Protocol of the Session on September 23, 2015

Die meisten Menschen aus Syrien, die ich kennengelernt habe, sind nicht zu der Entscheidung gekommen: Wir wollen dauer haft in Deutschland leben. Sie würden gern in Syrien leben. Sie würden gern ihr Land auch wieder aufbauen. Dafür wird es notwendig sein, diesen Konflikt dort zu lösen. Das geht nur, wenn da jetzt einige über ihren Schatten springen und das nicht weiter laufen lassen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Auch Deutschland muss noch mehr tun, um beispielsweise die Versorgung der syrischen Flüchtlinge und Vertriebenen in der Türkei, im Libanon, in Jordanien voranzubringen. Ich glaube, wir können das. Wir schaffen das und werden auch in den nächsten Jahren konsequent daran arbeiten müssen. Es gibt keinen Weg, der vor diesem Sommer schnell zurückführt. Doch, es gäbe einen Weg. Aber wollen wir den wirklich? Wol len wir das wirklich, was beispielsweise die AfD vorschlägt: die Grenzkontrollen intensivieren, uns abschotten? Manchmal denke ich, die wollen einen „antiislamischen Schutzwall“ bau en. Ich möchte mir einmal kurz vor Augen halten, was das be deuten würde, wenn wir diese verschärften Grenzkontrollen, die die AfD fordert, hier bei uns im Land Brandenburg hätten.

(Dr. Gauland [AfD]: Das ist doch nicht nur unsere Sache!)

Ja, dann hätten wir jeden Tag einen Megastau von Frankfurt (Oder) bis nach Ferch zurück. Das wäre die Konsequenz. Zu einem solchen Europa will ich nicht zurück.

(Beifall SPD, CDU, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Zu einem solchen Europa sollten wir alle nicht zurückkom men. Unser Wohlstand hier in Brandenburg, in ganz Deutsch land basiert auf Freizügigkeit. Wir sind die Hauptprofiteure der Entwicklung des Binnenmarktes in der EU. Wer dieses Land

wieder abschotten will, wer jetzt Ängste mobilisiert, der ge fährdet unseren Wohlstand. Ich sage auch weiter: Das ist unpa triotisch! Patriotisch ist derjenige, der dafür kämpft, dass Bran denburg vorankommt, nicht der, der Brandenburg abschotten will.

(Beifall SPD und DIE LINKE sowie der Abgeordneten Dr. Redmann und Wichmann [CDU] - Zurufe von der AfD)

Lassen Sie mich kurz noch zu einem anderen Thema kommen, weil die Diskussion in den letzten Tagen „hochgefloppt“ ist, sich auch einige Kommunalpolitiker dazu geäußert haben.

Diese Landesregierung hat sich vorgenommen, eine Verwal tungsstrukturreform durchzuführen, die gleichwertige Lebens verhältnisse auch noch in den Jahren 2030 bis 2060 garantiert. Angesichts der zu erwartenden demografischen Entwicklung, auch angesichts der zu erwartenden ökonomischen Entwick lung, der Entwicklung der Finanzströme von Bund und Län dern, hält es die Landesregierung - meine Fraktion unterstützt das ausdrücklich - für notwendig, darüber nachzudenken, ob die Verwaltungsstruktur, die wir gegenwärtig insbesondere auf kreislicher Ebene haben, noch zukunftsfähig ist.

Da gibt es nun einige, die sagen: Lasst uns doch in dieser De batte mal eine Pause machen. Wir haben doch jetzt so viele große Probleme mit dem Thema Asyl.

(Wichmann [CDU]: Nicht eine Pause machen! Beerdi gen!)

- Ja, genau. Ich glaube nämlich auch, dass eigentlich das, was der Kollege von der CDU-Fraktion zwischenruft, gemeint ist. Das ist ein wohlmeinender Ratschlag, der etwas ganz anderes meint. Der sagt nämlich: Brecht es ab! Ich sage Ihnen: Das wä re genau das falsche Signal. Diese Landesregierung wird das Thema Flüchtlingspolitik mit Unterstützung der Fraktionen von SPD und Linken gut bearbeiten. Wir werden das Problem lösen. Aber wir werden auch weiterhin an unseren Aufgaben, die sich ansonsten in diesem Land stellen, arbeiten. Dazu ge hört es auch, eine moderne Verwaltungsstruktur aufzubauen.

(Beifall SPD, DIE LINKE sowie der Abgeordneten Non nemacher [B90/GRÜNE])

Ich sage das hier ausdrücklich: Bei allen Herausforderungen, vor denen wir bei der Flüchtlingspolitik jetzt stehen, die auch viel Geld kosten werden, wird diese Landesregierung gewähr leisten, dass das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart ha ben, umgesetzt wird.

