Protocol of the Session on March 27, 2003

An mich ist gerade das Anliegen herangetragen worden, den Finanzsenator in die Debatte zu bitten. Der Senat bemüht sich gerade, ihn zu finden. Vielleicht hört uns der Senator auch. Ich bitte darum, dass der Finanzsenator an der Debatte teilnimmt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage heißt „Jugend ohne Zukunft – verheerende Bilanz der Jugendfreizeitpolitik“. Wir haben heute bereits viel zu diesem Thema gehört. Ich möchte deutlich zum Ausdruck bringen, dass ich es begrüße, dass sich die CDU-Fraktion mit der Frage befassen will, ob die Jugend in Berlin eine Zukunft hat. – Die Frage, welche Bedingungen Jugend in Berlin braucht, um sich gut zu entwickeln, die habe ich noch nicht gehört. Ich bin der Meinung, dass dazu nicht nur die Jugendfreizeitpolitik gehört. Diese sehr verengte Sichtweise, wie sie sich auch in der Großen Anfrage der CDU-Fraktion darstellt, deutet aus meiner Sicht eher auf Oberflächlichkeit oder Populismus hin als auf die Suche nach machbaren Lösungen.

Wenden wir uns konkret der Sache zu. Wie ist die Situation in der Jugendarbeit auf der Bezirks- und der Landesebene? – Fast regelmäßig in den ersten Monaten eines Jahres wiederholen sich Meldungen in der Presse, die den „Überlebenskampf“ von Trägern in der Jugendarbeit beschreiben. In diesem Jahr haben sich die Bedingungen für die Kinder- und Jugendprojekte erneut verschlechtert – darüber sind wir uns, denke ich, alle einig –, nicht zuletzt durch die Kürzungen der Mittel der Bundesanstalt für Arbeit. Die Folge dieser Entscheidung ist die Schließung weiterer Projekte. Natürlich ist das schlimm, teilweise für die Betroffenen unerträglich.

Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion! In Ihrer Frage 3 schreiben Sie selbst, dass bereits das bestehende Angebot von 1996 quantitativ und qualitativ unbefriedigend war und insgesamt einer besseren Strukturie

Als der Gesetzgeber Anfang der 90er Jahre das Kinder- und Jugendhilfegesetz verabschiedete, bekannte er sich eindeutig dazu, dass die Jugendhilfe zuallererst die

Aufgabe hat, junge Menschen zu fördern, Benachteiligungen abzubauen, sie zu schützen und positive Lebensbedingungen zu schaffen. Für uns ist und bleibt die Förderung junger Menschen nach wie vor eine gesetzliche Aufgabe der Jugendhilfe.

Im Bereich der Jugendförderung sollen an die Interessen junger Menschen anknüpfend Angebote gemacht werden, die junge Menschen mitbestimmen, mitgestalten und mitverantworten.

Vieles ist bereits in Bewegung geraten. In der Berliner Jugendhilfe ist der Prozess der fachlichen und konzeptionellen Weiterentwicklung auf den verschiedensten Gebieten angelaufen. Unter anderem sind inhaltliche und strukturelle Veränderungen – im gesamten Kitabereich; Herr Augstin hat sich dazu umfassend geäußert – und im Bereich Hilfen zur Erziehung auf den Weg gebracht worden. Während der Gesetzgeber im Bereich der Hilfen zur Erziehung individuelle Rechtsansprüche einräumte, wurde und wird die fördernde und präventiv ausgerichtete Kinder- und Jugendarbeit in Zeiten knapper Kassen zur freiwilligen Aufgabe umgedeutet, mit fatalen Folgen, wie tägliche Meldungen in der Presse belegen. Ist es nicht irrsinnig, wenn wir 2002 ca. 450 Millionen € für ca. 21 500 Fälle an Hilfen zur Erziehung ausgegeben und andererseits für die Jugendarbeit für ca. 756 000 junge Menschen zwischen 6 und 27 Jahren Land und Bezirke insgesamt nur ca. 103 Millionen € eingeplant haben? Das sind Pro-Kopf-Unterschiede von ca. 136 € bis 21 000 €. Wir benötigen hier dringend einen Umsteuerungsprozess von einer Jugendhilfe, die erst auf Fehlentwicklungen reagiert, hin zu einer Jugendhilfe, die die Kinder und Jugendlichen fördert, und wir brauchen rechtzeitige Prävention, um Hilfebedarf so früh wie möglich zu vermeiden.

rung und Steuerung bedürfe. In dieser Bewertung, Herr Steuer, stimmen wir sogar überein. Aber nun frage ich nicht Herrn Senator Böger, sondern Sie, meine Damen und Herren von der CDU: Wer war denn 1996 in der Regierungsverantwortung?

