Protocol of the Session on July 8, 2015

Wir treffen uns 13.30 Uhr zur Fortsetzung der Sitzung.

(Unterbrechung der Sitzung: 12.40 Uhr)

(Fortsetzung der Sitzung: 13.32 Uhr)

Zumindest das Präsidium ist vollzählig versammelt. Somit kann ich die Sitzung wiedereröffnen. Es wäre dennoch schön, wenn ein paar mehr Kolleginnen und Kollegen dazukämen.

Wir setzen die Sitzung fort, und ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Mehrsprachigkeit und Sprachenvielfalt in Brandenburg ausbauen

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 6/1902

Die Aussprache wird von der Fraktion DIE LINKE eröffnet. Die Kollegin Dannenberg erhält das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! 17 Monate ist es her, dass der Landtag mit den Stimmen - leider nur - der Koalitionsfraktionen das neue Brandenburger Sorben- und Wendengesetz beschlossen hat. Wir haben seitdem ein modernes Minderheitenrecht, auf dem wir mit den nächsten Schritten aufbauen können. Mit dem heutigen Antrag setzen wir einen weiteren Punkt aus den Koalitionsvereinbarungen um. Zunächst bekräftigt der Ihnen vorliegende Antrag jene Handlungsaufträge, die der Vorgängerlandtag am 22. Januar 2014 im Zusammenhang mit der Neufassung dieses Gesetzes beschlossen hat und die mit dem Ende der Wahlperiode aufgrund des Prinzips der Diskontinuität ihre die Landesregierung bindende Wirkung verloren haben.

Dieser Beschluss reicht von der Einstellung von Brandenburgerinnen und Brandenburgern mit niedersorbischen Sprachkenntnissen in den öffentlichen Dienst über die sprachliche und didaktische Qualifizierung von Lehrkräften für den Unterricht an Schulen mit Niedersorbisch als Unterrichtssprache, der Verwendung der niedersorbischen Sprache in Behörden und Gemeinden bis zur Berücksichtigung bei der Erneuerung von Software in der elektronischen Datenverarbeitung. Natürlich halten wir auch die Forderung nach Prüfung der Dynamisierung der Mittel für die Stiftung für das sorbische Volk aufrecht.

(Beifall DIE LINKE und des Abgeordneten Barthel [SPD])

Seit dem Inkrafttreten des neuen Sorben- und Wendengesetzes hat sich für diese Minderheit in unserem Land vieles getan, vieles verändert. Mit der in einem intensiven Austauschprozess zwischen dem Sorben/Wenden-Rat und dem Innenministerium entstandenen Wahlordnung haben wir eine solide Grundlage für die erste Wahl des Rates für Angelegenheiten der Sorben und Wenden beim Landtag erhalten. Der neue Rat ist seit dem 23. Juni im Amt. An diesem Tag wurde auch die blau-rot-weiße Fahne der Sorben vor dem Landtag gehisst. Seit Januar 2014 ist unser Parlament am Fortunaportal auch in niedersorbischer Sprache beschriftet. All das gehört mittlerweile zu den Selbstverständlichkeiten Brandenburger Minderheitenpolitik.

(Beifall DIE LINKE)

Brandenburg hat mit der Verordnung über das Verfahren der Feststellung von Veränderungen des angestammten Siedlungsgebietes der Sorben/Wenden, aber auch mit dem Erlass zur zweisprachig deutsch-niedersorbischen Beschriftung von Verkehrszeichen Maßstäbe gesetzt. Wir als Landtag haben mit der Änderung unserer Geschäftsordnung eine eingrenzende Vorschrift im Interesse der Sorben und Wenden aufgehoben; das Beratungsgremium der Sorben und Wenden kann in Landtagsdebatten bei Bedarf auch mehrfach im Jahr das Wort ergreifen. Verwaltungsvorschriften wurden angepasst, zum Beispiel die zu den Amtsschildern an Gerichten, aber auch zur Gewährleistung der Diskriminierungsfreiheit in der Polizei des Landes Brandenburg sowie die Verwaltungsvorschrift über die Fortbildung von Lehrkräften an Schulen in öffentlicher Trägerschaft. Vergessen wir nicht, dass die Landesregierung schon vor Inkrafttreten des Gesetzes einen Beauftragten für Angelegenheiten der Sorben und Wenden berufen hat. Diesen Vorschlag hatte die Linksfraktion schon seit 1994 immer wieder unterbreitet. Herr Gorholt leistet hierbei allseits anerkannte Arbeit.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

All das steht auf der Habenseite rot-roter Landespolitik.

