Protocol of the Session on January 20, 2016

(Zuruf von der AfD)

Das Zweite: Im Gegensatz zu dem, was Sie ausgeführt haben, glaube ich, dass der Innenminister, die Sozialministerin und die Landesregierung insgesamt ihre Verantwortung wahrge nommen haben. Ich will das an drei Beispielen deutlich ma chen. Erstens: Wir haben im Land Brandenburg keine Zustände wie vor dem LAGeSo in Berlin. Um das deutlich zu sagen: Das lag in der Verantwortung des Landes Brandenburg.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Wir haben es geschafft - die Zivilgesellschaft und die Verwal tung standen vor einer riesigen Herausforderung -, diese Situa tion trotz aller Schwierigkeiten nicht eintreten zu lassen. Ich kann nicht sehen, dass der Innenminister oder die Sozialmini sterin und damit die Landesregierung in diesem Punkt ihre Ver antwortung nicht wahrgenommen hätten.

Meine Damen und Herren, zur angeblichen Diskussion, ob die Verwaltungsstrukturreform notwendig ist oder nicht, und zum Vorschlag der CDU - Kollege Mike Bischoff hat schon darauf verwiesen: Ich glaube, Sie haben in Ihrem Vorschlag völlig zu Recht einen Punkt nicht abgehandelt, und zwar: Was kostet er denn eigentlich? Das, was Sie vorschlagen, wird mindestens so teuer, wenn nicht sogar kostenintensiver als das, was sich ge genwärtig in der Debatte befindet, nämlich eine Neugestaltung von Verwaltungsstrukturen vor dem Hintergrund der demogra fischen Entwicklung. Das finde ich etwas unkonzentriert Ihrer seits. Genau darüber werden wir die Auseinandersetzung zu führen haben. Hier fehlt ein wichtiger Teil und damit auch eine Grundlage einer tatsächlichen Auseinandersetzung.

Meine Damen und Herren, wir haben eine Situation, in der die Bundesländer - unabhängig von der politischen Farbgestal tung - je nach Schätzung zusätzlich zwischen 17 und 21 Milli arden Euro zur Lösung der Flüchtlingsproblematik aufbringen müssen. Das ist auch der Hintergrund dessen, dass in allen Bundesländern Reserven aufgelöst, Schwankungsfonds ge nutzt werden und alle Bundesländer an die Grenzen ihrer Be lastbarkeit gekommen sind. Deswegen ist die Forderung nach einer gemeinsamen Bund-Länder-Finanzierung, die Hälfte/ Hälfte steht, die einzig richtige und wird von allen Bundeslän dern mitgetragen. Sie wird nicht nur von Brandenburg gestellt, sondern es gibt eine breite Länderfront, die sich unabhängig von der politischen Farbgestaltung gebildet hat. Sie ist Aus

