Protocol of the Session on April 10, 2003

Wir machen das Verfahren hier nicht etwas deshalb, weil wir so große Lust und Laune dazu haben, sondern um die Versäumnisse der Senatsverwaltung unter der Führung eines CDU-Senators Radunski aufzuarbeiten. Denn es hat bereit 1994 ein Oberverwaltungsgerichtsurteil gegeben, das das Land Berlin aufgefordert hat, ein Verfahren der Finanzierung herbeizuführen, das die verschiedenen Anbieter von entsprechenden Unterrichtsformen gleichstellt. Das ist bis heute nicht geschehen. Das ist in der Senatsverwaltung verschleppt worden, bis wir es 1999 im

Hauptausschuss – übrigens mit den Stimmen der großen Koalition – wieder aufgegriffen und die Senatskulturverwaltung aufgefordert haben, hier ein entsprechendes System zu entwickeln.

[Borgis (CDU): Antichristlich ist das!]

[Abg. Apelt (CDU) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Und da ist ein Antrag wie der Ihrige – insbesondere, wenn ich jetzt höre, dass es dazu auch noch ein Gerichtsverfahren von Seiten der Evangelischen Kirche gibt – absolut untauglich, um hier zu einem konsensualen Ergebnis zu kommen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Apelt?

Nein! – Ich komme noch einmal zu der Aufforderung: Ziehen Sie diesen Antrag zurück! Dass Sie damit nicht ganz glücklich sind, beweist ja, dass Sie am 6. November den ersten Antrag eingebracht haben, ihn bis heute immer wieder vertagt haben, jetzt eine Kurzfassung des alten Antrags wieder hier einbringen und dann auch noch – nachdem Sie eine Schleife über einige Bezirksverordnetenversammlungen gezogen haben, wo es überhaupt nicht hingehört – mit einer namentlichen Abstimmung hierher kommen.

[Zuruf von der CDU]

Was soll die namentliche Abstimmung? – Ich will es Ihnen sehr deutlich sagen: Wenn Sie auf dieser namentlichen Abstimmung bestehen, dann stimmen wir hier darüber ab, wer sich mit diesem Verfahren intensiv befasst hat;

[Ach! von der CDU]

der stimmt nämlich mit Nein. Und wer hier irgendwelche Sperenzien in alter Kulturkampfmanier machen will, der stimmt mit Ja. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Anhaltende Zurufe von der CDU]

Danke, Frau Kollegin Dunger-Löper! – Herr Kollege Apelt erhält das Wort für eine Kurzintervention von 3 Minuten – Maximum. – Bitte schön!

Entspannend hat das Spitzengespräch des Regierenden Bürgermeisters und des Senators für Wissenschaft, Forschung und Kultur mit den beiden Bischöfen am 28. 10. 2002 gewirkt. Es wurde insbesondere über folgende Punkte Einvernehmen erzielt. Erstens: Für die Haushaltsjahre 2002 und 2003 bleibt es bei der Anwendung des 15:10Gruppenmodells. Zweitens: Eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertretern der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur sowie Bildung, Jugend und Sport sowie der Kirchen und dem Humanistischen Verband verhandelt erstens über eine Verbesserung der organisatorischen Rahmenbedingungen des Religions- und Lebenskundeunterrichts in der Berliner Schule sowie über

die Gruppengrößen, die der Bezuschussung zugrunde gelegt werden.

Meine Nachfrage bei der Senatsverwaltung hat ergeben, dass diese Arbeitsgruppe getagt hat, dass sie auch weiterhin tagt und dass es bisher keine Aufkündigung eines gemeinsamen Vorgehens gibt. Ich habe natürlich auch der Presse entnommen und dem Brief von Herrn Huber, dass er jetzt vor Gericht gezogen ist. Das müssen wir abwarten. Deswegen ist dieser Antrag nicht geeignet, an dieser Stelle, mitten in einem Verfahren, eine ganz neue Position des Parlamentes einzunehmen.

Dass Sie angeboten haben, einen gemeinsamen Antrag zu stellen, ist sehr nett. Es ist aber weder bei der Fraktionsspitze noch bei anderen von uns angekommen. Wir sind auch jederzeit in der Lage und freuen uns darüber, gemeinsame Anträge zu machen. Wenn sie aber diesen Inhalt haben – ich habe ihn ja vorhin charakterisiert –, dann sind sie sicherlich nicht dazu geeignet.

Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Frau Dunger-Löper, Sie haben völlig Recht, die derzeitige Situation bezüglich der Finanzierung der Anbieter des Werteunterrichts macht es nötig, dass wir uns nicht nur über die Finanzierung unterhalten, sondern uns auch etwas tiefer gehend mit dem Problem auseinandersetzen. Die derzeitige Situation in Berlin ist mehr als unbefriedigend.

Frau Kollegin! Zwei Anmerkungen: 1. Wie kommen Sie darauf, dass es ein Einvernehmen zwischen dem Senat und der Kirche gibt? – Glauben Sie nicht auch, dass zu einem Einvernehmen immer zwei Seiten gehören und nicht nur eine? Sie können es nicht für sich interpretieren. Die Kirchen werden ja nicht ohne Grund klagen, sie tun es, weil sie eben kein Einvernehmen mit dem Senat hergestellt haben. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen!

[Beifall bei der CDU]

Und zweitens: Sie sollten bei der Wahrheit bleiben! Dieser Antrag ist deshalb immer wieder vertagt worden, weil wir eben nicht einen Antrag der CDU einbringen wollten, sondern einen Antrag des gesamten Hauses. Mir ging es auch persönlich darum, dass alle Parteien den Antrag tragen.

[Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Das habe ich meinen Kollegen in der Fraktion und auch Ihnen und Ihrem Fraktionsvorsitzenden gesagt: Von mir aus könnte über dem Antrag SPD-PDS stehen und unten darunter statt Apelt Müller – das ist mir völlig egal. Mir geht es um die Sache. Wir haben ihn in all den Monaten nur vertagt, weil wir immer wieder versucht haben, eine Lösung zu finden, und weil es eine ganze Reihe von Gesprächen gab, auch mit dem Senator Böger und dem Kultursenator, auch mit den Vertretern verschiedener Fraktionen. Das ist uns nicht gelungen. Uns dies nun zur Last zu legen, ist schon ungeheuerlich, Frau Dunger-Löper.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Frau Dunger-Löper wird antworten – bitte schön, das Mikrofon steht bereit!

[Rabbach (CDU): Jetzt kommen die nächsten Halbwahrheiten!]

Ach, beruhigen Sie sich doch, ich bin da ganz sachlich, ich will auf die zwei Punkte antworten und auf nicht mehr und nicht weniger.

Wir haben hier eine rote Nummer, 1162, und darin steht auf Seite 9, darauf vertraue ich – und ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:

[Beifall bei der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Dunger-Löper! – Es fährt fort Frau Senftleben für die FDP – Sie haben das Wort, bitte schön!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Es gibt Menschen, die kritisieren den überhand nehmenden Einfluss zweifelhafter Religionsgemeinschaften in einigen Schulen oder die angebliche Einflussnahme der Evangelischen oder Katholischen Kirche. Andere wiederum kritisieren die angeblich so propere finanzielle Ausstattung und so weiter. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Menschen, die bemängeln, dass der Berliner Religionsunterricht ständigen Kürzungen unterworfen ist und dass damit auch der Werteorientierung auf der politischen Ebene so gut wie keine Rechnung getragen wird.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Und was machen wir heute? Heute diskutieren wir primär über Kürzungen. Das nenne ich mutlos.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Wir haben alle keinen Mut, eine tragfähiges und zukunftsfähiges Konzept zu entwickeln.

[Zuruf des Abg. Wieland (Grüne)]

Statt dessen verstricken wir uns in Pepita, lieber Herr Kollege Wieland. Es kann nicht ausschließlich Sinn und Zweck unseres parlamentarischen Wirkens sein, die Zuschüsse für die Erteilung von Religionsunterricht zu erhöhen oder zu senken. Nein, Sinn und Zweck unseres parlamentarischen Wirkens ist es, eine zukunftsorientierte

Lassen Sie uns dieses Problem sinnvoll lösen, nicht in kleinkarierten Diskussionen über Kürzungen, die dann

auch noch sinnigerweise, Herr Flierl, bei Ihnen im Kulturausschuss stattfinden, anstatt diese Thematik in den Bildungsausschuss zu verlagern.

Frau Senftleben! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Schaub?

In einer Zeit, in der wieder vermehrt Bürgerengagement nachgefragt, persönliche Integrität gefordert wird, in einer Zeit, in der die Frage nach persönlichen Wertmaßstäben an Bedeutung gewinnt, können wir auf einen werteorientierten Unterricht nicht verzichten. Religions- und Werteunterricht presst die Schüler und Schülerinnen nicht in eine vorgefertigte Form. Im Gegenteil, er gibt Anregung zur eigenständigen Reflektion.

Lösung für diese Stadt zu erarbeiten. Dazu gehört auch die Frage: Wollen wir einen Werte vermittelnden Unterricht, ja oder nein?

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Herr Böger! Sie haben vor vier Wochen in der „Morgenpost“ zugegeben, das Berliner Modell mit freiwilligem Religionsunterricht ohne ethisches Pflichtfach sei das bundesweit schlechteste Konzept und werde keinen Bestand haben. Diese Auffassung teilen wir beide, Herr Senator. Doch wo bleibt Ihre Initiative? Die sehe ich nicht, im Gegenteil – es soll offensichtlich alles so bleiben, wie es ist.

Obwohl die Fusion Berlins und Brandenburgs angedacht ist – über eine Neuregelung des Religionsunterrichts denken wir nicht nach. Das wäre zwingend, denn wir alle wissen es, in Brandenburg wird LER unterrichtet, alternativ dazu Religionsunterricht, und nicht additiv.

Religionsunterricht bleibt zukünftig Sache der Religionsgemeinschaften. Damit finanziert das Land einen nicht unerheblichen Teil – es sind so round about 90 Millionen €, das ist schon ganz schön viel. Der Unterricht findet allerdings in alleiniger Verantwortung der Religionsgemeinschaften statt – darauf, was unterrichtet wird, wie es vermittelt wird und wer das Ganze macht, hat die Stadt Berlin keinerlei Einfluss. Es ist die schlechteste Lösung von allen, die wir in der Bundesrepublik haben.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Ein Blick in den Referentenentwurf des Schulgesetzes bezüglich der Bildungs- und Erziehungsziele verdeutlicht denn auch die rot-rote Geisteshaltung. Der Entwurf sieht in § 3 vor: Schulische Bildung und Erziehung – jetzt hören Sie mal genau zu! – sollen Schüler und Schülerinnen insbesondere befähigen, die eigene Kultur kennen zu lernen und zu verstehen, Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen. – Richtig! Es ist jedoch von der eigenen Religion in keiner Weise die Rede. Wir müssen uns die Frage stellen: Wie sollen die Jugendlichen es schaffen, Menschen anderer Herkunft und Religion vorurteilsfrei zu begegnen, wie sollen sie Religion und Weltanschauung anderer begreifen, verstehen und tolerieren, wenn sie sich ihrer eigenen nicht bewusst sind? Wie sollen sie da überhaupt reflektieren können?