Niemand muss Angst haben, dass wir, weil Flüchtlinge in die ses Land kommen, dadurch weniger Lehrer einstellen. Nein, im Gegenteil, wir werden sogar mehr Lehrer einstellen. Nie mand muss Angst haben, dass unser Versprechen, dass der Ki ta-Betreuungsschlüssel verbessert wird, jetzt nicht realisiert wird, weil wir das Geld für Flüchtlinge brauchen. Nein, wir werden das machen. Gerade Kita ist auch ein Ansatz, um gute Integrationsarbeit zu leisten. Wir haben in diesem Jahr begon nen, wir werden die nächsten Schritte gehen. Das ist abgesi chert.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ja, wir werden auch unsere Investitionsversprechen, was die Verbesserung von Landesstraßen angeht, einhalten. Das wer den wir hinbekommen. Deutschland ist ein reiches Land. Bran denburg ist kein reiches Bundesland. Aber es geht uns deutlich besser als in den vergangenen Jahren.

Ich setze sehr darauf, dass wir mit der November-Steuerpro gnose weiter steigende Steuereinnahmen haben werden. Ja, und wir haben eine Rücklage angesammelt. Diese Rücklage werden wir einsetzen, um diese Verwaltungs- und Funktional strukturreform gut zu machen, und zwar besser als in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern.

Wir werden ein Angebot machen, damit die Kommunen Cott bus, Frankfurt und Brandenburg, die aufgrund ihrer hohen Kassenkredite von über einer halben Milliarde Euro fast nicht handlungsfähig sind, wieder in eine Situation kommen, in der sie handlungsfähig werden. Wir werden Angebote machen, wie die Städte, die möglicherweise im Zuge der Kreisgebietsre form ihren Kreissitz verlieren, für den Verlust ihrer Kreissitze entschädigt werden. Und: Wir haben eine Idee entwickelt, wie wir im Rahmen dieser Verwaltungsstruktur- und Kreisgebiets reform absichern, dass dauerhaft auch Kultur in der Fläche die ses Landes präsent ist. Es ist eben nicht alles nur Berlin, son dern wir brauchen gerade in den peripheren Gebieten unseres Landes Kultur. Das sind wichtige Eckpunkte,

(Beifall SPD)

über die gesellschaftliches Engagement mobilisiert werden kann, mithilfe derer sich auch aktives Bürgertum versammelt. Ein gutes Theaterstück ist auch ein Beitrag zur Stärkung der Zi vilgesellschaft, und deshalb, glaube ich, ist es gut und wichtig, dass wir jetzt als SPD-Fraktion - ich glaube, die Kollegen von den Linken werden uns da folgen - einen neuen Vorschlag un terbreitet haben, wie wir dauerhaft - über das Jahr 2020 hinaus - gewährleisten, dass unsere Theater und Orchester im Land gesi chert sind. Das ist notwendig. Ich glaube, gerade solche Signale brauchen wir in diesen Zeiten, in denen viele Menschen verun sichert sind. Wir müssen deutlich sagen: Diese Landesregierung steht, diese Landesregierung wird ihr Wahlprogramm und das, was sie im Koalitionsvertrag vereinbart hat, umsetzen. Sie wird Reformen vorantreiben. Wir tauchen jetzt nicht weg, wir stehen das durch, und wir sind auch offen für neue Ideen, die da mögli cherweise noch im Diskussionsprozess kommen,

(Beifall SPD)

aber wir werden das machen. Wir werden weiterhin dieses Land Brandenburg voranbringen.

Wir haben stürmische Zeiten erlebt, und ich sage zu den Kolle ginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion: Ihr habt auch ein mal 10 Jahre mitregiert, wir haben 25 Jahre mitregiert, und wir standen oftmals vor Situationen, die unglaublich schwierig wa ren, in denen uns der Wind ordentlich ins Gesicht wehte, in denen die Leute draußen wütend auf uns waren, in denen sie bestimmte Entscheidungen am Anfang nicht verstanden haben, aber am Ende doch nachvollziehen konnten.

