Protocol of the Session on July 8, 2015

Bisher kennt das Kommunalabgabengesetz für das Land Brandenburg noch nicht die Möglichkeit, bei Widersprüchen in gleichgelagerten Fällen Musterverfahren einzureichen. In der 5. Legislaturperiode hat die CDU-Fraktion einen Gesetzentwurf eingebracht, um Musterverfahren auch in Brandenburg einzuführen. Leider hat der Antrag damals keine ausreichende Zustimmung gefunden.

So bleibt es bei einer für die Bürgerinnen und Bürger meiner Meinung nach ganz und gar nicht zufriedenstellenden Situation: Wenn die Brandenburger die Bestandskraft eines angegriffenen Verwaltungsaktes verhindern wollen, muss jeder einzeln Klage erheben. Dann kommt es zu einer Vielzahl von Klagen, bei denen es aber immer um ein und dieselbe Frage geht. Auch wegen dieser völlig unlogischen Situation sind die Brandenburger Verwaltungsgerichte überlastet. Längst arbeiten sie am Limit, besonders bei Verfahren zu Altanliegerbeiträgen. Vor allem wenn wir von Beitragsbescheiden und Anschließerbeiträgen sprechen, geht es im Kern um dieselbe Rechtsfrage.

Musterverfahren sind bei uns in Brandenburg unbedingt erforderlich, um die Verwaltungsgerichte zu entlasten. Musterverfahren bringen aber auch Rechtssicherheit. Sie stellen nämlich eines sicher: Bei gleichen Ausgangsbedingungen kommt es immer auch zu gleichen Entscheidungen. Das gibt Rechtssicherheit und stellt die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz dar.

Deshalb sind wir von der AfD für Musterverfahren auch in Brandenburg. Andere Bundesländer haben den Vorteil längst erkannt. Mecklenburg-Vorpommern praktiziert dies schon seit langem. Die Landesregierung in Schwerin ist sogar der Meinung, dass mit ihnen eine bessere Akzeptanz von kommunalen Abgabensatzungen erreicht wird. Auch das ist Vertrauensaufbau in den Staat.

Dem sollten wir in Brandenburg folgen und alle gemeinsam für Musterverfahren auch in unserem Bundesland stimmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand hier im Saal möchte, dass die Brandenburger das Vertrauen in unseren Staat noch weiter verlieren. Staatsverdrossenheit hat immer etwas mit Vertrauensverlust zu tun. Überlastete Gerichte, langwierige Verfahren und gefühlte Rechtsunsicherheit fördern auf keinen Fall das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.

Weil uns das Vertrauen in die Institutionen des Staates wichtig ist, wird unsere Fraktion eine namentliche Abstimmung beantragen. - Vielen Dank.

(Zurufe: Oh, oh! - Beifall AfD)

Danke schön. - Für die Fraktion der SPD und die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt der Abgeordnete Dr. Scharfenberg. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag ist exemplarisch für das Agieren der AfD. Sie greifen mit den Musterverfahren ein wichtiges Anliegen auf, das der Landtag in den verschiedensten Formen diskutiert hat.

Aber Sie gehen erstens von falschen Voraussetzungen aus. Sie behaupten, dass es bisher keine Möglichkeit geben würde, in

Brandenburg Musterverfahren durchzuführen. Das ist falsch. Musterverfahren sind in Brandenburg sehr wohl möglich. Es gibt eine Reihe von Verbänden, die Musterverfahren zur Anwendung bringen. Sie sind jedoch nicht im Kommunalabgabengesetz vorgeschrieben, sondern der kommunalen Selbstverwaltung überlassen.

Zweitens meinen Sie wohl besonders pfiffig zu sein, indem Sie unter falschen Voraussetzungen auf einen Gesetzentwurf der CDU aus der vergangenen Wahlperiode verweisen und die Landesregierung auffordern wollen, einen zielgleichen Gesetzentwurf einzubringen. Das versehen Sie mit dem komischen Einschiebsel „unverzüglich für diese Legislaturperiode“ - was immer das bedeuten soll. Die CDU ist sicherlich erfreut über den erneuten Versuch einer Vereinnahmung durch die AfD.

Es ist auch mehr als ungewöhnlich, unter Bezugnahme auf frühere Gesetzentwürfe der CDU Gesetzgebungsaufträge an die Landesregierung auslösen zu wollen. Wenn Sie wirklich etwas bewirken wollen, müssen Sie sich selbst der Mühe unterziehen, als Gesetzgeber wirksam zu werden, und einen Gesetzentwurf schreiben.

