Protocol of the Session on November 14, 2002

Paul von Hindenburg aus der Ehrenbürgerliste Berlins streichen

Antrag der Grünen Drs 15/923

Hierzu bestand ein Beratungsvorbehalt der Fraktion der Grünen, der aufrechterhalten wird. Ich erteile zunächst das Wort der Abgeordneten Frau Ströver. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Paul von Beneckendorff und von Hindenburg soll, so ist der Vorschlag unserer Fraktion, aus der Ehrenbürgerliste der Stadt Berlin gestrichen werden.

[Sen Strieder: Oh!]

Wir greifen damit eine Petition auf, die an den Petitionsausschuss dieses Abgeordnetenhauses gerichtet wurde. Der Petitionsausschuss mochte sich keine Meinung dazu bilden, sondern hat dieses Ansinnen an die Fraktionen zur weiteren Prüfung übergeben.

Berlin sollte sich die Aufnahme von Personen in die Liste der Ehrenbürger unserer Stadt nicht leicht machen und jedes Mal sehr ernsthaft und intensiv prüfen. Und ich denke übrigens, dass die jüngste Entscheidung, die wir in 14 Tagen mit der Aufhängung des Porträtbildes hier in unserer Galerie vornehmen werden, Egon Bahr zu ehren, eine richtige

Entscheidung ist, nämlich, Personen zu Lebzeiten für ihre Tätigkeit für diese Stadt zu ehren.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Auch die Streichung aus dieser Ehrenbürgerliste sollte sehr sorgfältig überlegt und geprüft werden. Es braucht tatsächlich eine intensive Diskussion, denn es muss natürlich beachtet werden, dass die Erteilung einer Ehrenbürgerschaft immer auch im Kontext zur jeweiligen Zeit steht, in der diese Ehrenbürgerschaft ausgesprochen worden ist. Und so haben auch wir uns die Entscheidung, diesen Antrag zu stellen, nicht leicht gemacht. Trotzdem glauben wir, dass es wichtige Gründe für uns gibt, diesen Antrag heute zu stellen, weil er auch ein Signal dafür gibt, dass wir vor einem wichtigen Gedenktag stehen, nämlich dem 30. Januar 2003, dem 70. Jahrestag der Machtübernahme der Nationalsozialisten, in deren unmittelbarer Folge Paul von Hindenburg zum Ehrenbürger Berlins erklärt worden ist.

Es ist sehr interessant, wenn man sich die Geschichte dieser Ehrenbürgerschaft genauer anguckt. Es ist so, dass Hindenburg in zahlreichen deutschen Städten für seine angeblich großartige Leistung als Kriegsherr – Sie wissen alle, die Schlacht von Tannenberg und dergleichen mehr – bereits in zahlreichen Städten auf der Ehrenbürgerliste war.

[Dr. Lindner (FDP): Ja!]

Er war es nicht in Berlin. – Herr Lindner, hören Sie zu, damit Sie historisch weitergebildet werden. Das kann Ihnen nichts schaden.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, zu der Paul von Hindenburg einen wichtigen Teil beigetragen hat, wurde systematisch durch ganz Deutschland, und zwar insgesamt in 4 500 Gemeinden und Städten, der Antrag auf Ehrenbürgerschaft für Hindenburg gestellt – immer gemeinsam mit Adolf Hitler. Und tatsächlich war es so, dass immer die beiden im Schlepptau als nationalsozialistische Danksagungsgeste für Hindenburg, die beiden gemeinsam, ernannt wurden. Allein dieser Hintergrund der Ernennung rechtfertigt es heute, zu sagen, diese Ehrenbürgerschaft, die Hindenburg deswegen erhalten hat, weil er Hitler zum Reichskanzler berufen hat, muss heute zurückgenommen werden.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Als Reichspräsident hat Hindenburg der nationalsozialistischen Diktatur den Weg gewiesen. Ich brauche Ihnen nicht die einzelnen Maßnahmen, die er unmittelbar im Nachgang der Übernahme der

Macht durch die Nazis mit vollstreckt und vollzogen hat, zu nennen. Wir werden das im Ausschuss massiv und intensiv diskutieren. Das können wir hier nicht in fünf Minuten, das wollen wir auch nicht.

Frau Ströver! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Felgentreu von der SPD-Fraktion?

