Protocol of the Session on June 9, 2016

(Zurufe von der SPD)

Positiv daran ist jedoch: Sie bewegen uns, die Lage immer wieder neu zu analysieren, den verborgenen Konfliktstoff deut lich hervorzuheben und mögliche Konsequenzen und Irritatio nen miteinander in Verbindung zu bringen. Ich werde darum nicht müde, Ihnen die Zusammenhänge noch näher darzule gen; denn die Hoffnung stirbt zuletzt, Herr Bretz.

Erstens: Die Europäische Zentralbank hat die Aufgabe - wie Sie schon sagten -, unabhängig und verantwortungsvoll die Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten.

Zweitens: Die Niedrigzinspolitik ist nicht durch diese Aufgabe begründet, denn wir haben noch keine Inflation. Aber, meine

Damen und Herren, wir sollten eine Inflation auch nicht beför dern oder schweigend dabei zusehen. Eines wird das Abschaf fen des Bargelds garantiert zur Folge haben: Flucht in andere Währungen. Die Frage ist, ob wir das wollen.

Die anhaltende Niedrigzinspolitik ist auch nicht mit Wirt schaftspolitik zu begründen, da sie der Wirtschaft schadet, denn sie setzt völlig falsche bzw. Fehlanreize für Investitionen. Wenn Kredite nichts mehr kosten, werden auch die Investitio nen mit geringeren Renditen finanzierbar und verdrängen da bei andere Investments, die höhere Renditen hätten. Das nennt man volkswirtschaftliche Fehlallokation oder Außerkraftset zung des Marktes. Darüber hinaus verlieren die Banken ihre Geschäftsgrundlage und müssen ihre traditionellen Geschäfts modelle umstellen.

(Allgemeine Unruhe)

So setzt sich bereits - und man höre gut zu - die Mittelbranden burgische Sparkasse dafür ein, dass die EZB die Leitzinsen nicht weiter senkt. Herr Woidke, unterstützen Sie die Mittel brandenburgische Sparkasse bei ihren Bestrebungen, dass der Leitzins nicht ins Minus rutscht. - Nun ist er nicht da, aber er wird es ja trotzdem hören. - Zeigen Sie, dass Sie vorausschau end Verantwortung für Ihre Bürger übernehmen. Sie wissen, dass mit der Niedrigzinspolitik die Sozialkassen geschädigt werden, und die Leidtragenden sind dann wieder vor allem die sozial Schwachen. Krankenkassen können ihre liquiden Mittel, die sie vorhalten müssen, auf der Bank nicht mehr verlustfrei halten. Die Pensionskassen vieler Unternehmen werden eben falls geschädigt, sie müssen höhere Rückstellungen auf Kosten von Gewinnen bilden. Lebensversicherungen werden geschä digt, die sowieso schon in Schieflage geratene Altersvorsorge vieler Menschen verliert weiter an Wert. Eine Riesenwelle von Altersarmut wird hier programmiert, die Lebensleistung zig tausender Menschen entwertet. Denken Sie daran: Jeder siebte Brandenburger ist heute schon von Armut bedroht.

Der so wichtige Zinseszinseffekt, der gerade gegen Ende lang laufender Vorsorgeverträge immer wichtiger wird, geht fast verloren. In seiner Aussage „Die Niedrigzinspolitik entwickelt sich zur Schicksalsfrage für Generationen“ wählt GDV-Präsi dent Alexander Erdlang drastische Worte, „sie zerstört das Fundament für einen sicheren Ruhestand von Millionen Men schen in Europa“. Er fordert daher von der EZB eine Umkehr des geldpolitischen Kurses. Das sehen auch viele Deutsche so, meine Damen und Herren.

Niedrigzinsen schrecken die Bürger von der Vorsorge ab. 55 % der im Berufsleben Stehenden seien zu der Einschätzung ge langt, dass Anlagen für die Altersvorsorge nicht mehr lohnen. Dies ergab eine Frage der AXA-Versicherung. Es trifft gerade die Menschen, die unser Land zu dem attraktiven Land ge macht haben, das es heute ist. Die Menschen, deren Lebens- und Arbeitsleistung Deutschland zum Motor und führenden Staat in der EU machte, werden nun abgestraft.

Noch sind die Deutschen Weltmeister im Sparen. Wenn sich aber Altersvorsorge wegen niedriger Zinsen nicht mehr lohnt, dann wird sich das Thema Altersarmut immer weiter verschär fen. Einer Berechnung der DZB zufolge - Sie bemühten sie heute schon - sind deutsche Sparer durch die Niedrigzinspolitik zwischen 2010 und 2015 per Saldo bereits um 200 Millio

nen Euro geschädigt worden. Das heißt, jeder Bundesbürger hat bereits auf seine Kontostände, Sparbücher, Einlagen, Anlei hen und Lebensversicherungen im Durchschnitt zweieinhalb Tausend Euro verloren.

