Protocol of the Session on June 8, 2016

(Vogel [B90/GRÜNE]: Genau!)

Eigentlich hätte dieses Unrecht schon vor 25 Jahren im Zuge der Wiedervereinigung beseitigt werden müssen. Eine Rege lung der sogenannten offenen Vermögensfragen gab es zwar, aber die galt eben nicht für alle, und die Umsetzung wurde ver schleppt, um nicht sagen: sabotiert. Wahrscheinlich war damals die Zeit noch nicht reif, rot-rotes Unrecht aufzuarbeiten. Viele der Parteien waren damals mit anderen Dingen beschäftigt: Die Grünen zogen seinerzeit noch mit „Nie wieder Deutschland!“Plakaten durch die Straßen, und die SPD war damit beschäf tigt, die deutsche Einheit zu sabotieren.

(Unruhe bei der SPD)

In derselben Zeit rissen sich SED- und Stasifunktionäre mas senhaft Volksvermögen unter den Nagel, und man meinte, durch Verkauf von in der DDR und der SBZ geraubtem Eigen tum die Kosten der Wiedervereinigung mitfinanzieren zu kön nen. Das hat nicht funktioniert, wie wir mittlerweile alle wis sen. Das Märchen, die Sowjetunion habe darauf bestanden, dass die Enteignungen und Konfiskationen in der sowjetisch besetzten Zone und der DDR nicht angetastet werden, ist mitt lerweile widerlegt. Michail Gorbatschow äußerte, dass dies niemals eine Voraussetzung für die deutsche Wiedervereini gung gewesen sei.

Das ist inzwischen jedoch zweitrangig. Wichtig ist: Wie wird ein Zustand geheilt, der unrechtmäßig ist? Das Recht auf Ei gentum ist nach Artikel 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 ein Menschenrecht. Die Eigentums garantie ist nach Artikel 14 des Grundgesetzes ein elementares Grundrecht und wird auch von Artikel 17 der EU-Grund rechtecharta geschützt. Ebenso wird in der Europäischen Men schenrechtskonvention in Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls darauf verwiesen. Die grundsätzliche Rechtslage im mora lischen Sinne ist also völlig klar und unmissverständlich.

Besonders in Brandenburg hat man bei den Neusiedlererben nach der Maxime gehandelt: So viel Rückgabe wie nötig, so wenig wie möglich. Das wurde dadurch erreicht, dass man die Bearbeitung der Anträge verschleppte und DDR-Unrecht in Recht umdeutete. Der Bundesgerichtshof - Kollege Dombrowski hat darauf verwiesen - rügte 2007 das Verhalten des Landes ausdrücklich als sittenwidrig und eines Rechtsstaates unwürdig.

(Zurufe der Abgeordneten Große und Mächtig [DIE LIN KE])

- Frau Mächtig, dass Sie sich mit dem Rechtsstaat schwertun, ist mir schon klar.

(Beifall AfD)

Sofern die Erben von Bodenreformflächen unbekannt waren, hatte sich das Land in den 90-Jahren kurzerhand selbst ins Grundbuch eintragen lassen. Nach diesem Urteil fühlte sich so gar die Landesregierung bemüßigt, so zu tun, als interessiere man sich für die Betroffenen. 2008 zum Beispiel äußerte der jetzige Bildungsminister:

„Ich frage: Wie gehen wir mit denen um, die massenhaft geflohen sind, als die LPG Typ III eingeführt wurde, wo durch Ihnen quasi jegliches Recht auf Nutzung ihres Bo denreformlands entzogen wurde? Auch diese Frage müsste man einmal beantworten.“

Ich frage die Landesregierung: Wo ist die Antwort und was ist seitdem geschehen? Diese Frage haben Sie bis heute nicht be antwortet; nichts ist geschehen.

(Beifall AfD)

Es wurde zwar eine Enquetekommission eingesetzt, die einen fast 500-seitigen Bericht angefertigt hat, aber was davon wurde diesbezüglich umgesetzt? Nichts! Dieser Bericht verstaubt seit zwei Jahren in den Aktenschränken. Passiert ist nichts, und die restlichen Betroffenen warten bis heute.

(Widerspruch bei den Fraktionen DIE LINKE sowie B90/ GRÜNE - Domres [DIE LINKE]: Lesen Sie einmal ge nauer!)

Wir werden einer Überweisung gern zustimmen, da wir glau ben, dass es der erste Schritt in Richtung Gerechtigkeit für alle Betroffenen ist. Dieser Schritt ist längst fällig. - Vielen Dank.

(Beifall AfD - Zuruf der Abgeordneten Mächtig [DIE LINKE])

Wir kommen zum nächsten Redner. Der Abgeordnete Schulze spricht für die BVB/FREIE WÄHLER Gruppe.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist so - es war schreiendes Unrecht, was mit den Menschen passiert ist. Denkt man an die Situation 1990 und das Modrow-Gesetz zu rück, bemerkt man, dass es damals, in Zeiten der Friedlichen Revolution, eine hohe Übereinstimmung gab: Man musste Mo drow nicht mögen, aber viele fanden in Ordnung, was er ge macht hat - auch ich. 1992 kam dann das Zweite Vermögens rechtsänderungsgesetz. Ich sage Ihnen, wie ich es damals emp funden habe und heute noch empfinde: Es ging schlicht und einfach darum, einen bestimmten Rechtsakt, den die damals noch souveräne DDR gesetzt hatte, zu revidieren. Anschlie ßend ging es ans Eingemachte.

