Protocol of the Session on May 16, 2002

Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Mit ganz großen und vielfach guten Vorsätzen sind Sie, Herr Senator Böger, in die Regierungsverantwortung gestartet. Das Vorschaltgesetz sollte im Vorfeld des großen neuen Schulgesetzes bereits zum neuen Schuljahr mehrere Dinge regeln, unter anderem Schulen mehr Eigenverantwortung zubilligen, den Schulalltag entbürokratisieren, denn hierauf warten Schulleiter, Schulleiterinnen, Lehrkräfte, und letztendlich warten auch wir darauf seit sehr langer Zeit. Und was ist daraus geworden? – Ich kann nur sagen: Viel Lärm um nichts.

§ 18 a – zur Lehr- und Lernmittelfreiheit: Es war ursprünglich Ziel, den Schulen das Geld direkt zur Verfügung zu stellen, von der Verwaltung an die Schulen direkt, eine gerechte, einfache und unbürokratische Lösung. Die Bezirke hätten dabei weniger Arbeit, die Schulen mehr Handlungsspielraum – prima. Dieses Gesetz steht jedoch schon im Gegensatz dazu. Hier sollen nämlich die Bezirke Wertausgleichsmaßnahmen durchführen, und damit bleibt ihr Einfluss weiter bestehen, die Schulen werden weiter entmündigt. Der genannte Passus ist wirklich kein Fortschritt in die Richtung Entbürokratisierung der Schule und nicht wirklich ein Fortschritt in Richtung Eigenverantwortung der Einzelschule. Wie soll irgendeine Form von Eigenverantwortung bei Schulen erreicht werden, wenn der Bezirk als großer Umverteiler auftritt und die Initiative im Keim erstickt? Dieser Passus ist ein Kotau vor den Bezirken und bedeutet letztendlich ein „Weiter so“. Hier fehlt der Mut zur überzeugenden einfachen Lösung, auf die alle dringend gewartet haben. Ich kann nur sagen: Schade.

[Beifall bei der FDP]

Schade auch, Herr Böger, für Sie war das immer so ein ganz wirkliches Essential, die Lehr- und Lernmittel von oben direkt nach unten zu überweisen. Wieso sind Sie eingeknickt?

§ 28 – Fremdsprachenfrühbeginn: Ein mutiger Schritt, möglicherweise ein überstürzter Schritt, wenn auch in die richtige Richtung. Den Fremdsprachenunterricht kann und muss man früh beginnen, kann und muss man gesetzlich regeln. Es bedarf aber der richtigen Rahmenbedingungen, um damit erfolgreich zu sein.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schaub?

Nein, ich habe zu wenig Zeit, und ich habe hier noch ein bisschen mehr zu sagen; vielleicht am Schluss, wenn ich noch Zeit habe. – Ich frage, denn ich zweifle in der Tat: Sind wirklich alle Lehrer und Lehrerinnen in Berlin inzwischen so weit, um einen qualifizierten Fremdsprachenunterricht in dieser Altersstufe lehren zu können? Sind wirklich alle Berliner Kinder zwischen 8 und 9 Jahren so weit, dass sie eine zweite, manche gar eine dritte Sprache erlernen können? Haben wir vorher, im Vorfeld, wirklich genug getan, um allen Kindern diese Chance zu ermöglichen? – Fragen, die sich mir stellen, insbesondere nach PISA, aber insbesondere, nachdem auch viele Lehrkräfte vor diesem Schritt warnen. Fragen, die sich mir auch stellen, nachdem sich viele oder einige prominente Berliner Wissenschaftler gegen einen solchen Schritt ausgesprochen haben, nämlich Kinder nichtdeutscher Herkunft, die weder ihre Muttersprache noch die deutsche Sprache richtig beherrschen, mit einer weiteren Sprache im wahrsten Sinne des Wortes zu belasten. Diese Warnungen der Wissenschaftler und der Lehrkräfte müssen wir ernst nehmen und in unsere Überlegungen mit einbeziehen. Ich warne hier vor zu viel Eifer. Lassen wir es noch bei der Begegnungssprache. Die Schulen sollen weiterhin die Entscheidung treffen, ob sie eine Fremdsprache anbieten wollen oder nicht. Die Schulen sollen dabei allerdings auch selber entscheiden können, welche Sprache sie unterrichten. Die Fixierung auf Englisch und so ein bisschen Französisch ist falsch. Denken wir auch hier an die gewünschte Profilbildung.

