Protocol of the Session on November 28, 2002

Die Rednerinnen und Redner wollen auch hier ihre Reden zu Protokoll geben. Mir wurde allerdings signalisiert, dass der Abgeordnete Hoffmann das Wort für einen großen Redebeitrag zu erhalten wünscht. Dann soll er dies auch bekommen, und ich bitte die übrigen Rednerinnen und Redner, ihre Reden bereits zu Protokoll zu geben, das erspart uns Zeit.

Alle drei Anträge der CDU zur Armuts- und Schul

denbekämpfung klingen auf den ersten Blick einleuchtend. Auf den zweiten Blick trifft dies auf den Punkt Schuldnerberatung in der Drucksache 15/1017 nicht mehr zu.

Schuldnerberatung liegt in der Hand der Bezirke. Sie

entscheiden, wie sie mit den unvermeidlichen Kürzungen umgehen und wo sie Prioritäten setzen. Wir sehen negative und positive Beispiele. Den Bezirken, die hier gekürzt haben oder das erwägen, sei eindringlich vor Augen geführt, dass Schuldnerberatung sich rechnet. Sie ist viel mehr als eine humane Geste, die Leid und Verzweiflung lindert.

Denn gerade kleine Unternehmen, die bekanntlich die

meisten Arbeitsplätze stellen, sind überfordert, wenn sie verschuldete Mitarbeiter haben, sich mit Kontenpfändung und ähnlichen Schwierigkeiten auseinandersetzen müssen. Verschuldung mindert also die Chancen der Betroffenen auf dem engen Arbeitsmarkt. Die Bezirke sind gut beraten, wenn sie Geld für Schuldnerberatung einsetzen, obwohl das keine staatliche Pflichtaufgabe ist. Sozialhilfe ist eine Pflichtaufgabe, aber es liegt auf der Hand: Wer einen Weg aus der Schuldenfalle vor sich sieht, arbeitet und Sozialabgaben zahlt, ist besser dran als ein Sozialhilfe Empfangender, und das gilt auch für das Gemeinwesen.

Laut Statistik sind Arbeitslosigkeit, Krankheit, Tren

nung oder Scheidung die häufigsten Ursachen von Verschuldung, nicht Leichtsinn oder Kaufrausch. Den Umgang mit verschlechterten Bedingungen haben aber viele Haushalte verlernt. Wir teilen das Ziel der Anträge Drucksachen 15/1015 und 15/1016, den Betroffenen hier mehr Hilfen zu bieten. Wieso auch nicht, schließlich steht die Forderung nach Unterricht in privater Haushaltsführung wortwörtlich in der rot-roten Koalitionsvereinbarung! Vielleicht haben einige von Ihnen auch dieser Tage meine Kleine Anfrage dazu registriert.

In überregionalen Gesprächsrunden wird Berlin darum

beneidet, das Fach Arbeitslehre in den Lehrplänen der

Haupt- und Realschulen verankert zu haben. Dieses Fach bietet die Möglichkeit, die Heranwachsenden mit dem Waren- und Kreditangebot und seinen Gefahren vertraut zu machen. Aber auch handfeste Tipps für den Alltag lassen sich hier unterbringen. Wie vermeide ich, dreistellige Summen für die Reparatur eines verstopften Abflusses auszugeben, immer wieder verschimmelte Essensreste wegwerfen zu müssen, Kleidungsstücke verfärbt oder eingeschrumpft aus der Maschine zu holen?

Lehrerinnen, Lehrer und alle, die im sozialen Bereich,

auch in Kitas tätig sind, müssen ermutigt werden, solche banal klingenden Themen aufzugreifen. Dafür braucht man keine Weiterbildung, sondern kann auf Lebenserfahrung, gesundem Menschenverstand und gezielter Nutzung der Medien aufbauen.

Die Daseinsbewältigungskompetenz, um es im Sozio

logendeutsch zu sagen, hat in vielen Privathaushalten abgenommen. Vor einem Jahr fand in diesem Haus ein Jugendkongress statt. In der Gruppe Armutsprävention forderten junge Menschen ernstlich die Ausgabe von Lebensmitteln statt Bargeld – weil sie erleben, dass sie und ihre Geschwister selbst bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen zu kurz kommen. Das klassische Ziel: „Niemand soll hungern und frieren“ ist in dieser Stadt offenbar nicht überall zu erreichen. Das liegt nicht an den Leistungen des Staates, sondern an der mangelnden Fähigkeit, „to make ends meet“.

Wir werden im Ausschuss nach Wegen suchen, dem

abzuhelfen. Erst kürzlich habe ich mir von der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft in Aachen einen dicken Ordner schicken lassen, der einen Lehrplan zur Haushaltsführung nebst Didaktik enthält. Die Universität Bonn, wo es einen Lehrstuhl für Haushaltswirtschaft gibt, wirkte daran mit, Städte wie Rostock und Leipzig haben dies schon umgesetzt.

Ein Haushalt mit wenig Pleiten, Pech und Pannen ver

meidet nicht nur Verschuldung und Beziehungskrisen. Er schont gleichzeitig die Ressourcen und damit die Umwelt. Möglicherweise lässt sich auch ehrenamtliches Engagement einbeziehen. Es gibt Fachwissen und guten Willen in der Stadt, und wir werden sie dort nutzbar machen, wo sie gebraucht werden.

Zu Protokoll gegebene Rede der Frau Abg.

