Protocol of the Session on December 9, 2004

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Herr Kollege Steuer. – Bitte schön!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Sen Böger: Sie sind wohl auf einer anderen Veranstaltung gewesen!]

Wird das Wort zur Replik gewünscht? – Das ist der Fall. Frau Müller, Sie haben das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Herr Steuer! So habe ich doch wenigstens Zeit, in Ruhe auf Ihren Beitrag einzugehen. Die Anwesenden müssen meinen, wir seien auf unterschiedlichen Veranstaltungen gewesen. Das gesprochene Wort ist für die Anwesenden nicht mehr nachzuvollziehen, aber es gibt eine Beschlussempfehlung des Landesjugendhilfeausschusses, die von allen Unterausschüssen zusammengetragen wurde. Diese Beschlussempfehlung liegt schwarz auf weiß vor, und alle Interessierten können sie sich anschauen. Dort steht ausdrücklich drin – und ich habe das in meiner Rede wörtlich so aufgenommen –, dass der Landesjugendhilfeausschuss diesen Gesetzesentwurf begrüßt.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Sen Böger: Herr Steuer, Sie waren

Der zweite Punkt betrifft die Pflegeeltern. Vor einigen Wochen und Monaten gab es heiße Diskussionen um die Pflegeeltern, die Kinder – und das sind meist keine einfachen Kinder, sondern traumatisierte, verhaltensgestörte

oder behinderte Kinder – in Pflege aufnehmen. Hier soll es Veränderungen geben, die auch der Haushaltskonsolidierung dienen sollen, nämlich die Absenkung der finanziellen Vergütung und eine dezidiertere Kontrolle dieser Pflegestellen. Letzteres finde ich richtig, weil das Jugendamt für diese Kinder zuständig ist, und es sollte sich ihre Situation regelmäßig anschauen.

Ich unterstelle Ihnen, Herr Böger, eine positive Absicht des Gesetzes. Sie wollen die Orientierung am Bedarf des einzelnen Kindes festschreiben. Sie wollen die Pflege absichern und den erweiterten Bedarf bei Kindern, die des benötigen, festschreiben. Ich bin mir nicht sicher, ob die Regelung hier klar genug ist, gerade für diese besonders benachteiligten Kinder und Jugendlichen, denn Sie planen zeitgleich auch die Streichung dieser so genannten Spezialpflegestellen. Damit fällt die gesetzliche Grundlage für die Förderung dieser Pflegefamilien weg, die diese besonders schwierig zu betreuenden Kinder aufnehmen. Darüber müssen wir dringend beraten, ob dies der richtige Weg an dieser Stelle ist.

Dabei sollten wir auch die ausreichende Fortbildung, Beratung und Unterstützung der Pflegeeltern nicht aus dem Blick verlieren, denn ich habe das Gefühl, dass Sie mit der Streichung von Paragraphen die gesetzliche Grundlage für die Fortbildung und Beratung streichen wollen.

auf der falschen Veranstaltung! – Hoffmann (CDU): Ach, Quatsch!]

Nun hat Frau Kollegin Pop das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da es ja doch eine Spezialmaterie ist, möchte ich dem einen oder anderen erklären, worum es hier überhaupt geht.

[Vereinzelter Beifall bei der PDS – Doering (PDS): Worum geht es?]

Wir reden über das Berliner Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz, das ein Bundesgesetz ist. Es ist in der Föderalismuskommission heiß umstritten, ob das ein Bundesgesetz bleiben soll oder nicht. Nichtsdestotrotz: So lange es Bundesgesetz ist, gibt es dazu ein Landesgesetz, das es konkretisiert und landesspezifische Standards formuliert und – in diesem Fall für Berlin – einige Berliner Besonderheiten festschreibt. Das ist das AG KJHG.

[Hoffmann (CDU): Vielen Dank, Frau Pop! – Weitere Zurufe von der CDU]

Die Absicht des Gesetzes, das Sie einbringen, ist zunächst einmal eine gute, nämlich die Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungsmodernisierung. Das finden wir richtig. Allerdings geschieht dies unter den Vorzeichen der Haushaltskonsolidierung. Bereits in der Begründung zu Ihrem Gesetz wird das angesprochen. Damit ist der politische Hintergrund dieser Verwaltungsvereinfachung deutlich. Das geschieht nicht aus eigenem Willen, sondern das passiert offensichtlich nur getrieben durch die Haushaltsnotlage. Das finde ich schade. Denn Verwaltungsreform entsteht nicht nur aus reiner Geldnot.

