Protocol of the Session on June 9, 2016

Meine Damen und Herren, die Industrie, aber auch das verar beitende Gewerbe, das Handwerk und der Mittelstand sind auf zuverlässigen und bezahlbaren Strom angewiesen. Eine starke Industrie ist für uns alle elementar. Sie ist Grundlage für unse ren Wohlstand, für unseren Sozialstaat, für Krankenhäuser, Schulen und unsere öffentliche Infrastruktur. Denn das Steuer aufkommen, aus dem wir das alles finanzieren, entsteht nicht im Nirgendwo. Dafür braucht es erfolgreiche und leistungsstar ke Unternehmen, und dafür braucht es Menschen mit anständig bezahlten Jobs - Jobs, wie wir sie in der Industrie und im verar beitenden Gewerbe finden, vor allem in der energieintensiven Industrie.

Meine Damen und Herren, in der Energiedebatte erleben wir leider immer wieder, dass Wünschelrutengänger wirtschaftli che oder technologische Tatsachen bewusst verdrehen oder leugnen. Das ist ein bisschen wie bei Pipi Langstrumpf: Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.

(Beifall von der Regierungsbank - Königer [AfD]: Kön nen Sie das auch singen, Herr Minister?)

Mit dem Pfingstwochenende aber hat der Protest gegen eine demokratisch legitimierte Energiepolitik - denn das ist sie im mer noch; in Deutschland entscheiden gewählte Parlamente und Regierungen und niemand sonst über die Energiepolitik - eine neue Qualität erreicht. Aus ganz Europa sind Radikale an gereist, die nicht nur zur Gewalt bereit waren, sondern sie auch ausgeübt haben. Zäune wurden niedergerissen, Geräteteile im Tagebau abmontiert, Gleise wurden blockiert, Signalanlagen manipuliert, Sicherheitspersonal attackiert. Es grenzt an ein Wunder, dass niemand schwer verletzt wurde.

Das ist eine vollkommen inakzeptable und anmaßende Form von Selbstjustiz. Es handelt sich um Straftaten, die nach allen Regeln des Rechtsstaates geahndet werden müssen. Ich danke allen, die das bisher auch so gesagt haben.

(Beifall SPD und des Abgeordnete Domres [DIE LINKE])

Her Vogel, Sie sprachen in diesem Zusammenhang von einem Durchqueren des Kraftwerks mit Polizeibegleitung.

(Vogel [B90/GRÜNE]: Ja, das war auch so!)

Dass das hanebüchen ist, können Sie an den aufgezeichneten Bildern sehen. Ihr sächsischer Kollege hat noch einen draufge setzt und auf Twitter gegenüber der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie erklärt: Was euch - also die Ge werkschafter - mit Neonazis eint, mit denen ihr gestern friedli che Demonstrationen angegriffen habt: Ihr seid Ewiggestrige. - Das hat er gesagt, und ich finde, meine Damen und Herren, es ist unentschuldbar, Gewerkschafter mit Nazis gleichzusetzen.

(Beifall SPD und der Abgeordnete Nowka [CDU] und Jung [AfD])

Ich will hier noch eines klarstellen: „Ende Gelände“ repräsen tiert mitnichten die Mitte der Gesellschaft oder gar die Mitte der Lausitz.

(Beifall SPD und vereinzelt CDU)

„Ende Gelände“ ist, wie der Name schon sagt, etwas, was mit einem Rand zu tun hat, denn am Ende von etwas ist man eben auch am Rand dessen. Die Mitte der Gesellschaft, meine Da men und Herren, sind das Rentnerpaar im Plattenbau, Familie Müller ums Eck, der Facharbeiter beim PCK und die Verkäufe rin in der Bäckerei. Für diese Menschen müssen und werden wir weiterhin Politik machen.

(Beifall SPD)

Meine Damen und Herren! Mit zwei Punkten fasse ich zusam men:

Erstens: Die Energiewende steht noch am Anfang. Wir haben viel zu tun und sollten uns auf die wahren Herausforderungen der Energiewende konzentrieren und darauf achten, dass unser Land Arbeitsplätze erhält und ein Industrieland bleibt, das sich die Energiewende weiter leisten kann und unseren Wohlstand sichert.

Zweitens: Erst wenn die erneuerbaren Energien wirklich zu verlässig sind, können wir aus der Braunkohle aussteigen. Wir dürfen das eigene Schiff nicht versenken, bevor wir das Ufer nicht einmal in Sicht haben. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD)

Vielen Dank. - Es ist eine Kurzintervention angezeigt worden. Herr Abgeordneter Vogel, Sie haben die Gelegenheit.

Herr Wirtschaftsminister, den Spruch von Pippi Langstrumpf überlassen wir besser Herrn Königer. Er bringt ihn regelmäßig.

