Protocol of the Session on November 14, 2002

Ich will noch zu vier Schwerpunkten Stellung nehmen – erstens zur Notwendigkeit der Neuordnung in der Kitalandschaft, zweitens zur Notwendigkeit der Umgestaltung der vorschulischen Förderung und des Übergangs in die Schule, drittens zum Ausbau der Ganztagsbetreuung für die Grundschulkinder und viertens zur Reform der Erzieher- und Erzieherinnenausbildung.

Erstens – zur Notwendigkeit, die Kitalandschaft neu zu ordnen, habe ich mich bereits mehrfach geäußert, zuletzt im Rahmen der Aktuellen Stunde zum Thema „Vorschulische Ausbildung verbessern – gleiche Startchancen sichern“ Mitte Juni dieses Jahres.

[Zuruf der Frau Abg. Jantzen (Grüne)]

Wir haben gerade in der frühkindlichen und vorschulischen Förderung und Erziehung erheblichen Handlungsbedarf, nämlich inhaltlich, personell und strukturell. PISA hat bestätigt, dass wir Kitas als Bildungseinrichtungen ernst nehmen müssen. Das verlangt eine Verstärkung der inhaltlichen Ausrichtung der Arbeit. Kinder sollen ausgehend von ihren individuellen Voraussetzungen, ihren Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen gefördert werden. Es geht darum, endlich auch solche Eigenschaften wie positive Lebens- und Lerneinstellungen, Arbeit in der Gruppe im Kindergarten weiter auszuprägen. Der

Kindergarten soll Schule nicht vorwegnehmen, aber Voraussetzungen schaffen für eine Entwicklung der Persönlichkeit in geistiger und körperlicher Hinsicht, so wie es die Finnen sagen: Auf den Anfang kommt es an.

[Dr. Lindner (FDP): Das ist ein Allgemeinplatz!]

Frühförderung ist der Schlüssel der Chancengleichheit. Um allen Kindern gleiche Startchancen zu sichern, brauchen wir ein Bildungsprogramm, das wir dringend vom Senat fordern, aber auch verlässliche und vergleichbare Rahmenbedingungen für alle Kitas, egal ob sie in öffentlicher oder freier Trägerschaft sind.

[Beifall der Frau Abg. Jantzen (Grüne)]

Wir wollen den Übertragungsprozess fortsetzen. Zwei Drittel der Kitaplätze in Berlin – Sie wissen es – sollen von freien Trägern angeboten werden. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, doch wir wollen gemeinsam mit den Bezirken diese Voraussetzung schaffen. Da reicht es eben nicht aus, nur eine Arbeitsgruppe zu bilden und oberflächlich die Bedingungen dazu zu prüfen. Wir wollen die Bezirke mit den Prozess einbeziehen sowie Verlässlichkeit und Planungssicherheit gewährleisten.

Zweitens – zur vorschulischen Förderung: Eine Evaluation der Angebote in Kita und Vorklasse hat es dort nie gegeben, wohl aber ernst zu nehmende Hinweise aus der Statistik. Obwohl 95 % aller Vorschulkinder eine vorschulische Förderung in Kita oder Vorklasse in Anspruch nehmen, wurden im Schuljahr 1999/2000 fast 12 % der Kinder, d. h. jedes achte schulpflichtige Kind, vom Schulbesuch zurückgestellt. Das waren ca. 2 800 Kinder. Dies allein, ergänzt durch die Erkenntnisse der PISAStudie und des 11. Kinder- und Jugendberichts, muss Anlass für uns sein, vor allem der Qualität der vorschulischen Förderung verstärkt Aufmerksamkeit zu widmen. Es ist angedacht, die Förderung in der Vorklasse grundsätzlich in die Kitas zu verlagern, den Schuleintritt vorzuziehen und eine flexible Schuleingangsphase einzurichten, als Voraussetzung dafür, dass kein Kind mehr vom Schulbesuch zurückgestellt werden muss. Wir wollen eine Entscheidung allerdings nicht vorwegnehmen. Der Senat muss sich dazu konzeptionell äußern und seine Entscheidung begründen.

