Klaus Ness

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Last Statements

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Ich möchte mich zunächst ausdrücklich für die Worte un serer Landtagspräsidentin zu Beginn der heutigen Sitzung be danken. Ich glaube, das ist sehr angemessen.
Ich gebe zu, dass wir als Fraktion überlegt haben, ob wir das Thema der heutigen Aktuellen Stunde tatsächlich so umsetzen. Aber es gibt offensichtlich Versuche - auch in der öffentlichen Debatte -, das Thema Flucht und Vertreibung mit Terrorismus in Verbindung zu bringen. Von daher ist es, glaube ich, auch hier richtig, dazu ein paar Worte zu verlieren und diese Debatte wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Einige versuchen zurzeit vor dem Hintergrund dieser schreck lichen Anschläge in Paris ein Süppchen zu kochen, das nicht
gut ist für unsere Demokratie, und ich glaube, dieser Landtag muss das heute eindeutig zurückweisen.
Lassen Sie mich einige Worte zu den Anschlägen sagen. Es war nicht der erste terroristische Anschlag, den wir in Europa erlebt haben - auch nicht der erste terroristische Anschlag des IS; aber er hatte eine neue Qualität. Angesichts der Konzen triertheit, in der die Angriffe in Paris erfolgt sind, ist klar, dass sie lange geplant waren und ein politisches Kalkül dahinter steckt, dass dies ein gezielter Angriff auf unsere Werte, die Art und Weise, wie wir leben, war.
Ich habe mich am Freitagabend und am Samstag häufig an Herrn Stoltenberg, den früheren Ministerpräsidenten von Nor wegen, erinnert. Als er in seinem Land die schrecklichen Atten tate in Oslo und auf der Insel Utøya erleben musste, sagte er: Was uns jetzt nicht passieren darf, ist, dass wir zurückweichen und unsere eigenen Werte, Haltungen und Vorstellungen infrage stellen. Nein, unsere Antwort muss sein, dass wir für mehr Mit menschlichkeit, mehr Mitleiden und mehr Toleranz eintreten.
Das muss auch die Botschaft sein, die wir von den Ereignissen in Paris mitnehmen.
Deshalb - ich habe es zu Beginn gesagt - dürfen wir nicht zu lassen, dass in diesen Tagen einige politische Kräfte - sei es von der AfD, von Pegida oder von noch weiter rechts - versu chen, eine Umdefinition vorzunehmen, nämlich Opfer des IS, die aus Syrien, Afghanistan und dem Irak zu uns flüchten, zu potenziellen Tätern zu erklären. Das ist perfide und pervers.
Wir müssen Sorgen und Ängste ernst nehmen, auch Sorgen und Ängste vor Terrorismus, ja. Wir müssen uns als Staat auch darauf einstellen, dieser terroristischen Herausforderung zu be gegnen. Begegnen kann man ihr nicht mit einer einzigen Maß nahme. Es braucht ein Bündel von Maßnahmen und ein zivil gesellschaftliches Bewusstsein in ganz Europa für das, worauf wir stolz sind, wofür wir stehen und kämpfen. Es braucht aber auch die Durchsetzung des Gewaltmonopols des Staates und möglicherweise an der einen oder anderen Stelle eine Nachju stierung, um das Gewaltmonopol des Staates aufrechtzuerhal ten und terroristische Gefahr zurückzuweisen. Das ist völlig klar.
Gleichwohl muss uns klar sein, dass wir angegriffen werden, weil wir so sind, wie wir sind - nämlich eine offene, liberale, tolerante Gesellschaft, eine Gesellschaft, die fähig ist, mitzu leiden und Solidarität zu zeigen. Deshalb dürfen diese Werte nicht infrage gestellt werden, sondern wir sollten uns immer an die Worte von Herrn Stoltenberg und seine Haltung und Größe erinnern, die er nach dem Terror in Oslo bewiesen hat. Diese sollten wir jetzt auch beweisen.
Es gibt immer Angst vor dem Fremden. Die Menschen, die jetzt aus Syrien, Afghanistan und dem Irak zu uns fliehen, sind vielen Menschen hierzulande erst einmal fremd. Sie kennen sie und ihre Lebensgeschichte nicht. Sie kennen auch nicht die po litischen Bedingungen in ihren Heimatländern. Durch das At tentat in Paris ist uns möglicherweise sehr konkret vorgeführt worden, was diese Menschen täglich erleben.
Ich habe heute Morgen auf Facebook ein Foto von einer Lichtinstallation gesehen, die gestern in Rathenow aufgebaut wor den ist. Dort steht: In Syrien ist jeden Tag Paris. - Ja, das ist die Wirklichkeit. Die Menschen, die zu uns fliehen, tun dies aus Angst vor Zwangsrekrutierungen durch den IS. Frauen, die zu uns kommen und auch in Flüchtlingslagern in Brandenburg le ben, sind von IS-Mitgliedern vergewaltigt worden - teilweise wochen- und monatelang.
Über diese Geschichten müssen wir sprechen. Wir müssen zu rückweisen, dass einige das einfach ausblenden. Ich verstehe in bestimmten Diskussionen nichts mehr.
Mein Kollege Daniel Kurth hat mir kürzlich erzählt, dass eine Schülergruppe den Landtag besucht hat und Schüler die Frage gestellt haben: Warum fliehen diese Menschen eigentlich zu uns? Was wollen die hier? - Dass solche Fragen gestellt wer den, ist ein Zeichen dafür, dass wir als Demokraten noch zu wenig über die Realität in diesen Ländern aufgeklärt haben. Kollege Dombrowski unternimmt jetzt verschiedene Reisen - auch in die Kriegsgebiete. Ich begrüße das sehr. Er berichtet über das, was er dort erlebt, und darüber, wie es den Menschen geht.
So etwas müssen wir tun. Die zu uns kommenden Flüchtlinge sind keine potenziellen Täter, sondern unsere Verbündeten im Kampf gegen den „Islamischen Staat“.
Nichtsdestotrotz ist völlig klar, dass die große Zahl der zu uns kommenden Menschen eine riesige Herausforderung darstellt, weil wir sie unterbringen müssen und integrieren wollen. Viele der zu uns kommenden Menschen wollen eigentlich in ihre Heimat Syrien, Afghanistan oder den Irak zurück. Viele von ihnen haben aber auch schon eine Zeit in den Camps der anlie genden Länder verbracht und die Hoffnung zurückzugehen aufgegeben, und deshalb machen sie sich auf den Weg zu uns. Wir müssen uns darauf einstellen, dass auch in den nächsten Jahren viele nicht zurückkehren können, weil die kriegerischen Auseinandersetzungen in ihren Heimatländern möglicherweise nicht beendet sind.
Wir sind gut beraten, Fehler, die möglicherweise in Paris be gangen wurden, nicht zu wiederholen. Ich erinnere mich: Als vor elf Jahren, im Jahr 2005, in den Banlieues bürgerkriegs ähnliche Auseinandersetzungen und Aufstände von Migranten, die sich als sozial deklassiert empfunden haben, stattfanden, wurde vonseiten der Politik gesagt, dass sich dringend etwas ändern, dass die Integration besser gelingen müsse und den Menschen Perspektiven aufgezeigt werden müssten. Offen sichtlich wurde das nicht umgesetzt. Der Nährboden für Isla mismus und Salafismus in Europa ist soziale Ausgrenzung. Die soziale Ausgrenzung von Menschen und die Perspektivlosig keit müssen beendet werden. Das ist die erste Botschaft, die
wir verstehen müssen. Wenn wir zu uns kommende Menschen integrieren wollen, müssen wir gewährleisten, dass sie eine be rufliche Perspektive finden, die deutsche Sprache lernen und so Teil unserer Gesellschaft werden können.
Ich bin unglaublich dankbar, dass sich sehr viele Ehrenamt liche auf den Weg gemacht haben, um Deutschkurse zu organi sieren, nicht nur um Kleider und anderes zu sammeln, sondern einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Menschen bei uns an kommen. Ein hervorragendes Beispiel ist das Team „Welcome United 03“ aus Babelsberg. Das wird mittlerweile bundesweit wahrgenommen und inspiriert andere im Landessportbund, auch zu versuchen, Flüchtlinge über den Sport zu integrieren und sie Teil unserer Gesellschaft werden zu lassen. Die Kern aufgabe sind jedoch der Spracherwerb und die berufliche Inte gration.
Ich glaube, trotz der großen Zahlen, von denen wir in diesen Tagen lesen und hören, sollten wir auf dem Teppich blei ben. Der Innenminister hat angekündigt, dass dieses Jahr 36 000 Menschen zu uns flüchten bzw. geflüchtet sind. Nicht alle von ihnen werden dauerhaft bei uns bleiben, viele befinden sich schon gar nicht mehr in Brandenburg. Von diesen 36 000 Menschen werden perspektivisch, denke ich, vielleicht 10 000 bis 15 000 in Brandenburg bleiben. Darunter sind viele Kinder, die in Kita und Schule relativ schnell zu integrieren sind. Lassen Sie es also vielleicht 6 000 bis 8 000 Menschen sein, die in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind. Wissen Sie, wie viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigte wir in Brandenburg haben? Ich glaube, manchmal müssen wir uns das vor Augen halten. In Brandenburg haben wir derzeit 800 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte. Wenn wir in diesem Jahr also 6 000 bis 8 000 zu uns gekommene Flücht linge in den Arbeitsmarkt integrieren müssen, sprechen wir von 1 % der Sozialversicherungspflichtigen in Brandenburg. Das ist doch zu schaffen! Es ist doch wohl hinzubekommen,
diesen 6 000 bis 8 000 Menschen den Deutscherwerb zu er möglichen.
Es muss doch auch möglich sein, zunächst einmal herauszufin den, welche beruflichen Qualifikationen sie mitbringen, oder ihnen notfalls neue berufliche Qualifikationen zu vermitteln. Gerade wir in Ostdeutschland haben damit gigantisch große Erfahrungen. In der Zeit der Transformation nach 1990 sind in Ostdeutschland bis zu 3 Millionen Menschen beruflich neu qualifiziert worden. Dass wir in Ostdeutschland heute eine so niedrige Arbeitslosenrate und nicht mehr eine solch hohe wie in den 90er-Jahren verzeichnen, ist auch ein Ergebnis dieser Qualifizierungspolitik. Sie sollte uns Leitschnur sein. Wir ost deutschen Bundesländer sollten unsere Erfahrungen einbringen und auf deren Grundlage den Mut haben zu sagen: Das kann gelingen. - Wir sollten diejenigen zurückweisen, die gar nicht wollen, dass es gelingt, denn die brauchen wir in Brandenburg nicht.
Die Diskussion um Integration hat gerade erst begonnen. Im Augenblick leisten wir noch Notfallhilfe. Wir bringen Men schen unter, die in Zügen in Schönefeld ankommen, dann in die Erstaufnahmeeinrichtungen gebracht und schließlich den Kommunen zugeteilt werden. Aus diesem Modus der Notfall hilfe müssen wir möglichst schnell herauskommen und Men schen, von denen wir wissen, dass sie dauerhafte Bleibeper spektiven haben, schnell integrieren, ihnen schnell Angebote machen, sie auch fordern, nicht nur fördern - das betone ich -, damit sie möglichst schnell ein Teil unserer Gesellschaft und gute Brandenburger werden, die die Werte unserer Verfassung leben. Bei all dem sollten wir immer Artikel 1 unseres Grund gesetzes in Erinnerung haben:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Ich hoffe, dass die heutige Debatte und alle Wortbeiträge die sem Gedanken folgen.