Was das Land Brandenburg getan hat, meine Damen und Herren - ich möchte nicht von den anderen Akteuren reden; das gehört nicht in diesen Raum -, war Unrecht. Das haben wir vom BGH höchstrichterlich attestiert bekommen. Ein schlim meres und vernichtenderes Urteil, als das Handeln eines Lan des, einer Landesregierung und einer Landesverwaltung als sittenwidrig zu bezeichnen, kann es nicht geben. Das ist die Maximalstrafe!

(Beifall BVB/FREIE WÄHLER Gruppe, AfD und ver einzelt B90/GRÜNE - Vogel [B90/GRÜNE]: Genau!)

Meine Damen und Herren, ich benenne es als das, was es war: Es war ein Raubzug des Staates gegen seine eigenen Bürger. Ich finde es teilweise unglaublich, was hier in den vergangenen

Minuten geäußert worden ist. Mittlerweile fällt die Frage, wie diese Grundstücke behandelt werden, in die alleinige Zustän digkeit des Landes Brandenburg und auch des Landtages Bran denburg. Wir können es also entscheiden!

(Beifall BVB/FREIE WÄHLER Gruppe und AfD sowie vereinzelt B90/GRÜNE)

Frau Mächtig, bei aller Koalitionsraison - ich verstehe die Linksfraktion nicht. Hier geht es um einen unverzichtbaren Anteil an Wiedergutmachung und Gerechtigkeit. Sie haben da mals eine Position gehabt, die auch ich unterstützt habe. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Matthias Platzeck bei einer Klausurtagung in Neuruppin; ich glaube, es war 2007. Er hatte mich damals angesprochen und ich hatte ihm gesagt, dass ich das ganz schlimm finde, weil ich in meiner Familie Betroffene habe, und habe ihm dargestellt, wie dies empfunden wird. Noch heute erreichen mich regelmäßig Anrufe und Briefe von der entsprechenden Vereinigung, die Sie vielleicht auch kon taktiert. Jetzt hier zu sagen, Frau Mächtig, die Rechtsprechung sei so und wir müssten uns danach richten, ist schlichtweg falsch.

(Zuruf der Abgeordneten Mächtig [DIE LINKE])

Ich sage Ihnen auch, warum das falsch ist: Rechtsprechung wendet nur bestehende Gesetze an. Dieser Landtag Branden burg ist rechtlich zuständig und kann gesetzliche Dinge ändern, sodass Gerichte und Verwaltungen es anders behandeln müs sen.

Was jetzt ansteht, ist eine Wiedergutmachung. Das, was Men schen hier widerfahren ist, trifft sie tief ins Innere. Dabei geht es gar nicht so sehr um die Grundstückswerte. Viele sagen mir: Das hat meinen Eltern oder Großeltern gehört, das ist mir jetzt weggenommen worden in einer Art und Weise, die ich nicht verstehe; ich fühle mich betrogen und belogen. - Diese Wieder gutmachung ist fällig; daran müssen sich alle beteiligen. Sich dieser Frage hier zu verweigern und es noch nicht einmal in den Fachausschuss zu überweisen, finde ich schon ziemlich schäbig. Der Landtag Brandenburg macht die Gesetze - neh men wir unsere Gesetzesbefugnis in drei Teufels Namen wahr! Nehmen Sie Ihr Herz in die Hand und benutzen Sie Ihren Ver stand! Fragen Sie die Menschen, die oben auf der Zuschauer tribüne sitzen - und es gibt noch viele Zehntausende mehr in diesem Land Brandenburg, denn hinter jedem Fall verbergen sich ganze Familien! Tun Sie diesen Menschen Genüge und hören Sie auf ihre Forderungen!

(Beifall BVB/FREIE WÄHLER Gruppe und vereinzelt AfD)

Ansonsten wird sich das, was es bei der letzten Landtagswahl gab, nämlich einen Nichtwähleranteil von 52 %, noch weiter ausweiten, oder Sie treiben diese Menschen Leuten in die Ar me, denen Sie sie eigentlich gar nicht in die Arme treiben möchten.

Daher ein ganz herzlicher Appell: Denken Sie noch einmal da rüber nach! Das sollte heute nicht der Abstimmungsguillotine von Rot-Rot unterfallen, sondern sollte eine Chance haben, diskutiert zu werden. - Vielen Dank.

