Protocol of the Session on December 12, 2002

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es durchaus verdienstvoll, wenn die CDU den Armutsbericht der Senatorin zum Anlass nimmt, um Anträge zu formulieren. Das hat Herr Leh

mann eben gesagt, das kann auch ich ausdrücklich unterstreichen. Ich denke, dass dieser Armutsbericht eine dauernde Herausforderung, eine dauernde Aufgabe für dieses Land und seine politisch Verantwortlichen ist.

Herr Lehmann, weil Sie gerade Kritikwürdiges in der Obdachlosen- und Wohnungslosenpolitik des Senats zu erspähen meinten, möchte ich mich doch in Abänderung dessen, was ich eigentlich sagen wollte, ganz kurz darauf konzentrieren. Zunächst muss ich Sie enttäuschen: Diesen Obdachlosenrahmenplan, der 1999 beschlossen wurde, hat es nie gegeben. Es hat weder diesen Obdachlosenrahmenplan gegeben noch, das ist dann die logische Folge, eine Fortschreibung. Und das hat folgenden Hintergrund. Als 1999 die Leitlinien entwickelt und vorgestellt wurden, in der 13. Legislaturperiode von Frau Hübner, wurde diesen ein so genannter Handlungsplan beigegeben. Und dieser Handlungsplan erwies sich als so dicht und handlungsanweisend, dass man von der Idee abgekommen ist, noch einen Obdachlosenrahmenplan vorzulegen. Das nur zur Information.

Zu der Leitlinienfortschreibung, die hier gefordert wird, möchte ich gern Folgendes sagen: Diese Fortschreibung erfolgt bereits durch die Praxis. Es ist so, dass der Senat und die Bezirke regelmäßig Gespräche führen, und das müssen sie auch tun, weil sie unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen in der Wohnungslosen- und Obdachlosenpolitik. Im Wesentlichen sind die Aufgaben der Obdachlosenpolitik im Rahmen der Verwaltungsreform auf die Bezirke abstrukturiert worden. Die Bezirke legen auch heute noch großen Wert darauf, dass diese Arbeit bei ihnen verortet bleibt. Allerdings hat auch der Senat in Bezug auf Rahmenvereinbarungen sowie die Entwicklung bestimmter Eckpunkte und die Wahrnehmung einer Moderatorenfunktion Aufgaben, die immer wieder Bezirk und Senat zusammenführen.

[Hoffmann (CDU): Haha! 2001!]

Warum stellen Sie diesen Antrag erst mit dem Erscheinen des Armutsberichts? Das müssen Sie mir mal erklären. Ich befürchte auch in diesem Fall, dass zwar viel Papier produziert, sich aber in Wirklichkeit nichts bewegen wird.

Unserer Meinung nach ist eine Schwerpunktsetzung in Zukunft mehr als notwendig. Der Obdachlosigkeit, Armut und der Unterbringung alter Menschen muss mehr Beachtung geschenkt werden. Hier ist es notwendig, ein neues Konzept für betreutes Wohnen zu erstellen.

Weiterhin muss der Senat eine zentrale Steuerungsstelle einrichten. Das hat seinen Grund, und ich will Ihnen da mal ein Beispiel geben. Der Bezirk XY meldet keinen Bedarf für Obdachlosenunterbringung an. Trotzdem gibt es in diesem Bezirk noch viele Träger, die sich mit der Obdachlosenhilfe befassen. Anstatt dass der Bezirk XY die finanziellen Mittel an andere Bezirke abgibt, will er diese Träger trotz weniger Aufgaben behalten. Hier wird Geld nach dem Gießkannenprinzip zum Fenster rausgeschmissen. Wir brauchen hingegen gezielte Förderung von Projekten, die spezielle Angebote für die Zielgruppen der Obdachlosen macht. Wenn der Antrag dazu dient, diesem Missstand abzuhelfen, umso besser!

[Zuruf von der CDU: So ist es!]

Und weil es so schön ist, möchte ich Ihnen diesbezüglich noch ein kleines Beispiel nennen: Ein Schlafplatz bei der Lehrter Stadtmission kostet ca. 19,5 €. Die Schlafplätze sind in der Regel mit Isomatten ausgestattet; es genügt, eine Fachkraft einzustellen. Die restlichen Angestellten lassen sich durchaus durch Studentenjobs auffüllen. Große Personalkosten entstehen also nicht. Ein normaler Schlafplatz für Rucksacktouristen mit entsprechenden Betten und sanitären Anlagen kostet 20 €. Es ist doch wohl mehr als merkwürdig, dass im Preis so gut wie kein Unterschied zwischen den beiden Übernachtungsmöglichkeiten besteht.

Wir werden auch diesem Antrag der CDU-Fraktion zustimmen. Es gilt jetzt, dem Senat Beine zu machen, damit er endlich ein vernünftiges und plausibles Konzept zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit vorlegt.

[Beifall bei der FDP]

Ich hoffe allerdings, dass es im Bereich der Obdachlosenhilfe zu einer gründlichen Evaluierung kommt, damit die zur Verfügung stehenden Mittel effizient verwaltet werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Danke schön! – Das Wort für die PDS-Fraktion hat Frau Abgeordnete Simon. – Bitte sehr!