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Ich finde, diese Debatte hat etwas sehr Grundsätzliches klargemacht, nämlich welche Auseinandersetzungen wir in den nächsten Monaten und Jahren führen müssen. Da gibt es eine kleine radikale Min derheit, die sitzt da rechts außen,
die die Sorgen, die es im Land gibt, aufzunehmen und zu ver stärken versucht. Sie versucht, daraus Ängste zu entwickeln, Hass reifen zu lassen, und sie versucht daraus politisches Kapi tal zu schlagen.
Und es gibt die große Mehrheit der Demokraten in diesem Par lament.
Die nehmen die Ängste und Sorgen auch wahr, ringen aber da rum, Lösungen zu finden.
Die Mehrheit versucht, mit den Menschen darüber zu reden, wie wir Mitmenschlichkeit in diesem Land aufrechterhalten und unser Land durch die eintretenden Veränderungen stärken. Diesen Kampf - davon bin ich völlig überzeugt - wird die Seite der Demokraten gewinnen. Wir haben aus unserer Geschichte gelernt.
Wir werden Integrationsarbeit leisten, und sie wird uns gelin gen. Deshalb begrüße ich ausdrücklich die Initiative des Mini sterpräsidenten, das Bündnis für Brandenburg auf die Beine zu stellen. Wir haben gestern in der Runde der Vorsitzenden der demokratischen Fraktionen darüber geredet. Es gab große
Übereinstimmung, dass wir dieses Projekt unterstützen wer den. Es wird schon jetzt - das hat der Ministerpräsident signali siert - von starken Kräften aus der Wirtschaft, von Kulturschaf fenden, von den Wohlfahrtsverbänden und den Kirchen unter stützt.
Wir haben in Brandenburg gute Erfahrungen damit, dass de mokratische Institutionen und die Zivilgesellschaft zusammen wirken und Probleme gemeinsam angehen. Ich erinnere nur an das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“. Lassen Sie uns gemeinsam auch das Thema Integration in einem breiten Bündnis angehen! Und die lassen wir rechts liegen.
Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie be Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, die in Potsdam Zu flucht gefunden haben. Herzlichen Dank, dass Sie an unserer heutigen Sitzung teilnehmen.
Ja, wir feiern in diesen Tagen 25 Jahre Brandenburg. Heute Abend werden wir einen Festakt im Nikolaisaal begehen, am Sonnabend wird es ein großes Bürgerfest geben. Die Medien berichten umfassend darüber. Es ist eine Zeit des Innehaltens, auch, um daraus Kraft zu schöpfen. Deshalb war ich ein wenig verwundert über Diskussionsbeiträge der CDU in den vergan genen Tagen und auch heute, wonach es unangemessen sein soll, diese beiden Themen zu verknüpfen. Ich glaube, unser Ministerpräsident hat mit seiner Regierungserklärung heute eindeutig bewiesen, dass sie wunderbar zu verknüpfen sind,
dass es Sinn macht, sich über 25 Jahre Land Brandenburg Ge danken zu machen, gleichzeitig in die Zukunft zu schauen und aus den Erfahrungen der letzten 25 Jahre Lösungsansätze zu entwickeln.
Der Kollege Senftleben hat zum Schluss die Kurve gekriegt, als er sagte: Ja, wir können in der Tat aus den Erfahrungen, die wir in den letzten 25 Jahren gesammelt haben, Kraft ziehen und Erfahrungen einbringen, die uns helfen, die Flüchtlingskri se in den Griff zu kriegen. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir uns auch selbst vergewissern, dass wir uns mit unserer ei genen Geschichte auseinandersetzen, wir sie uns vor Augen halten und wahrnehmen, was unter ganz schwierigen Bedin gungen geleistet worden ist.
Wie war die Situation 1990? Die DDR gab es nicht mehr. Viele Menschen waren in einer Phase sehr großer Verunsicherung, hatten Angst um ihren Arbeitsplatz, hatten Sorge, ob sie über morgen ihre Wohnung noch bezahlen können, hatten Angst vor Restitutionsansprüchen, gerade hier im Berliner Umland. Es war eine Situation der Verunsicherung. Da ist es ein kleines Wunder, dass sich in dieser Situation der Verunsicherung, wo viele Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben, eine Bran denburgidentität herausbildete.
Das war nicht selbstverständlich. Als nach der deutschen Wie dervereinigung die fünf neuen Bundesländer entstanden sind, war es für viele offensichtlich, dass die Sachsen und die Thü ringer eine hohe Identität, die sie sich auch in der Zeit der DDR bewahrt haben, sofort wieder ausleben können. Dass das in Brandenburg passieren würde, war nicht selbstverständlich. Ich glaube, man muss an dieser Stelle an die hohen Verdienste insbesondere unseres Gründungsministerpräsidenten Manfred Stolpe, aber auch die Regine Hildebrandts erinnern, die Bran denburger Identität wachzurufen. Ich glaube, das hat viel dazu beigetragen, dass wir nach der Wende eine Stabilität entwickelt und unser Land vorangebracht haben.
Ich bin 1991 nach Brandenburg gekommen, das ist mittlerwei le 24 Jahre her. Ich war begeistert, wenn ich übers Land fuhr, wie viele Brandenburgfahnen in den Vorgärten hingen. Die hängen vielerorts auch heute noch da. Das zeigt, dass Branden burg für die Menschen ein Bezugspunkt ist, dass sie die Zeit nach der Wende als einen Anfangspunkt betrachtet haben und trotz der vielen Probleme etwas voranbringen wollten. Das ist in der Tat das kleine Wunder der Brandenburger Identität, das Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt hervorgerufen haben.
Die Situation war in der Tat schwierig. Es gab Betriebsschlie ßungen an allen Ecken und Enden in diesem Land. Menschen sind zu Zehntausenden arbeitslos geworden, und es ist etwas passiert, an das wir uns heute erinnern sollten, nämlich dass Menschen den Mut hatten, sich im Zuge aktiver Arbeitsmarkt politik wieder einzubringen und einen Neuanfang zu starten. Diese Politik war nach der Wende im Übrigen auch für den da maligen Bundeskanzler Helmut Kohl und die CDU ein großer
Schritt. Ich kann mich erinnern, dass Helmut Kohl vor 1989 jegliche Form aktiver Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik für Teufelswerkzeug hielt. Als dann im Verlauf des Transfor mationsprozesses in Ostdeutschland, auch in Brandenburg, massenhaft Menschen - Hunderttausende - arbeitslos wurden, weil große Werke geschlossen wurden, haben wir diese Gesell schaft in Ostdeutschland auch darüber stabil gehalten, dass Menschen eine neue Perspektive aufgezeigt wurde, und zwar nicht nur durch ABM, sondern auch durch Weiterbildung und Qualifizierung.
Das ist damals im Kern über die Sozialversicherung finanziert worden, hat aber geholfen, dass das, was der Ministerpräsident vorhin beschrieben hat, dass 80 % der Ostdeutschen nach der Wende einen anderen Job ausübten als vor der Wende, reali siert werden konnte. Ich glaube, deshalb macht es Sinn, sich angesichts der aktuellen Herausforderungen mit dem Thema 25 Jahre Brandenburg auseinanderzusetzen. Es gibt uns einen guten Hinweis, vor welcher Herausforderung wir stehen. Die Zahlen sind genannt worden. In diesem Jahr kommen 25 000, vielleicht 30 000 Menschen nach Brandenburg; im Jahr zuvor waren es 6 000. Diese 25 000 bis 30 000 Menschen werden nicht alle dauerhaft bei uns bleiben. Vielleicht erhalten 15 000, 20 000 oder 25 000 einen dauerhaft gesicherten Aufenthaltssta tus. Das heißt nicht automatisch, dass sie in Brandenburg ver bleiben. Aber unterstellt, 15 000 oder 20 000 bleiben in Bran denburg, dann muss es unser gemeinsames Interesse sein - die Truppen rechts außen nehme ich einmal aus -, dass wir sie gut integrieren, dass sie Teil unseres Arbeitsmarktes werden, dass sie eben nicht in die Sozialversicherung „einmarschieren“, wie es von rechts außen unterstellt wird, sondern gleichberechtigte Brandenburger Bürger werden, die mit uns gemeinsam am Aufbau des Landes arbeiten.
Dafür können und müssen wir etwas leisten. Das, was uns nach der Wende in den 90er-Jahren mit Millionen Menschen in Ost deutschland gelungen ist, kann eine Folie und ein Hinweis sein, wie wir es auch jetzt packen können, voranzukommen. Ja, wir werden möglicherweise mit privaten Bildungsträgern, aber auch mit den Industrie- und Handelskammern Kurse auflegen müssen für Menschen, die Deutsch lernen müssen und die eine berufliche Anpassungsqualifizierung brauchen. Unsere Ar beitsministerin Andrea Nahles hat gesagt, 10 % von denen, die zu uns kommen, sind direkt in den Arbeitsmarkt integrierbar. Das heißt im Umkehrschluss - das gehört zur Ehrlichkeit -: 90 % brauchen möglicherweise erst einmal Unterstützung. Die müssen wir ihnen geben - im Interesse der betroffenen Men schen, aber auch in unserem eigenen Interesse. Wenn wir nicht wollen, dass Sorgen und Nöte von Menschen Wirklichkeit wer den, müssen wir uns jetzt um Integration kümmern. Wir müs sen uns darum kümmern, dass Syrer, Afghanen, Iraner bei uns eine neue Heimat finden, dass sie gleichberechtigter Teil un serer Gesellschaft, Bürger unseres Landes, gute Brandenburger werden.
Dass wir das leisten können und zu Solidarität fähig sind, ha ben wir in den vergangenen 25 Jahren gelernt und erlebt. Wir Brandenburger haben Solidarität erlebt und gleichwohl Solida
rität gezeigt. Wann haben wir Solidarität erlebt? Natürlich durch die Hilfe aus Westdeutschland, vor allem unseres Part nerlandes NRW, haben wir nach der Wende Solidarität erlebt. Zum einen erlebten wir eine starke finanzielle Hilfe. Zum an deren sind Menschen aus NRW hierhergekommen, sie haben zum Teil auch in Brandenburg eine neue Heimat gefunden. Wir haben aber auch selbst Solidarität erlebt und gegeben, zum Beispiel bei den Hochwasserkatastrophen; Menschen aus allen Teilen Brandenburgs und Deutschlands sind in die Krisenregi on gekommen und haben geholfen, Sandsäcke zu befüllen, um weitere Katastrophen zu verhindern. Wir haben eine Kraft ge zeigt, die das von Ingo Senftleben angesprochene und von An gela Merkel geforderte „Das-schaffen-wir“ glaubhaft macht. Wir haben bewiesen: Wir können die Solidarität der eigenen Bevölkerung mobilisieren. Wir können es schaffen, die Men schen, die zu uns kommen, zu unterstützen, weil wir sie brau chen und wollen, dass sie gute Bürger werden.