druck der Situation, dass im Bund-Länder-Verhältnis, was Fi nanzierungen betrifft, eine Schieflage eingetreten ist, und zwar nicht nur in Bezug zur Flüchtlingsproblematik, sondern insge samt. Die politische Diskussion ist Ausdruck dafür, dass es hier einen großen Veränderungsbedarf gibt. Wenn die Verände rungen nicht eintreten, werden wir alle in eine Situation kom men, die im Prinzip auf eine Nettoneuverschuldung von mehre ren Ländern hinausläuft. Das, glaube ich, sollte man zu verhin dern versuchen. Deswegen sind der Finanzminister und die Landesregierung insgesamt in dieser Forderung zu unterstützen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Meine Damen und Herren, der Nachtragshaushalt wird einem politischen Anspruch gerecht - zumindest ist das meine Über zeugung -: Wir haben als Koalition sehr deutlich gemacht, dass wir einen Haushalt, eine politische Linie, eine politische Stringenz vorlegen, ein Brandenburg für alle hier lebenden Menschen gestalten zu wollen. Unabhängig von den Kosten im Zusammenhang mit Migration und Integration haben wir das sowohl im Nachtragshaushalt als auch bei anderen fi nanzpolitischen Entscheidungen der letzten Zeit deutlich ge macht. Wir versuchen, einen politischen Dreiklang zu schaf fen: Integration, öffentliche und soziale Sicherheit sowie Stützung des Investitionsgeschehens. Wenn wir mit dem Landeswohnungsbauprogramm, dem Landesstraßenbaupro gramm und dem Kommunalen Investitionsprogramm mehr als 500 Millionen Euro für kommunale Infrastruktur - Stra ßen, Kitas, Schulen und Sportstätten - bereitstellen, dann ist das auch ein Signal dafür, dass das Land Brandenburg die Mittel für das Investitionsgeschehen in diesem Bereich auf stockt, damit wir langfristig für alle in Brandenburg lebenden Menschen wirtschaftliche Stabilität und soziale Sicherheit gewährleisten können.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das Zweite: Selbstverständlich ist öffentliche und soziale Si cherheit in diesem Nachtragshaushaltsentwurf ein Kernbe reich. Dabei geht es nicht nur um die Aufstockung von Perso nal im Justizbereich, bei der Polizei und im Bereich der Sozial arbeit. Es geht auch darum, mit dem Nachtragshaushalt deut lich zu machen, dass wir Problemlagen aufgrund des Migrati onsdrucks vorziehen müssen, die aber ohnehin zur Entschei dung angestanden hätten. Rot-Rot hatte sie im Koalitionsver trag bereits definiert, und um der Situation gerecht zu werden, ziehen wir Entscheidungen ein Stück weit vor. Noch einmal: Natürlich ist der Druck hoch, der aus der Situation der Migrati on und Integration für uns entsteht, aber es sind viele Pro bleme, die wir langfristig ohnehin hätten lösen müssen. Die Behandlung der Probleme wird jetzt vorgezogen und die Er gebnisse werden der wirtschaftlichen und sozialen Entwick lung im Land Brandenburg insgesamt zuträglich sein.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung: Ich weiß, die gesellschaftliche und politische Debatte zur Frage der Integrati on und der Aufnahme der Flüchtlinge usw. gewinnt an Schärfe. Ich gebe zu, ich bin sehr besorgt darüber, dass - zumindest einer Ankündigung von Pegida nach - mit einer Europäisierung die ses Prozesses zu rechnen ist. Es sind Kundgebungen in War schau, Budapest, Amsterdam und Berlin geplant. Wir wissen, dass in den Ländern, in denen diese Städte liegen, die politische Auseinandersetzung sehr massiv geführt wird.

Deswegen wird es auch so wichtig sein - das will ich an dieser Stelle deutlich sagen -, dass beim Prozess der Integration - nicht nur in Brandenburg, sondern deutschlandweit - Fehler vermieden werden, die wir aus anderen Einwanderungswellen in Deutschland kennen. Es geht darum, dass wir soziale und wirtschaftliche Strukturen, die wir zur Integration brauchen, in den Städten und Gemeinden haben müssen, um zu verhindern, dass Parallelgesellschaften entstehen. Das wird auch eine der zentralen Herausforderungen sein, vor denen wir stehen, wenn wir die Haushalte 2017 und 2018 ausgestalten wollen, und zwar auch, aber nicht nur wegen der Flüchtlinge und der not wendigen Integration.

Meine Damen und Herren, ich bleibe dabei, ich hoffe sehr, dass die jetzige Debatte, die wir deutschlandweit in der Gesell schaft führen, dazu beiträgt, dass wir eine offene und ehrliche Debatte über Deutschland als Einwanderungsland führen.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Die Demoskopen gehen in ihren Prognosen von jährlich 150 000 Zuwanderungen nach Deutschland aus, und zwar ohne die Flüchtlings- und Migrationssituation. Das ist seit Jahr zehnten so.

(Zuruf von der AfD: Ach, ja?)