Nun zu den Aufnahmekriterien beim Übergang in die Oberstufe, § 29: Grundschulgutachten d’accord, Höchstgrenze in Klassenstufe 7 auch d’accord. Und jetzt geht es weiter mit

Satz 5, der regeln soll, wie verfahren wird, wenn die Zahl der Anmeldungen die Aufnahmekapazität überschreitet. Vier Punkte werden aufgeführt. Einer ist wichtig, das ist nämlich das Grundschulgutachten, alles andere könnte eigentlich der gesunde Menschenverstand regeln, der gesunde Menschenverstand von Schulleitern, Schulleiterinnen und Eltern. Und hier komme ich zu dem ganz wichtigen Punkt, der mir hier fehlt: Ist es wirklich so vorgesehen, dass der Schulleiter oder die Schulleiterin weiterhin null Entscheidungsbefugnis hat, wenn es um die Aufnahme von Neuzugängen geht? Also auch hier wieder ein Schritt rückwärts und kein Schritt in die Richtung Eigenverantwortlichkeit. Und es wird auch wieder auf Losentscheid gesetzt, das kann nicht sein! Es entscheidet wieder mal das Los über die Zukunft des Kindes, und das lehnen wir als Liberale völlig ab.

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Tesch (SPD)]

Die Schulleitung hat weiterhin nichts zu sagen. – Frau Tesch, ganz ruhig bleiben, ich war eben auch ruhig.

Kurz und gut, das Gesetz in der jetzigen Form lehnen wir ab. Wir werden im Ausschuss Änderungsvorschläge unterbreiten und wirkliche Verbesserungen für die Schulen anstreben und anregen. Dazu gehört auch, dass den Schulen 2 % der Personalmittel in bar zugewiesen werden, damit sie zukünftig auch kurzfristig den Vertretungsunterricht regeln können,

[Beifall bei der FDP]

ich finde, eine Superidee – Herr Mutlu, ich erinnere da nur an die Ampel –, aber wo ist die? Ich habe es gesucht, ich habe es nicht gefunden. Und hier kann ich auch nur sagen: Das ist ein Bückling oder ein Kotau vor den Gewerkschaften und vor den Personalräten. Das finde ich sehr schade. Denn hier hätte Rot-Rot zeigen können, dass sie, diese beiden Parteien, zum Wohle der Schule, zum Wohle der Schüler und Schülerinnen und zum Wohle der Lehrkräfte entschieden haben. Und das haben sie mit diesem Gesetz noch nicht. Aber dafür sind ja die Oppositionsparteien da, und wir werden schon dafür sorgen, dass es dahin kommt. Das hoffen wir wenigstens.

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Frau Kollegin Senftleben! – Die Kollegin Schaub hat für eine Kurzintervention von drei Minuten um das Mikrophon gebeten und erhält dasselbe. – Bitte schön!

Vielen Dank! – Liebe Frau Senftleben! Zum Stichwort Lehrmittelausstattung haben Sie dargestellt, die Möglichkeit der Bezirke, gewisse Ausstattungsunterschiede auszugleichen, sei eine Entmündigung der Schulen. Darauf habe ich einen völlig anderen Blick. In aller Regel werden diese Mittel an die Schulen gehen und von den Schulen so verwendet werden, wie sie gedacht sind, aber wichtiger noch, als die Eigenständigkeit von Schule wie einen Götzen anzubeten, ist für mich, es zu bewirken, dass alle Schulen annähernd gleich ausgestattet sind. Das ist nur erreichbar, wenn man einen Bezirksausgleich ermöglicht. Das möchte ich deutlich feststellen.