Ein dritter Punkt: Auch die Ganztagsbetreuung der Grundschulkinder bewegt uns. Über die Notwendigkeit des Ausbaus dieser Angebote möchte ich an dieser Stelle allerdings nichts mehr sagen. Ich glaube, da gibt es Konsens. Auch in der Koalitionsvereinbarung gibt es dazu klare Festlegungen. Wir müssen endlich die unbefriedigende Situation überwinden, die mit der aktuellen Struktur verbunden ist,

eine Struktur, die die Stadt nach wie vor teilt, die von unterschiedlichen Rahmenbedingungen, Ausstattungen und vor allem unterschiedlichen Bedarfsdeckungsgraden gekennzeichnet ist. Hier sehen wir einen erheblichen Handlungsbedarf. Auch angesichts der vom Bund angekündigten Finanzmittel zum Ausbau der Ganztagsbetreuung erwarten wir vom Senat, dass er mit überzeugenden Argumenten den Nachweis erbringt, dass das zu erwartende Geld gut im Interesse der besseren Förderung der Kinder und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf angelegt wird.

[Zuruf der Frau Abg. Jantzen (Grüne)]

Ich komme zu Punkt 4: Um den Kindergarten zu einer wirklichen Bildungseinrichtung zu entwickeln, die die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder fördert und sie bestens auf die Schule vorbereitet, brauchen wir gute Erzieherinnen. In Finnland, Schweden und anderen europäischen Ländern haben Kitaerzieherinnen einen akademischen Abschluss. Leider ist es mir auf Grund der Zeit jetzt nicht mehr möglich, dazu noch weitere Ausführungen zu machen. Ich möchte jedoch deutlich machen, dass wir in Berlin über den eigenen Tellerrand sehen müssen. Erst kürzlich konnte ich mich in Finnland davon überzeugen.

Was die politische Ebene beispielsweise in Finnland angeht, hat mich besonders überrascht, wie man trotz aller Unterschiede bereit ist, über Parteigrenzen hinweg im Interesse der Kinder und ihrer Familien gemeinsam zu beraten und schnell und effizient zu entscheiden. Es herrscht eine Kultur des Umgangs miteinander, die weniger auf Profilierung und Effekthascherei setzt, sondern vor allem auf Realismus, Vernunft und Praktikabilität. Man könnte es sich auch aus Kostengründen nicht leisten, weniger in die Bildung und Förderung der jungen Generation zu investieren, wurde uns gesagt. Staat und Gesellschaft fühlen sich in Finnland für jedes Kind verantwortlich. Eltern werden nicht allein gelassen.

Bis dahin haben wir in Berlin noch einen weiten Weg. Mit Ihrer Zustimmung zu unseren Anträgen könnten erste Schritte getan werden. – Danke schön!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön! – Das Wort für eine Kurzintervention hat jetzt der Abgeordnete Borgis.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Dr. Barth! Man sollte sich der Redlichkeit halber, wenn man hier schon anfängt, sich über schlechte Jugend- oder Kitapolitik in den letzten Jahren zu beklagen, darüber im Klaren sein, wer in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten den Schul

senator bzw. die Schulsenatorin gestellt hat. Mir fallen dabei Frau Stahmer und Herr Böger ein.

[Zurufe: Klemann!]

Klemann auch, das ist richtig. Aber wir wollen doch nicht vergessen, meine Damen und Herren von der SPD, dass die SPD Schulsenatorinnen und Schulsenatoren gestellt hat. Es war die SPD, die fast ein Jahrzehnt lang die CDU daran gehindert hat, zum Beispiel Kitas in private Trägerschaft zu überführen. Dagegen haben Sie sich lange erheblich gewehrt.

[Beifall bei der CDU]

Wir haben das immer gefordert. Heute ziehen Sie PISA heran und sagen: Jetzt wollen wir zwei Drittel privatisieren. – Das hätten Sie mit uns längst haben können. Seien Sie, wenn Sie schon Kritik üben, redlich, Frau Dr. Barth!

Danke schön! – Frau Dr. Barth, Sie haben die Möglichkeit darauf zu antworten.