Wir als Gesellschaft, als Bundesrepublik Deutschland haben über Jahre hinweg die Debatte über eine Einwanderungsgesell schaft nicht geführt bzw. sie ist abgebrochen worden. Deswe gen bin ich ein Anhänger davon, dass wir zu politischen Ent scheidungen kommen müssen, auch was ein Einwanderungs gesetz betrifft. Wir werden uns politisch darüber streiten, was darin stehen soll, weil es dazu unterschiedliche politische Vor stellungen gibt.

(Zurufe von der AfD)

Aber ich glaube, dass die Anerkennung der gesellschaftlichen Realität so schnell wie möglich nachgeholt werden muss.

Herr Abgeordneter, Sie müssten jetzt einen geeigneten Schluss satz finden.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Der Nach tragshaushalt ist aus meiner Sicht Ausdruck politisch verant wortlichen Handelns der Landesregierung und der Koalition. Ich freue mich auf die inhaltliche Diskussion in den Ausschüs sen und bin gespannt auf weitere Einsparvorschläge seitens der Opposition. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Vielen Dank. - Bevor wir zum nächsten Redner kommen, be grüße ich Schülerinnen und Schüler der Lise-Meitner-Ober schule Strausberg sowie des Scherpf-Gymnasiums Prenzlau. Herzlich willkommen hier im Plenarsaal!

(Allgemeiner Beifall)

Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht nun der Abge ordnete Vogel für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Ja, die Welt ist aus den Fugen. Jeder von uns kennt die Bilder von den zerstörten Städten in Syrien, im Irak, neuerdings in Türkisch-Kurdistan oder auch Bilder aus Afghanistan; jeder von uns kennt aus dem Fernsehen Bilder von den Massenhin richtungen des IS, von den Hungernden im syrischen Madaja oder dem Zug der Elenden quer durch die Balkanstaaten nach Mitteleuropa. Solche Kriegsbilder sind nicht neu. Neu aber ist, dass wir das Elend der Welt nicht mehr ausblenden kön nen, indem wir den Fernseher ausschalten. Die Flüchtlinge sind mitten unter uns, und sie sind nicht nur Gäste, sondern Menschen mit völkerrechtlich normierten Rechten und Pflichten.

Viele von ihnen wollen und werden dauerhaft hier bleiben und damit sich selbst und unsere Gesellschaft verändern. Das macht vielen Menschen in Deutschland und Europa Angst.

Darüber kann und darüber muss man auch reden. Aber es kommt auf die Tonlage an. Die deutsche Politik gerät auf Ab wege, wenn Vizekanzler Gabriel angesichts der Übergriffe in Köln in den Jargon der AfD verfällt - wir haben gerade ver nommen, wie es klingt - und obendrauf eine völkerrechtswid rige Residenzpflicht für anerkannte Flüchtlinge fordert.

(Beifall B90/GRÜNE und CDU - Königer [AfD]: Wo er Recht hat, hat er Recht!)

Mit den CSU-Granden bis hin zu dem Flüchtlingskind Stoiber, der sich mit Ultimaten an die Bundeskanzlerin zur Flüchtlings begrenzung versucht und die Schließung der deutschen Gren zen fordert, möchte ich mich gar nicht weiter auseinanderset zen. Die Tonlage in diesem Land jedenfalls wird zunehmend unerträglich.

(Beifall der Abgeordneten Frau Kaiser und Frau Mächtig [DIE LINKE])

Die Sitten verrohen. Die politische Mitte droht verloren zu ge hen. Obendrein nehmen die Auseinandersetzungen zwischen Links- und Rechtsextremen auf den Straßen unseres Landes und auch hier in Potsdam zu.

(Königer [AfD]: Wer hat denn da mit Steinen geworfen?)