Zweiter Punkt: Der gesunde Menschenverstand und die Reduzierung der Aufnahmekriterien auf das Grundschulgutachten – da muss ich Ihnen sagen, dass Sie offensichtlich hier Ihr gesunder Menschenverstand im Stich gelassen hat.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Denn das wird so nicht regelbar sein. Das braucht Kriterien, und nach meiner Meinung wäre eher zu überlegen, ob es das Grundschulgutachten unbedingt sein müsste. – Danke!

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke, Frau Kollegin Schaub! – Frau Senftleben möchte Antwort auf die Kurzintervention geben. – Bitte schön!

(A) (C)

(B) (D)

Herr Präsident! Ich bedanke mich! – Liebe Frau Schaub, Sie haben vorhin gesagt, Bezirke werden verpflichtet, 100 Prozent der Lehr- und Lernmittel weiterzureichen, können aber Wertausgleichsmaßnahmen vornehmen. Da sehe ich einen Widerspruch. Wenn sie auf der einen Seite verpflichtet werden, 100 Prozent an die einzelne Schule weiterzureichen, und auf der anderen Seite, Wertausgleichsmaßnahmen zu treffen, dann passt das für mich nicht so richtig.

Nun noch einmal zum Übergang zur Oberschule, zu diesen vier Kriterien und meinem angeblich nicht vorhandenen gesunden Menschenverstand.

[Frau Schaub (PDS): Im Stich gelassen, nicht „nicht vorhanden“! Das sind zwei verschiedene Sachen!]

Hier steht, ich muss es Ihnen vorlesen: Erstes Kriterium ist die Sprachenfolge. Es ist völlig klar, dass ein Schulleiter die Kinder bevorzugt, die die passende Sprachenfolge für die Schule haben. Das ist für mich gesunder Menschenverstand. Frau Schaub, Sie können es natürlich hineinschreiben, aber wenn es nicht darin stünde, wäre es auch nicht unbedingt schade darum.

Dann: „Fortsetzung der bereits in der Grundschule begonnenen Ausbildung an einer Schule mit musik- und sportbetonten Zügen“. Natürlich, es ist doch logisch, dass ich jemanden bevorzuge, z. B. in der Herwegh-Oberschule, der vorher auf der Gollancz-Schule in Reinickendorf gewesen ist. Das empfinde ich als gesunden Menschenverstand.

In Punkt vier geht es genauso. Beim Grundschulgutachten sind wir einer Meinung. Ich bin der Auffassung, das sollten wir mit Sinn und Verstand noch einmal durchgehen. Ich sehe dem Ausschuss mit großer Freude entgegen.

[Sen Böger: Das ist ja schon was! Wer freut sich schon auf den Ausschuss!]

Danke schön! – Jetzt ist Intervention und Replik abgeschlossen, und das Wort hat Herr Kollege Mutlu für Bündnis 90/Grüne. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie auf die Überschrift des vorliegenden Gesetzesantrags hinweisen. Da steht nämlich: Siebenundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Berlin. Seit 1980 wurde dieses Gesetz somit schon sechsundzwanzig Mal geändert, und jetzt soll es ein siebenundzwanzigstes Mal geändert werden. Wenn das so weitergeht, werden wir noch die fünfzigste Änderung erleben, bevor ein Schulreformgesetz kommt.