30 000 Menschen sind eine große Herausforderung, aber es ist eine zu schaffende Aufgabe. Ich habe die Zahlen vorhin ge nannt. Wenn man davon ausgeht, dass 15 000 oder 20 000 dau erhaft hierbleiben, so ist das eine leistbare Aufgabe. Davor braucht man keine Angst zu haben. Wir haben in den vergange nen 25 Jahren das Know-how entwickelt, um Integrationsar beit zu leisten. Wir erleben heute, dass unglaublich viele Men schen - der Ministerpräsident hat darauf hingewiesen - zu hel fen bereit sind. Die SPD-Fraktion hatte vor einigen Tagen in ihrem Fraktionssaal ein Treffen mit Willkommensinitiativen organisiert. Es ist - ich kann es nicht anders sagen - Wahnsinn, was viele Menschen derzeit leisten. Es macht mich stolz auf mein Land, wie viele Menschen, und zwar aus allen sozialen Schichten, etwas zu leisten bereit sind.
Es sind nicht nur Aktivisten aus Parteien oder Kirchen, es sind Bürger, die zum Teil selbst erst vor wenigen Jahren nach Bran denburg, in das Berliner Umland, gezogen sind, die sagen: Wir sind Teil unserer Gemeinde, wir wollen einen Beitrag leisten, dass die neuen, die zu uns kommen, schnell Teil unserer Ge sellschaft werden.
Große Anstrengungen werden unternommen - ob Hilfe bei Sprachkursen oder anderes. Das alleine wird nicht ausreichen. Man darf auch nicht sagen: Ehrenamtler müssen alles leisten, sie sind jetzt Profis für Integrationsarbeit. - Nein, wir brauchen ein Zusammenwirken von staatlichen und zivilgesellschaft lichen Institutionen.
Die AfD hat eine Herbstoffensive gestartet. Wenn das heute Morgen eine Offensive war - meine Güte! Ein kläglicher Haufen war das, der hier heute vor dem Haus demonstriert hat.
Das hat mir wieder einmal gezeigt: Brandenburg ist nicht Sachsen, Potsdam nicht Dresden. Hier sind die Mehrheiten ge klärt: Wir wollen Integration
und sind gegen Hetzer. Nicht nur „noch“! Es wird eher mehr werden. Schauen Sie sich Ihre eigenen Umfragezahlen an: Sie sacken in den Keller, weil die Leute merken, dass Sie Hetzer sind, dass Sie Menschen verhetzen wollen und keinen Beitrag leisten, um die Probleme in diesem Land zu lösen.
Heute ist der erste von drei Plenartagen. Auch morgen und übermorgen wird uns das Thema Flucht und Vertreibung mit allen Konsequenzen fürs politische Handeln begleiten. Morgen gibt die CDU in der Aktuellen Stunde uns allen Gelegenheit, unsere Forderungen an den Asylgipfel, der morgen ab 15 Uhr im Bundeskanzleramt stattfinden wird, zu formulieren. Am Freitag haben wir Gelegenheit, die Ergebnisse auszuwerten. Ich hoffe, dass bei diesem Asylgipfel tatsächlich in vielen Fra gen ein Durchbruch gelingt. Ich bin mir aber auch sicher, dass noch nicht alle Antworten abschließend gegeben werden. Die Antworten müssen nämlich vielseitig sein; ich gehe gleich auf Ingo Senftleben ein, der einige Punkte konkret angesprochen hat.
Ich glaube, wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, als hätte irgendjemand die Möglichkeit, den Gordischen Knoten zu durchschlagen, wodurch alles gut würde. Nein! Es wird eine Daueraufgabe, eine langwierige Aufgabe sein. Trotzdem müs sen morgen auf dem Gipfel konkrete Entscheidungen getroffen werden. Ich sehe es in zwei Richtungen: Wir müssen - da, Herr Senftleben, bin ich Ihrer Meinung - ohne großen Streit zu einer vernünftigen Lastenverteilung kommen; im Augenblick haben wir noch keine. 95 % der Lasten für die Unterbringung werden gegenwärtig von Ländern und Kommunen gezahlt - nur 5 % vom Bund. Das ist im Augenblick die Wirklichkeit. Das Ange bot, das der Bund jetzt vorgelegt hat, läuft darauf hinaus, dass er seinen Beitrag auf 20 bis 25 % erhöht - aber 75 % würden immer noch die Länder und Kommunen tragen. Ich finde es angesichts dieser Zahlen nicht illegitim zu sagen: Da geht noch etwas, da muss noch etwas kommen.
Ich hoffe, dass morgen etwas kommt. Wenn wir wissen, was vom Bund wirklich kommt, und wenn wir die Zahlen der Steu erschätzung vom November kennen, werden wir hier als Land Brandenburg einen Nachtragshaushalt vorlegen, der Antworten auf alle Fragen geben wird: wie wir die Unterbringungskosten in Zukunft ordentlich finanzieren und was wir leisten müssen, damit Integration auch in Schule gelingt.
Der Ministerpräsident hat vorhin die Zahlen genannt: Natürlich sind unter den zu uns Flüchtenden auch viele Schulkinder. Das bringt Herausforderungen mit sich, derer sich die Schulen und nach meinem Eindruck auch die Kitas sehr gut annehmen. Aber da muss mehr passieren! Wir werden Antworten darauf finden - dessen können Sie sicher sein. Im November wird es einen Vorschlag für einen Nachtragshaushalt geben, wo die Fragen konkret beantwortet werden - alles zu seiner Zeit.
Ich glaube, wir müssen aber auch die Diskussion mit unserer Bevölkerung offensiv und intensiv führen und deutlich ma chen, dass sich unser Land verändern wird und dass dies gut ist. Ja, wenn Menschen zu uns kommen, bringen sie ihre Kul tur und Ideen mit. Wir müssen akzeptieren, dass wir ein Ein
wanderungsland sind. Darum können wir uns nicht mehr he rummogeln. Deutschland hat sich viel zu lange um die Er kenntnis, dass wir ein Einwanderungsland sind, herumgemo gelt.
Viele Probleme im Zusammenleben rühren daher, dass wir uns dieser Erkenntnis verweigert haben. Viele wissen es: Ich lebe seit 24 Jahren in Brandenburg, bin aber in Niedersachsen groß geworden. Ich wurde 1968 eingeschult, zusammen mit Kin dern der ersten Generation türkischer Migranten. Interessanter weise habe ich zu einem Mädchen heute noch Kontakt, zu Fat ma, die in Deutschland geblieben ist. Ihre Eltern waren damals noch der Meinung: Wir bleiben nur ein paar Jahre in Deutsch land, dann gehen wir zurück. - Nein, sie ist geblieben und ar beitet heute als Sozialarbeiterin im Jugendamt. Dass sie eine gute Entwicklung genommen hat, ist aber in dieser Generation die Ausnahme. Deutschland war damals der Meinung: Es kom men vorübergehend Gäste zu uns - es kamen aber Menschen! Sie wollten dauerhaft bleiben und haben auch ihre Familien nachgeholt. Teilweise hatten sie diese Erkenntnis, als sie ka men, selbst noch nicht; aber sie sind geblieben. Wir haben die Augen davor verschlossen, dass intensivere Integrationsarbeit geleistet werden muss. Die Fehler, die im Westdeutschland der 60er- und 70er-Jahre bei der Integration gemacht worden sind, dürfen wir nicht wiederholen.
Wir müssen da konsequent herangehen. Das ist, da bin ich mir sicher, kein Ringelpiez mit Anfassen. Es wird anstrengend werden, ein Fordern und Fördern sein. Natürlich muss es An gebote zum Spracherwerb geben, Angebote, berufliche Quali fikationen aufzufrischen, zu ergänzen oder auch erst neu zu schaffen. Von den Zuwanderern muss aber gefordert werden, dass sie die Angebote dann auch in Anspruch nehmen. Das Ganze ist keine Einbahnstraße. Integration wird nur gelingen, wenn diejenigen, die zu uns kommen, Teil unserer Gesellschaft werden wollen,
und wenn wir bereit sind, zur Stabilisierung des sozialen Zu sammenhalts in diesem Land diese Zukunftsinvestition vorzu nehmen. Das ist völlig klar.
Dazu gehört auch, dass wir es nicht akzeptieren werden, wenn unsere Werte der liberalen, offenen Gesellschaft nicht toleriert werden; da bin ich mit Ingo Senftleben einer Meinung. Wir ha ben, manchmal auch gegen den Widerstand der CDU, die sich heute Gott sei Dank zu ihr bekennt, eine liberale und tolerante Gesellschaft herausgebildet. Bei uns gibt es Religionsfreiheit - das heißt aber auch Religionstoleranz. Das heißt, wir tolerieren unterschiedliche Glaubensbekenntnisse. Wir akzeptieren es auch, wenn jemand nicht glaubt - das ist bei uns in Branden burg die Mehrheit der Menschen. Ja, wir akzeptieren Homose xuelle. Ja, wir sind für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Auch sie wurde in den vergangenen 100 Jahren hart er kämpft und hat durch die Diskussionen nach der Wende einen neuen Schub bekommen: Gleichberechtigung bedeutet näm lich auch gleichberechtigte Teilhabe am Erwerbsleben und die Gewährleistung von Kinderbetreuung. Wir sind sogar noch weiter gegangen: Kinderbetreuung ist auch Bildung. Das sind
Themen, die wir uns in den vergangenen 25 Jahren erarbeitet haben und die wir nicht infrage stellen lassen. Wir erwarten, dass Menschen, die zu uns kommen, diese Werte akzeptieren und leben.
Ingo Senftleben hat eine berechtigte Frage aufgeworfen. Haben nicht viele Menschen im Land, die jetzt Fragen stellen, ein Recht, nach 25 turbulenten Jahren, die viele Veränderungen ge bracht haben, zu sagen: Es ist jetzt auch einmal gut; ich will keine zusätzliche Veränderung, sondern meine Ruhe haben? - Leider muss man sagen: Nein, Stillstand kann und wird es nicht geben. Es wird weitere Veränderungen geben, es muss vorange hen. Wir haben eine gewisse Stabilität erreicht, dürfen uns auf ihr aber nicht ausruhen. Ich glaube, dass es manchmal hilft, in unsere eigene Geschichte zurückzublicken - und zwar nicht nur die der letzten 25 Jahre. Wir sollten in unserem Landstrich viel leicht auch einmal hundert Jahre zurückblicken. Ich lebe seit mittlerweile zehn Jahren in Senftenberg. Ein Ortsteil ist Brieske mit der schönen Gartenstadt Marga, leider zu DDR-Zeiten ziemlich verfallen, nach der Wende wunderschön restauriert.
