabestellungen. Vivantes sichert mit seinen vielen Standorten eine wohnortnahe Versorgung auch in der psychiatrischen Betreuung. Eine Vernetzung mit ambulanten und komplementären Angeboten schafft Zentren in den sechs Berliner Versorgungsregionen.

Diese zugegebenermaßen sehr knappen Charakterisierungen der beiden Großunternehmungen machen dennoch ihre jeweilige Einmaligkeit und Besonderheit deutlich. Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Profile und Aufgaben tauchen immer wieder, von wem auch immer lanciert, Überlegungen möglicher Zusammenlegungen und Fusionen zumindest in Teilbereichen wie beispielsweise der Krankenversorgung auf. Vor diesem Hintergrund möchte ich als gesundheitspolitische Sprecherin der PDS ausdrücklich betonen: Es wäre eine völlige Fehleinschätzung und ein großes Missverständnis, zu glauben, dass die erklärte Bereitschaft und die damit einhergehende Suche nach möglichen, für beide Teile vorteilhaften Kooperationsbeziehungen ein Vorspiel zur Realisierung weiterer Fusionspläne oder möglicher Holdingstrukturen wären.

[Beifall bei der PDS]

Wir wollen die Stärkung und Sicherung beider Unternehmen, und wir wollen deren Kooperation, um Synergieeffekte und sinnvolle Arbeitsteilungen trotz der bestehenden und nicht zu übersehenden Wettbewerbsbeziehungen zu nutzen. Mit der Trägerschaft durch das Land sind die Voraussetzungen gesichert, innovative, patienten- und gemeinwohlorientierte gesundheits- und wissenschaftspolitische Ziele und Konzepte gemeinsam mit den beiden Unternehmen umzusetzen.

[Beifall bei der PDS]

Danke schön, Frau Simon! – Für die Fraktion der Grünen hat nunmehr der Abgeordnete Schruoffeneger das Wort. – Bitte!