Protocol of the Session on March 27, 2003

Die Tatsache, dass Jugendpolitik ein ungeliebtes Stiefkind der Berliner Politik ist, ist nicht neu. Immerhin hat die große Koalition die Missstände zu verantworten: Die Ausstattung von Jugendclubs, die räumlich, personell und finanziell miserabel ist, ist nicht unter Rot-Rot entstanden, aber Rot-Rot verschärft die Situation, das ist richtig. Anstatt Konzepte zu erarbeiten und zu steuern, wird die gesamte Verantwortung den Bezirken zugeschoben. Herr Böger sagte es schon, die Bezirke könnten Priorität bei der Jugendarbeit setzen und diese mit Geld zuschütten. Sie lehnen sich hier zurück und schieben alles auf die Bezirke. Aber da muss ich doch nachfragen: Wer ist für die miese Finanzierung der Bezirke zuständig? – Darüber haben wir hier schon oft genug gesprochen, dass die Bezirke finanziell ausgeblutet werden und keine Möglichkeiten mehr haben, überhaupt noch Prioritäten zu setzen.

Es gibt eine Vielzahl von weiteren Problemen, die ich hier nur skizzieren kann. Wir haben in der letzten Sitzung über die Praxis der Arbeitsämter gesprochen, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu kürzen oder gar einzustellen. Ich möchte Sie daran erinnern, dass ein Großteil der Jugendprojekte – vor allem im Osten der Stadt – auf eben diese Maßnahmen, auf ABM und SAM, angewiesen sind. Das Problem ist schon sehr lange bekannt, und eine Lösung ist nicht in Sicht. Ich kann dazu klar sagen: So schlecht ich die Politik der Arbeitsämter auch finde an diesem Punkt: Es ist nicht Aufgabe der Arbeitsämter, Jugendprojekte zu fördern. Das ist Ihre Aufgabe!

[Beifall bei den Grünen]

Und die PDS ist erstaunlicherweise ganz kleinlaut bei diesem Thema, das sie sich früher sehr groß auf die Fahnen geschrieben hatte.

[Brauer (PDS): Was? – Nein!]

Ein weiteres Projekt, in Landesverantwortung, nicht in Bezirksverantwortung, das FEZ, ist heute schon erwähnt worden. Da kürzen Sie seit Jahren mit der Salamitaktik. Jetzt haben Sie nach längerem Gezerre endlich ein neues Konzept für ein neues Profil vorgelegt, aber eine langfristige Absicherung des FEZ – wenn Sie schon davon sprechen, dass das eine einzigartige Einrichtung ist –, wollen

Sie diesem einzigartigen Projekt offensichtlich nicht zugestehen.

[Beifall bei den Grünen]

[Frau Pop (Grüne): Die zwei Minuten schenke ich Ihnen!]

Das ist wunderbar.

Wir kommen nun zu den Abstimmungen über die drei Anträge der Fraktion der CDU, die gemäß Beschlussempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Schule und Sport – das sind die Drucksachen 15/1452 bis 15/1454 – jeweils mehrheitlich gegen die Fraktionen der CDU und der FDP bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt wurden.

Wer dem Antrag Drucksache 15/1341 – Stichwort: hohe Außenstände von Elternbeiträgen – dennoch seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen! – Danke schön! Das waren die Fraktionen der CDU und der FDP. Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag bei Enthaltung der Fraktion der Grünen gegen die Stimmen von CDU und FDP abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Drucksache15/1342. Wer dem Antrag – Stichwort: Betriebskosten der Tageseinrichtungen für Kinder – seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke schön! Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Damit ist auch dieser Antrag genau in der Form wie der erste abgelehnt worden.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 15/1343: Wer dem Antrag – Stichwort: Ausgabenüberschreitung bei den Hilfen zur Erziehung analysieren – seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte

tun.

Zweitens: Die Bedingungen für den Beschluss über die Ehrenbürgerwürde für Hindenburg waren schon 1933 unrechtmäßig, und zwar deswegen, weil die Kommunisten bereits aus dem Parlament eliminiert waren. Obwohl sie gewählte Abgeordneten waren, durften sie nicht mehr abstimmen, sondern waren verfolgt und interniert. Die SPD selbst nahm an der Abstimmung nicht teil. Die Kriterien – besondere Verdienste für die Stadt Berlin – waren bei Hindenburg nicht erfüllt. Die Wahl erfolgte auf Antrag der NSDAP. Hitler und Hindenburg sollte gemeinsam in Würdigung ihrer Verdienste „um die nationale Wiedergeburt der Stadt Berlin“ die Ehrenbürgerwürde verliehen werden. Das geschah zeitgleich und wortgleich in über 4 000 Gemeinden des ehemaligen Deutschen Reiches. Ausgesprochen wurde die Verleihung dieser Ehrenbürgerwürde am 20. April 1933. Dieser Vorgang fehlt übrigens in der Geschichte der Berliner Ehrenbürgerwürde. Er wurde eliminiert. Man nennt das Datum nicht. „Schwamm drüber!“ – Aber so geht es nicht, meine Damen und Herren!