[Steuer (CDU): Frau Stahmer!]

Warum haben Sie die Situation damals nicht verändert? Was haben Sie seit 1996 gemacht? Was hat Sie davon abgehalten, in Ihrer Regierungszeit für die Jugendarbeit in Berlin gute Bedingungen zu schaffen?

[Beifall bei der PDS – Zimmer (CDU): Die SPD! – Zuruf des Abg. Czaja (CDU)]

Hören Sie nur genau zu, Herr Czaja! – Sie haben es nicht getan, meine Damen und Herren von der CDU, obwohl Sie es hätten besser wissen müssen. Nein, so einfach geht das nicht, so einfach können Sie sich nicht aus der Verantwortung schleichen. Stehen Sie zu Ihrer Regierungszeit, und arbeiten Sie Ihren Anteil am jahrelangen Abbau der Strukturen in der Jugendarbeit auf! Machen Sie selbst Vorschläge für die Gegenwart und Zukunft!

[Beifall bei der PDS]

Bleiben Sie nicht bei Ihren billigen Schuldzuweisungen, als ob die PDS nach einem guten Jahr Regierungsverantwortung die Folgen Ihrer jahrelangen jugendfeindlichen Politik – muss ich schon sagen – vergessen machen könnte. Ich darf Sie jedenfalls daran erinnern, dass Sie es waren, die die Zuständigkeit für die Förderung der Jugendarbeit in die Bezirke übertragen haben, ohne die entsprechenden Mittel mitzugeben.

[Doering (PDS): Hört, hört!]

Sie waren es, die dank Ihrer verfehlten Prioritätensetzung dazu beigetragen haben, dass die Bezirkshaushalte so weit geschröpft wurden, dass es unmöglich war, Jugendarbeit zu verstetigen, geschweige denn, den zehnprozentigen Anteil an allen Jugendhilfeausgaben einzustellen, der laut Gesetz für die Jugendarbeit zur Verfügung stehen müsste. Ich darf Sie auch daran erinnern, dass Sie es waren, die die Verantwortung für die Jugendarbeit stets den Bezirken übergeholfen und die Anträge der PDS für neue Finanzierungsstrukturen abgelehnt haben.

[Zuruf des Abg. Czaja (CDU)]

Sie können schreien, so viel Sie wollen, Herr Czaja!

Unsere Regierungskoalition hat sich die Aufgabe gestellt, in dieser dramatischen Haushaltssituation, die übrigens, wie Sie wissen, nicht durch die PDS verursacht wurde, so umzusteuern, dass sich die Handlungsspielräume für die Zukunft nicht noch weiter verringern. Auf dieser Grundlage hat sich die Koalition zu Schwerpunktaufgaben in der Jugendhilfe verständigt.

[Beifall des Abg. Nolte (SPD)]

[Beifall bei der PDS und der SPD – Zuruf des Abg. Czaja (CDU)]

Erste Ansätze zum Umsteuern sind gemacht, doch von Erfolgen kann allerdings – da haben Sie Recht – noch keine Rede sein. Es handelt sich um längerfristige Prozesse, das wissen Sie genauso gut wie ich.

Wir erleben gegenwärtig, dass sich Jugendämter, Jugendhilfeausschüsse, freie und kommunale Einrichtungen und besonders auch junge Menschen den Herausforderungen in Berlin stellen. Da wird geplant, evaluiert und auch der Mut aufgebracht, Althergebrachtes in Frage zu stellen, neue Wege zu gehen. Das ist oftmals schmerzhaft. Doch es werden nicht nur Einrichtungen geschlossen, es wird auch Neues auf den Weg gebracht. Was wir auf Landesebene tun können und müssen, ist, diesen Prozess durch entsprechende Rahmenbedingungen zu begleiten und zu erleichtern. Es geht vor allem darum, Ressourcen zu mobilisieren. Damit meine ich nicht nur finanzielle Mittel.