Ich fragte irgendwann meine Frau, was das große Gebäude in der Mitte auf dem Marktplatz sei. Sie sagte, das sei ein Ledi genheim. Ich habe mich gefragt, was das ist, und mich intensiv damit auseinandergesetzt. Ich stellte fest: Auch dies war ein Bestandteil von Integration, von Einwanderungsgeschichte hier in Brandenburg. Als nämlich in der Lausitz die Braunkoh le entdeckt wurde, lebten dort relativ wenige Menschen; die meisten waren in der Landwirtschaft tätig. Arbeitskräfte wur den nun gebraucht, wie auch im Ruhrgebiet, als dort Kohle ge funden wurde. Wo kamen die Arbeitskräfte her? Sie kamen aus Schlesien und von noch weiter östlich her. Deswegen findet man heute in Brandenburg, vor allem auch in der Lausitz, häu fig Namen wie Kaczinski, Moschinski und ähnliche.
Es waren alleinstehende Männer, die in die Region kamen - auch nach Großräschen. Dort gibt es heute ein wunderschönes Vier-Sterne-Hotel. Auch dies war früher einmal ein solches Le digenheim. Alleinstehende Männer, die in die Region kamen, wurden dort heimisch.
Ich habe mir manchmal vorgestellt, wie das wohl am Wochen ende war, wenn diese alleinstehenden Männer auf die Dorf feste gegangen sind.
- Das war bestimmt schön. Da gab es sicherlich auch den einen oder anderen Konflikt. Aber warum erzähle ich das? Die Enkel und die Urenkel, die in der Lausitz und auch in anderen Teilen Brandenburgs leben - die Namen sind in unserer Region sehr häufig -, sind die Nachfahren dieser Zuwanderer, dieser Ar beitsmigranten, dieser Wirtschaftsflüchtlinge, die in der Lau sitz eine neue Heimat gefunden haben, dort ansässig geworden sind, Teil des wirtschaftlichen Aufschwungs in dieser Region waren und diese Region vorangebracht haben.
Wenn wir uns diese Beispiele in der Lausitz vor Augen halten - da braucht man gar nicht über die Hugenotten zu reden -, sehen
wir, dass wir das packen können, dass wir es auch schaffen können, die Menschen aus Syrien, aus Afghanistan, aus dem Irak, aus Pakistan, die jetzt zu uns kommen, zu integrieren und sie zu Bürgern unseres Landes zu machen. Ich hoffe, dass ihre Enkel und ihre Urenkel dann auch fast gar nicht mehr wissen, woher ihre Urgroßväter kommen, wie das nämlich heute in der Lausitz ist.
Ja, wenn wir über Asyl- und Flüchtlingspolitik reden und reden wollen, müssen wir nicht nur über Integration reden, wir müs sen auch über den Rahmen reden, was sich in unserer Außen politik und unserer Entwicklungspolitik ändern muss.
Ingo Senftleben hat vorhin über die Drittstaatenregelung ge sprochen. Ich würde sagen: Ihr Beitrag wäre vor einem halben Jahr angemessen gewesen. Aber unser großes Problem sind heute nicht mehr die Flüchtlinge aus dem Westbalkan. Die Zahlen sind angestiegen, aber nicht, weil die Menschen zu Hunderttausenden aus dem Kosovo oder aus Albanien zu uns kommen, sondern weil sie aus Bürgerkriegsländern kommen. Sie kommen aus Syrien. Sie kommen aus Afghanistan. Sie kommen aus dem Irak.
Das sind die großen Herkunftsländer. Ich warne davor, die Illu sion zu haben, dass, wenn es jetzt eine Vereinbarung geben sollte, wonach die Drittstaatenregelung ausgeweitet wird, das unser Problem lösen kann. Das ist nicht der Gordische Knoten, der platzt.
Als Sozialdemokrat sage ich: Wir sind offen, diese Diskussion zu führen, aber es ist nicht das Allheilmittel. Da darf man sich keine Illusion machen. Deshalb sollte man die Diskussion auch nicht darauf fokussieren.
Fokussieren müssen wir die Diskussion auf die Frage: Warum hat diese Fluchtbewegung jetzt eine solche Dramatik angenom men? Es ist einfach erschreckend, wenn man hört, dass in die sen großen Flüchtlingslagern beispielsweise in Jordanien aus der Situation heraus, dass das UNHCR kein Geld mehr hat, weil einige Länder - Deutschland gehört ausdrücklich nicht dazu - kein Geld mehr zur Verfügung stellen, die Essensrationen hal biert worden sind. Das muss man sich vor Augen halten. Die Menschen rennen nicht los, weil sie jetzt irgendwie über Twitter gesehen haben, Angela Merkel ist nett, sondern sie rennen los, weil die Bedingungen in diesen Lagern unerträglich sind.
Deshalb müssen wir als Deutschland Druck machen, dass da mehr Gelder zur Verfügung gestellt werden. Die Bedingungen in diesen Lagern in Jordanien, das bei 6 Millionen Einwohnern allein 2 Millionen Flüchtlinge hat, sind mittlerweile unerträg lich. Das muss akut verbessert werden.
Auch das wird nicht dazu führen, dass die Flüchtlingsströme unmittelbar total abbrechen. Aber das ist eine notwendige Vo raussetzung. Und eine notwendige Voraussetzung ist auch, dass wir endlich zu Lösungen im Syrienkonflikt kommen, dass wir auch eine selbstkritische Debatte über unsere - über die westliche - Außenpolitik der letzten Jahre führen.
Es ist offensichtlich - selbst Edmund Stoiber hat sich dazu gestern geäußert -, dass es eine Lösung im Syrienkonflikt nur ge meinsam mit Russland geben kann.
Ich glaube, so wie der Schlüssel zur Lösung des Iran-Konflikts nur über Russland ging, geht es auch in Syrien nur in enger Kooperation mit Russland. Deswegen müssen wir als Europä er, als Westen auch selbstkritisch darüber nachdenken, ob die Sanktionspolitik, die wir in den letzten Jahren gegenüber Russ land gefahren haben, wirklich richtig ist oder ob es nicht sinn voll ist,
Stoiber hat sich gestern ähnlich geäußert, darüber nachzuden ken, sie zurückzufahren, eine Kooperation hinzubekommen und dort eine Lösung zu suchen.
Die meisten Menschen aus Syrien, die ich kennengelernt habe, sind nicht zu der Entscheidung gekommen: Wir wollen dauer haft in Deutschland leben. Sie würden gern in Syrien leben. Sie würden gern ihr Land auch wieder aufbauen. Dafür wird es notwendig sein, diesen Konflikt dort zu lösen. Das geht nur, wenn da jetzt einige über ihren Schatten springen und das nicht weiter laufen lassen.
Auch Deutschland muss noch mehr tun, um beispielsweise die Versorgung der syrischen Flüchtlinge und Vertriebenen in der Türkei, im Libanon, in Jordanien voranzubringen. Ich glaube, wir können das. Wir schaffen das und werden auch in den nächsten Jahren konsequent daran arbeiten müssen. Es gibt keinen Weg, der vor diesem Sommer schnell zurückführt. Doch, es gäbe einen Weg. Aber wollen wir den wirklich? Wol len wir das wirklich, was beispielsweise die AfD vorschlägt: die Grenzkontrollen intensivieren, uns abschotten? Manchmal denke ich, die wollen einen „antiislamischen Schutzwall“ bau en. Ich möchte mir einmal kurz vor Augen halten, was das be deuten würde, wenn wir diese verschärften Grenzkontrollen, die die AfD fordert, hier bei uns im Land Brandenburg hätten.
Zu einem solchen Europa sollten wir alle nicht zurückkom men. Unser Wohlstand hier in Brandenburg, in ganz Deutsch land basiert auf Freizügigkeit. Wir sind die Hauptprofiteure der Entwicklung des Binnenmarktes in der EU. Wer dieses Land
wieder abschotten will, wer jetzt Ängste mobilisiert, der ge fährdet unseren Wohlstand. Ich sage auch weiter: Das ist unpa triotisch! Patriotisch ist derjenige, der dafür kämpft, dass Bran denburg vorankommt, nicht der, der Brandenburg abschotten will.
Lassen Sie mich kurz noch zu einem anderen Thema kommen, weil die Diskussion in den letzten Tagen „hochgefloppt“ ist, sich auch einige Kommunalpolitiker dazu geäußert haben.
Diese Landesregierung hat sich vorgenommen, eine Verwal tungsstrukturreform durchzuführen, die gleichwertige Lebens verhältnisse auch noch in den Jahren 2030 bis 2060 garantiert. Angesichts der zu erwartenden demografischen Entwicklung, auch angesichts der zu erwartenden ökonomischen Entwick lung, der Entwicklung der Finanzströme von Bund und Län dern, hält es die Landesregierung - meine Fraktion unterstützt das ausdrücklich - für notwendig, darüber nachzudenken, ob die Verwaltungsstruktur, die wir gegenwärtig insbesondere auf kreislicher Ebene haben, noch zukunftsfähig ist.
Da gibt es nun einige, die sagen: Lasst uns doch in dieser De batte mal eine Pause machen. Wir haben doch jetzt so viele große Probleme mit dem Thema Asyl.
- Ja, genau. Ich glaube nämlich auch, dass eigentlich das, was der Kollege von der CDU-Fraktion zwischenruft, gemeint ist. Das ist ein wohlmeinender Ratschlag, der etwas ganz anderes meint. Der sagt nämlich: Brecht es ab! Ich sage Ihnen: Das wä re genau das falsche Signal. Diese Landesregierung wird das Thema Flüchtlingspolitik mit Unterstützung der Fraktionen von SPD und Linken gut bearbeiten. Wir werden das Problem lösen. Aber wir werden auch weiterhin an unseren Aufgaben, die sich ansonsten in diesem Land stellen, arbeiten. Dazu ge hört es auch, eine moderne Verwaltungsstruktur aufzubauen.
Ich sage das hier ausdrücklich: Bei allen Herausforderungen, vor denen wir bei der Flüchtlingspolitik jetzt stehen, die auch viel Geld kosten werden, wird diese Landesregierung gewähr leisten, dass das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart ha ben, umgesetzt wird.
Niemand muss Angst haben, dass wir, weil Flüchtlinge in die ses Land kommen, dadurch weniger Lehrer einstellen. Nein, im Gegenteil, wir werden sogar mehr Lehrer einstellen. Nie mand muss Angst haben, dass unser Versprechen, dass der Ki ta-Betreuungsschlüssel verbessert wird, jetzt nicht realisiert wird, weil wir das Geld für Flüchtlinge brauchen. Nein, wir werden das machen. Gerade Kita ist auch ein Ansatz, um gute Integrationsarbeit zu leisten. Wir haben in diesem Jahr begon nen, wir werden die nächsten Schritte gehen. Das ist abgesi chert.
Ja, wir werden auch unsere Investitionsversprechen, was die Verbesserung von Landesstraßen angeht, einhalten. Das wer den wir hinbekommen. Deutschland ist ein reiches Land. Bran denburg ist kein reiches Bundesland. Aber es geht uns deutlich besser als in den vergangenen Jahren.
Ich setze sehr darauf, dass wir mit der November-Steuerpro gnose weiter steigende Steuereinnahmen haben werden. Ja, und wir haben eine Rücklage angesammelt. Diese Rücklage werden wir einsetzen, um diese Verwaltungs- und Funktional strukturreform gut zu machen, und zwar besser als in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern.