(Zuruf von der AfD: Das machen wir, Herr Scharfen- berg!)

- Das können Sie gerne machen.

Drittens schärfen Sie Ihr rechtspopulistisches Profil,

(Zuruf von der AfD: Ja! Jawohl!)

indem Sie die Musterverfahren im Rahmen von Asylverfahren zur Anwendung bringen wollen. Dass Sie sich nicht als Vertreter von Asylbewerbern ansehen können, ist klar. Dass aber auch die von Ihnen angesprochenen Altanschließer nicht von der AfD vertreten werden wollen, spricht Bände; Sie können es heute im Pressespiegel nachlesen.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Es fällt uns unter diesen Voraussetzungen überhaupt nicht schwer, den Antrag abzulehnen - auch wenn Sie mit namentlicher Abstimmung drohen. Übrigens: Wir bleiben auch ohne die AfD am Thema dran. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und SPD - Zuruf von der AfD: Dann sind Sie nicht mehr im Landtag!)

Danke schön. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Wichmann. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema Musterverfahren hat uns in der letzten Wahlperiode im Landtag intensiv beschäftigt. Noch im alten Landtag - oben auf dem Brauhausberg - haben wir darüber heftig debattiert. Wir vertreten nach wie vor den Standpunkt, dass es sinnvoll gewesen wäre, schon 2013 unseren Vorschlag zu beschließen; damals haben wir unser Gesetzgebungsvorhaben zum ersten Mal auf den Tisch gelegt. Das hätte in der Folgezeit vielen Bürgerinnen und Bürgern, die Bescheide für Abwasserbeiträge und

-gebühren bekommen haben, geholfen, kostengünstiger, effektiver und leichter an eine gerichtliche Überprüfung zu kommen. Dass Gebührenbescheide oft fehlerhaft sind, haben die letzten Jahre überall im Land immer wieder gezeigt.

Daraus mache ich den Zweckverbänden keinen Vorwurf. Es war nicht einfach, Altschließerbeiträge im Nachhinein zu erheben und zu kalkulieren. Es ist ein fehleranfälliges System. Es wäre gut gewesen, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger dagegen kostengünstiger - auch rechtlich - Gehör hätten verschaffen können.

(Beifall CDU sowie des Abgeordneten Dr. van Raem- donck [AfD])

Normalerweise müsste - wenn Justizminister Markov hier wäre; sein Staatssekretär ist anwesend - auch unser Justizministerium großes Interesse daran haben, dass Musterverfahren im Kommunalabgabengesetz für unser Land Brandenburg endlich eingeführt werden; so wird es in anderen Ländern praktiziert.

Wir alle kennen die Situation in den Verwaltungsgerichten. Wir wissen, wie viele gleichgelagerte Fälle und Verfahren es aufgrund der Beitragserhebung gibt. Es wäre eine riesige Entlastung für unsere Justiz gewesen, hätte man viele kleine Verfahren, die sich nur in der Summe des Eurobetrages voneinander unterscheiden, zusammengefasst und zu einer einheitlichen rechtlichen Klärung geführt. Aber Rot-Rot war nicht dazu bereit - immer mit dem Verweis, Herr Scharfenberg: Es gibt die Möglichkeit der Musterverfahren, wenn die Zweckverbände zustimmen.

Wir alle wissen, dass dies im Land in 80 % der Fälle - wahrscheinlich sind es mehr, Herr Scharfenberg, das wissen Sie besser - nicht der Fall ist, weil sich die Zweckverbände dem Verfahren nicht freiwillig unterziehen wollen. Auch daraus mache ich den Zweckverbänden keinen Vorwurf.

Unsere Position ist klar: Wir werden auch in dieser Legislaturperiode ein Gesetzgebungsvorhaben in Gang setzen und zur Beratung vorlegen. Eines kann man nicht machen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der AfD: In der Vergangenheit haben Sie sich die Mühe gemacht, unsere Anträge oder Gesetzesvorlagen abzuschreiben; diese Mühe machen Sie sich jetzt nicht mehr. In Ihrem Beschlussvorschlag heißt es:

„Die Landesregierung wird aufgefordert, einen zielgleichen Gesetzentwurf, unverzüglich für diese Legislaturperiode, in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen.“

Das ist wirklich eine neue Alternative für ein Gesetzgebungsverfahren: Eine Fraktion der 6. Wahlperiode beauftragt die Landesregierung derselben, ein Gesetzgebungsvorhaben der oppositionellen CDU-Fraktion aus der 5. Wahlperiode neu ins Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Das ist ziemlich abenteuerlich, das muss ich Ihnen ehrlich sagen. Das hat es, glaube ich, so noch nicht gegeben. Wir schreiben heute, im 25. Jahr des Landes Brandenburg, Parlamentsgeschichte - keine gute Geschichte.