Zugleich gibt es aber auch Handlungsbedarf, vor allem dort, wo wir als Gesetzgeber Verordnungsermächtigungen ausgesprochen haben. An erster Stelle ist die grundlegende Überarbeitung der Verordnung über die schulischen Bildungsangelegenheiten der Sorben und Wenden zu nennen. Sie ist 15 Jahre alt. Wir brauchen zügig eine Neufassung; sie ist zwingend erforderlich. Wir haben seit 2000 Schritt für Schritt ein niedersorbisches Schulwesen in Brandenburg aufgebaut, ohne die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen zu haben. Wenn ich das Stichwort nenne, wissen Sie, worauf ich hinaus will. Die WITAJ-Krippenkinder von 1998 sind heute am Niedersorbi

schen Gymnasium. Für die Kinder und Jugendlichen braucht es ganz andere Anforderungen. Auf die zügige Änderung der Sorben- und Wenden-Schulverordnung wurde immer wieder hingewiesen. Das MBJS steht in der Pflicht, etwas zu tun.

Handlungsnotwendigkeiten ergeben sich im Übrigen auch für den Kitabereich. So will es das Gesetz. Weitere Verordnungsermächtigungen stehen aus: an das Ministerium des Innern und das Kulturministerium im Bereich Gebrauch der niedersorbischen Sprache in der öffentlichen Verwaltung sowie der zusätzlichen Aufwendungen von Kommunen im Zusammenhang mit ihrer Zugehörigkeit zum angestammten Siedlungsgebiet der Sorben und Wenden.

(Beifall B90/GRÜNE)

Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir die Brandenburger Minderheitenpolitik noch stärker an den Maßstäben ausrichten, die die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen seit dem Inkrafttreten - 1999 - auch für Brandenburg formuliert. Wir handeln da im Gleichklang mit dem Minderheitenrat der vier einheimischen Minderheiten in Deutschland, der zusammen mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten 2014 ein Grundsatzpapier vorgestellt bzw. verabschiedet hat. Es heißt „ChartaSprachen in Deutschland - gemeinsame Verantwortung“. Auch wenn dieses Papier wie so manche Vorgänger ohne Mitbeteiligung des Landes erstellt worden ist, ist es ein gutes Papier und ein guter Ansatzpunkt, um in Brandenburg in dieser Wahlperiode unseren Beitrag zur Umsetzung der Sprachen-Charta zu leisten.

Die zentrale Forderung unseres Antrages ist die Erarbeitung eines Maßnahmenplanes zur Stärkung der niedersorbischen Sprache und ihres Gebrauchs im Sinne des Brandenburger Sorben/Wenden-Gesetzes. Es geht bei diesem Plan sicher mehr um Bildung. Allerdings wird das, was in Kitas, Schulen, Berufs-, Hoch- und Fachschulen zu leisten ist, der zentrale Baustein für das sein, was in der zweiten Hälfte der Wahlperiode vorzulegen ist. Das Programm soll besonders auf diesen Bereich bezogen sein. Das ist unsere feste Überzeugung. Brandenburg kann dabei im Übrigen auf gute Erfahrungen anderer Bundesländer und europäischer Regionen zurückgreifen.

Der Freistaat Sachsen hat 2013 für die obersorbische Sprache einen guten Maßnahmenkatalog vorgelegt. Schleswig-Holstein ist diesem Vorstoß vor zwei Monaten gefolgt, und zwar für die Sprachen Dänisch, Friesisch und Romanes. Es gibt ein Sprachkonzept für deutsche Kitas und Schulen in der Region Südtirol, auf das man zurückgreifen kann. Das alles kann hilfreich sein, wenn sich Brandenburg auf den Weg macht, das umzusetzen, was uns das Ministerkomitee des Europarates ins Stammbuch geschrieben hat: strukturierte Maßnahmen zur Förderung und Bewahrung des Niedersorbischen zu verabschieden und umzusetzen, „darunter insbesondere dringend notwendige Maßnahmen, die sicherstellen, dass in diesen Sprachen eine Grundund Sekundarschulbildung systematisch verfügbar ist“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einen Aspekt nennen, der für uns mindestens genauso wichtig ist: Wir wollen den Schwung, der mit dem Sorben/Wenden-Gesetz entstanden ist, nutzen, um gemeinsam mit den Sprecherinnen und Sprechern der anderen in Brandenburg anerkannten Minderheitenund Regionalsprachen - Niederdeutsch und Romanes - zu über

legen, welche Förderung und Unterstützung wir seitens des Landes gewähren können, um die Verpflichtungen aus der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen zu erfüllen.