Grundsätzlich finde ich es richtig und sehr wichtig,

dass aus dem von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz vorgelegten Bericht über Armut und Gesundheit vom Sommer 2002 Schlussfolgerungen gezogen wurden – in der Einleitung zum 1. Armutsbericht ist genau das als Ziel formuliert. Es soll damit eine Debatte eingeleitet werden, wie in Zukunft die Analysen von Armut und sozialer Ungleichheit weiter vertieft und verbreitert werden. Aufgerufen zu dieser Diskussion ist der politische Bereich ebenso wie die Fachöf

fentlichkeit. – „Die Debatte über die Weiterentwicklung der Armutsberichterstattung in Berlin und insbesondere über die räumliche Verteilung von Armut muss auch die Belange und Erkenntnisinteressen vor Ort von bezirklichen, freien und privaten Trägern und Akteuren aufgreifen...“

In diese Debatten einzubinden sind Ihre gut gemeinten

Vorschläge, meine Damen und Herren von der CDU. Ihre Forderungen nach mehr Elternarbeit in den Kitas sozialer Brennpunkte verstärken, nach Konzepten gegen Verschuldungskarrieren von Jugendlichen und Ihre Forderungen nach besseren Voraussetzungen für die weitere Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen in den Berliner Bezirken ist immer richtig und wichtig. Gleichwohl wissen Sie nur zu gut, dass Ihre Vorschläge sowohl Landes- als auch Bezirksaufgaben ansprechen.

Ich finde, die nachhaltigsten Handlungsstrategien

müssen vor Ort gefunden werden, bezirkliche Handlungsstrategien müssen auf die bezirklichen Ressourcen abgestimmt werden und sich in Zusammenarbeit mit bezirklichen, freien und privaten Trägern und Akteuren entwickeln.

Ihre Positionen sind zu kurz gegriffen. Unsere Vor

stellungen, Schlussfolgerungen aus dem ersten Armutsbericht zu ziehen, sollen folgende Schwerpunkte

berücksichtigen:

- Kontinuierliche und systematische Sozial- und Ge

sundheitsberichterstattung, die handlungsorientierende Grundlagen liefert,

- sozialräumliche Sozial- und Gesundheitsplanung in

Abstimmung mit der Jugendverwaltung,

- Handlungsstrategien vor Ort finden und Bündelung

der Aktivitäten,

- Entwicklung von Qualitätsstandards und Bewertungs

kriterien für soziale Handlungsansätze – auch in den von der CDU eingebrachten Themen.

Die Anträge der CDU-Fraktion beziehen sich auf den Armutsbericht. Über 2,77 Millionen Haushalte in der Bundesrepublik sind nach dem Gutachten der GPForschungsgruppe – (bezogen auf die Jahre 1988 bis 1999) – betroffen. 12,8 % der Berliner Bevölkerung gelten nach der Definition der OECD und der EU als arm. Damit sind 435 000 Menschen von Armut betroffen. Das heißt, deren Einkommen liegt unter 546 Euro. Abhängig ist der Anteil der Armen von der Haushaltsgröße und -struktur. Letzteres beinhaltet: Je mehr Kinder ein Haushalt hat, umso schlechter ist seine wirtschaftliche Lage.

Die Folgerungen, wie sie im Antrag der CDU Druck

sache 15/1015 über „Elternarbeit in den Kitas sozialer Brennpunkte verstärken“ stehen, finden daher Zustimmung. Dies gilt auch für den Antrag der CDU Drucksache 15/1016 über „Konzept gegen Verschuldungskarrieren von Jugendlichen vorlegen“. Frühzeitig muss der potentiellen Überschuldung junger Bürger entgegengewirkt werden.

Der Antrag der CDU Drucksache 15/1017 findet nicht

ungeteilten Zuspruch bei der FDP-Fraktion, da in Anbetracht der Haushaltslage eine „auskömmliche“ Ausstattung der Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen zu unbestimmt und damit nicht bestimmt genug ist.

Die Ergebnisse des Berliner Armutsberichtes haben

den in verschiedenen Sozialberichten der letzten Jahre bereits offenbarten Trend bestätigt: Die Zahl der Armen wächst, und die Kluft zwischen Arm und Reich driftet immer weiter auseinander. Über 13 Prozent aller Berliner leben inzwischen unterhalb der Armutsgrenze. Besonders alarmierend: die wachsende Armut von Kindern. Bereits jede fünfte Familie mit Kindern unter 18 Jahren ist auf Sozialhilfe angewiesen. Bei den Alleinerziehenden sind es sogar mehr als 50 Prozent. Die Folgen materieller Armut sind kulturelle, soziale und gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Ursache für Armut und soziale Ausgrenzung ist vor

allem längerfristige Arbeitslosigkeit. Zur Armutsbekämpfung gehören deshalb Qualifizierung und Integration in den Arbeitsmarkt, aber auch die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Die im Armutsbericht hierzu aufgeführten Handlungs

optionen sagen nichts wirklich Neues. Und sie sind angesichts des von Rot-Rot verabschiedeten Haushalts 2002/2003 schon jetzt weitgehend Makulatur. Denn mit unsozialen Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik, bei den Kindertagesstätten und bei der sozialen Infrastruktur - wie z. B. der Sozialberatung und den Schuldnerberatungsstellen - lässt sich Armut und ihre Folgen für die Betroffenen in Berlin nicht bekämpfen.

So greifen denn die von der CDU heute hier unter