dem Regierenden Bürgermeister die Gelegenheit zu geben, sich zu entschuldigen, nicht abgestimmt wurde. Aber der Regierende Bürgermeister wäre eigentlich Manns genug, sich für eine solche unglaubliche Behauptung zu entschuldigen. Dass er das nicht tut, spricht nicht für den Charakter dieser Debatte. Er hat diesen unwürdigen Ton hereingetragen, und das hätten Sie, Frau Seelig, kritisieren müssen. – Da Sie das nicht getan habe, habe ich an dieser Stelle intervenieren müssen..
[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Brauer (PDS): Das kann ja nicht wahr sein!]
Danke schön! – Der Regierende Bürgermeister hat um das Wort gebeten. – Bitte, Herr Wowereit, Sie haben das Wort!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir Leid, dass ich mich ein wenig in die Geschäftsordnung mische, denn Sie hatten dieses Thema abgehandelt, aber es ist auf einem anderen Weg wieder hineingekommen.
Ich möchte Folgendes dazu sagen: Erstens kenne ich nicht Ihren Geschäftsführer oder Kassenwart von Hohenschönhausen, und deshalb kann ich ihn auch gar nicht gemeint haben. Wenn Sie das so verstanden haben sollten, dass Mitglieder Ihrer Fraktion dort in Hohenschönhausen gestört hätten, dann haben Sie mich in der Tat missverstanden, denn das wollte ich damit nicht zum Ausdruck bringen. – Insofern möchte ich das gern klarstellen, Herr Hahn, denn das war nicht meine Absicht, sondern es war der Hinweis auf die Notwendigkeit, immer noch gegen Menschen vorgehen zu müssen, die dort stören und aus einem Umfeld kommen, in dem die Opfer diskriminiert werden, und die versuchen, den Besuchern dieser Gedenkstätte zu suggerieren, dass sie lügen. Und weil aus Ihrer Ecke andauernd Störungen kamen und ich einige Leute aus Ihrer Fraktion ganz gut kenne, die immer denken, in einem bestimmten Milieu alles verharmlosen zu müssen, habe ich diesen Hinweis gemacht. Aber es sollte nicht heißen, dass einer von Ihnen da selbst gestört hat. Wenn das so empfunden wird, dann kann ich mich dafür gern entschuldigen oder es zurücknehmen, das war nicht meine Absicht.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der von mir sehr verehrte und gegenwärtig wohl wichtigste Beobachter und Lyriker Deutschlands, Wolf Biermann, hat – wie immer – wortgewaltig und eindringlich gesagt: „Die Zukunft wird entschieden im Kampf um die Vergangenheit.“ – Warum eigentlich? – Weil wir alle privat und politisch unsere Werte, Ideale und Maßstäbe aus der Vergangenheit ableiten.
Als Hans Eichel letzte Woche den 3. Oktober als nationalen Gedenktag abschaffen wollte, dachte ich: Jetzt wird es wirklich Zeit für eine Pause. Dass dieser Herr in seinem Amt als Finanzminister überfordert ist, ist inzwischen Allgemeingut. Aber dass er jetzt auch noch eine Debatte über unser nationales Selbstverständnis führen wollte – nein, damit konnte keiner rechnen.
Und dass der Kanzler die Nase indigniert rümpfte, weil keiner diese Idee so richtig gut fand, überraschte schon gar nicht mehr. Doch eines war erreicht: Ost wie West standen zusammen, und der Umgang mit unserer Geschichte war Thema und Schlagzeile.
