Große Anstrengungen werden unternommen - ob Hilfe bei Sprachkursen oder anderes. Das alleine wird nicht ausreichen. Man darf auch nicht sagen: Ehrenamtler müssen alles leisten, sie sind jetzt Profis für Integrationsarbeit. - Nein, wir brauchen ein Zusammenwirken von staatlichen und zivilgesellschaft lichen Institutionen.
Die AfD hat eine Herbstoffensive gestartet. Wenn das heute Morgen eine Offensive war - meine Güte! Ein kläglicher Haufen war das, der hier heute vor dem Haus demonstriert hat.
Das hat mir wieder einmal gezeigt: Brandenburg ist nicht Sachsen, Potsdam nicht Dresden. Hier sind die Mehrheiten ge klärt: Wir wollen Integration
und sind gegen Hetzer. Nicht nur „noch“! Es wird eher mehr werden. Schauen Sie sich Ihre eigenen Umfragezahlen an: Sie sacken in den Keller, weil die Leute merken, dass Sie Hetzer sind, dass Sie Menschen verhetzen wollen und keinen Beitrag leisten, um die Probleme in diesem Land zu lösen.
Heute ist der erste von drei Plenartagen. Auch morgen und übermorgen wird uns das Thema Flucht und Vertreibung mit allen Konsequenzen fürs politische Handeln begleiten. Morgen gibt die CDU in der Aktuellen Stunde uns allen Gelegenheit, unsere Forderungen an den Asylgipfel, der morgen ab 15 Uhr im Bundeskanzleramt stattfinden wird, zu formulieren. Am Freitag haben wir Gelegenheit, die Ergebnisse auszuwerten. Ich hoffe, dass bei diesem Asylgipfel tatsächlich in vielen Fra gen ein Durchbruch gelingt. Ich bin mir aber auch sicher, dass noch nicht alle Antworten abschließend gegeben werden. Die Antworten müssen nämlich vielseitig sein; ich gehe gleich auf Ingo Senftleben ein, der einige Punkte konkret angesprochen hat.
Ich glaube, wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, als hätte irgendjemand die Möglichkeit, den Gordischen Knoten zu durchschlagen, wodurch alles gut würde. Nein! Es wird eine Daueraufgabe, eine langwierige Aufgabe sein. Trotzdem müs sen morgen auf dem Gipfel konkrete Entscheidungen getroffen werden. Ich sehe es in zwei Richtungen: Wir müssen - da, Herr Senftleben, bin ich Ihrer Meinung - ohne großen Streit zu einer vernünftigen Lastenverteilung kommen; im Augenblick haben wir noch keine. 95 % der Lasten für die Unterbringung werden gegenwärtig von Ländern und Kommunen gezahlt - nur 5 % vom Bund. Das ist im Augenblick die Wirklichkeit. Das Ange bot, das der Bund jetzt vorgelegt hat, läuft darauf hinaus, dass er seinen Beitrag auf 20 bis 25 % erhöht - aber 75 % würden immer noch die Länder und Kommunen tragen. Ich finde es angesichts dieser Zahlen nicht illegitim zu sagen: Da geht noch etwas, da muss noch etwas kommen.
Ich hoffe, dass morgen etwas kommt. Wenn wir wissen, was vom Bund wirklich kommt, und wenn wir die Zahlen der Steu erschätzung vom November kennen, werden wir hier als Land Brandenburg einen Nachtragshaushalt vorlegen, der Antworten auf alle Fragen geben wird: wie wir die Unterbringungskosten in Zukunft ordentlich finanzieren und was wir leisten müssen, damit Integration auch in Schule gelingt.
Der Ministerpräsident hat vorhin die Zahlen genannt: Natürlich sind unter den zu uns Flüchtenden auch viele Schulkinder. Das bringt Herausforderungen mit sich, derer sich die Schulen und nach meinem Eindruck auch die Kitas sehr gut annehmen. Aber da muss mehr passieren! Wir werden Antworten darauf finden - dessen können Sie sicher sein. Im November wird es einen Vorschlag für einen Nachtragshaushalt geben, wo die Fragen konkret beantwortet werden - alles zu seiner Zeit.