Und wenn ich mir jetzt die Schwerpunkte angucke, die von der CDU hier zitiert wurden, muss ich sagen: Die Schwerpunkte, die in der 13. Legislaturperiode von Ihrer Senatorin im Rahmen eines sehr langen Diskussionsprozesses vorgestellt wurden, sind nach wie vor aktuell. Sie bewegen sich im Bereich der Wohnungspolitik, Sozial- und Gesundheitspolitik. Sie sind in Teilen inzwischen weit vorangekommen, aber sie sind in anderen Teilen, nehmen wir mal die Frage der Beschaffung von Wohnraum, eine dauernde Aufgabenstellung, insbesondere auch vor dem Hintergrund einer sich verändernden Wohnungspolitik des Senats. Das sind ständige Aufgaben, die auch in der Koalitionsvereinbarung gewürdigt werden. Auf die Frage der Kältehilfe ist die Senatorin heute eingegangen, deswegen möchte ich das nicht noch einmal aufgreifen. Dass es sich hier um ein dauerndes Problem handelt, ist auch klar, und dass im Augenblick kein aktueller Bedarf besteht, auch. Eine zukünftig andere Aufgabenteilung ist nicht erforderlich, weil sich die derzeitige bewährt hat, das bestätigen die Bezirke und die Senatsebene gleichermaßen.

Interessant ist dabei auch, dass Sie Vorschläge zur Einnahmeerhöhung – wir hatten vorhin die Diskussion um die Bundespolitik – auf Bundes- wie auch auf Landesebene ständig ablehnen, aber mit Anträgen hier viele Wohltaten verteilen wollen. Das passt nicht so ganz zusammen. Da müssen Sie Ihre verschiedenen Politiken noch etwas besser zusammenbringen.

Dann kommen wir zum Punkt einer bedarfsgerechten Finanzierung. In der Tat, das ist eine dauernde Aufgabe in einem Land, wo wenig Geld da ist und, sowie schon gesagt, für Obdachlose und Wohnungslose eine geringe Lobby existiert. Hier, denke ich, müssen wir uns alle sensibilisieren, und zwar über die einzelnen Fraktionen hinweg, weil das eine gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe ist, die nicht an Finanzfragen scheitern darf. Und da möchte ich gern darauf verweisen, dass CDU-regierte Bezirke wie Reinickendorf und Neukölln hier deutlich zu Lasten der Obdachlosen mit den Ausgaben heruntergefahren sind, was ich ausdrücklich bedauere, während Bezirke, mit sehr knappen Mitteln, wie Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg, im Rahmen ihres Bezirkshaushalts bei der Obdachlosenarbeit einen deutlichen Schwerpunkt gesetzt haben. – So weit zu dem einen Antrag.

Ganz kurz noch zu dem Antrag des sekundären Analphabetismus. Es ist ein Skandal, dass es in der reichen Bundesrepublik Deutschland 4 Millionen Analphabeten gibt,

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

die nicht Analphabeten sind, weil sie keine Schule besucht haben, sondern weil sie, und das stellt sich oft erst nach dem Verlassen der Schule heraus, offenbar keine Chance oder Gelegenheit hatten, das Gelernte zu bewahren und hinreichend anzuwenden. Der CDU-Antrag hebt sehr stark darauf ab, dieses Problem im Zusammenhang mit der beruflichen Integration zu thematisieren. Die Sensibilisierung für das Thema finde ich sehr wichtig. Unter einem Maßnahmenkatalog kann ich mir allerdings konkret sehr wenig vorstellen. Vielleicht lässt sich das im Ausschuss noch genauer darstellen. Ich kann es mir deshalb schwer vorstellen, weil es sich hier um Menschen handelt, die stigmatisiert werden, in dieser Gesellschaft ihre Defizite sehr wohl wahrnehmen, darunter leiden und diese zu kaschieren suchen. Insofern sind sie sehr schwer erfassbar. Wir entdecken sie mehr zufällig und beiläufig, z. B. bei der Arbeitsplatzsuche. Institutionen wie Arbeitsämter, Sozialämter, aber auch andere Ausbildungsstätten müssen für dieses Problem besonders sensibilisiert werden. Dann muss man sehen, ob die vorhandenen Angebote ausreichen oder ausgebaut werden müssen. Hier gibt es verdienstvolle Ansätze zum einen in den Volkshochschulen, aber auch im Verein „Lesen und Schreiben“ in Berlin-Neukölln und beim „Arbeitskreis Orientierungs- und Bildungshilfe e. V.“. Hier, gerade bei dem letztgenannten, hat die CDU während ihrer Regierungszeit deutliche Kürzungen vorgenommen. Ich hoffe, dass das nicht länger passiert und die derzeitig festgeschriebenen Summen zumindest erhalten bleiben, damit diesem Problem, für das auch eine breite Öffentlichkeit zu sensibilisieren ist, in Zukunft mehr Aufmerksamkeit zukommt, nicht nur auf Seiten der Sozial- und Arbeitsmarktpolitiker, sondern auch bei der Finanzpolitik. Ich hoffe, dass der Finanzsenator aufmerksam zugehört hat. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der PDS, der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Frau Kollegin Simon! – Als letzte Wortmeldung