Ich meine, dass die Eigenverantwortung junger Menschen überall zu stärken ist. Jungen Leuten muss man

Jugendarbeit ist Prävention, aber sie ist darüber hinaus viel mehr: Sie ist persönlichkeitsbildend, und nicht zuletzt

wird Demokratie gelernt, diskutiert und auch erlebt. Es kommt nicht von ungefähr, dass ein Mehr an sozialen Engagement von Jugendlichen mit besseren Schulleistungen einhergeht. Denn wenn Neugier und Interesse an der Welt angeregt werden, wenn Selbstständigkeit gefördert und engagiert diskutiert wird, kommt das den Jugendlichen, ihrer Schulkarriere, aber auch uns allen zugute.

All dies ist förderungswürdig, doch für Sie ist das inzwischen nur eine Leistung mit einem kw-Vermerk. Die Begründung zum Kürzen hat Rot-Rot von der großen Koalition übernommen. Jugendarbeit sei keine Pflichtaufgabe, sagte hier Frau Müller, sondern nur eine freiwillige Leistung, die nach Belieben gekürzt werden kann. Das ist nicht nur falsch, Frau Müller, das ist ein Armutszeugnis!

Die Jugendlichen in dieser Stadt haben es wahrlich nicht verdient, als Bittsteller hier aufzutreten. Ich werde nicht müde zu sagen: Jugendarbeit ist eine Pflichtaufgabe und eine Gestaltungsaufgabe. Doch ich befürchte, Sie haben keine Ideen, keine Konzepte. Und das Schlimmste ist: Sie haben nicht einmal Interesse daran. Der Konsens, dass Jugendliche unterstützt und gefördert werden, ist offensichtlich gekündigt worden. Dabei übersehen Sie allerdings das Gesetz. Das sagt nämlich: Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung. Das ist eindeutig, da gibt es nichts zu interpretieren, auch nicht für Sie, Herr Sarrazin.

nichts vorsetzen. Sie wissen selbst sehr gut, was sie brauchen, und sie sind auch bereit, sich für sich selbst und andere zu engagieren.

[Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Auf diese Art und Weise erworbene Erfahrungen sind unverzichtbar für die Weiterentwicklung unserer Demokratie. Nehmen wir z. B. die Eigeninitiative in dem Programm „respectABel“ auf. Darüber wurde viel geredet, und ich bin froh, dass wir die 50 000 € über den Hauptausschuss wieder aufstocken konnten.

[Zuruf des Abg. Steuer (CDU)]

Wir unterstützen auch ausdrücklich die Bemühungen freier Träger und hier insbesondere des Landesjugendringes zum Abschluss eines Zuwendungsvertrags. Ich will das hier nicht weiter ausführen, aber ich denke, wir werden uns damit noch zusammen weiter auseinander setzen.

Ein letztes Wort: Wir befassen uns – das wurde heute mehrfach gesagt – insbesondere auf der Berliner Ebene mit dem Gesamtkonzept Sozialraumorientierung in der Berliner Jugendhilfe. Ich bin der Meinung, genau das ist der Ansatz, der uns hilft, Synergieeffekte zu erreichen.

Unterstützen wir als Abgeordnete gemeinsam die inhaltliche Debatte darüber, wie die Reformbestrebungen in der Berliner Jugendhilfe trotz notwendiger Haushaltskonsolidierungen weitergeführt werden können! Unterstützen wir auch die Suche nach neuen Finanzierungskonzepten wie z. B. einem Konzept zur Errichtung eines Gesamtbudgets in der Jugendhilfe sowie die Errichtung von Sozialraumbudgets! Stellen wir uns gemeinsam der Verantwortung! Tragen wir alle als Abgeordnete dazu bei, gute Bedingungen für junge Menschen in Berlin zu sichern und weiter auszubauen! Wir alle wissen, dass dieser Prozess sehr kompliziert ist. – Danke schön!

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön! – Für die Fraktion der Grünen hat nunmehr Frau Abgeordnete Pop das Wort. – Bitte sehr!

Ich freue mich über das „riesige“ Interesse in diesem Hause an dem Thema Jugendpolitik. Ganz im Ernst: Ich finde Debatten über Jugendpolitik verdammt nötig. Sie sind selten, und das Interesse ist offensichtlich nicht groß, wie man gerade sieht.