Ich glaube, wir müssen aber auch die Diskussion mit unserer Bevölkerung offensiv und intensiv führen und deutlich ma chen, dass sich unser Land verändern wird und dass dies gut ist. Ja, wenn Menschen zu uns kommen, bringen sie ihre Kul tur und Ideen mit. Wir müssen akzeptieren, dass wir ein Ein
wanderungsland sind. Darum können wir uns nicht mehr he rummogeln. Deutschland hat sich viel zu lange um die Er kenntnis, dass wir ein Einwanderungsland sind, herumgemo gelt.
Viele Probleme im Zusammenleben rühren daher, dass wir uns dieser Erkenntnis verweigert haben. Viele wissen es: Ich lebe seit 24 Jahren in Brandenburg, bin aber in Niedersachsen groß geworden. Ich wurde 1968 eingeschult, zusammen mit Kin dern der ersten Generation türkischer Migranten. Interessanter weise habe ich zu einem Mädchen heute noch Kontakt, zu Fat ma, die in Deutschland geblieben ist. Ihre Eltern waren damals noch der Meinung: Wir bleiben nur ein paar Jahre in Deutsch land, dann gehen wir zurück. - Nein, sie ist geblieben und ar beitet heute als Sozialarbeiterin im Jugendamt. Dass sie eine gute Entwicklung genommen hat, ist aber in dieser Generation die Ausnahme. Deutschland war damals der Meinung: Es kom men vorübergehend Gäste zu uns - es kamen aber Menschen! Sie wollten dauerhaft bleiben und haben auch ihre Familien nachgeholt. Teilweise hatten sie diese Erkenntnis, als sie ka men, selbst noch nicht; aber sie sind geblieben. Wir haben die Augen davor verschlossen, dass intensivere Integrationsarbeit geleistet werden muss. Die Fehler, die im Westdeutschland der 60er- und 70er-Jahre bei der Integration gemacht worden sind, dürfen wir nicht wiederholen.
Wir müssen da konsequent herangehen. Das ist, da bin ich mir sicher, kein Ringelpiez mit Anfassen. Es wird anstrengend werden, ein Fordern und Fördern sein. Natürlich muss es An gebote zum Spracherwerb geben, Angebote, berufliche Quali fikationen aufzufrischen, zu ergänzen oder auch erst neu zu schaffen. Von den Zuwanderern muss aber gefordert werden, dass sie die Angebote dann auch in Anspruch nehmen. Das Ganze ist keine Einbahnstraße. Integration wird nur gelingen, wenn diejenigen, die zu uns kommen, Teil unserer Gesellschaft werden wollen,
und wenn wir bereit sind, zur Stabilisierung des sozialen Zu sammenhalts in diesem Land diese Zukunftsinvestition vorzu nehmen. Das ist völlig klar.
Dazu gehört auch, dass wir es nicht akzeptieren werden, wenn unsere Werte der liberalen, offenen Gesellschaft nicht toleriert werden; da bin ich mit Ingo Senftleben einer Meinung. Wir ha ben, manchmal auch gegen den Widerstand der CDU, die sich heute Gott sei Dank zu ihr bekennt, eine liberale und tolerante Gesellschaft herausgebildet. Bei uns gibt es Religionsfreiheit - das heißt aber auch Religionstoleranz. Das heißt, wir tolerieren unterschiedliche Glaubensbekenntnisse. Wir akzeptieren es auch, wenn jemand nicht glaubt - das ist bei uns in Branden burg die Mehrheit der Menschen. Ja, wir akzeptieren Homose xuelle. Ja, wir sind für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Auch sie wurde in den vergangenen 100 Jahren hart er kämpft und hat durch die Diskussionen nach der Wende einen neuen Schub bekommen: Gleichberechtigung bedeutet näm lich auch gleichberechtigte Teilhabe am Erwerbsleben und die Gewährleistung von Kinderbetreuung. Wir sind sogar noch weiter gegangen: Kinderbetreuung ist auch Bildung. Das sind
Themen, die wir uns in den vergangenen 25 Jahren erarbeitet haben und die wir nicht infrage stellen lassen. Wir erwarten, dass Menschen, die zu uns kommen, diese Werte akzeptieren und leben.