15 Jahre nach dem Mauerfall – Anlass für eine Bilanz. 45 Jahre Spaltung sind noch nicht bewältigt. Trotz – jedenfalls in Berlin – angenäherter wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen und übersehbarer Aufbauarbeiten bleibt ein beachtlicher Rest an Fremdheit zwischen Ost und West. Zwei Drittel aller ehemaligen Ostberliner fühlen sich in der Bundesrepublik nicht angekommen, und die Ostalgie verklärt die geschichtlichen Realitäten.
sieht sich in der Pflicht, die Entwicklung der inneren Einheit auch weiterhin vorrangig zu fördern. Sie achtet das Lebensgefühl der Bewohner des ehemaligen Ostteils der Stadt ebenso wie die Erfahrung der Westberliner mit Mauer und Abschnürung. Die CDU und – ich sage ganz bewusst – auch ich persönlich freuen uns über die Einheit. Nach 15 Jahren muss jedoch festgestellt werden, dass die Spaltung in den Köpfen tiefer sitzt und dass die in den Zeiten der Spaltung gemachten Erfahrungen unterschiedlicher waren, als 1989 vermutet worden ist. Die CDU hat das Ziel der Einheit in Freiheit – anders als die deutsche Linke – nie aufgegeben. Herr Momper – ich spreche Sie jetzt persönlich und auf Ihren Redebeitrag an –, es war auch die Bundesregierung unter Helmut Kohl, die 1990 diese Einheit international durchgesetzt hat, und zwar mit Unterstützung der USA, und im Einverständnis mit allen Nachbarn und der sich erneuernden Sowjetunion.
Möglich – da haben Sie Recht – wurde die Einheit durch die friedliche Revolution in der DDR, die zum Sturz der SED-Diktatur führte. Symbolisch war der Fall der Berli
ner Mauer am 9. November 1989, als die Berliner vor aller Welt klarstellten – auch nach 40 Jahren Teilung: Wir sind ein Volk!
Die Politik hat verkannt, dass die Veränderungen im Wesentlichen nur in den neuen Bundesländern stattfanden. Sie hat geglaubt, das Problem der Spaltung allein durch einen innerdeutschen Marshallplan – genannt: Aufbau Ost – zu lösen. Dies war ein Irrtum. Trotzdem war dieser Weg grundsätzlich alternativlos. Nur in Berlin bestand die einmalige Situation, zwei gesellschaftlich unterschiedlich geprägte Stadthälften wieder zu vereinen. Dies wurde durch den schwarz-roten Senat unter Eberhardt Diepgen dadurch versucht, dass er die Einkommensverhältnisse durch einen gleichen Lohn im öffentlichen Dienst – jedenfalls für die Angestellten – und durch Beibehaltung von Doppelstrukturen – zum Beispiel drei Universitäten, 17 Fachhochschulen, zwei Tierparks etc. – anglich. Bei gleichzeitigem und zu raschem Abbau der Berlinhilfe durch den Bund sowie den wirtschaftlichen Niedergang führte diese Politik zur Verschuldung der Stadt. In dieser historischen Situation lag die alleinige Verantwortung in Berlin bei der CDU und der SPD, während die PDS den Vereinigungsprozess als Verwestlichung des Ostens diffamierte.
Um die Spaltung in Berlin zu überwinden, sind wir alle gefordert, neue Wege zu gehen. Bei Beibehaltung der eigenen programmatischen Wertvorstellung muss es uns, der Politik, gelingen, einen Beitrag zum Zusammenwachsen der Stadt zu leisten. Ein solcher Beitrag könnte eine gemeinsame Kultur des Erinnerns und Gedenkens sein, und zwar unter Einbeziehung der Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen, der Schulen und aller sonstigen Interessierten. Dieses ist oft gesagt worden und nicht neu. Für eine Kultur des Erinnerns und Gedenkens brauchen wir Maßstäbe und keine Scheindebatten und Selbstspiegelungen.
Eine Scheindebatte war die angebliche Gleichsetzung der NS-Diktatur mit der in der DDR. Wer sich mit den Fakten ernsthaft auseinandersetzt und diese respektiert, kommt nicht auf die Idee einer Gleichsetzung. Die Verbrechen der Nazitäter haben eine so niederdrückende Dimension, die uns beschämt und gleichzeitig kaum zu verstehen ist.