(Beifall BVB/FREIE WÄHLER Gruppe, B90/GRÜNE sowie vereinzelt AfD)

Vielen Dank. - Zu uns spricht nun der zuständige Minister der Landesregierung. Herr Minister Görke, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen kurz die Sicht der Landesregierung auf den Gesetzentwurf, der am 21. November 2013 schon einmal hier im Landtag zur Abstim mung gestellt worden ist, erläutern - sie hat sich seitdem nicht geändert. Es gibt drei Gründe:

Erstens. Die Bundesländer, so auch Brandenburg, haben in die ser Angelegenheit keine Gesetzgebungskompetenz. Es handelt sich hierbei um die sogenannte konkurrierende Gesetzgebung, da der Bund in dieser Angelegenheit von seiner Gesetzge bungskompetenz Gebrauch gemacht hat. Daher haben die Län der kein Zugriffsrecht. Ich sage es noch einmal: Es handelt sich um das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz und das Ein führungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch der Bundesrepu blik Deutschland.

Zweitens. Herr Vogel - ich habe das auch bei meinem Vorred ner soeben gehört -, auch wenn Sie immer das Gegenteil be haupten: Eine Regelungskompetenz lässt sich für das Land nicht aus dem Finanzvermögensstaatsvertrag herleiten, den Sie als Begründung für Ihren Gesetzentwurf formuliert haben.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich würde gern meine Ausführungen beenden und die Nachfra ge dann beantworten.

Vielmehr regelt der Staatsvertrag die abschließende Aufteilung des Finanzvermögens gegenüber dem Einigungsvertrag zwi schen dem Bund und den Ländern. Es sind eben nicht, sehr ge ehrter Herr Vogel, normale Landesgrundstücke, die Gegen stand landesgesetzlicher Regelungen sind. Ich betone noch mals: Die alte Regelungsmaterie des EGBGB ist hier zu beach ten.

Drittens. Mit dem Gesetzentwurf wollen Sie erreichen, dass ein Neubauernachfahre das Bodenreformland zurückerhält, obwohl er nicht zuteilungsberechtigt war. Das kann man politisch so sehen, und auch ich persönlich habe dazu eine ganz klare Mei nung, die ich schon als damaliges Mitglied des zuständigen Untersuchungsausschusses der vorletzten Legislaturperiode formuliert habe; aber hier spreche ich als Mitglied der Landes regierung.

Als Begründung wird - das ist von dem Kollegen Dombrowski hier mehrfach formuliert worden - die Entscheidung des Bun desgerichtshofes vom 7. Dezember 2007 angeführt.

(Vogel [B90/GRÜNE]: Nicht nur!)

- Ja, nicht nur: Sie haben ein ganzes Sammelsurium von Rechtskonstrukten in Ihrem Gesetzentwurf, Herr Kollege Vo gel! - Die Betroffenen erhalten ihre Bodenreformgrundstücke

jedoch aus einem ganz anderen Grund zurück, nämlich weil es bei der Auflassung der Grundstücke eben kein rechtskonformes Verfahren gegeben hat, was damals zu dem genannten Unter suchungsausschuss geführt hat. Damit verstößt Ihr Gesetzent wurf gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, weil Sie jetzt Ungleiches gleich behandeln wol len. Insofern ist er offenkundig verfassungswidrig.

(Lachen des Abgeordneten Vogel [B90/GRÜNE])

Der nächste Punkt: Mit dem Gesetzentwurf wecken Sie bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern erneut Hoffnung, die rechtlich - das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner der Koalitionsfraktionen sehr deutlich gesagt - nicht umsetzbar sind.

Meine Damen und Herren, ungeachtet der Rechtslage gibt es bei der Abwicklung der Bodenreform aber auch Härtefälle: Personen, die ihr Bodenreformland verlieren und den Erlös aus der zwischenzeitlichen Verpachtung an das Land zurückerstat ten mussten, oder Personen, die Nachweise über Mitglied schaften in der LPG zu DDR-Zeiten aufgrund mangelhafter Aktenlage nicht mehr vorlegen können.

Daher habe ich - so habe ich auch den Auftrag aus der Enquete kommission aufgenommen - geprüft, ob eine Bundesratsinitia tive erfolgreich sein könnte, um Abhilfe zu schaffen, ohne je doch die Vorschriften des Bundes über die Abwicklung der Bodenreform grundsätzlich infrage zu stellen. Ich habe dafür meine Ministerkollegen in den ostdeutschen Ländern ange schrieben, und sie haben mein Begehren nach einem gemein samen Vorgehen im Bundesrat abgelehnt, da sie diesbezüglich keinen Handlungsbedarf sahen.

Ich behalte mir dennoch vor, diesbezüglich eine Bundesratsini tiative einzubringen. Dafür benötige ich aber eine breite poli tische Unterstützung, nicht nur von der SPD und den Linken, sondern, Herr Kollege Dombrowski und Herr Kollege Vogel, auch von Ihnen. Sie könnten sich also bei Ihren Bundespar teien darum verdient machen, damit wir im Deutschen Bundes tag diese Härtefallregelung zustande bekommen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Jetzt haben Sie noch die Gelegenheit, eine Zwischenfrage zu beantworten. Herr Abgeordneter Schulze, bitte.