(Königer [AfD]: Ich kann es auch mal singen! - Domres [DIE LINKE]: Besser nicht!)

- Besser nicht.

Sie haben bedauerlicherweise, und zwar zum wiederholten Male Äpfel mit Birnen verglichen. Sie sprechen von Energie verbrauch und kommen zu dem Ergebnis, dass Windenergie überhaupt keine Bedeutung hat, weil es irgendwo im Bereich von 2,Irgendwas Prozent liegt. Wenn Sie von Energieverbrauch

reden, unterschlagen Sie, dass der Stromverbrauch nur ein Teil des Energieverbrauchs ist. Wenn Sie vom Primärenergiever brauch reden, unterschlagen Sie in der Argumentation, dass hierin auch die Abwärme der Braunkohlekraftwerke mit auf geht und enthalten ist. Wenn Sie über Energieverbrauch reden, unterschlagen Sie, dass 60 % des Haushaltsverbrauchs im Wär mebereich liegt, und das hat mit Strom und Kohle nichts tun, weil Briketts üblicherweise nicht mehr zum Einsatz kommen. Sie unterschlagen, dass ein Großteil des Energieverbrauchs im Verkehr durch den Verbrauch von Treibstoffen, Diesel, Super und Ähnlichem, erfolgt. Sie unterschlagen, dass die Industrie von der EEG-Umlage befreit ist. Sie unterschlagen, dass Sie selbst dazu beigetragen haben, dass die Braunkohlekraftwerke keine Klimaschutzabgabe zahlen müssen, sondern dies der Verbraucher tragen muss. Wenn Sie also beklagen, dass die Verbraucher in Milliardenhöhe belastet werden, sollten Sie auch konzedieren, dass die Industrie hiervon weitestgehend freigestellt ist.

(Beifall B90/GRÜNE)

Was das Durchqueren des Kraftwerksgeländes betrifft: Ich hat te Vattenfall angeboten, ins Gelände zu kommen und das Ge samte von innen zu betrachten. Es gab ein Telefonat mit Herrn Holländer, der dies nach Rücksprache mit seinem Sicherheits dienst abgelehnt hat. Es gab einen zweiten Versuch der Polizei, mir diesen Zugang zu ermöglichen. Aber wir stießen auf taube Ohren. Ich hatte nicht die Möglichkeit, das ganze Geschehen von innen zu beobachten.

Herr Abgeordneter, Sie müssten zum Schluss kommen. Die zwei Minuten sind verstrichen.

Ich habe meine Beobachtung von außen geschildert und bitte das zur Kenntnis zu nehmen.

Sie haben die Gelegenheit, auf diese Kurzintervention zu reagieren, Herr Gerber.

Herzlichen Dank, Herr Vogel, es ist mitnichten so, dass ich Äp fel mit Birnen vergleiche. Ich habe vom Gesamtenergiever brauch gesprochen, der den gesamten Bereich umfasst. Ich ha be nicht nur den Stromverbrauch genannt. Zur Energiewende gehört nicht nur die Stromwende. Ich weiß sehr wohl, dass Wärme und Verkehr daneben große Sektoren sind. Es geht am Ende des Tages bei der Energiewende darum, dass wir unseren gesamten Energieverbrauch auf erneuerbare Energien umstel len. Derzeit deckt die Windkraft 2,4 % des Gesamtenergiever brauchs, die Biomasse sehr viel mehr, aber deren Ausbau ist endlich, wie Sie wissen.

Ich wollte damit deutlich machen, dass wir am Anfang der Energiewende stehen und nicht, wie ich es in grünen Parolen manchmal höre, am Ende. Wir können jetzt nicht sagen: Es ist alles gut, die Atomkraftwerke sind abgeschaltet, jetzt schalten wir noch die Kohlekraftwerke ab, denn wir haben ja genug er

neuerbare Energien. - So ist es nicht, sondern wir haben bei der Entwicklung von Speichertechnologien und beim Netzausbau noch eine ganze Menge zu tun. Das wollte ich in meiner Rede zum Ausdruck bringen.

Sie sagten, große Teile der Industrie seien EEG-umlagebefreit. Die allermeisten sind es nicht, sondern meines Wissens 4 000 Unternehmen in ganz Deutschland, nämlich diejenigen, die in einem verschärften internationalen Wettbewerb stehen, und besonders energieintensive Industrieunternehmen, die wir im Lande glücklicherweise haben, denn wir brauchen sie. Des wegen stehe ich auch dazu.

(Beifall SPD und CDU sowie der Abgeordneten Schwar zenberg und Mächtig [DIE LINKE])

Bevor wir zum nächsten Redner kommen, möchte ich Gäste begrüßen: Schülerinnen und Schüler der Otto-Tschirch-Ober schule Brandenburg an der Havel. Herzlich willkommen bei uns im Plenarsaal. Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag des Abgeordneten Kosanke fort.