Ingo Senftleben hat eine berechtigte Frage aufgeworfen. Haben nicht viele Menschen im Land, die jetzt Fragen stellen, ein Recht, nach 25 turbulenten Jahren, die viele Veränderungen ge bracht haben, zu sagen: Es ist jetzt auch einmal gut; ich will keine zusätzliche Veränderung, sondern meine Ruhe haben? - Leider muss man sagen: Nein, Stillstand kann und wird es nicht geben. Es wird weitere Veränderungen geben, es muss vorange hen. Wir haben eine gewisse Stabilität erreicht, dürfen uns auf ihr aber nicht ausruhen. Ich glaube, dass es manchmal hilft, in unsere eigene Geschichte zurückzublicken - und zwar nicht nur die der letzten 25 Jahre. Wir sollten in unserem Landstrich viel leicht auch einmal hundert Jahre zurückblicken. Ich lebe seit mittlerweile zehn Jahren in Senftenberg. Ein Ortsteil ist Brieske mit der schönen Gartenstadt Marga, leider zu DDR-Zeiten ziemlich verfallen, nach der Wende wunderschön restauriert.
Ich fragte irgendwann meine Frau, was das große Gebäude in der Mitte auf dem Marktplatz sei. Sie sagte, das sei ein Ledi genheim. Ich habe mich gefragt, was das ist, und mich intensiv damit auseinandergesetzt. Ich stellte fest: Auch dies war ein Bestandteil von Integration, von Einwanderungsgeschichte hier in Brandenburg. Als nämlich in der Lausitz die Braunkoh le entdeckt wurde, lebten dort relativ wenige Menschen; die meisten waren in der Landwirtschaft tätig. Arbeitskräfte wur den nun gebraucht, wie auch im Ruhrgebiet, als dort Kohle ge funden wurde. Wo kamen die Arbeitskräfte her? Sie kamen aus Schlesien und von noch weiter östlich her. Deswegen findet man heute in Brandenburg, vor allem auch in der Lausitz, häu fig Namen wie Kaczinski, Moschinski und ähnliche.
Es waren alleinstehende Männer, die in die Region kamen - auch nach Großräschen. Dort gibt es heute ein wunderschönes Vier-Sterne-Hotel. Auch dies war früher einmal ein solches Le digenheim. Alleinstehende Männer, die in die Region kamen, wurden dort heimisch.
Ich habe mir manchmal vorgestellt, wie das wohl am Wochen ende war, wenn diese alleinstehenden Männer auf die Dorf feste gegangen sind.
- Das war bestimmt schön. Da gab es sicherlich auch den einen oder anderen Konflikt. Aber warum erzähle ich das? Die Enkel und die Urenkel, die in der Lausitz und auch in anderen Teilen Brandenburgs leben - die Namen sind in unserer Region sehr häufig -, sind die Nachfahren dieser Zuwanderer, dieser Ar beitsmigranten, dieser Wirtschaftsflüchtlinge, die in der Lau sitz eine neue Heimat gefunden haben, dort ansässig geworden sind, Teil des wirtschaftlichen Aufschwungs in dieser Region waren und diese Region vorangebracht haben.
Wenn wir uns diese Beispiele in der Lausitz vor Augen halten - da braucht man gar nicht über die Hugenotten zu reden -, sehen
wir, dass wir das packen können, dass wir es auch schaffen können, die Menschen aus Syrien, aus Afghanistan, aus dem Irak, aus Pakistan, die jetzt zu uns kommen, zu integrieren und sie zu Bürgern unseres Landes zu machen. Ich hoffe, dass ihre Enkel und ihre Urenkel dann auch fast gar nicht mehr wissen, woher ihre Urgroßväter kommen, wie das nämlich heute in der Lausitz ist.
Ja, wenn wir über Asyl- und Flüchtlingspolitik reden und reden wollen, müssen wir nicht nur über Integration reden, wir müs sen auch über den Rahmen reden, was sich in unserer Außen politik und unserer Entwicklungspolitik ändern muss.