Zu einigen Punkten nur, die wir diskutieren, die vielleicht für die anderen im Saal interessant sein könnten, denn das Thema ist doch sehr speziell: Der eine Punkt ist die Jugendberufshilfe, die in Berlin ein Angebot für eine besonders benachteiligte Gruppe von Jugendlichen ist, die auf dem normalen Ausbildungsmarkt keine Chance haben. Diese Jugendlichen bekommen über die Jugendhilfe eine Ausbildung mit sozialpädagogischer Unterstützung. Mit dieser Gesetzesänderung, die Sie hier mit der Begründung von Hartz IV einbringen, schieben Sie diese Jugendlichen einfach in die Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit und sagen, damit haben wir nichts mehr zu tun. Sie sagen: Nur wenn nötig, leisten wir noch sozialpädagogische Unterstützung, wenn die Bundesagentur ihnen die Ausbildung finanziert. – Genau das formulieren Sie. Ich denke, dass das mit dem KJHG, dem Bundesgesetz selbst, nicht vereinbar ist, weil dort die Möglichkeit einer Ausbildung im Rahmen der Jugendhilfe deutlich festgeschrieben ist.

Den Kinder- und Jugendbericht – das ist schon angesprochen worden – wollen Sie wieder abschaffen, nachdem es ihn erst ein Mal gegeben hat. Diese erste Erstellung scheint Sie schon so erschöpft zu haben, dass Sie von einer zweiten abgesehen haben. Das ist nicht die richtige Einstellung. Man kann sicher darüber diskutieren, ob dieser Kinder- und Jugendbericht in dieser ausführlichen Form – es ist ein dicker Wälzer – nötig ist. Allerdings ist es etwas zu viel, sowohl den Kinder- und Jugendbericht wie auch den Landesjugendplan ersatzlos zu streichen. Jeder Senat muss seine jugendpolitischen Leitlinien formulieren und politische Projekte benennen, auch für das Parlament, weil wir Sie immerhin kontrollieren und prüfen wollen, ob Sie Ihre Arbeit erfüllen. Beides sein zu lassen, geht nicht.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Steuer (CDU)]

Zum Schluss möchte ich noch einen Punkt herausgreifen: Nach der so genannten 10-Prozent-Klausel, die alle Jugendpolitiker kennen, müssen mindestens 10 Prozent der für Jugendhilfe ausgegebenen Mittel für die Jugendarbeit, also für Jugendprojekte, bereitstehen. Diese Klausel bleibt. Ich finde sie zwar richtig, obwohl diese Klausel seit dem Inkrafttreten des Gesetzes und erst recht in den letzten Jahren nicht eingehalten worden ist. Darüber muss man sich der Ehrlichkeit halber Gedanken machen, bevor man dies wieder ins Gesetz hineinschreibt, sich dafür feiert als Koalition und es in der Konsequenz folgenlos für die Kinder- und Jugendarbeit bleibt. So geht das dieses Mal nicht. – Vielen Dank!

Die PDS-Fraktion wird sich deshalb dafür einsetzen, in unserem zuständigen Fachausschuss Anhörungen stattfinden zu lassen und auch die Fachöffentlichkeit und die Betroffenen mit einzubeziehen. Ich hoffe auch, dass die anderen Parteien ebenfalls daran interessiert sind, eine ehrliche und sachliche inhaltliche Debatte zu führen. Denn dieses gute Gesetz soll auch weiterhin als Landesgesetz als gutes Gesetz bestehen bleiben. In diesem Sinn sehen wir der Debatte schon mit regem Interesse entgegen. – Danke schön!

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Barth! – Es folgt die FDP. Dr. Augstin hat das Wort!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kollegin Pop! – Die PDS schließt sich an. Das Wort hat die Frau Kollegin Dr. Barth. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute die I. Lesung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Wir diskutieren nicht über einen Haushaltsplan, sondern über diese Gesetzesänderung. Es sind ca. zehn Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes vergangen. Die umfassende Vorlage zur Änderung beinhaltet mehrere inhaltliche Veränderungen.