Nicht so gern, Herr Felgentreu, wir haben ja schon von Tisch zu Tisch darüber diskutiert. Ich würde Ihnen gern noch einmal Argumente auf den Weg geben. Kommen Sie gerne in den Kulturausschuss. Ich denke, da werden wir ausführlich diskutieren. Auch Kollege Stölzl hat sich schon angekündigt und wird hoffentlich dort unsere Intention mittragen.

Hindenburg hat mehrfach die Weimarer Verfassung, auf die er geschworen hat, gebrochen. Er war das willfährige Werkzeug der Nazis. Hindenburg war der Letzte von denen, die während der Nazidiktatur zum Ehrenbürger Berlins ernannt worden sind, der noch nicht gestrichen worden ist. Alle anderen wurden von der Stadtverordnetenversammlung Berlin nach dem Krieg von der Ehrenbürgerliste gestrichen. Hindenburg ist der Letzte, der übrig blieb.

Wir sollten uns überlegen, wie wir weiter mit der Ehrenbürgerfrage umgehen. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, wie es Hamburg macht, ob man nicht die Ehrenbürgerschaft nur auf das Leben der Menschen beschränkt. Aber das ist sicherlich eine weiterführende Frage zum Umgang mit Ehrenbürgerschaften. Im großen und ganzen möchte ich zum Schluss ein Zitat des verehrten Kollegen Stölzl nennen. Auf die Frage, wie man mit der Ehrenbürgerwürde Hindenburgs in Berlin umgehen solle, sagte er – ich darf ihn hoffentlich zitieren –:

Es sollte ohne Fraktionszwang entschieden werden. Hindenburg ist eine widersprüchliche Gestalt. Man wünscht ihn sich lieber ins Geschichtsbuch als auf einen Sockel. In diesem Sinne sollten wir diskutieren. Ich hoffe sehr, dass Sie dann unserem Antrag folgen werden.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Danke schön! – Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Momper das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gewiss, Hindenburg ist eine umstrittene Persönlichkeit. Wenn man allerdings auf die Ehrenbürgerliste blickt, findet man viele andere, die zu Lebzeiten oder etwa auch in anderen Ländern hoch umstritten waren und sind. Ich möchte dafür plädieren, dass man die gesamte

Ehrenbürgerliste in ihrer Zusammensetzung auch als ein Dokument der Geschichte nimmt. Es gibt keinen allgemein gültigen Maßstab für Ehrenbürgerschaften. Wir, die wir heute in Kenntnis der Geschichte leben, wissen sowieso immer alles besser, weil wir den Ausgang der Geschichte kennen. Das konnten die, die damals gehandelt haben, nicht in jedem Falle.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP]

Die Ehrenbürgerliste unserer Stadt repräsentiert eben Glanz und Schatten der Geschichte. Gewiss, wir kommen vom Rathaus, wir wissen es besser.

Aktuell ehren wir nicht jeden, der auf der Ehrenbürgerliste steht. Wir hatten vor kurzem in diesem Saal das Vergnügen, Rudolf Virchow, diesen bedeutenden Liberalen, Wissenschaftler, Arzt, Humanisten und Politiker zu ehren. Bei anderen lassen wir das. Natürlich bin ich auch der Meinung, dass man Mörder und Menschenschinder oder Leute, die auf diese Liste nicht gehören, weil die besondere Leistung nicht ersichtlich ist, darauf nicht dulden sollten. Aber mit Zufallspunkten den einen oder anderen herauszugreifen und für etwas haftbar zu machen, wofür er eigentlich nicht steht, halte ich politisch für falsch.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP]

Ich persönlich werde mich gern dafür einsetzen, dass wir – nicht nur im Ausschuss – mit einigen Wissenschaftlern, mit Historikern, Symposion über die Bedeutung von Ehrenbürgerlisten und wie man damit umgeht, veranstalten, um eine objektivere und distanziertere Beurteilung zu ermöglichen.

Ich will vier oder fünf Anmerkungen zu Hindenburg machen: Natürlich war das ein Monarchist, wie er im Buche steht – Chef des Generalstabes, stockkonservativ, aber er war sehr populär, weil er der Verteidiger Ostpreußens gegen die zaristische Armee 1914/15 gewesen war. Er war populär, deshalb wurde er Chef der Heeresleitung.

Ein Punkt betrifft den November 1918 – wenn man über die Wahrheit spricht, dann muss man – der Blick ins Geschichtsbuch hilft manchmal – bei der Wahrheitsfindung auch alles sagen: Er ist es gewesen, der Wilhelm II. gesagt hat, an der Spitze des Heeres von Spa aus zurück ins Reich zu marschieren, gibt es nicht. Das hat er mit Groener seiner Majestät gesagt, das hat unserem Land den Bürgerkrieg in der Situation erspart.