Ich komme gleich zum Schluss. – Die beiden deutschen Diktaturen dürfen nicht gleichgesetzt werden, aber sie sind vergleichbar. Die Verbrechen der Täter können heute nur eine Konsequenz haben: Die Ehrung der Opfer und die Würdigung des Wiederstands. Die Gedenkstättenkonzeption muss bei Betrachtung der Nachkriegsgeschichte die Leistung Westberlins enthalten. Ernst Reuter war und bleibt Beweis dafür, dass der demokratische Staat gegen die SED-Diktatur nicht wehrlos war. – Bei der Nazidiktatur war das anders: Sie war nur
Ich bedanke mich für Ihre Großzügigkeit, Frau Präsidentin. – Ich komme zurück: An die NaziDiktatur erinnern heute viele eindrucksvolle Gedenkorte. Die zweite deutsche Diktatur ist im Stadtbild nicht angemessen sichtbar; hier hat die Stadt die Versäumnisse der Vergangenheit zu korrigieren oder deutlicher formuliert: Die Mauer und ihre Opfer müssen sichtbar werden. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erinnern uns: Mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“ haben die Demonstranten im Herbst 1989 in Leipzig und in vielen anderen ostdeutschen Städten dargestellt: Ihr, die ihr vorgebt, das Volk zu vertreten, ihr gehört nicht zu uns, ihr vertretet uns nicht, ihr nehmt uns die Zukunft, wir wollen euch nicht mehr. Aus dem „Wir sind das Volk“ wurde später „Wir sind ein Volk“. Mit diesem Ruf erreichte die friedliche Revolution ihre politische Hochzeit. Dies hieß im Grunde nichts anderes als: Wir wollen nicht länger das Staatsvolk der DDR sein, wir wollen auch keine reformierte DDR, wir wollen Teil eines gemeinsamen Deutschlands werden.
Als am 4. November 1989 fast eine Millionen Menschen in Ostberlin demonstrierten und der Protestzug sich nicht der Mauer näherte, war das – so will es mir heute scheinen – ein sehr souveränes Verhalten. An diesem Tag haben die Menschen in der DDR zunächst deutlich machen wollen: Eure Ära – SED, Politbüro, Stasi – erklären wir für beendet. Alle, die an diesem Tag dabei waren, wurden von dem Gefühl getragen, heute beginnt eine neue Zeit, es gibt kein Zurück, wir lassen uns nicht mehr aufhalten.
Mit dieser Entschlossenheit nahmen Tausende Berliner den Versprecher eines Politbüromitgliedes zum Anlass, um den zweiten Schritt zu gehen und die Grenze zu überschreiten, die Deutsche von Deutschen trennte. Die Menschen ließen sich nicht mehr vertrösten und beschwichtigen, sie wollten auch nicht warten, bis alles von staatlicher Seite geregelt sei. Sie wollten einem unsäglichen Zustand ein Ende bereiten und zwar gleich und sofort. Wie es weiterging wissen wir alle. Auf der Bösebrücke in der Bornholmer Straße hielten die Grenzanlagen dem Druck der Menschen nicht mehr stand, es folgte die glücklichste
Und heute, 15 Jahre später? – Der Alltag hat weithin die Erlebnisse des 9. November 1989 überlagert. Die Probleme im Prozess des Zusammenwachsens beider deutscher Teile waren größer, als wir alle dachten. Wir haben Fehler gemacht. Dennoch: In Berlin – glaube ich sagen zu dürfen – sind wir auf einem guten und kontinuierlichen Weg. Und wir sollten nicht vergessen: Nicht alle Schwierigkeiten, die uns heute das Gestalten erschweren, rühren aus der Vereinigung. Die wirtschaftlichen und globalen Rahmenbedingungen, unter denen wir heute handeln, setzen auch anderen Ländern und Kommunen arg zu und sie unter Druck. Gerade weil vieles Gewohnte nicht mehr zu halten sein wird, müssen wir uns der Dinge erinnern, auf die wir stolz sein können. In schwierigen Situationen kann ein Rückblick auf schöne und herausragende Ereignisse Mut machen, kann den schwierigen Alltag relativieren. Dies gilt für persönliche und gesellschaftliche Zustände gleichermaßen. Was wäre heute leichter, besser, problemloser ohne die deutsche Einheit? – Das Gewonnene überwiegt, auch wenn wir es uns in West und Ost nicht immer deutlich machen.