Ich rate zum Beispiel Frau Tiemann, sie soll einmal in die Stadt Schwedt fahren. Das ist nicht die erste Kreisgebiets- und Ver waltungsreform, die wir in diesem Land anpeilen. 1993 hatten wir dieselben Debatten. Da gab es auch die Fraktionen, die

sagten: Es geht auf keinen Fall, dass die stolze Stadt Schwedt die Kreisfreiheit verliert. - Mein Parlamentarischer Geschäfts führer war damals einer von ihnen. Ich rate Frau Tiemann, sie soll einmal nach Schwedt fahren, sich mit dem dortigen Bür germeister treffen und ihn fragen, ob er wieder kreisfrei wer den und ein eigenes Jugendamt haben will. Nein, will er natür lich nicht! Er ist froh, dass er von diesen Aufgaben entlastet worden ist. Ich glaube, der Erfolg unserer Kreisgebietsreform von 1993 zeigt, dass es auch heute notwendig ist, eine Debatte mutig nach vorn zu führen und das Land weiter voranzubrin gen. Wir als Sozialdemokraten werden dabei stehen, wir wer den diese Diskussion führen. Wir sind dabei lernbereit, wir werden neue Ideen aufnehmen und das Land Brandenburg wei ter voranbringen. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir danken Ihnen. - Zu uns spricht nun der Abgeordnete Dr. Gauland für die AfD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Ness, ich freue mich immer, wenn Sie sich um die AfD Gedanken und Sorgen machen, aber vielleicht zur Ergänzung für das liebe Publikum: Wir, die AfD Brandenburg, hatten vor der letzten Landtagswahl genau in den Umfragen, die Sie mir jetzt vorhal ten, 7 % erreicht, und im Wahlergebnis waren es dann 12,2 %. Also, ich würde sagen, das sollte man dann dazurechnen.

(Beifall AfD)

Ich will aber noch auf etwas anderes eingehen, was Sie gesagt haben, Herr Ness. Sie sagen, die Menschen müssten diese Ände rungen einfach akzeptieren. Dem entgegne ich: Fragen Sie ein mal die Menschen, ob sie diese Änderungen akzeptieren. Ich stel le die Gegenfrage: Wollen Sie den Menschen wirklich eine zwangsweise Veränderung der Gesellschaft aufdrücken? Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Ehrlich gesagt, wenn wir schon einmal dabei sind: Herr Orbán hat vor Kurzem erklärt - und dafür habe ich großes Verständnis -, er hat gesagt …

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Schöneburg [DIE LINKE])

- Ich weiß, dieser Name regt Sie auf. Man kann ihn trotzdem benutzen.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])

Herr Orbán hat vor Kurzem gesagt: Die Ungarn haben tausend Jahre in einer bestimmten Weise gelebt, und sie wollen weiter so leben. - Für diese Haltung habe ich Verständnis.

(Beifall AfD)

Es kann sein, dass wir das in Deutschland anders sehen.

(Frau Große [DIE LINKE]: Aber andere wollen auch le ben!)

Es kann sein, dass wir in Deutschland anders leben wollen, aber wir sollen es denen, die diese Meinung äußern, nicht auf zwingen.

Das Letzte, was Herr Ness gesagt hat - jetzt ist er leider nicht im Saal -, hat mich sehr gefreut. Es kommt selten vor, dass wir hier über Außenpolitik reden. Ich kann Herrn Ness und der Ko alition nur raten, sie mögen ihrem Koalitionspartner - in dem Fall der CDU - deutlich machen, dass es in der Tat richtig ist, Russland in alle Dinge einzubeziehen, und dass wir nirgendwo Fortschritte erreichen werden, wenn wir Politik gegen Russ land statt mit Russland machen.

(Beifall AfD)

Wenn sich diese Einsicht bei Ihnen, der SPD, durchgesetzt hat - dass DIE LINKE da nicht klatscht, wundert mich, aber okay -,

(Unmut bei der Fraktion DIE LINKE)

dann bringen Sie die CDU dazu, dass sie nicht weiter in KalterKrieg-Auseinandersetzungen denkt.

(Unmut bei der SPD, der CDU, der Fraktion DIE LINKE sowie B90/GRÜNE)

- Jammern Sie nicht!

Ich komme jetzt zum Thema „25 Jahre Brandenburg“ - das ist der eigentliche Anfang, doch ich wollte auf einiges eingehen, was Herr Ness gesagt hat. Wir hätten es uns denken können - das kann man auch nicht anders erwarten -: Nach 25 Jahren sozialdemokratischer Wohlfühlpolitik steht in diesem Land al les zum Besten. Wenn ich mir Ihre Regierungserklärung an höre, kann ich nur sagen, dass es eigentlich fast nichts zu kriti sieren gibt und wir eigentlich alle gleich aufhören müssten weiterzureden. Ich weiß, das hätten Sie gern.

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Das ist das Problem: Sie haben nicht zugehört!)

- Ja, das ist mir schon klar.