Zweiter Punkt – 1925, die Kandidatur: 1925 haben die Rechten zum zweiten Wahlgang – –

[Zuruf der Frau Abg. Ströver (Grüne)]

Lassen Sie mich doch mal ausreden, verehrte Frau Ströver! – 1925, zum zweiten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl haben die Rechten, weil sie sahen, mit Dr. Jarres können sie die Wahl nicht gewinnen, Hindenburg nominiert. Daraufhin wurde nicht Otto Braun, der im ersten Wahlgang 8 Millionen Stimmen bekommen hatte, sondern von den demokratischen Parteien, also von Zentrum, DDP und von den Sozialdemokraten, der ehemalige Reichskanzler Marx nominiert. Marx ist es nicht geworden, sondern, weil die Bayerische Volkspartei zu Hindenburg gegangen ist, wurde es Herr Hindenburg. Darüber war allgemeines, ziemliches Entsetzen. Aber wo liegt der Vorwurf gegen Hindenburg? – Dass er kandidiert hat? Liegt der Vorwurf dagegen, dass die Rechten ihn nominiert haben? – Wenn überhaupt, dann hat in der Situation die Kandidatur von Thälmann die Wahl des demokratischen, oder, wenn Sie so wollen, des linken Präsidenten vereitelt.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP]

Eine Haltung – da klatscht die CDU vielleicht ein bisschen zu früh –, die übrigens das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale auch kritisiert hat, die nämlich aufgefordert hatten, sich mit der SPD zusammenzusetzen, aber die linksradikale KPD hat es in der Situation nicht gewollt.

Fast alle wichtigen Historiker sagen, dass sich Hindenburg in den sieben Jahren seiner ersten Präsidentschaft absolut legalistisch und demokratisch verhalten hat. Er hat sieben Jahre lang ohne jede Notverordnung regiert, was zum Beispiel sein Vorgänger, der von uns allen vermutlich verehrte Friedrich Ebert, in seiner Amtszeit nicht getan hatte.

[Frau Ströver (Grüne): Das stimmt doch gar nicht!]

1932 wollte Hindenburg nicht kandidieren – auch wegen seines Alters; immerhin war der Mann 85 Jahre alt, er fühlte sich persönlich überfordert. Es ist dann so gewesen, dass Brüning und alle anderen demokratischen Parteien, d. h. wiederum Zentrum, SPD und auch die Deutsche Demokratische Partei, versucht haben, ihn zu beknien, damit er kandidiert, um Hitler zu verhindern. Denn alles andere hätte bedeutet, Hitler wäre Reichspräsident geworden. Und sie haben es erst geschafft, nachdem der Oberbürgermeister Sahm innerhalb weniger Wochen drei Millionen Unterschriften im ganzen Reich für Hindenburgs Kandidatur gesammelt hatte. Die Zahlen – ich will sie jetzt nicht nennen – zeigen dann auch, ohne Hindenburg wäre Hitler es geworden. Gewiss, Thälmann kandidierte auch wieder und verhinderte dadurch vielleicht andere Mehrheiten, die möglich gewesen wären. Nur frage ich Sie: Was ist der Vorwurf?

Nun komme ich kurz zu dem letzten Punkt, die Ernennung Hitlers: Es war ja gerade die legalistische Haltung von Hindenburg, dass er einen Reichskanzler ernennen wollte, der auch die Mehrheit des Parlaments hatte. Und das war unter den gegebenen Umständen nicht mehr Brüning, es war nicht von Papen, es war nicht Schleicher – Hitler hatte die Mehrheit im Reichstag, und da sind wir bei dem eigentlichen Punkt. Und deshalb bin ich auch dagegen, zu sagen, Hindenburg ist schuld. – Das deutsche Volk hatte – leider, das müssen wir doch einbekennen – die Hitler-Mehrheit von DNVP und Nationalsozialisten gewählt. Damit hatte Hitler die Mehrheit im Parlament.