Wir werden ein Angebot machen, damit die Kommunen Cott bus, Frankfurt und Brandenburg, die aufgrund ihrer hohen Kassenkredite von über einer halben Milliarde Euro fast nicht handlungsfähig sind, wieder in eine Situation kommen, in der sie handlungsfähig werden. Wir werden Angebote machen, wie die Städte, die möglicherweise im Zuge der Kreisgebietsre form ihren Kreissitz verlieren, für den Verlust ihrer Kreissitze entschädigt werden. Und: Wir haben eine Idee entwickelt, wie wir im Rahmen dieser Verwaltungsstruktur- und Kreisgebiets reform absichern, dass dauerhaft auch Kultur in der Fläche die ses Landes präsent ist. Es ist eben nicht alles nur Berlin, son dern wir brauchen gerade in den peripheren Gebieten unseres Landes Kultur. Das sind wichtige Eckpunkte,
über die gesellschaftliches Engagement mobilisiert werden kann, mithilfe derer sich auch aktives Bürgertum versammelt. Ein gutes Theaterstück ist auch ein Beitrag zur Stärkung der Zi vilgesellschaft, und deshalb, glaube ich, ist es gut und wichtig, dass wir jetzt als SPD-Fraktion - ich glaube, die Kollegen von den Linken werden uns da folgen - einen neuen Vorschlag un terbreitet haben, wie wir dauerhaft - über das Jahr 2020 hinaus - gewährleisten, dass unsere Theater und Orchester im Land gesi chert sind. Das ist notwendig. Ich glaube, gerade solche Signale brauchen wir in diesen Zeiten, in denen viele Menschen verun sichert sind. Wir müssen deutlich sagen: Diese Landesregierung steht, diese Landesregierung wird ihr Wahlprogramm und das, was sie im Koalitionsvertrag vereinbart hat, umsetzen. Sie wird Reformen vorantreiben. Wir tauchen jetzt nicht weg, wir stehen das durch, und wir sind auch offen für neue Ideen, die da mögli cherweise noch im Diskussionsprozess kommen,
aber wir werden das machen. Wir werden weiterhin dieses Land Brandenburg voranbringen.
Wir haben stürmische Zeiten erlebt, und ich sage zu den Kolle ginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion: Ihr habt auch ein mal 10 Jahre mitregiert, wir haben 25 Jahre mitregiert, und wir standen oftmals vor Situationen, die unglaublich schwierig wa ren, in denen uns der Wind ordentlich ins Gesicht wehte, in denen die Leute draußen wütend auf uns waren, in denen sie bestimmte Entscheidungen am Anfang nicht verstanden haben, aber am Ende doch nachvollziehen konnten.
Ich rate zum Beispiel Frau Tiemann, sie soll einmal in die Stadt Schwedt fahren. Das ist nicht die erste Kreisgebiets- und Ver waltungsreform, die wir in diesem Land anpeilen. 1993 hatten wir dieselben Debatten. Da gab es auch die Fraktionen, die
sagten: Es geht auf keinen Fall, dass die stolze Stadt Schwedt die Kreisfreiheit verliert. - Mein Parlamentarischer Geschäfts führer war damals einer von ihnen. Ich rate Frau Tiemann, sie soll einmal nach Schwedt fahren, sich mit dem dortigen Bür germeister treffen und ihn fragen, ob er wieder kreisfrei wer den und ein eigenes Jugendamt haben will. Nein, will er natür lich nicht! Er ist froh, dass er von diesen Aufgaben entlastet worden ist. Ich glaube, der Erfolg unserer Kreisgebietsreform von 1993 zeigt, dass es auch heute notwendig ist, eine Debatte mutig nach vorn zu führen und das Land weiter voranzubrin gen. Wir als Sozialdemokraten werden dabei stehen, wir wer den diese Diskussion führen. Wir sind dabei lernbereit, wir werden neue Ideen aufnehmen und das Land Brandenburg wei ter voranbringen. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste aus den kreisfreien Städten, aus den Landkreisen und von der Bundeswehr! Ich bin froh, dass diese Debatte heute eine große Aufmerksamkeit bekommt, weil es eine wichtige Debatte ist, der Auftakt für die wahrscheinlich wichtigste Debatte, die wir in dieser Legislaturperiode führen werden.
Die Kernfrage ist: Wie schaffen wir es, dass wir auch in Zukunft gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen Brandenburgs gewährleisten? Diese Verwaltungsstrukturreform ist kein technokratisches Modernisierungsprojekt, mit dem Menschen Heimat weggenommen oder sie gequält werden sollen. Sie verfolgt aus unserer Sicht ein politisches Ziel, nämlich zu gewährleisten, dass auch nach 2020 bis 2050 - denn über diesen Zeitraum soll diese Reform wirken - gleichwertige Lebensverhältnisse in Brandenburg hergestellt werden, wir kein Land der - sich verfestigenden - zwei Geschwindigkeiten werden, sondern ein Land, in dem gleichwertige Lebenschancen durch gleichwertig gute Verwaltung organisiert werden.
Das ist eine große Debatte. Sie hat einen Vorlauf. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode eine Enquetekommission eingesetzt, die sogenannte Enquetekommission 5/2, die sehr gute Arbeit geleistet hat, in der intensiv gearbeitet worden ist, in der gute Ideen entwickelt worden sind, auch über Koalitionsund Oppositionsgrenzen hinweg.
Auf Basis dieser Ideen und auch vielen innerparteilichen Debatten hat unser Innenminister Karl-Heinz Schröter jetzt ein Leitbild vorgelegt, das das Kabinett beschlossen hat, das mit dem heutigen Tag dem Landtag übergeben wird und das jetzt ein Jahr lang die Debatte prägen und danach in den Gesetzgebungsprozess übergehen wird.
Ich bin sehr dankbar, dass unser Ministerpräsident mit KarlHeinz Schröter einen der erfahrensten Kommunalpolitiker und Verwaltungschefs im Land Brandenburg zum Innenminister berufen hat, um diese Reform voranzubringen. Er ist genau der richtige Mann, der die richtige Erfahrung und das richtige Gefühl dafür hat, was dieses Land braucht. Ich glaube, sein Auftritt heute hat bewiesen, dass wir einen Prozess eingeleitet haben, der zu vernünftigen Ergebnissen für das ganze Land Brandenburg führen wird.
Heute Morgen haben wir schon eine Demonstration vor dem Landtag erlebt. Sie dokumentiert ein bisschen das, was es an Haltung im Land gibt: Eigentlich soll alles so bleiben, wie es ist. Dieses Grundgefühl kennen wir auch bei anderen Reformdiskussionen. Ich glaube, dass man für dieses Grundgefühl Respekt aufbringen muss, weil sich in den vergangenen 25 Jahren in der Tat gute Verwaltung entwickelt hat. Ich glaube aber, wir als Parlament dürfen nicht diesem Impuls folgen, auch wenn er kurzfristigen Beifall verlangt, sondern wir müssen uns der Herausforderung stellen, vor der dieses Land steht. Ich habe es vorhin erwähnt: Die Reform, über die wir reden, ist eine Reform, die ihre Wirkung in den Jahren 2020 bis 2050 entfalten soll. Sie soll absehbaren Entwicklungstendenzen entgegenwirken.
Ich würde deshalb gern einen Kollegen, den ich heute zwar schon gesehen habe, der aber gerade nicht anwesend ist, zitieren, nämlich Sven Petke.
Sven Petke hat sich in der Enquetekommission in der vergangenen Legislaturperiode engagiert eingebracht. Er hat einen schönen Satz gesagt, der, glaube ich, für alle 88 Kolleginnen und Kollegen eine Leitschnur in der Debatte der nächsten Monate sein sollte.
- Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, Sie müssen sich nicht aufregen, wenn ich Ihren Kollegen Petke zitiere. Wir nehmen hier als Abgeordnete, hat Sven Petke gesagt, eine Aufgabe wahr, wofür wir von den Menschen in Brandenburg gewählt worden sind. Auch ohne die demografischen Entwicklungen, ohne die veränderten finanziellen Grundlagen für den Haushalt in Brandenburg wären wir in den nächsten Jahren gefordert gewesen, die Strukturen im Land zu verändern. Das ist die Aussage von Sven Petke. Das war auch die Linie, die die CDU-Fraktion noch in der Enquetekommission vertreten hat.
Ich bin sehr gespannt, wie sich die Kollegin Richstein nachher äußern wird. Ich hätte mir zwar mehr gewünscht, dass sich der Fraktionsvorsitzende, der Oppositionsführer,
heute auch an der Debatte beteiligt hätte. Aber vielleicht will er sich die eine oder andere Hintertür offenhalten. Frau Richstein
hat dann das Vergnügen, hier heute eine Position zu vertreten, die vielleicht übermorgen für die CDU nicht mehr gilt. Aber lassen wir das.
Ich bin sehr gespannt: Was macht die CDU? Verhält sie sich so, wie ihre Kolleginnen und Kollegen in Sachsen - dort wurde unter Führung der CDU schon längst eine Kreisgebiets- und Verwaltungsstrukturreform umgesetzt -, oder wie Herr Caffier, der Innenminister aus Mecklenburg-Vorpommern, der dort eine Verwaltungsstrukturreform umgesetzt hat?
Oder taucht sich die brandenburgische CDU in eine Ackerfurche weg und sagt: Hoffentlich geht dieses Thema schön an uns vorbei, und wir schauen, dass wir hier Verantwortung zeigen.
- Ja, ihr geht auf die Marktplätze und erzählt den Leuten, dass sich nichts ändern muss. Ich glaube, das ist eine Haltung, die uns in Brandenburg nicht voranbringt.
Karl-Heinz Schröter hat darauf hingewiesen: Wir alle, die Verantwortung für Brandenburg tragen, müssen diese Frage, die die Bürger möglicherweise mit der Antwort, es kann so bleiben, wie es ist, beantworten, anders beantworten. Denn für uns darf es nicht entscheidend sein, ob die Verwaltungen ausschließlich heute gut arbeiten, sondern ob sie dazu auch künftig in der Lage sind.
Ein Grundsatz sollte uns dabei leiten: Verwaltung sollte niemals zum Selbstzweck werden. Sie dient in einem demokratischen Gemeinwesen den Menschen. Ich sage hier ausdrücklich: Auch Kreisfreiheit ist kein Selbstzweck. Auch sie muss sich begründen - sie muss sich begründen für die Zukunft, ob sie den Menschen dient oder ob sie möglicherweise Aufgaben konstruiert, die die wirkliche Erfüllung von Daseinsvorsorge behindern.
Ich habe vorhin die Enquetekommission erwähnt. Wir hatten im Zwischenbericht - übrigens mit den Stimmen der CDUFraktion - festgestellt, dass Brandenburg aufgrund der finanziellen und demografischen Entwicklung vor einem strukturellen Umbruch seiner Verwaltung steht.