[Czaja (CDU): Wenn es mal die letzte wäre!]

kommt Frau Jantzen für Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zwar sehr lobenswert, aber auch interessant, dass die CDU in der Opposition ihre soziale Ader entdeckt

[Frau Herrmann (CDU): Na, na, na! – Weitere Zurufe von der CDU]

und sich nun verstärkt um die sozialen Probleme in der Stadt kümmert, die sie in der großen Koalition zum Teil mit produziert oder zumindest nicht behoben hat.

[Niedergesäß (CDU): Nun ist es aber gut!]

Trotzdem ist unbestritten, dass Menschen mit geringen Qualifikationen schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt- und dem Ausbildungsmarkt haben, und besonders Menschen, die trotz jahrelangen Schulbesuchs, wie es in Deutschland Pflicht und der Fall ist, Analphabeten sind. Die Intention Ihres Antrags ist richtig, die Angebote für diese Menschen zu intensivieren und besonders auch – Frau Simon hat darauf hingewiesen – der Stigmatisierung entgegenzuwirken und besser zu informieren.

Noch wichtiger ist es, dass unsere Schulen und Kitas in die Lage versetzt werden, die leistungsstarken wie die leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler zu fördern, ihnen also die Kompetenzen zu vermitteln, die sie für den Arbeitsmarkt, einen Ausbildungsplatz und das immer kompliziertere Leben überhaupt brauchen.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffmann?

Er wollte gar nicht, oder?

[Hoffmann (CDU): Ich möchte eine Kurzintervention machen!]

Danke!

Die hohe Zahl der Schulabgängerinnen und -abgänger in Berlin – das sind 18 % der deutschen Schülerinnen und Schüler und bei den Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache 41 % – zeigt, dass in Berlin noch viel zu tun ist. Wir unterstützen hierbei alle Bemühungen, die die rot-rote Regierung in der nächsten Zeit vorhat.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

geht zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuss für Wissenschaft und Forschung.

Die alljährlichen Diskussionen um die Kältehilfe – wie die Mündliche Anfrage heute oder auch schon in der letzten Sitzung – zeigen, dass die Versorgung und Betreuung der Obdachlosen und die Kompetenzverteilung zwischen dem Land und den Bezirken, anders als dargestellt wurde, nicht befriedigend gelöst sind. Wir unterstützen die Intention des Antrags der CDU. Er vernachlässigt allerdings einige Aspekte und wichtige Probleme wie zum Beispiel die langfristige Unterbringung oder die – wie man heute sagt – Beheimatung alter und psychisch kranker, pflegebedürftiger Obdachloser. Da muss man noch etwas nachbessern. Eines ist auf jeden Fall klar: Der beste Obdachlosenrahmenplan, die besten Leitlinien nützen nichts, wenn sie nicht mit den notwendigen Angeboten zur Versorgung und Betreuung vor Ort gefüllt werden. Heute war das Thema „finanzielle Ausstattung der Bezirke“ und die Beziehung zwischen Land und Bezirken schon Gegenstand der Beratung. Das muss und wird uns auch weiterhin beschäftigen. Wir werden im Ausschuss darüber reden, wie man die Anträge noch verbessern kann.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Jantzen! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, aber eine Kurzintervention wird vom Kollegen Hoffmann gewünscht. – Bitte schön!

Werte Frau Jantzen! Zunächst denke ich, dass es richtig ist, dass sich gerade in diesem sensiblen Bereich eine breite Einigkeit widerspiegelt, um dieses Problem anzugehen. Denn so zu tun, als gäbe es kein Problem, gerade in der Obdachlosenpolitik, war falsch. Und das war auch falsch in der Aussage heute früh bei der Fragestunde.

Allerdings ärgern mich und meine Fraktion sehr Ihre Ausführungen dazu, dass sich die CDU in der Zeit, als sie noch an der Regierung war, nicht um die Sozialpolitik gekümmert habe. Das weise ich entschieden zurück. Ein Großteil der sozialen Errungenschaften in unserer Gesellschaft geht auf Initiativen der Union zurück. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Och! bei der PDS und den Grünen – Doering (PDS): Nennen Sie doch mal ein Beispiel!]

Vielen Dank, Herr Hoffmann! – Frau Jantzen, ist eine Replik gewünscht? – Nein, das ist nicht der Fall. Damit sind wir am Ende der Wortmeldungen.

Der Ältestenrat empfiehlt zum Antrag Drucksache 15/1072 die Überweisung an den Ausschuss für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen und zum Antrag Drucksache 15/1073 die Überweisung an den Ausschuss für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz und an den Hauptausschuss. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann sind beide Anträge so überwiesen.

Die lfd. Nrn. 27 bis 32 sind bereits durch die Konsensliste erledigt.

Lfd. Nr. 30:

Antrag