Drittens: Es besteht heute die Gelegenheit, diesem unrechtmäßigen Vorgang ein Ende zu machen. In fünf Minuten ist es nicht möglich, der komplexen historischen Person Hindenburg gerecht zu werden, aber wenn Herr Momper behauptet, Hindenburgs politisches Handeln sei legal und demokratisch gewesen, so meinen wir, dass auch in Abwägung der konkreten historischen Umstände feststeht: Das Gegenteil war der Fall. – Hindenburg hatte zwar nichts übrig für Hitler, aber er hat sich mit anderen in dem fatalen Irrtum befunden, ihn konservativ – man könnte auch sagen: reaktionär – einbinden zu wollen. Diesen fatalen Irrtum hat er nie korrigiert. Er hätte ihn spätestens im Frühjahr 1933 entlassen können. So, wie er ihn ernannt hat, stand dem Reichspräsidenten auch das Recht zur Entlassung zu. Das hat er nicht getan. Er hätte es tun müssen. Mit der Unterschrift unter viele Terrorgesetze steht Hindenburg für das furchtbare Ausmaß, das alles bis dahin Denkbare übertraf, für die Zerstörung der Demokratie bis hin zum Krieg und zum Zusammenbruch.

ich um das Handzeichen! – Danke schön! Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt.

Die lfd. Nr. 6 steht als vertagt auf unserer Konsensliste. Die lfd. Nr. 7 hatten wir bereits hinter der Aktuellen Stunde aufgerufen.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 8:

Beschlussempfehlung

Paul von Hindenburg aus der Ehrenbürgerliste Berlins streichen

Beschlussempfehlung Kult Drs 15/1438 Antrag der Grünen Drs 15/923 Änderungsantrag der SPD, der CDU und der FDP Drs 15/1438-1

Ich möchte Ihnen, wie wir Ihnen schon per Zeichen in die anderen Räume des Parlaments signalisiert haben, gleich mitteilen, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Antrag eine namentliche Abstimmung beantragt hat.

Für die Beratung steht den Fraktionen eine Redezeit von fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt laut Vereinbarung in der Geschäftsführerrunde die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Das Wort hat Frau Abgeordnete Ströver – bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wochen einer aufschlussreichen politischen und historischen Debatte, öffentlich und auch im Kulturausschuss, liegen hinter uns. Aufschlussreich auch, wie Abgeordnete nach ihrem Gewissen über die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde für Paul von Hindenburg entscheiden wollten, aber nunmehr auf Linie gezwungen sind, auf die Position der Beibehaltung der Ehrenbürgerwürde für Hindenburg, auf die sich der Präsident des Abgeordnetenhauses, der Abgeordnete Momper, von Anfang an festgelegt, ja verbohrt hatte. Das ist bedauerlich. Es wäre gut gewesen, wenn es wirklich eine ergebnisoffene Debatte gegeben hätte. Was hier nun heute passieren wird, hat leider nichts mit einer freien Gewissensentscheidung von Abgeordneten zu

[Beifall bei den Grünen]

Im Zusammenhang mit der Ehrenbürgerwürde sind aus meiner Sicht drei Fragen zu diskutieren.

Erstens: Wer hat das Recht auf Eingriff in die Ehrenbürgerliste? – Wichtig ist, dass wir diese Frage nicht mit zweierlei Maß behandeln. Eines ist aber klar: Wer die Ehrenbürgerliste Ostberlins 1992 bereinigt hat und dieser Tage den ehemaligen sowjetischen Stadtkommandanten Bersarin – zu Recht – wieder zum Ehrenbürger ernennt, der muss auch zulassen, dass über die Ehrenbürgerwürde für Hindenburg erneut abgestimmt wird.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Man kann mit der Ehrenbürgerwürde anders umgehen. Man kann sagen: Sie wird nur auf Lebenszeit erteilt und erlischt dann. Dann gibt es später keine Debatten. – Aber wenn es nicht so ist, dann darf man darüber auch aus heutiger, distanzierter Sicht diskutieren, wenn sich historisch andere Informationen zu einer Person ergeben. Das hat auch nichts mit Besserwisserei oder Arroganz zu tun, sondern ausschließlich damit, dass Reflexionen über historische Zusammenhänge mit einem zeitlichen Abstand neue Bewertungen erlauben müssen. Wäre das nicht so, hätte die Geschichtswissenschaft als solche keinen Sinn.