Was heißt das konkret für Brandenburg? Die wenigen noch li quiden Kommunen in Brandenburg verlieren mit jedem Tag der Niedrigzinspolitik Zinseinnahmen. Der Landkreis DahmeSpreewald erleidet dadurch jährlich Zinsverluste in Höhe von einer Million Euro.

Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat unverzüglich bei der untätigen Bundesregierung zu intervenieren, um unsere Bürger vor einer weiteren Enteignung und die Volkswirtschaft zu schützen. Bundeskanzlerin Merkel hat ihre Untätigkeit schon verkündet, denn sie verwies auf die politische Unabhän gigkeit der EZB. Doch wenn die EZB ihrer eigentlichen Auf gabe nicht mehr nachkommt oder mehr noch, die Wirtschaft und das Vermögen im Euroraum schädigt, handelt es sich um eine Verletzung des Maastrichter Vertrags.

Vertragsbrüche erfordern aber zwingend ein Eingreifen der Po litik und erst recht unter aktiver Mithilfe der Landesregierung. Unsere Brandenburger Bürger sind von dieser Entwicklung di rekt betroffen. Es gehört zu unseren Aufgaben als Parlamentari er, sich um diese für unsere Bürger so wichtigen Dinge voraus schauend zu kümmern - und erst recht hier in diesem Landtag.

(Beifall AfD)

Ich schließe damit die Aussprache und rufe zur Abstimmung über den Antrag der AfD-Fraktion, Drucksache 6/4286, Sparer schützen - Niedrigzinspolitik korrigieren, auf. Ich darf Sie fra gen: Wer möchte diesem Antrag zustimmen? - Gibt es Gegen stimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 11 und unterbreche die Sitzung bis morgen 10 Uhr.

Ich bin gebeten worden, auf den Parlamentarischen Abend hin zuweisen, der auf Einladung der Universität Potsdam in der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam stattfindet. - Ich wün sche einen schönen Abend.

(Unterbrechung der 30. Sitzung am 9. Juni 2016: 18.06 Uhr)

(Fortsetzung der Sitzung am 10. Juni 2016: 10.01 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich zur Fort setzung der 30. Sitzung des Landtages Brandenburg. Auch am heutigen Morgen darf ich wieder Gäste auf unserer Besucher tribüne sowie Zuschauer außerhalb des Saals begrüßen. Ein herzliches Willkommen den Schülerinnen und Schülern des Marie-Curie-Gymnasiums Dallgow-Döberitz, ich begrüße Sie herzlich hier bei uns im Plenarsaal!

(Allgemeiner Beifall)

Was die Abwesenheiten betrifft, ist angezeigt worden, dass der Minister der Finanzen, Herr Görke, heute ab 11 Uhr nicht da sein wird. Er wird von Herrn Minister Ludwig vertreten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:

Energieland Brandenburg: Sicherheit, Berechenbar keit, Akzeptanz

Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 6/4219

in Verbindung damit:

Windkraft - nur mit den Bürgern, nur für die Bürger

Antrag der BVB/FREIE WÄHLER Gruppe

Drucksache 6/4276

und

Rechtsstaat erhalten - Gewalt durch Ökoterroristen bekämpfen

Antrag der Fraktion der AfD

Drucksache 6/4285

und

Notwendigen gesellschaftlichen Dialog zur Energiepo litik friedlich führen - Akzeptanz der Energiewende sichern

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion DIE LINKE

Daneben liegen zwei Entschließungsanträge der AfD-Fraktion auf Drucksache 6/4357 und Drucksache 6/4374 und ein Ent schließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 6/4358 vor.

Wir eröffnen die Aussprache. Zu uns spricht der Abgeordnete Holzschuher für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Eine Reihe von Anträgen gibt heute Anlass, einmal grundlegend eine Einschätzung vorzunehmen, wo wir bei der Energiewende im Land Brandenburg stehen. Ich möchte mit drei Thesen beginnen. Erstens, der gleichzeitige Ausstieg aus Kernenergie und der Kohleverstromung ist nicht möglich. Zweitens, die Energiewende ist notwendig, aber sie droht an Unvernunft und Aktionismus zu scheitern. Drittens,

die Kumpel in der Lausitz arbeiten für den Wohlstand in Deutschland.