Der europaweit zu beobachtende Weg weg von einer weltof fenen Gesellschaft, weg von der Willkommenskultur hin zu ei ner Abschreckungskultur ist aber ein schrecklicher Irrweg. Ja, Willkommenskultur und Integration kosten zunächst Geld, aber sie sind Investitionen in die Zukunft, die sich nicht nur menschlich und ideell, sondern auch wirtschaftlich - da ver weise ich auf die Studien des DIW Berlin - auszahlen werden, und zwar völlig unabhängig davon, ob die Flüchtlinge hierblei ben, sich hier dauerhaft niederlassen oder später zurückkehren und ihre Heimat wiederaufbauen.

Abschottung und Abschreckung werden dagegen auf Dauer nicht nur Menschenleben kosten, sondern auch Zukunftschan

cen vernichten. Erfahrungen damit hat man ja hinter der Mauer in Ostdeutschland zuhauf sammeln können.

(Beifall B90/GRÜNE - Zuruf von der AfD: Besonders DIE LINKE!)

Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine der reichsten Regionen der Welt. Deutschland ist eines der wirtschaftlich stärksten Länder der Welt. Die Haushalte des Bundes und von immer mehr Bundesländern verzeichnen Überschüsse. Da ist es schon ausgesprochen schräg, wenn der bundesdeutsche Fi nanzminister Schäuble, der gerade einen Haushaltsüberschuss von 12 Milliarden Euro verzeichnet, die Einführung einer eu ropaweiten Benzinzusatzsteuer vorschlägt.

(Beifall B90/GRÜNE)

Es hat auch Schlagseite, wenn der Thüringer Ministerpräsident Ramelow den Soli zum Integrationssoli umdeklarieren will oder die gerade bei der AfD hoch im Kurs stehende Sahra Wa genknecht eine Vermögensteuer zur Flüchtlingsfinanzierung fordert.

(Zuruf des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])

Wir Grüne verschließen uns nicht der Diskussion über die sinnvolle und ökologisch gebotene Anhebung der Steuer auf Dieselkraftstoffe auf das Niveau von Benzintreibstoffen. Wir halten es für sinnvoll, den Soli fortzuführen und die durch das Auslaufen des Solidarpaktes freiwerdenden Mittel für die Fi nanzierung des Länderfinanzausgleichs heranzuziehen. Auch in Deutschland hat die Ungleichheit in der Vermögensverteilung zugenommen, stellt die Erbschaftssteuer kein Korrektiv dar. Deswegen halten wir Grüne eine Vermögenssteuer aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit für richtig und erforderlich.

Wir wehren uns aber entschieden dagegen, wenn neuerdings die Flüchtlinge für die Durchsetzung schon länger erhobener finanz-, steuerrechtlicher, haushaltspolitischer Forderungen instrumentalisiert werden sollen.

(Beifall B90/GRÜNE, DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Deswegen halte ich es für ausgesprochen lobenswert - Herr Bi schoff -, dass die Brandenburger Landesregierung mit der Vor lage dieses Nachtragshaushaltes, der die Finanzierung von Erstaufnahme und Integration von Schutzsuchenden in den Mittelpunkt stellt, dies nicht macht. Wir begrüßen es außeror dentlich, dass auch beim Nachtragshaushalt nicht auf den Bund gewartet wird, sondern unserer Forderung gefolgt wurde, die Mehrausgaben ohne Neuverschuldung aus der inzwischen trotz der Millionen für den BER auf 945 Millionen Euro angewach senen Rücklage - das muss man sich vorstellen! - zu finanzie ren.

(Beifall B90/GRÜNE - Minister Görke: Darauf habe ich gewartet!)

Ja, wir schaffen das und wir schaffen das gut. Das ist auch das richtige Signal, das von diesem Nachtragshaushalt ausgeht. Natürlich ist es richtig und zulässig, Herr Finanzminister, zu beklagen, dass sich der Bund bislang nur mit 230 Millionen

Euro - jedenfalls nach Ihren Unterlagen - an der Flüchtlingsun terbringung und Integration beteiligt und damit nur ein gutes Drittel trägt. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt darauf verzich ten, das Notwendige zu veranlassen, bis der Bund die zusätz lichen Mittel zur Verfügung stellt.