(Schulze [BVB/FREIE WÄHLER Gruppe]: Jetzt gibt es einen Niveauabfall!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, man kann an dieser Debatte eine Sache sehr gut se hen:

(Zuruf von der CDU: Ja? Was denn?)

So unterschiedlich, wie die Meinungen zur Energiepolitik in diesem Hause sind, so sachlich kann die Debatte darüber ge führt werden: auch einmal laut und heftig, mit Widerspruch, Kurzinterventionen, Zwischenrufen und verteiltem Applaus. Aber fast alle bewegen sich auf dem Boden dessen, was wir für eine vernünftige Debattenkultur halten, und auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wir sind uns einig darüber, dass bestimmte Formen der Auseinanderset zung nicht gehen, dass bestimmte Übertretungen von Regeln beim Ausdruck der Meinungsfreiheit bei Demonstrationen, bei Besetzungen irgendwann einen Punkt erreichen, an dem sie eben nicht mehr hinnehmbar und tolerierbar sind, und man ganz stark dagegen vorgehen muss. Das eint uns in diesem Hause, und dafür möchte ich mich an dieser Stelle bei Ihnen allen bedanken.

(Beifall SPD sowie des Abgeordneten Vogel [B90/GRÜ NE] und des fraktionslosen Abgeordneten Hein)

Nichtsdestotrotz haben wir heute einen AfD-Antrag vorliegen. Ob er falsch eingetütet wurde oder hier an der richtigen Stelle behandelt wird, ist nicht entscheidend. Ich finde, vor diesem Panorama passt er eigentlich ganz gut. Es ist gut, dass Sie ihn eingebracht haben, denn er zeigt, wo Sie stehen. Dass versucht wird, an dieser Stelle in der Energiepolitik, die eben kontrovers ist, einen innenpolitischen Tabubruch zu begehen, finde ich un erhört. Gleichwohl finde ich es gut, dass wir über Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD-Fraktion, disku tieren können. Ich lese einmal einen Punkt vor: Unter 1. steht,

der Landtag möge beschließen, dass dem Konzept der Deeska lation kein Vorrang gegenüber dem Aufrechterhalten der rechtsstaatlichen Ordnung eingeräumt wird. - Meine Damen und Herren, Deeskalation ist Aufrechterhaltung der rechtsstaat lichen Ordnung!

(Beifall SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE sowie auf der Regierungsbank)

Hier geht es - das hat unsere Polizei bei der Demonstration am Tagebau hinbekommen - um die wichtigen Schutzgüter Leben und körperliche Unversehrtheit. Das zu schützen ist die Aufga be unseres Staates und Inbegriff von Freiheit. Der Staat ist eben nicht der Staat desjenigen, der gerade seinen Parkzettel umtauschen muss, nicht der Leviathan, nicht das biblische Monster, sondern Thomas Hobbes beschreibt einen Staat - Herr Gauland hört zwar nicht gern zu, aber er redet gern über schö ne alte Bücher; er hat ja auch viel Zeit zum Lesen -,

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Nicht ablenken lassen!)

der die Rechte in den Vordergrund stellt, der deeskaliert, der Bürger nicht einfach zusammenknüppelt, weil sie eine andere Meinung haben, und der auch Rechtsbrecher nicht zusammen knüppelt, sondern einem rechtsstaatlichen Verfahren zuführt - genau das tun wir hier.

(Beifall SPD, B90/GRÜNE und des Abgeordneten Schul ze [BVB FREIE WÄHLER Gruppe])

An der Stelle muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Die Wahrung der Grundrechte wird immer erst dann spannend, wenn man anderer Meinung ist. Wir haben im Bereich der Energiepolitik sehr kontroverse Haltungen - das geht bis in die Fraktionen hinein -, trotzdem erhalten wir die rechtsstaatliche freiheitlichdemokratische Ordnung aufrecht. Wir missbrauchen weder Rechte, noch gewähren wir sie nur dann, wenn es uns passt. Das muss an dieser Stelle noch einmal deutlich gesagt werden. Insofern: Danke für Ihren Antrag, danke, dass Sie sich auf die se Art und Weise demaskiert haben.

Zu den anderen Punkten, die Sie gebracht haben: Wir stehen für die Verfolgung von Straftaten und erklären unsere Solidari tät mit Polizisten, vor allem mit deeskalierend wirkenden Poli zisten. Und ich finde es gut, wenn es beobachtende Parlamen tarier gibt, die die Polizei bei Erfüllung ihres Auftrags unter stützen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE und des Abge ordneten Schulze [BVB/FREIE WÄHLER Gruppe])

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht der Abgeordnete Nowka für die CDU-Fraktion.