Jugendliche kommen meistens in Sonntagsreden, aber in der Politik selten vor. Aber es gibt in Berlin sehr großen Handlungsbedarf. Worum geht es hier genau? – Es geht um Kinder und Jugendliche in dieser Stadt, und es geht um ihre Freizeit. Es geht nicht um schwierige oder benachteiligte Jugendliche, das will ich ganz deutlich sagen. Es geht um Jugendliche, die in ihrer Freizeit in Projekten und Verbänden aktiv sind, und es geht um die Jugendclubs, wo sie ihre Nachmittage verbringen.

[Beifall bei den Grünen]

[Beifall bei den Grünen]

Seit einiger Zeit liegen Sonderprogramme und Projektförderung sehr im Trend in der Jugendarbeit. Sie lassen sich besser vermarkten und öffentlichkeitswirksam begründen. Sie vermitteln den Eindruck: Die tun was. – Kaum jemand merkt allerdings, dass Projekte keine Regelförderung mehr bekommen, sondern sich um diese Sonderprogramme und die Projektförderung bewerben müssen und ständig mit kleinteiliger Arbeit beschäftigt sind. Viel schwieriger ist die kontinuierliche Förderung von Jugendarbeit. Sie lässt sich auch viel schwerer begründen. Es gibt nämlich die Diskussion darüber, ob in Zeiten knapper Kassen Jugendliche, die kein Problem, die kein Manko haben, die nicht kriminell, benachteiligt oder sonst etwas sind, noch einen Anspruch auf Förderung durch die Gesellschaft haben. Genau diese Förderung allerdings ist unerlässlich für erfolgreiche Jugendarbeit. Die ist im Übrigen auch gesetzlich festgeschrieben.

Wir haben deshalb beantragt, Jugendverbände nicht kurzfristig, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg zu finanzieren, damit sie die Luft haben, Ferienfahrten, Fotoprojekte, Seminare und Ähnliches zu planen.

Es gibt einen großen Bedarf an Jugendpolitik in dieser Stadt. 38 000 Jugendliche sind arbeitslos. Knapp 90 000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren leben in Berlin von Sozialhilfe. Diesen Jugendlichen bleibt immer weniger, weil Bäder schließen, Eintrittspreise steigen und Jugendclubs geschlossen werden. Und nicht nur für diese, sondern für alle Jugendlichen gibt es immer weniger

Das Projekt „respectABel“ist heute schon angesprochen worden. Offensichtlich weiß die zuständige Sozialsenatorin nicht einmal, wie das Projekt genau ausgestattet ist, und vergibt das Geld freihändig nach ihrem Gusto. So funktioniert das nicht, sich an allen Gremien der Jugendarbeit vorbei Projekt auszusuchen und das Geld dafür auszugeben. Leider funktioniert das einfach so nicht.

Ich finde es dringend nötig, die Jugendpolitik in Berlin mit neuem Leben zu erfüllen, anstatt sie stückchenweise sterben zu lassen. Die Jugendpolitik ist meiner Meinung nach nicht das Stiefkind der Berliner Politik, das vernachlässigt wird, sich mit einem kleinen Taschengeld genügen muss und gelegentlich getreten wird. Denn die Jugendprojekte tragen eine ganze Menge dazu bei, dass diese Stadt lebenswert wird. Das sollten Sie endlich wahrnehmen und Partei ergreifen für die Jugendlichen in der Stadt.

Danke schön! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Große Anfrage ist damit begründet, beantwortet und besprochen.

Möglichkeiten in dieser Stadt. Es geht hier um Jugendliche und nicht um Träger. Es geht darum, Freiräume für Jugendliche zu schaffen, in denen sie selbst bestimmen. Es geht darum, nicht kommerzielle Räume zu erhalten, gerade in der Großstadt Berlin, Räume, in denen sich Jugendliche ohne Geld auszugeben, eine nette Zeit machen können. Hier sind Konzepte und Ideen gefragt, und das nicht erst seit Rot-Rot. Kollege Steuer, Ihre Kritik in der Großen Anfrage kann ich gut nachvollziehen. Allerdings finde ich Nachfragen zu Missständen, wie den Jugendfreizeitheimen, die die große Koalition zu verantworten hat, absurd.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der PDS]