Ingo Senftleben hat vorhin über die Drittstaatenregelung ge sprochen. Ich würde sagen: Ihr Beitrag wäre vor einem halben Jahr angemessen gewesen. Aber unser großes Problem sind heute nicht mehr die Flüchtlinge aus dem Westbalkan. Die Zahlen sind angestiegen, aber nicht, weil die Menschen zu Hunderttausenden aus dem Kosovo oder aus Albanien zu uns kommen, sondern weil sie aus Bürgerkriegsländern kommen. Sie kommen aus Syrien. Sie kommen aus Afghanistan. Sie kommen aus dem Irak.
Das sind die großen Herkunftsländer. Ich warne davor, die Illu sion zu haben, dass, wenn es jetzt eine Vereinbarung geben sollte, wonach die Drittstaatenregelung ausgeweitet wird, das unser Problem lösen kann. Das ist nicht der Gordische Knoten, der platzt.
Als Sozialdemokrat sage ich: Wir sind offen, diese Diskussion zu führen, aber es ist nicht das Allheilmittel. Da darf man sich keine Illusion machen. Deshalb sollte man die Diskussion auch nicht darauf fokussieren.
Fokussieren müssen wir die Diskussion auf die Frage: Warum hat diese Fluchtbewegung jetzt eine solche Dramatik angenom men? Es ist einfach erschreckend, wenn man hört, dass in die sen großen Flüchtlingslagern beispielsweise in Jordanien aus der Situation heraus, dass das UNHCR kein Geld mehr hat, weil einige Länder - Deutschland gehört ausdrücklich nicht dazu - kein Geld mehr zur Verfügung stellen, die Essensrationen hal biert worden sind. Das muss man sich vor Augen halten. Die Menschen rennen nicht los, weil sie jetzt irgendwie über Twitter gesehen haben, Angela Merkel ist nett, sondern sie rennen los, weil die Bedingungen in diesen Lagern unerträglich sind.
(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE und des Ab geordneten Schulze [BVB/FREIE WÄHLER Gruppe] sowie des fraktionslosen Abgeordneten Hein)
Deshalb müssen wir als Deutschland Druck machen, dass da mehr Gelder zur Verfügung gestellt werden. Die Bedingungen in diesen Lagern in Jordanien, das bei 6 Millionen Einwohnern allein 2 Millionen Flüchtlinge hat, sind mittlerweile unerträg lich. Das muss akut verbessert werden.
Auch das wird nicht dazu führen, dass die Flüchtlingsströme unmittelbar total abbrechen. Aber das ist eine notwendige Vo raussetzung. Und eine notwendige Voraussetzung ist auch, dass wir endlich zu Lösungen im Syrienkonflikt kommen, dass wir auch eine selbstkritische Debatte über unsere - über die westliche - Außenpolitik der letzten Jahre führen.
Es ist offensichtlich - selbst Edmund Stoiber hat sich dazu gestern geäußert -, dass es eine Lösung im Syrienkonflikt nur ge meinsam mit Russland geben kann.
Ich glaube, so wie der Schlüssel zur Lösung des Iran-Konflikts nur über Russland ging, geht es auch in Syrien nur in enger Kooperation mit Russland. Deswegen müssen wir als Europä er, als Westen auch selbstkritisch darüber nachdenken, ob die Sanktionspolitik, die wir in den letzten Jahren gegenüber Russ land gefahren haben, wirklich richtig ist oder ob es nicht sinn voll ist,
Stoiber hat sich gestern ähnlich geäußert, darüber nachzuden ken, sie zurückzufahren, eine Kooperation hinzubekommen und dort eine Lösung zu suchen.
Die meisten Menschen aus Syrien, die ich kennengelernt habe, sind nicht zu der Entscheidung gekommen: Wir wollen dauer haft in Deutschland leben. Sie würden gern in Syrien leben. Sie würden gern ihr Land auch wieder aufbauen. Dafür wird es notwendig sein, diesen Konflikt dort zu lösen. Das geht nur, wenn da jetzt einige über ihren Schatten springen und das nicht weiter laufen lassen.