Kurz zum Inhalt des vorliegenden Gesetzesantrags: Inhaltlich können wir die vorgesehenen Änderungen weitestgehend unterstützen, mit Ausnahme des Abschnitts zum Grundschulgutachten. Auch beim Frühfremdsprachenerwerb haben wir unsere Zweifel. Allerdings stellt sich die Frage, wohin das Ganze führen soll. Wie lange sollen noch Vorschaltgesetze zum Schulgesetz beraten werden? Wozu führen wir seit Jahren eine Debatte um eine Schulgesetzreform? Warum haben wir im letzten Jahr Tausende von Exemplaren eines Schulgesetzentwurfs ausgedruckt und in die Welt verstreut und diesen immer noch nicht ins Parlament eingebracht? Ich möchte Sie daran erinnern: Auch unter Frau Stahmer in der 13. Legislaturperiode hatten wir das Problem schon einmal auf der Tagesordnung. Sie hat es nicht geschafft. Ich kann nur für Herrn Böger hoffen, dass er nicht dasselbe Schicksal wie sie erleidet. Mit Beginn seiner Amtszeit hatte Herr Böger 1999 einen Schulgesetzentwurf angekündigt, doch bisher hat die Öffentlichkeit lediglich diverse Entwürfe zu Gesicht bekommen, mehr aber nicht. Im Übrigen ist dies nicht der erste Entwurf und wird wahrscheinlich auch nicht der letzte sein.

Im rot-roten Koalitionsvertrag steht dazu: Im 1. Halbjahr 2002 wird ein Schulreformgesetz eingebracht, und dieses soll am 1. August 2003 in Kraft treten.

[Unruhe]

Herr Präsident, es stört mich, wenn sich hier verschiedene Gruppen unterhalten. – Mag sein, dass das 1. Halbjahr 2002 noch nicht um ist, wir haben ja noch ein paar Wochen, aber ich bin der Meinung, wenn es so weitergeht, wenn wir nicht demnächst das Schulreformgesetz in das parlamentarische Beratungsverfahren einbringen, wird es zu spät sein. Wann sollen und wollen wir dieses umfangreiche Gesetz noch beraten? Wenn wir jetzt dazu übergehen, die Punkte mit dringlichem Regelungsbedarf immer wieder per Vorschalt- oder Änderungsgesetz zu regeln, besteht die Gefahr, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode immer noch kein neues Schulgesetz haben werden. Das ist etwas, worauf die Berliner Schullandschaft, die Eltern und Schüler nicht mehr warten können.

[Frau Dr. Tesch (SPD): Helfen Sie uns! Machen Sie von der Opposition mit, dann kriegen wir ein neues Gesetz! – Unruhe]

Es stört mich, wenn Herr Wansner herumschreit, ich bitte Sie!

Ich darf die Kolleginnen und Kollegen bitten, die Lautstärke ein bisschen zu senken und Aufmerksamkeit für den Redner zu gewähren. – Bitte schön!

Es ist ja interessant zu sehen, dass Herr Goetze als einziger für die CDU sich um die Schulpolitik kümmert, aber das ist kein Wunder, bei der CDU war das ja immer so.

[Unruhe]

Wir wollen keine Flickschusterei am alten und mittlerweile in weiten Teilen überholten Schulgesetz. – Es stört mich, Herr Präsident, es tut mir Leid.

Ich wiederhole die Bitte: Unser Kollege Mutlu bittet um Aufmerksamkeit und Senkung des Geräuschpegels. Ich schließe mich dieser Bitte an.

Ich denke, das gilt für Herrn Lindner und für Herrn Steffel auch.

[Rabbach (CDU): Wenn er nicht weiterreden will, soll er sich hinsetzen!]

Ich schließe mich dem an. Ich bitte um Aufmerksamkeit und Senkung des Geräuschpegels.

Es ist einfach unglaublich! Der Präsident ruft die Fraktionsvorsitzenden der FDP und der CDU mehrmals auf, das Gespräch zu lassen, aber scheinbar interessiert es sie nicht.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Dr. Lindner (FDP): Ich habe nichts gehört!]

Wenn man vor sich her brabbelt, hört man auch nicht, was die anderen sagen, das stimmt.

[Dr. Lindner (FDP): Tut mir Leid, Herr Mutlu!]