Herr Borgis, bestätigen Sie meine Aussage: erstens, dass Sie an der Regierung beteiligt waren, und zweitens, dass Sie sämtliche Kürzungen im Kitabereich mit zu verantworten haben? Sie tragen dafür Verantwortung, wie die Situation jetzt im Kitabereich ist.

[Borgis (CDU): Ich habe über etwas anderes gesprochen!]

Danke schön! – Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Dr. Augstin das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir hatten vor dieser Anfrage einen Scherbenhaufen und haben nun wieder einen. Dieser zweite wird jedoch von der CDU nicht jetzt, sondern in der Zukunft gesehen. Diese Einschätzung teile ich.

Ich teile zudem die Einschätzung von Herrn Körting, der im Rahmen der Kriminalprävention darauf hingewiesen hat, dass die Sicherheitspolitik nicht nur in der Existenz der Polizei besteht, sondern auch in der Prävention. Die jungen Menschen müssen frühzeitig lernen, miteinander umzugehen, und zwar auf rechtsstaatlicher Ebene und nicht auf krimineller. Damit dieses möglich ist, ist Sicherheitspolitik auch immer Kita- und Jugendpolitik.

[Frau Jantzen (Grüne): Andersrum wird ein Schuh draus!]

Denn erst wenn unsere junge Generation sozialpädagogisch lernt, miteinander richtig umzugehen, wird es weniger Kriminalität in Berlin geben. Deshalb ist es besonders aus bildungspolitischen Gründen und für die Zukunft der Stadt wichtig, dass Bildungspolitik – und diese beginnt nicht erst mit dem Schulbereich, sondern davor – auch einen angemessenen Stellenwert bekommt.

[Beifall bei der FDP]

Wenn Bildungspolitik hohe Priorität erhält, wofür sich unser Schulsenator einsetzt, dann darf das nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, sondern man muss auch darauf achten, wie damit umgegangen wird – und dies auch bei einer schwierigen finanziellen Lage. Wir können verstehen, dass auch im Kita- oder Jugendbereich gespart werden muss. Die Stadt kann es sich nicht mehr leisten, da, wo es entbehrlich ist, etwa bei vielen Hilfen, nicht zu sparen. Aber da, wo es um die Qualität der Kitas und damit um die Bildung unserer Jugend geht, darf das nicht sein, denn die Jugend ist der Investitionsbeitrag für eine Zukunft der Stadt.

Frau Tesch und Frau Schaub haben gesagt, es wäre schön, wenn wir zu einer kostenfreien vorschulischen Betreuung kämen. Herr Böger hat das offensichtlich gegenüber der „Morgenpost“ auch so gesagt. Natürlich haben wir Liberalen auch dieses Ziel, aber wer will das bezahlen? Aus welchen Kassen soll das kommen?

[Zurufe]

Es gibt bestimmte Bereiche, da muss man sich ernsthaft überlegen, ob in der heutigen Zeit nicht doch Kosten für eine vorschulische Betreuung möglich sind, und zwar da, wo die sozialen Brennpunkte sind. Deshalb treten wir dafür ein, die Vorschule mit den geringen dafür zu entrichtenden Kosten in den sozialen Brennpunkten zu erhalten. Das ist eine andere Haltung als die der Grünen oder der Koalitionsfraktionen. Wir meinen, man muss schwerpunktmäßig mit den richtigen Mitteln an die Dinge herangehen. Man kann nicht mit der Rasenmähermethode kommen und sagen: Es ist egal. Alle müssen darunter leiden. Das Leid kommt dann über die Stadt. – Das kann nicht sein.

[Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Brauer (PDS)]

Es geht schließlich um eine Weichenstellung für die jungen Menschen, für ihre Lebenschancen.