Worin besteht dieser Handlungsbedarf konkret? Die Bevölkerung im Land Brandenburg wird sich in den nächsten 15 Jahren rapide verändern. Während die Bevölkerung im Berliner Umland bis 2030 um über 5 % wachsen wird, schrumpft sie im anderen Teil des Landes um fast 20 %. Das heißt auch, dass bis 2030 fast die Hälfte der Bevölkerung auf gerade einmal 10 % der Landesfläche leben wird.
Auf diese Entwicklung - das müssen wir ehrlich eingestehen sind unsere Landkreise und kreisfreien Städte in ihrer heutigen Struktur nicht vorbereitet. Die betroffenen Kommunen verlieren durch diese Veränderung Einnahmen. Sie müssen aber nahezu die gleichen Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge erfüllen. Daraus entwickelt sich eine konkrete Gefahr, näm
lich dass Brandenburg zu einem Land der zwei Geschwindigkeiten wird. Genau deshalb müssen wir handeln.
Wer nicht handelt, lässt es zu, dass Brandenburg ein Land von zwei Geschwindigkeiten und von Menschen mit großen Chancen und mit weniger Chancen wird.
Ich finde, dass alle, die sagen, es kann so bleiben, wie es ist, schon jetzt die Fakten zur Kenntnis nehmen müssen. Schon heute gibt es nämlich erhebliche Unterschiede zwischen den Landkreisen. Bei den Personalkosten je Einwohner liegt die Spanne zwischen 188 Euro in Oberhavel und 344 Euro in der Prignitz, ähnlich auch bei den Kreisumlagen. Hier sind es in Spree-Neiße 48,5 % und in Oberhavel nur 35,47 %.
Das sind keine puren Zahlen. Wenn in der Prignitz 344 Euro je Einwohner für die Aufrechterhaltung der Verwaltung ausgegeben werden müssen, in Oberhavel 188 Euro, heißt das, dass Oberhavel schlicht und ergreifend mehr Geld je Einwohner zur Verfügung hat, um Daseinsvorsorge zu betreiben, Straßen zu bauen, Schulen zu bauen, und die Prignitz immer weniger. Wenn wir wissen, dass die Entwicklung weiter auseinandergeht, wissen wir auch, dass das Konsequenzen für die Kreisumlage haben wird. Warum ist die Kreisumlage in Spree-Neiße bei 48,5 % und in Oberhavel nur bei 35,47 %?
Das liegt daran, dass die Verwaltungsausgaben bei geringerer Bevölkerungszahl einen höheren Anteil beinhalten. Dieses Geld müssen die Kreise den Gemeinden wegnehmen. Den Gemeinden fehlt dieses Geld zur Aufrechterhaltung von Verwaltung: um Kitas, Schulen und kommunale Straßen zu bauen und für die Sozialarbeit.
Wir wissen, dass die Bevölkerungszahlen - damit auch die Steuereinnahmen - im Berliner Umland steigen, in berlinfernen Regionen die Tendenz aber gegenläufig ist. Wenn die Verwaltung gleichgroß bleibt, wir also der Tendenz nicht entgegenwirken, machen wir einen großen Fehler. Wer die Einsicht in diese Tatsache verweigert, verweigert Zukunft für das Land Brandenburg.
Kurz zu den kreisfreien Städten: Die Entwicklung der letzten 25 Jahre führte dazu, dass die drei kreisfreien Städte Frankfurt, Brandenburg und Cottbus insgesamt 526 Millionen Euro Schulden - Kassenkredite - aufgetürmt haben. Zum Vergleich: Alle Landkreise und übrigen Städte und Gemeinden - die kreisangehörigen Städte und Gemeinden in Brandenburg - machen 91 % der Bevölkerung aus. In den drei kreisfreien Städten
wohnen nur 9 % der Bevölkerung, aber sie haben zusammen nur 251 Millionen Euro Schulden. Kurzum: Brandenburg an der Havel, Cottbus und Frankfurt machen nur etwa 9 % der Brandenburger Bevölkerung aus, verzeichnen aber 67 % aller Schulden in Brandenburg. Daraus müssen wir Konsequenzen ziehen; darauf müssen wir eine Antwort finden.
Diese Landesregierung macht ein Angebot: Wir möchten diesen Städten durch eine Verwaltungsstrukturreform helfen. Wir wollen sie als Oberzentren stärken, Teilentschuldungen vornehmen. Wir werden Maßnahmen ergreifen, damit Brandenburg an der Havel, Cottbus und Frankfurt ihrer Aufgabe als Oberzentren besser gerecht werden können als jetzt. Sie sollen Hauptstädte ihrer Region werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass Cottbus eine wunderschöne Hauptstadt eines Kreises Niederlausitz ist, seine Aufgabe als Oberzentrum hervorragend wahrnimmt, wunderbar daran mitwirkt, dass es in der Region gute Kulturangebote und eine gute sportliche Infrastruktur gibt, und diese Stadt noch stärker ist als jetzt. Das gilt für alle anderen kreisfreien Städte auch.
Die Diskussion darüber wird spannend. Wir müssen die persönliche Verantwortung annehmen, dass es unsere Aufgabe ist, in dieser Legislaturperiode eine Verwaltungsstrukturreform auf den Weg zu bringen. Sie soll gewährleisten, dass Brandenburg kein Land der zwei Geschwindigkeiten wird, dass in allen Teilen des Landes gleichwertige Lebenschancen gewährt sind. Auf die Debatte freue ich mich und hoffe, dass sich nicht alle Oppositionsfraktionen der Zusammenarbeit verweigern - ich bin mir sicher, dass die Grünen konstruktiv mitwirken werden. Ich würde mir wünschen, dass auch bei der CDU ein Umdenken stattfindet. Sie wollen doch irgendwann wieder Regierungskraft in diesem Land werden!
Hier können Sie beweisen, dass Sie angefangen haben zu lernen, dass Sie Verantwortung übernehmen wollen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Weiterhin eine gute Debatte!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Wir kommen jetzt zum Ende der Debatte; nach mir wird, glaube ich, der Kollege Scharfenberg noch das Wort ergreifen. Da ist es vielleicht ganz gut, eine Bilanz zu ziehen: Ich fand diese Debatte heute sehr spannend, sehr interessant. Sie war eigentlich ein ganz guter Auftakt für eine Diskussion, die uns wahrscheinlich die nächsten vier Jahre begleiten wird, nämlich bis zur nächsten Kommunalwahl, wo dann die Kreisgebietsreform, die Verwaltungsstrukturreform, die Funktionalreform vollzogen werden sollen.
Ich fand es interessant, wie sich einige positioniert haben. Am meisten war ich ja gespannt: „Wie wird sich die CDU positionieren?“; das hatte ich gestern schon angekündigt und habe es heute in meiner Rede auch noch mal gesagt. Es war interessant, das wahrzunehmen. Ich saß gespannt da und wartete: Was kommt jetzt an Vorschlägen? Gibt es ein Alternativkonzept? Ja, ich bin Ihnen erst einmal dankbar, dass Sie einen Begriff, den ich gern setzen wollte, aufgegriffen und damit verstärkt haben: Die CDU hat sich in der Tat in die Ackerfurche geworfen - das haben wir festgestellt -, sie will sich offensichtlich nicht konstruktiv an dem Diskussionsprozess über eine Kreisgebietsreform beteiligen.
Teilweise war die Rede unterste Krume in der Ackerfurche. Also das war kein gelungener Auftritt.
Aber dann kam es ja zum Schluss noch, dann wurden zwei Vorschläge gemacht: ein Vorschlag, den wir eben vom Kollegen Vida auch noch einmal gehört haben, nämlich Freiwilligkeit, Freiwilligkeit! Na gut, man kann ja der Meinung sein. Dann muss man aber auch ehrlicherweise sagen: Wenn Kreiszusammenschlüsse und Eingliederung von kreisfreien Städten nur freiwillig erfolgen sollen, dann gibt man einen landesplanerischen Anspruch dieses Parlaments und der Landesregierung auf.
Die anderen Fraktionen haben darauf hingewiesen - da bin ich auch den Grünen sehr dankbar -, dass es bei dieser Verwaltungsstrukturreform darum geht, dauerhaft - auch noch im Jahr 2030 und im Jahr 2040 - gleichwertige Lebensverhältnisse zu gewährleisten. Das heißt, dass wir uns freiwillige Zusammenschlüsse nach dem Motto der Rosinenpickerei - jeder sucht sich einen, mit dem er gut auskommt, wo sich zwei Starke noch einmal gegenseitig stärken - nicht erlauben können. Mit unserem landesplanerischen Anspruch müssen wir vielmehr gewährleisten, dass starke Regionen im Berliner Umland ihren Beitrag leisten, um ökonomisch etwas schwächere Regionen in der Tiefe des Landes zu stärken und dort auch gute Verwaltung aufrechtzuerhalten.
Das wird auf freiwilliger Basis nie gelingen, da müssen wir wieder einen Blick auf das gesamte Land Brandenburg haben; diesen Anspruch müssen wir haben.
Deshalb sage ich Ihnen auch, dass Ihr zweiter Vorschlag, liebe Frau Richstein, nämlich dass es eine Volksabstimmung geben soll, im Widerspruch zum ersten steht. Entweder macht man alles freiwillig; dann braucht man auch keine Volksabstimmung. Dann sagt man vor Ort in der Prignitz: Wir gehen mit OPR zusammen, oder eben nicht. Wofür brauchen wir dann noch eine Volksabstimmung? Aber das ist wahrscheinlich die kurze - jetzt hören die Kollegen von der Linken mal weg -, die Syriza-Anwandlung bei der CDU. Da hat man offensichtlich gelernt und gesagt: Na, da holen wir uns ein Referendum. Also, es ist eine neue Erkenntnis, dass die CDU jetzt doch ein bisschen Populismus an den Tag legt und eine Volksbefragung anmahnt. Ich glaube, wir brauchen keine Volksbefragung - wir brauchten auch 1993 keine Volksbefragung -, sondern wir haben jetzt ein Leitbild, und dieses Leitbild ist die Grundlage der Diskussion.
Ich sage Ihnen, für dieses Leitbild gilt wie für viele Gesetze Folgendes: Es wird nicht so aus dem Landtag herausgehen, wie es hereingekommen ist, sondern jetzt wird der Innenminister durch das Land reisen, und wir alle werden uns vielen Diskussionen stellen. Ich bin mir sehr sicher, dass nicht nur ich, sondern auch die Mitglieder meiner Fraktion, der Koalitionsfraktionen und auch der Landesregierung bei diesem Prozess lernen und dass das Leitbild, wenn wir es im Juni des nächsten Jahres verabschieden werden, auch Vorschläge enthalten wird, die die Opposition formuliert.
Ich habe Frau Nonnemacher sehr aufmerksam zugehört. Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen. Ich glaube, dass auf Ihrer Seite viele konstruktive Ideen sind, die wir aufgreifen und einbeziehen können.
Von Ihnen, der AfD-Fraktion, erwarte ich nichts, seit Ihrem Bundesparteitag ohnehin nichts mehr. Ich kann mir aber vorstellen, dass die CDU-Fraktion, wenn sie mit ihren Landräten und Bürgermeistern vor Ort diskutiert, in der Tat einige Anregungen bekommt, wenn nämlich dieser Prozess aufs Gleis kommt und Sie feststellen, dass es keine Volksbefragung und keine freiwilligen Zusammenschlüsse geben wird.