Ich erinnere mich noch sehr genau und gut an die Debatten, die in der Stadt und auch in diesem Haus geführt wurden, als man sich damals in Berlin zu diesem Ausführungsgesetz verständigte. Es wurde eine breite öffentliche Diskussion dazu geführt, an der Wissenschaftler ebenso beteiligt waren wie freie Träger. Diese breite öffentliche Debatte hat sich gelohnt, denn mit dem AG KJHG hat Berlin ein gutes Landesgesetz. Dieses Landesgesetz hat sich bewährt. In Berlin wurde damit der Nachweis erbracht, dass das Kinder- und Jugendhilfegesetz als Rahmengesetz des Bundes den Ländern ausreichende Spielräume lässt, um ganz spezifische regionale Bedingungen zu berücksichtigen und eigene Schwerpunkte zu setzen. Darüber bin ich sehr froh. Bestrebungen einiger Bundesländer, das KJHG im Rahmen der Föderalismusdebatte auszuhebeln, sind daher aus unserer Sicht völlig fehl am Platz.

Es ist aber auch aus unserer Sicht völlig normal, dass sich im Lauf der Jahre auf Grund veränderter Bedingungen Anpassungsbedarf ergibt. Dieser Anpassungsbedarf ist zum einen formaler Art und durch veränderte Strukturen und neue gesetzliche Regelungen auf Landes- und Bundesebene bedingt. Zum anderen besteht aber auch die Notwendigkeit, inhaltliche Veränderungen in der Kinder- und Jugendhilfe zur Kenntnis zu nehmen und im AG KJHG umzusetzen.

Deshalb möchte ich im Rahmen der I. Lesung nicht, wie es meine Kolleginnen und Kollegen vorher gemacht haben, auf einzelne Punkte eingehen. Wir haben durchaus kritische Bemerkungen zu dem vorliegenden Entwurf, aber wir meinen, dass es notwendig ist, eine inhaltliche Debatte dazu zu führen

[Schruoffeneger (Grüne): Dann mal los!]

und nicht – so wie gerade geschehen – einzelne Punkte aus dem Zusammenhang herauszulösen und dann darüber zu reden. Dazu haben wir den Ausschuss für Schule, Jugend und Sport. Insofern hat diese inhaltliche Debatte für Berlin schon eine Signalwirkung für die Kinder- und Jugendhilfe und die weitere Entwicklung. Deshalb wollen wir eine breite inhaltliche Diskussion. Auch die bereits vorliegenden Stellungnahmen zeigen, dass daran in Berlin ein reges Interesse besteht. – Genau, Herr Steuer, das betrifft auch die vorliegende Stellungnahme des Landesju

gendhilfeausschusses. Wir haben das Bedürfnis, darüber zu reden.

[Beifall bei der PDS – Beifall des Abg. Nolte (SPD)]

Ich danke, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Wir haben schon gehört, die Veränderungen und Neuerungen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene erfordern eine Überarbeitung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Ich werde es der Einfachheit nachher als Ausführungsgesetz bezeichnen.

[Rabbach (CDU): Erklären Sie das einmal Frau Pop!]

Ja! – Neben einer Vielzahl rein formaler Neuerungen, zu denen die Auflösung des Landesjugendamts oder die Novellierung des Berliner Schulgesetzes gehören, gibt es auch viele Dinge, die zwingend sind z. B. Hartz IV. Aber – und damit möchte ich auf Herrn Böger eingehen – wenn auch der Landesjugendhilfeausschuss diese Novellierung begrüßt, so dürfen Sie nicht verkennen, dass er allerdings eine Vielzahl von Änderungen an Punkten vorgeschlagen hat, die auch wir kritisch ansehen und die sehr wohl fragwürdig in ihrer qualitativen Wirkung sind. Sei es der Verzicht auf die Festschreibung eines Jugendberichts, der bislang noch nicht einmal die Chance hatte, zur Regel zu werden. Dann die Neuregelung im Bereich der Jugendberufshilfe oder die Regelung im Zusammenhang mit der Integration von Kindern – heilpädagogische Pflegestellen – sowie zu therapeutischen Leistungen. Hier gibt es erheblichen Beratungs- und auch Anhörungsbedarf im Fachausschuss, und ich freue mich, dass Frau Dr. Barth nicht wieder in das Prinzip verfällt – wie wir das als Oppositionsparteien leider allzu oft erleben müssen –, durch schnelle Beschlussfassung etwas durchzupeitschen.

[Doering (PDS): Was? So etwas machen wir nicht!]