Zum Schluss: SPD, CDU und FDP wollten sich um eine klare Haltung drücken und haben einen sehr verschwommenen, allgemeinen Antrag eingebracht. Dies war nicht von der Geschäftsordnung gedeckt. Nunmehr – durch Ihren Änderungsantrag – bekennen Sie sich klar und deutlich zum Verbleib von Paul von Hindenburg auf der Ehrenbürgerliste. Ich finde das bedauerlich. Mit unse

Die Ehrenbürgerliste mit den Personen, die auf ihr stehen, spiegelt die politischen Einstellungen der jeweiligen Zeit wider, und damit dokumentiert diese Liste die Brüche der Berliner und der deutschen Geschichte. Das

zeigt sich nicht nur an Hindenburg, sondern auch an anderen Personen, die auf dieser Liste stehen. Und nicht alle Personen, die wir heute ehren, finden wir auf der Liste – genauso wenig wie jede Person, die auf der Liste steht, von uns auch heute mit unserem Verständnis geehrt wird oder geehrt würde. Es gab sehr umstrittene Verleihungen. Eine hat Frau Ströver genannt, aber als Beispiel zu nennen ist auch die an Freiherrn von Manteuffel, die erst nach einem politischen Eklat erfolgen konnte.

Uns muss es heute darum gehen, zu klären, ob wir diesen historischen Gehalt der Liste tatsächlich verändern wollen. Die Ehrenbürgerschaft Paul von Hindenburgs ist von Professor Winkler im Kulturausschuss bewertet worden. Er hat in der Anhörung Folgendes gesagt:

Hindenburg trägt die volle politische Verantwortung für das, was er tat. Das Wunschdenken, von dem er und seine so genannte Kamarilla sich leiten ließ, als die Entscheidung für die Kanzlerschaft Hitlers fiel, ist kein mildernder Umstand.

Bezogen auf das politische Handeln Paul von Hindenburgs teile ich diese Bewertung. Ich teile nicht die Schlussfolgerung, die daraus gezogen wird, nämlich Hindenburg von der Liste zu streichen. Die Diskussion im Kulturausschuss hat gezeigt, dass dieses auch die Haltung einer großen Mehrheit des Ausschusses ist, und es wird – so denke ich – auch die Haltung einer großen Mehrheit dieses Hauses sein. Es hilft uns nämlich nicht weiter, wenn wir einen Teil unserer Geschichte wegstreichen.

rem Antrag messen wir die Ehrenbürgerwürde nicht nach heutigen Maßstäben, sondern ausschließlich nach den Kriterien der damaligen Weimarer Verfassung. Die hat Hindenburg gebrochen, und zwar mehrmals. Politiker, die zur Beseitigung der Demokratie beigetragen haben, gehören nicht auf die Berliner Ehrenbürgerliste.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Beifall des Abg. Dr. Jungnickel (fraktionslos)]

So sind auch andere daraus eliminiert worden. Ich wünsche mir, dass wir diesen historischen Fehler, den wir heute wohl allesamt als solchen erkennen, nun 70 Jahre nach der Verleihung der Ehrenbürgerwürde korrigieren. Deshalb bitte ich Sie, dem Änderungsantrag von CDU, SPD und FDP nicht zuzustimmen, sondern wieder zu unserem Ursprungsantrag zurückzukommen und die Ehrenbürgerwürde für Hindenburg zu streichen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Beifall des Abg. Dr. Jungnickel (fraktionslos)]

Das Wort hat nun Frau Abgeordnete Dr. Fugmann-Heesing. – Bitte sehr!

Meine Damen und Herren! Man kann aufgrund der zum Teil sehr emotional geführten Debatte den Eindruck haben, dass wir uns heute mit dem Thema beschäftigen, das für die Entwicklung der Stadt am wichtigsten ist. Das ist aber nicht der Fall.

[Frau Jantzen (Grüne): Die Demokratie ist sehr wichtig!]

Aber ich möchte damit die historische Dimension der Debatte in keiner Weise verneinen. Das hat sich auch im Kulturausschuss gezeigt, und die Anhörung dort zu diesem Thema hatte ein besonderes Gewicht. Aber heute stimmen wir nicht darüber ab, ob von Hindenburg auf die Liste der Ehrenbürger gesetzt wird. Wenn das das Thema des heutigen Tages wäre,

[Frau Oesterheld (Grüne): Würden Sie auch zustimmen!]

so wäre die Haltung dieses Hauses sicherlich eindeutig: Es wäre eine klare Ablehnung.