Es gibt Ideen: Ich habe heute beispielsweise einen interessanten Beitrag über eine Diskussionsveranstaltung im Norden Brandenburgs gelesen, bei der Unternehmer aus OstprignitzRuppin und Prignitz zusammengekommen sind und eigene Vorschläge entwickelt haben. Die sagen: Okay, wir wollen nicht aufgeteilt werden, wir wollen das zusammennehmen. Das sind konstruktive Ideen. Ich stelle jetzt fest, dass es im Süden Brandenburgs, in Spree-Neiße und OSL, Ambitionen gibt zu sagen: Wir können uns gut vorstellen, dass Cottbus unsere Kreishauptstadt wird.
Also werden wir beim Leitbild darüber diskutieren müssen, ob der Vorschlag, beispielsweise Volksabstimmungen über die künftigen Kreissitze durchzuführen, wirklich so sinnvoll ist. Ich persönlich kann mir sehr gut vorstellen, dass man über Folgendes nachdenkt: Um die Oberzentren zu stärken, sollen diese auch, wenn sie denn eingekreist werden müssen, Kreis
sitze werden. Das wäre eine interessante Diskussion. Ich freue mich darauf, und ich freue mich auf gute Anregungen und Ihre Unterstützung dabei.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Sie, ich, wir alle waren natürlich gespannt, wie sich der neue Oppositionsführer hier präsentieren würde. Mir ist ein Wort in Erinnerung geblieben, das, wie ich glaube, seine Rede relativ gut charakterisiert: Fehlstart.
Herr Senftleben, wenn Sie es noch nicht realisiert haben: Wir sind nicht mehr im Wahlkampf. Der 14. September ist vorbei. Die Brandenburgerinnen und Brandenburger haben entschieden.
Im Wesentlichen habe ich in Ihrer Rede Paraphrasierungen Ihrer Wahlkampfreden wiedergefunden. Mit diesen Paraphrasierungen - daran sollten Sie sich erinnern - haben Sie am Wahltag, am 14. September, 23 % bekommen. Ich bin mir auch nach dieser Rede sicher: Die Entscheidung meiner Partei, meiner Fraktion, mit Ihnen nicht zu regieren, war goldrichtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Sicher, selbstbewusst und solidarisch: Brandenburgs Aufbruch vollenden.“ - unter dieses Motto hat die neue Brandenburger Regierungskoalition ihre Zusammenarbeit bis 2019 gestellt. Darin kommt ganz klar zum Ausdruck: Diese Regierungskoalition sucht die Offensive.
Diese Regierungskoalition setzt sich ehrgeizige Ziele.
Diese Regierungskoalition begreift sich als Koalition der aktiven Gestaltung.
Für die Landtagsfraktion der SPD stelle ich fest: Wir werden diesen Gestaltungsanspruch nicht nur aus voller Überzeugung mittragen, sondern werden uns in den kommenden fünf Jahren als treibende Kraft der zupackenden Gestaltung unseres Landes verstehen. Wir wollen 2019 in dem Bewusstsein vor die Bürgerinnen und Bürger treten können, fünf Jahre lang alles, wirklich alles irgend Mögliche dafür getan zu haben, unser Land Brandenburg noch lebenswerter und erfolgreicher zu machen. Dafür werden wir hart arbeiten.
Ministerpräsident Dr. Woidke hat in den vergangenen Wochen immer wieder die vier großen Felder genannt, auf denen seine Regierung in die Offensive gehen wird. Es geht um die soziale und die innere Sicherheit. Es geht um bessere Bildung. Es geht um Investitionen in unsere öffentliche Infrastruktur, und es geht um die Qualität und die Zukunftsfähigkeit unserer Verwaltung. Wir wollen, dass Brandenburg auf all diesen Feldern besser wird. Auf all diesen Feldern gehen wir auch in die Offensive und auf all diesen Feldern wollen wir weiterhin energisch vorankommen.
In den letzten Wochen sind wir häufig gefragt worden, warum wir diesen Ehrgeiz entwickeln, warum wir diese Dringlichkeit sehen. Stehen wir nicht jetzt schon richtig gut da in Brandenburg - besser als je zuvor im letzten Vierteljahrhundert? Ja, es stimmt: Die Menschen im Land Brandenburg haben sich in den letzten 25 Jahren sehr angestrengt. Inzwischen zahlen sich auch die Mühen der Ebene, insbesondere aus den 90er-Jahren aus. Wir sind klar und deutlich vorangekommen. Brandenburg ist heute ein lebenswertes Land.
Das ist auch deshalb so, weil wir in Brandenburg unter sozialdemokratischer Führung seit 1990 sehr vieles richtig gemacht haben. Übrigens, lieber Herr Senftleben, das wissen die Bürgerinnen und Bürger auch. Die Menschen im Land wissen sehr gut, dass es mit Brandenburg in den letzten Jahren beständig aufwärtsgegangen ist.
Klar, es ist nicht alles perfekt. Vieles können, werden und müssen wir besser machen. Aber die Brandenburgerinnen und Brandenburger sind heute eben auch selbstbewusst, und sie spüren sehr genau, wer an der stetigen Verbesserung ihres Landes arbeitet und wer wider besseres Wissen das Land schlechtredet.
Genau deshalb haben sich die Wählerinnen und Wähler am 14. September auch so entschieden, wie sie sich entschieden haben.
Sie sind in ihrer ganz großen Mehrheit eben nicht denjenigen gefolgt, die mit der Prämisse an den Start gegangen sind, Brandenburg sei auf dem besten Weg in den Abgrund. Das Gegenteil ist der Fall. Brandenburg ist ein blühendes, ein aufstrebendes Gemeinwesen,
ein Land in guten Händen und auf sicherem Kurs. Darauf sind wir stolz. Darauf sind die Brandenburgerinnen und Brandenburger stolz, und zwar mit Recht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, und trotzdem gilt der kluge Satz von Willy Brandt:
„Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer.“
Von Willy Brandt stammt auch die Einsicht:
„Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen.“
Diese Erkenntnis ist nicht so selbstverständlich, wie sie klingt. Wenn eine Gesellschaft insgesamt altert, so wie unsere, kann es passieren, dass der kollektive Wille nachlässt, für die Zukunft vorzusorgen. Aber günstige Zahlen auf dem Arbeitsmarkt kommen nicht von selbst. Sie werden auch nicht von Dauer sein, wenn wir nicht immer wieder die richtigen Voraussetzungen dafür schaffen. Sichere Lebensverhältnisse - und das heißt für uns Sozialdemokraten soziale Sicherheit genauso wie innere Sicherheit und Energiesicherheit - kommen eben nicht von selbst. Auch dafür müssen wir immer wieder neu die richtigen Bedingungen schaffen.
Solide öffentliche Haushalte, Bildung und Lebenschancen für alle, eine effektive, effiziente und bürgerfreundliche Verwaltung, ein zukunftsfähiges Land, das alles kommt nicht von selbst. Auch dafür müssen wir immer wieder neu kämpfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will hier nur schlaglichtartig einige der wirklich wichtigen Vorhaben und Herausforderungen dieser Legislaturperiode herausheben.
Da ist einmal das Thema Bildung:
Wir reduzieren bildungspolitische Themen in der politischen Debatte ja auf etwas blutleere, abstrakte Kennziffern: Betreuungsschlüssel, Stundenausfallquoten und dergleichen. Wir müssen vielmehr darüber reden, was all diese Schlüsselquoten und Zahlen bedeuten.
Wir werden in den kommenden fünf Jahren vereinbarungsgemäß 4 300 neue Lehrerinnen und Lehrer einstellen. 4 300 ist wieder so eine Zahl - aber was bedeutet sie? Sie bedeutet zunächst einmal: Das sind richtig viele, und zwar so viele wie seit 1990 nicht mehr.
Das bedeutet - das muss man sich vor Augen halten -, dass in den kommenden fünf Jahren mit jedem Schuljahresbeginn fast tausend neue Lehrer in Brandenburgs Schulen kommen. Das bedeutet, dass in den kommenden fünf Jahren jede vierte Lehrkraft in Brandenburg eine junge Lehrerin oder ein junger Lehrer sein wird. Ich bin mir ganz sicher: Das wird die Schulen bei uns in Brandenburg tiefgreifend verändern, erneuern und verbessern. Das wird ein wirklicher Umbruch. Das wird ein anderes Lernklima entstehen lassen, vielleicht sogar eine neue Kultur des Lehrens und des Lernens hier bei uns im Land.
Ich möchte nicht missverstanden werden: Ich habe absolut nichts gegen erfahrene Lehrkräfte. Erfahrung ist sehr viel wert. Erfahrung schafft Orientierung. Erfahrung ist wichtig. Aber auf das Ganze gesehen ist der altersmäßige Abstand zwischen Lehrkräften und Schülern in Brandenburg zu groß geworden.
Die 4 300 neuen Lehrerinnen und Lehrer werden prägende Schrittmacher an Brandenburgs Schulen sein.
Im Übrigen: Hinzu kommen 100 zusätzliche Schulsozialarbeiter und mehr als 1 000 neue Erzieherinnen und Erzieher in unseren Kitas. Das ist insgesamt ein beachtliches Paket. Das zeigt, dass wir hier wirklich in die Offensive gehen.
Aber das ist längst noch nicht alles. Unverändert stolz bin ich auch auf unser Brandenburger Schüler-BAföG. Die CDU - die Grünen im Übrigen auch - wollte es abschaffen. Diese Regierung wird es ausbauen und um einen Leistungsanreiz ergänzen.
Wer besonders gute Noten hat, bekommt einen Zuschlag.
Das ist ein richtig tolles Signal. Das bedeutet nämlich zweierlei, zum einen: Ja, Leistung soll sich lohnen. Und Leistung lohnt sich tatsächlich.
Aber zum anderen: Jede und jeder Einzelne muss überhaupt erst einmal die Gelegenheit erhalten, die eigenen Talente zu entfalten, und zwar unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Das wird die CDU in diesem Land nie verstehen.
Wir Sozialdemokraten glauben an die Idee vom Aufstieg durch Bildung. Mit unserem Schüler-BAföG tragen wir ganz konkret dazu bei, dass der Aufstieg durch Bildung in Brandenburg Wirklichkeit wird, und darauf sind wir verdammt stolz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinbekommen müssen wir in den kommenden Jahren eine zeitgemäße Erneuerung unserer Verwaltung. Das Schlagwort, das in diesem Zusammenhang
in aller Munde ist, lautet: Kreisgebietsreform. Ich glaube, das greift zu kurz. Es geht im Kern um etwas anderes. Na klar, eine Kreisgebietsreform müssen wir durchführen. Dafür sprechen überwältigende demografische, finanzielle und auch demokratiepolitische Argumente.
Was wir in Brandenburg aber vor allem brauchen, das sind starke Städte. Cottbus, Brandenburg und Frankfurt (Oder) sind jede auf ihre Weise starke Städte. Aber diese Städte müssen auch in Zukunft starke Städte bleiben können, leistungsfähige Oberzentren mit Ausstrahlung und Ankerfunktion für ihre Region.