(Heiterkeit bei der CDU)

Die Bürgerinnen und Bürger können sicher sein: Wir als CDUFraktion haben dieses Thema weiterhin auf dem Radar, werden

aktiv bleiben und daran bohren. Wir werden einen überarbeiteten, neuen Anforderungen gerecht werdenden Gesetzgebungsvorschlag vorlegen.

Ich hoffe - das ist wichtiger als das, was die AfD zum Thema zu sagen hat -, dass sich bei Rot-Rot auch noch etwas tut. Da ist noch Luft nach oben. Geben Sie ein bisschen nach, überlegen Sie, was den Bürgerinnen und Bürgern wirklich dient! Behalten Sie nicht nur die Zweckverbände im Auge, sondern denken Sie an die vielen Bürger, die von Beitragsbescheiden betroffen sind, die rechtliches Gehör und eine Überprüfung der Bescheide benötigen; in vielen gibt es Fehler.

Allen Seiten - der Justiz unseres Landes, aber auch den Bürgerinnen und Bürgern - wäre geholfen, wenn wir die Musterverfahren in dieser Wahlperiode - hoffentlich möglichst bald - gemeinsam einführen könnten. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU)

Vielen Dank. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Nonnemacher. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Ich habe den Antrag der AfD zuerst für einen schlechten Scherz gehalten und hatte die leise Hoffnung, Sie würden ihn vielleicht zurückziehen. Aber jetzt haben Sie ihn sogar mit hoher Priorität belegt und verlangen von uns, dass wir ihre Spielchen mitspielen und Ihre Unfähigkeit, eigene Anträge zu entwickeln, durch eine Diskussion adeln.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD, CDU und DIE LINKE)

Würde es Ihnen um die Sache, die Belange der Beitrags- und Gebührenzahlerinnen und -zahler gehen, so würden Sie sich eigene Gedanken machen. Mittlerweile ist Ihre Hemmschwelle aber so weit gesunken, dass Sie nicht mehr nur alte Anträge ungeniert abschreiben, sondern gleich auf diese verweisen - in diesem Fall auf den Antrag der CDU aus der letzten Legislaturperiode. Plumpes politisches Ziel dieses durchschaubaren Spieles ist es wohl, die CDU dazu zu zwingen, einem AfDAntrag in namentlicher Abstimmung zuzustimmen.

(Zuruf von der Fraktion Die LINKE: Ja! Genau!)

Ich finde es erbärmlich, wie schnell es bei Ihnen nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch um Taktik geht.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD, CDU und der Fraktion DIE LINKE)

Das ist genau das, was Sie den etablierten Parteien - in Ihrem Jargon: „den Altparteien“ - immer vorwerfen. Am Ende hat niemand etwas davon, am allerwenigsten die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Wenn einige in die AfD Hoffnung gesetzt hatten, bürgerfreundliche Politik zu machen, sollten sie schon lange eines Besseren belehrt worden sein. Die AfD in Brandenburg hat keine eigenen Inhalte, keine eigenen Ideen

(Gelächter bei der AfD)

und letztlich nur ein Thema: Polemik gegen Flüchtlinge.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD, CDU und DIE LINKE)

Selbst in der kaum vorhandenen Begründung dieses Antrags gelingt es Ihnen noch, auf die Belastungen der Gerichte durch Asylverfahren hinzuweisen. Ich weiß nicht, ob Sie eine inhaltliche Auseinandersetzung zu den Musterklagen überhaupt interessiert. Unsere Meinung zu ihnen hat sich seit der letzten Wahlperiode nicht geändert. Sie lautet in Kurzform:

Erstens sind Musterverfahren auch nach der derzeitigen Rechtslage möglich; von ihnen wird auch Gebrauch gemacht. Zweitens unterscheiden sich im Abgaberecht die Fälle meist beträchtlich: hinsichtlich Grundstücksfläche, Geschossigkeit, Innen- und Außenbereich, Bebauungsplangebiet, Gewerbenutzung etc. Wirklich identische Fälle, die für Musterklagen benötigt würden und sich nicht gegen eine Gebührensatzung richten, werden sich kaum finden lassen.