Und alles, was dann kommt, auch der Vorwurf, er habe die Notverordnung unterzeichnet – also, was hätte denn der Reichspräsident machen sollen, wenn der Reichskanzler, der mit demokratischer Mehrheit des Parlaments ausgestattet war, ihm die vorlegte? – Natürlich war der Mann überfordert, überhaupt gar keine Frage. Es war die Herrschaft der Kamarilla, die ihn beriet. – Auch das ist alles richtig. Aber bitte urteilen Sie selber, ob man einer historischen Persönlichkeit mit allen Einschränkungen, allen Grenzen, allem, was dann Verhängnisvolles über die deutsche Geschichte daraus folgte, nicht vielleicht etwas gerechter werden kann.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP]

Danke schön! – Für die CDU-Fraktion hat das Wort Herr Abgeordneter Apelt!

[Frau Ströver (Grüne): Ich hoffe, Sie stellen das richtig, dass die Wahl von Hitler ein demokratischer Akt war, Herr Apelt!]

Herr Präsident ! Meine Damen und Herren! Frau Ströver! Geschichte ist nicht so einfach, wie Sie sich manchmal Geschichte machen wollen. Wir können es uns auch mit Hindenburg nicht so einfach machen. Immerhin war er zweimal – Herr Momper hat darauf hingewiesen – gewählter, in der freien Wahl gewählter Reichspräsident der Weimarer Republik. Er war zweifelsohne eine tragische Figur, genauso tragisch wie das ganze 20. Jahrhundert. Tragisch, weil er als Reichspräsident lange Zeit zwischen den politischen Extremen Links und Rechts stand und versuchte, zu vermitteln, wo nichts zu vermitteln war, und die Weimarer Verfassung verteidigte.

Er war es, der 1932 gegen Thälmann und gegen Hitler kandidierte und beide verhinderte. Man stelle sich vor, er war Hitler um 6 Millionen Stimmen überlegen. Hitler hatte 13 Millionen Stimmen, Hindenburg 19 Millionen Stimmen, Thälmann 3 ½ Millionen Stimmen. – Was wäre 1932 eigentlich geworden,

wenn Hitler die Wahl gewonnen hätte, wenn nicht so ein starker Kandidat wie Hindenburg angetreten wäre – übrigens unterstützt von vielen demokratischen Parteien? – Also, wir sollten bei der Einschätzung Hindenburgs natürlich auch Rücksicht nehmen auf den damaligen Zeitgeist. Beide Extreme wollten diese Weimarer Republik nicht. Der eine – Hitler nämlich –, weil er das Versailler System bekämpfte, und der andere, Thälmann, weil er ohnehin gegen das kapitalistische System war. Beiden war eines gemeinsam: Beide wollten diese Weimarer Republik nicht, beide wollten nicht einen bürgerlichen Rechtsstaat, wie wir ihn heute noch kennen. Stellen Sie sich vor, liebe Frau Ströver, wir säßen in einem Parlament, in dem die stalinistischen Kommunisten um Thälmann und die Nazis um Hitler die absolute Mehrheit haben. Wie wollten Sie dann regieren? – Das hat Hindenburg zu spüren bekommen. Und das Tragische an ihm ist möglicherweise auch, dass er, der Monarchist war, ausgerechnet als Monarchist diese Verfassung verteidigen wollte und verteidigen musste, an der er eigentlich gar nicht hing. Er hatte 1933 nur die Möglichkeit – und das ist sozusagen die Tragik, wir wissen, wie sie geendet hat: Die Menschen damals wussten ja nicht, was das Ende war und sein konnte –, zu entscheiden zwischen einer Militärdiktatur unter Schleicher auf der einen Seite oder einer Koalitionsregierung unter Hitler auf der anderen Seite. Deutschland stand 1932 – auch das muss man sich einmal in Erinnerung rufen – kurz vor einem Bürgerkrieg. Deutschland hatte riesige wirtschaftliche Probleme – 8 Millionen Arbeitslose –, und die politischen Extreme wurden immer stärker. Die Nazis hatten seit Sommer 32 230 Abgeordnete im Reichstag von, ich glaube, knapp 600 Mandaten. Das Bestreben Hindenburgs war – da muss man auch versuchen, seiner Figur gerecht zu werden –, einerseits so lange wie möglich die Nazis zu verhindern, auch natürlich die Kommunisten zu verhindern, weil er die Weimarer Verfassung verteidigen wollte. Er hat sich lange Zeit gesträubt, Hitler, von dem er eigentlich nicht viel hielt, zu berufen. Sie kennen alle den Ausspruch, dem kleinen Gefreiten traue ich sowieso nichts zu – er, der große Hindenburg –.