(Beifall SPD, CDU und AfD)

Zur ersten These, dass der gleichzeitige Ausstieg aus Kernener gie und Kohleverstromung nicht möglich ist: Das ist eigentlich selbstverständlich. Jeder, der sich etwas intensiver mit den Vor aussetzungen für die Energieversorgung in Deutschland be schäftigt, wird zu keinem anderen Ergebnis kommen, und doch wird auch diese Kernthese von vielen Seiten immer wieder grundsätzlich infrage gestellt.

Es herrscht, glaube ich, Konsens darüber, dass wir in Deutsch land zu Recht nicht mehr auf Kernenergie setzen. Dieses Kapi tel ist in Deutschland in absehbarer Zeit ein für alle Mal abge schlossen, und das ist eine grundlegende und richtige Entschei dung.

(Vereinzelt Beifall SPD und des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])

Es sollte immer wieder betont werden, dass wir gleichzeitig dafür sind, die erneuerbaren Energien weiter auszubauen. Es ist unser großes Ziel, dass die Energieversorgung in Deutsch land eines Tages nur durch erneuerbare Energien gesichert wird. Bis dahin ist es aber ein weiter Weg und bis dahin ist der Ausstieg aus der Kohleverstromung - auch aus der Braunkoh leverstromung - nicht möglich. Diejenigen, die anders argu mentieren, verweisen immer gern darauf, wie viel man bei den erneuerbaren Energien schon erreicht habe. Da hört man im mer, das Land Brandenburg sei schon jetzt in der Lage, bis zu 100 % der Eigenversorgung durch erneuerbare Energien zu ge währleisten. Wir haben gehört, dass man in Schleswig-Holstein das Ziel hat, bis 2025 300 % des Stromverbrauchs durch erneu erbare Energien abzudecken, also Großexporteur zu werden - nur durch erneuerbare Energien. Mit diesen Zahlen wird dann immer gesagt: „Seht ihr, wir brauchen die Kohle doch gar nicht mehr!“ Dabei ist es ein völlig unsinniger Ansatz, so zu argu mentieren.

Richtiger wäre, zu fragen: In welchem Maße tragen die erneu erbaren Energien zu einer gesicherten Stromversorgung in Deutschland bei? Da kommt man schnell zu dem Ergebnis, das im unteren einstelligen Prozentbereich liegt - unter 5 % auf je den Fall, je nachdem, wie man rechnet. Mehr als 95 % der Stromversorgung in Deutschland können derzeit nicht durch erneuerbare Energien gesichert werden. Das liegt einfach dar an, dass es Zeiten gibt, in denen diese Energiequellen nicht oder nur marginal zur Verfügung stehen: an düsteren und wind stillen Novembertagen und bedingt durch früh einsetzende Dunkelheit. In solchen Zeiten die Elektrizitätsversorgung eines Industrielandes aufrechtzuerhalten ist die Herausforderung der Zukunft.

Wenn heute also nur ein, zwei, drei oder maximal fünf Prozent durch erneuerbare Energien gesichert werden können, brau chen wir natürlich - das ist keine Frage - die Grundlast durch die konventionellen Kraftwerke. Wenn wir aus der Kernener gie aussteigen, bleiben Kohle und eventuell - das räume ich ein - Gas als Energiequelle übrig. Natürlich könnten wir im großen Stil Gaskraftwerke bauen und dadurch Kohle ersetzen, und schon ist der Ausstieg aus der Kohle doch möglich. Damit bin ich fast schon bei der Überleitung zur zweiten These. Ich

möchte nur kurz darauf hinweisen, wie absurd es volkswirt schaftlich betrachtet wäre, in so massivem Umfang und mit ho hen Subventionen Gaskraftwerke in Deutschland zu bauen und Kohlekraftwerke zu schließen. Das Gas würde typischerweise aus Russland importiert, einer Region, wo es keine Sicherheit gibt, dass wir dauerhaft gute Versorgungsverträge haben wer den, und es würden viele Milliarden in dieses System gesteckt, nur um dann eine immer noch CO2-emittierende Gasstromver sorgung zu schaffen. Das wäre es weiß Gott nicht. Stattdessen wäre es sinnvoller, Geld in die Verbesserung der Verkehrstech nik, der E-Mobilität oder in Wärmedämmung und neue Hei zungsanlagen zu investieren. Damit kann man viel mehr CO2 einsparen. Deswegen sage ich - und ich glaube, da herrscht Konsens hier im Hause -: Der gleichzeitige Ausstieg aus Kern energie und Kohleverstromung ist nicht möglich. Wir werden die Kohle noch über Jahrzehnte hinweg brauchen.