Heute, 15 Jahre später, haben wir aber auch die Verantwortung, jene nicht zu vergessen, die ihr Leben verloren haben, weil sie sich mit der deutschen Teilung nicht abfinden konnten.
Es sollte eines unserer vornehmsten Anliegen sein, ihrer zu gedenken. Sie haben in unserem Volk das Bewusstsein der Unmenschlichkeit einer geteilten Nation wachgehalten. Gedenkorte, an denen an ihr Schicksal erinnert wird, gibt es in Berlin viele. Der Vorwurf, die Stadt oder die rot-rote Koalition vernachlässige die Erinnerung, trifft ins Leere. Wer nach Berlin kommt und Spuren der Teilung sehen möchte, findet sie an vielen Stellen. Ein Spaziergang an der roten Linie, die den Verlauf der Mauer nachzeichnet, lässt jeden geschichtsinteressierten Besucher Orte der Teilung finden – sei es die Mauer in der Niederkirchner Straße, der erhaltene Wachturm der NVA in Moabit, die Brücke in der Bornholmer Straße oder das Mauermuseum in der Bernauer Straße. So mancher Ort des Gedenkens würde vielleicht eine bessere Behandlung verdienen in punkto Pflege und Schutz vor Vandalismus. Denkmäler, wie das am Checkpoint Charlie errichtete, die keinen authentischen Bezug haben, können kein Ersatz sein.
Solche Denkmäler wirken synthetisch, künstlich, sie können allenfalls Zeitgeist befriedigen oder Reize erzeugen, aber keine persönliche Erschütterung auslösen.
Ja, Touristen haben andere Ansprüche, aber die sind nicht immer historisch korrekt. Das hat mehr Eventcharakter. Wir haben in Berlin so viele Zeugnisse, dass wir das nicht nötig haben.
Ich bin froh, dass die Jugend immer weniger in OstWest-Kategorien denkt. Gleichzeitig möchte diese Generation wissen, auf welcher Vergangenheit sie aufbaut. Ich würde mich freuen, wenn es zum Programm jeder Schulklasse gehörte, das Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen zu besuchen oder einen Wandertag entlang der ehemaligen Mauer durchzuführen. Hier könnte man ihnen z. B. in der Brehmestraße in Pankow vor Augen führen, wie es war, in einer geteilten Stadt zu leben. An diesem Ort könnte man die Schüler auffordern: Stell dir vor, du wohnst auf dieser Straßenseite, und auf der anderen Seite wohnt dein Klassenkamerad, –
– und du kannst ihn nicht besuchen, weil du keinen Passierschein besitzt. Und beide Seiten dieser Straße liegen in Ostberlin.
Ich komme zum Schluss. – Glaubhaft bleiben wir unserer jungen Generation gegenüber nur, wenn wir ihr vermitteln, dass wir über die deutsche Einheit dankbar sind – trotz aller Klagen über die Schwierigkeiten des Heute. Unglaubhaft wären wir geworden, wenn wir den Tag der deutschen Einheit zu einem beliebigen Gedenktag degradiert hätten. Ich bin froh, dass dies vom Tisch ist und dieser Tag über Generationen die Neugier und hoffentlich auch Freude über unsere jüngere Geschichte weckt. – Ich danke Ihnen!