Gerade jetzt wurde von Herrn Böger ein neues Ergebnis veröffentlicht. In der „Morgenpost“ kann man lesen, dass 46 000 Berliner Schüler regelmäßig schwänzen. Ich weiß nicht, was die Grundlage für

diese Zahl ist, aber immerhin gibt es die Aussage, dass 16 Prozent von ca. 300 000 Schülern mit Fehlzeiten versehen sind, die größer sind als 10 Tage im Jahr. Das stimmt bedenklich. Wenn man zudem erfährt, dass es 2 335 Schulversäumnisanzeigen gibt, dann müsste man meinen, das stehe in einem falschen Verhältnis. Aber das Verhältnis wird noch skurriler, wenn man weiß, dass im Wedding gar keine Meldungen erfolgen. Herr Böger, Sie haben einen Appell an Eltern, die Schulen und die Ämter gerichtet. An die Eltern können Sie Ihren Appell richten, aber bei den Schulen haben Sie die Aufsicht, und die Ämter liegen in Ihrer Zuständigkeit. Da hätten Sie längst etwas unternehmen können.

[Beifall bei der FDP]

Es ist doch längst bekannt, dass es zu diesem Schwänzen kommt – und das nicht nur in den sozialen Brennpunkten der Stadt, sondern selbst in Bezirken, die den geringsten Anteil daran haben, nämlich beispielsweise in Steglitz-Zehlendorf. Ich weiß durch die Berichte meiner Frau, wie dramatisch sich das darstellt. Für diese Kinder fällt nicht nur der Schulunterricht aus, sondern man muss sich fragen, was sie in dieser Zeit machen. Man kann nicht davon ausgehen, dass sie in dieser Zeit etwas Sinnvolles lernen. Es kommt also darauf an, im vorschulischen Bereich eine Lernkultur zu entwickeln. Das fordern Sie auch, Herr Böger. Aber wie soll denn das zustande kommen? – Durch Appelle wird da nichts passieren. Da muss man gezielt Mittel einsetzen. Und wenn Sie heute sparen, dann können wir das noch verstehen, dass Sie bei der Gruppengröße in den Kitas sparen. Aber dass Sie auch sparen im Leitungsanteil, der nicht nur einfach so da ist, weil die Leitung irgendwie besser gestellt werden soll, nein, da werden ganz wichtige pädagogische Aufgaben geleistet. Die fallen dann weg. Das sind gerade die Qualitäten, die wir brauchen in den Kitas. Was hilft die beste Qualitätsinitiative, die Sie uns hier ankündigen? Womit wollen Sie denn gestalten, wenn die Leitungen alle überlastet sind? – Das werden Sie sich wahrscheinlich selbst fragen, deshalb brauche ich diese Frage an Sie nicht richten. Ich kann Ihnen dabei nur viel Erfolg wünschen. Denn was bleibt denn dieser Stadt, wenn Sie keinen Erfolg haben? – Dann wird diese Stadt den jungen Generationen keine Zukunft bieten können.

[Beifall bei der FDP – Beifall der Frau Abg. Dr. Hiller (PDS)]

Wie haben Sie zur Anfrage der CDU gesagt? – Ich habe es mir aufgeschrieben: Sie haben das „Begründungspolemik“ genannt. Gut, es mag Ihnen das Eine oder das Andere nicht gefallen haben an der Begründung, aber diese Anfrage ist etwas sehr Wichtiges, denn sie zeigt die kritische Situation, die

es derzeit in der Stadt gibt. Die kritische Situation ist dadurch geprägt, dass eine der wichtigsten Aufgaben dieser Stadt den Bach runtergehen wird, wenn hier nicht bei Ihnen letztlich ein Umsteuern erfolgt.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Nun möchte ich kurz zu den verschiedenen Anträgen kommen. Wir meinen, es kann nicht sein, dass bewährte Einrichtungen von heute auf morgen an die Existenzschwelle kommen wie die Schulläden, die aufgrund der Größe und der Kürzungen keine Lebensfähigkeit mehr haben. Natürlich sagen Sie, oder besser: sagt Ihre Verwaltung, sie duldeten jetzt eben Überbelegungen, man drücke jetzt die Augen zu. Das ist keine Lösung. In diesen Einrichtungen muss mindestens für eine Übergangszeit eine sinnvolle Arbeit gemacht werden können.

Herr Dr. Augstin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mutlu?

Bitte, Herr Mutlu!

Dann haben Sie das Wort, Herr Mutlu!