Ich hoffe, wir kommen zu einer ausführlichen Diskussion.

Eine Schwächung der Pflegefamilien wird die FDPFraktion nicht hinnehmen. Wir werden darum kämpfen und gehen davon aus, dass Pflegefamilien für Kinder mit Beeinträchtigungen nicht nur die bessere Alternative, sondern im Vergleich zu den 6-fach teureren Pflegestellen in Heimen auch wesentlich kostengünstiger sind. An die

Vielen Dank, Herr Dr. Augstin! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat und die Geschäftsführer der Fraktionen empfehlen die Überweisung federführend an den Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport, an den Ausschuss für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz, an den Rechts- sowie an den Hauptausschuss. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Adresse des Jugendsenators Böger richte ich den Hinweis, dass die Nutzung des kostengünstigeren Angebots von Pflegefamilien auch durch Fortbildungsmaßnahmen verbessert werden könnte. Indem die Qualität verbessert wird, erfolgt auch eine intensivere Nutzung des Angebots.

Bei jungen Menschen, um die es bei der Jugendberufshilfe geht, ist der Verzicht auf entsprechende Hilfen damit verbunden, dass deren schnelle Arbeitsmarkteingliederung unterbleibt. Die Durchführung geeigneter sozialpädagogisch begleitender Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen ist zwar unverzichtbar, steht andererseits aber in einem besonderen Begünstigungsverhältnis bezogen auf andere Jugendliche, die auf Grund der Arbeitsmarktlage auch keine Chancen zu einem Berufseinstieg haben. Hier muss intensiv abgewogen werden, ob Berufsförderungsmaßnahmen unverzichtbar sind. Die Überführung in Kann-Leistungen im Zusammenhang mit der Entwicklung der Jugendhilfelandschaft in Berlin darf andererseits aber nicht zu einer faktischen Abschaffung der Angebots- und Maßnahmenstruktur für die benachteiligten Jugendlichen führen. Auch wenn das Sozialgesetzbuch VIII therapeutische Leistungen regelt, ist es notwendig, Aussagen im Ausführungsgesetz über die verschiedenen Leistungen und Angebote zu treffen, um klarzustellen, um welche Bedarfslagen es geht.

Zwischen den Berliner Bezirken gibt es immer noch große Unterschiede bei der Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Eine schlechte Versorgung besteht insbesondere für die Ostberliner Bezirke, was fachlich nicht zu verantworten ist. Die therapeutischen Leistungen im Rahmen der Jugendhilfe im Verbund mit pädagogischen Leistungen sind ein sinnvolles und notwendiges Angebot der Jugendhilfe. Die therapeutischen Angebote unterscheiden sich insbesondere von denen des kassenärztlichen Systems, da sie sich nicht am Krankheitsbild, sondern am Bedarf der Hilfen zur Erziehung oder der Eingliederungshilfe orientieren. Der vorgesehene Verzicht auf eine entsprechende Klarstellung im Ausführungsgesetz ist unseres Erachtens nach unverantwortlich. Gerade therapeutisch ausgerichtete freie Träger der Jugendhilfe sind in der Lage, durch Kooperation mit anderen Trägern, der Schule und dem Gesundheitsbereich flexibel Leistungsangebote im Verbund zu unterbreiten.

Auf Grund der jetzt schon existierenden verfahrensspezifischen Hürden in den bezirklichen Jugendämtern sowie der Kürzungen der Leistungsumfänge und der Zeiträume der Therapien sind einschneidende Verknappungen des Angebots eingetreten, die kaum noch verantwortbar sind. Wir werden uns in den kommenden Ausschusssitzungen mit den Fragen, die im Zusammenhang der Neufassung des Gesetzes stehen, auseinandersetzen. Die FDP wird die existenziellen Schwachstellen und Fehler thematisieren, damit geeignete Lösungen im Interesse der Jugendlichen und deren Zukunftschancen gefunden werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Die lfd. Nrn. 4 bis 7 sind bereits durch die Konsensliste erledigt. Allerdings habe ich zu

lfd. Nr. 6:

I. Lesung

Siebtes Gesetz zur Aufhebung von Rechtsvorschriften (7. Aufhebungsgesetz)

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 15/3453

eine Änderung mitzuteilen. Die Vorlage soll federführend an den Rechtsausschuss sowie mitberatend zu den Nrn. 38 und 67 an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr überwiesen werden. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch.

Wir kommen zu