Aber wir müssen noch grundsätzlicher verstehen, warum wir unsere Verwaltung erneuern. Verwaltungen sind nämlich kein Selbstzweck. Wir werden deshalb eine Verwaltungsreform anpacken, damit die öffentliche Verwaltung in Zukunft noch stärker für die Bürger und Unternehmer da ist - als Dienstleister, als Ermöglicher und als verlässlicher Helfer in praktischen Fragen des Lebens. Wir brauchen solch eine moderne Verwaltung auf der Höhe der Zeit. Wenn wir sie nicht haben, wird es uns schwerfallen, erfolgreich im Wettbewerb der Regionen um Arbeitsplätze, Unternehmensansiedlungen und private Zuzüge mitzuhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Berlin ist eine rasant wachsende Stadt, eine der attraktivsten Metropolen der Welt, und überall rund um diese boomende Hauptstadt Berlin ist Brandenburg. Das schafft auch für uns jede Menge neue Chancen, aber auch neue politische Herausforderungen, denen wir gerecht werden müssen. Allein in den letzten drei Jahren sind 130 000 Menschen neu nach Berlin gezogen.
Man muss sich diese Größenordnung einmal vor Augen halten: Das entspricht der kompletten Bevölkerung von Brandenburg an der Havel und Frankfurt (Oder) zusammen. Ein Ende dieses Wachstumstrends ist nicht absehbar. Die Folge: In Berlin wird es eng. Wohnungen werden knapper und teurer, für neue Gewerbebetriebe wird es schwieriger, Platz zu finden. Deshalb ist völlig klar, dass dieses Wachstum Auswirkungen auch über die Berliner Landesgrenzen hinaus hat. Es wird zu vermehrten Umzügen nach Brandenburg kommen, zu erhöhten Gewerbeansiedlungen, zu privatem Hausbau sowie zu verstärktem Tourismus in unserem Land - und das alles ist gut so. Die Menschen, die neu zu uns nach Brandenburg ziehen, sind uns von Herzen willkommen. Wir wünschen uns, dass sie sich hier bei uns niederlassen. Wir wünschen uns, dass sie Brandenburger werden.
Aber dafür müssen wir ihnen auch ordentliche Perspektiven bieten, denn sie erwarten nicht nur anständige Hotelbetten und eine gute Gastronomie, sondern auch gute Kitas und Schulen, ordentliche Straßen und Radwege, einen modernen öffentlichen Nahverkehr und zeitgemäße Sportanlagen. Sie erwarten ein modernes Gemeinwesen auf der Höhe der Zeit. Auch deshalb,
um all dies leisten zu können, brauchen wir dringend eine moderne Verwaltungsstruktur.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, keine Sorge: Es wird in der Brandenburger Politik nicht plötzlich nur noch um die berlinnahen Räume gehen. Wir werden auch, insbesondere als Sozialdemokraten, in Zukunft wie die Schießhunde aufpassen, dass die berlinfernen Regionen unseres Landes zu ihrem Recht kommen.
Es bleibt dabei: Nichts wird aufgegeben, niemand wird abgehängt. Dies gilt selbstverständlich gerade auch für die Lausitz. Und um es angesichts der anhaltenden Diskussionen um einen Ausstieg des Vattenfall-Konzerns aus der Braunkohle noch einmal ganz klar zu sagen: Ob mit Vattenfall oder ohne - die Braunkohleverstromung in der Lausitz wird fortgesetzt werden.
Sie wird fortgesetzt, weil das Industrieland Deutschland den Strom aus der Lausitz auch weiterhin brauchen wird. Machen wir uns nichts vor: Ohne unsere heimische Braunkohle kann es auf absehbare Zeit keine Versorgungssicherheit geben. Wir haben uns in Deutschland richtigerweise dafür entschieden, aus der Atomenergie auszusteigen.
So weit, so gut. Das bedeutet aber zugleich, dass es absolut unrealistisch ist, jetzt gleichzeitig auch noch aus der Braunkohleverstromung auszusteigen. Ein doppelter Ausstieg geht schlicht und einfach nicht. Das würde bedeuten, die industriellen Fundamente der deutschen Volkswirtschaft zu zerstören.
Beides zusammen würde bedeuten, der Lausitz insgesamt den Stecker zu ziehen. Wir würden die Lausitz ihrer wirtschaftlichen Grundlagen berauben. Hierbei geht es um Zehntausende direkt oder indirekt von der Kohleverstromung abhängige Arbeitsplätze, und wem die real existierenden Menschen in der Lausitz nicht gleichgültig sind, der wird auch alles dafür tun, den dortigen Strukturwandel systematisch weiter voranzutreiben. Genau dies tun wir nämlich. Es ist nur so, dass wir die Braunkohleverstromung in den kommenden Jahren noch nicht sicher und zuverlässig durch erneuerbare Energieträger ersetzen können. Bis wir das können, brauchen wir unsere heimische Braunkohle, und zwar, um die Energiewende - heraus aus der Atomenergie - ohne volkswirtschaftlichen Totalschaden überhaupt zu ermöglichen.
Einige der großen Themen, mit denen wir es dabei in den kommenden Jahren zu tun haben werden, habe ich genannt. Es geht um soziale und innere Sicherheit, um effektive und effiziente Verwaltungsstrukturen, um strategische Investitionen in Bildung, Aufstieg und Chancengleichheit sowie um Energiesicherheit auch im Strukturwandel, um Unterstützung für wachsende ebenso wie für schrumpfende Regionen im Land. Es geht insgesamt darum, den Zusammenhalt unseres Landes zu sichern. Das ist nicht wenig. Das sind ziemlich dicke Bretter, die wir zu bohren haben werden, und zwar „mit Leidenschaft
und Augenmaß“, wie es der große Soziologe Max Weber einmal formuliert hat.
Hinzu kommen zunehmend äußere Stressfaktoren, die aber auch uns in Brandenburg ganz massiv betreffen. Die Konjunktur in Europa und auch bei uns in Deutschland droht in Richtung Rezession zu kippen. Auch wir in Deutschland bekommen die Auswirkungen internationaler Krisen und Kriege in Osteuropa und im Nahen Osten zu spüren. Geschätzte 50 Millionen bedauernswerter Menschen weltweit befinden sich derzeit aufgrund von Krieg und Vertreibung auf der Flucht. Davon nimmt Deutschland in diesem Jahr möglicherweise 200 000 auf. Das sind also lediglich 0,4 % der weltweiten Flüchtlingszahlen. Ich denke, auch dies müssen wir uns angesichts mancher Diskussion vor Augen halten. Brandenburg nimmt von diesen 200 000, die nach Deutschland kommen - bzw. den insgesamt 50 Millionen - lediglich 6 000 auf.
Diese Aufgabe ist nicht einfach. Ich weiß, dass sich viele in den Kommunen - Kommunalpolitiker, Landräte, auch Verwaltungsmitarbeiter - sehr engagieren, um dies hinzubekommen. Aber - und diese Botschaft muss heute hinausgehen - das überfordert unsere Gesellschaft nicht, und ich denke, alle Demokraten sollten daran mitwirken, dass wir diesen Verfolgten helfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist die Welt, in der wir leben. Das ist die Lage, angesichts derer wir alle hier im Saal Verantwortung für unser Gemeinwesen tragen - gerade dann, wenn es unbequem wird. Wir in Brandenburg haben die globalen Verwerfungen nicht gemacht, und wir können sie auch nicht an der Wurzel packen. Aber sie haben Auswirkungen, die auch uns betreffen und mit denen wir umgehen müssen, genauso wie wir die Herausforderungen hier bei uns im Land annehmen müssen. Ich glaube nicht, dass es uns besonders gut ansteht, dieser besonderen Verantwortung auszuweichen, ganz besonders dann nicht, wenn man, wie etwa Herr Prof. Schierack, im zurückliegenden Wahlkampf erst den hohen Anspruch geltend gemacht hat, das Land Brandenburg als Ministerpräsident regieren zu wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU! Ich muss Ihnen vor dem Hintergrund einer Debatte über Verantwortung für dieses Land in diesem Land sagen, dass mich eine Episode aus unseren Sondierungsgesprächen auch nachhaltig sehr berührt und einen sehr schalen Nachgeschmack vor dem Hintergrund der heutigen Äußerungen von Herrn Senftleben, aber auch jener der letzten Tage hinterlassen hat, und zwar im Hinblick auf Ihren Willen und Ihre Fähigkeit, tatsächlich Verantwortung für Brandenburg zu tragen. Dabei geht es übrigens nicht allein um Herrn Prof. Schierack, dem nun alle den Schwarzen Peter zuschieben, weil es mit der Regierungsbeteiligung nicht geklappt hat.
Es geht auch um Sie, Herr Senftleben. Sie haben sich hier gerade hingestellt und uns mannhaft erklärt, warum die Einkreisung von Brandenburg an der Havel und Frankfurt (Oder) mit Ihnen auf keinen Fall zu machen ist. Herr Senftleben, darf ich Sie ganz vorsichtig daran erinnern, dass die Position Ihrer Partei in unseren Sondierungsgesprächen eine völlig andere war?
Damals waren Sie nämlich nicht nur mit der Einkreisung von Brandenburg und Frankfurt einverstanden, sondern ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass Sie um 10 Minuten Auszeit baten, als wir Ihnen ein Papier zur Sondierung vorlegten, in dem die Formulierung stand, dass wir eine Kreisgebietsreform mit maximal 10 Kreisen und der Einkreisung der kreisfreien Städte anstreben.
Danach kamen wir wieder herein, und Sie als CDU hatten nur einen Wunsch: dass nicht mehr die Formulierung „und der Einkreisung der kreisfreien Städte“ darin steht, sondern „und der Einkreisung aller kreisfreien Städte“.
Das werden Sie in dieser ganzen Debatte nicht mehr los. Wenn Sie sich also heute hinstellen und meinen, sich als Verteidiger der Kreisfreiheit von Städten, die schrumpfende Einwohnerzahlen und große finanzielle Probleme haben, darstellen zu wollen, werde ich Ihnen das immer wieder vorhalten.
Das ist eine Position, die Sie, glaube ich, nicht durchhalten, Herr Senftleben. Denn Sie waren persönlich dabei, als wir diese Gespräche geführt haben. Jetzt stellen Sie sich hin und können sich an nichts mehr erinnern, erklären uns aber ersatzweise, warum sich die Koalitionsparteien mit der Kreisgebietsreform an den Menschen im Land ganz furchtbar versündigen werden. Sie sprachen sogar von Wahlbetrug. Ich glaube, dieses Wort sollten Sie in Zukunft knicken.
Das ist, Herr Senftleben, genau die Art von staatspolitischer Unzuverlässigkeit und Unberechenbarkeit, die Brandenburg in durchaus schwierigen Zeiten am allerwenigsten brauchen kann. Ernsthafte, berechenbare und verantwortungsbewusste Politik sieht deutlich anders aus. Die Brandenburger CDU, auch nach dem gestrigen Tag, ist in ihrer gegenwärtigen Verfassung hierzu ganz offensichtlich nicht in der Lage.