Seit einiger Zeit gibt es im Übrigen einen „Verein für Niederdeutsch“. Mehrfach tagte ein Parlamentarischer Tisch „Niederdeutsche Sprache“, an dem auch ein Bundestags- und ein Landtagsabgeordneter der Linken teilgenommen haben. Es gibt zahlreiche Ideen - von Platt in der Pflege bis hin zum Landesplan Niederdeutsch. Wichtig ist den Sprecherinnen und Sprechern ihre Verankerung im politischen Raum. Der Parlamentarische Tisch „Niederdeutsche Sprache“ könnte zu einem Gremium für die Kommunikation zwischen Zivilgesellschaft und Politik ausgebaut werden.

Gleiches gilt im Übrigen für Romanes, die Sprache der deutschen Sinti und Roma, die im gesamten Bundesgebiet - also auch in Brandenburg - anerkannt ist. Lassen Sie uns den Kontakt zum Landesverband Berlin-Brandenburg und zum Zentralrat in Heidelberg pflegen, um konkrete Handlungserfordernisse zu bestimmen und entsprechende Schritte einzuleiten.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Dabei können wir durchaus an die Diskussion anknüpfen, die es 2013 im Landtag gab, als die Antirassismus-Klausel in unsere Verfassung eingefügt wurde. Dazu gehört auch, dass Minderheiten ohne Angst ihre Sprache sprechen und ihre Kultur pflegen können. Im Sorben/Wenden-Gesetz heißt es:

„Das sorbische/wendische Volk und jeder Sorbe/Wende haben das Recht, ihre ethnische, kulturelle und sprachliche Identität frei zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiterzuentwickeln, frei von jeglichen Versuchen, gegen ihren Willen assimiliert zu werden.“

Das, meine Damen und Herren, sollte auch für andere Minderheiten gelten.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Die Brandenburger Landespolitik muss den Rahmen dafür schaffen, und zwar in Zusammenarbeit mit der Landesregierung, den Ausschüssen des Landtages, den Mitwirkungsgremien der Minderheiten sowie den Sprecherinnen und Sprechern der Regionalsprache Niederdeutsch. Dafür wünsche ich der Landesregierung und uns allen ein glückliches Händchen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht die Abgeordnete Schier.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Mehrsprachigkeit und Sprachenvielfalt in Brandenburg ausbauen“ das ist ein sehr schöner Titel für Ihren Antrag, der aber auch viel fordert.

In unserem Land Brandenburg leben etwa 20 000 Sorben und Wenden - eine Minderheit, die wir hegen und pflegen und noch viel deutlicher als einen Schatz herausstellen sollten. Mit dem Sorben/Wenden-Gesetz vom Februar 2014 haben wir ein sehr modernes Gesetz geschaffen. Wir haben zum ersten Mal den Rat für Angelegenheiten der Sorben/Wenden direkt gewählt, und es hat sich in der gestrigen Sitzung herausgestellt, dass dieses Gesetz einige Lücken hat. Ich hoffe, Kollegin Dannenberg, dass ein Punkt in Ihrem Maßnahmenpaket sein wird, diese Lücken zu schließen.

Die Traditionspflege ist ein Selbstläufer: Die Fastnacht wird in der Lausitz fast überall gefeiert. Im Spreewald gehört der Trachtenumzug genauso dazu wie das Hahnrupfen bei Dorffesten; junge Leute pflegen Gott sei Dank wieder vermehrt diese Traditionen. Und ich will daran erinnern: Die Männer ziehen sich einen Anzug an; wenn die Frauen aber eine Tracht anlegen, brauchen sie Stunden, weil sie mit Nadeln gesteckt wird - dann darf man ihnen auch nicht zu nahe kommen.

(Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Da wird also großer Aufwand betrieben.

Aber es ist nicht die Traditionspflege allein. Wie von Kollegin Dannenberg bereits angesprochen, geht es auch um die öffentlichen Behörden. Ich erinnere mich an folgendes Beispiel: Ein Ratsmitglied hat seine Steuererklärung immer auf Sorbisch verfasst. Da hat die Behörde gesagt: Sie müssen das nicht auf Sorbisch machen. - Und er hat geantwortet: Das muss ich nicht, aber das möchte ich gerne. - Es muss also auch ein anderes Bewusstsein in den Behörden geben.

Wenn wir Mehrsprachigkeit fördern wollen, müssen wir dort ansetzen, wo es lebendige Sprache gibt. Da es eher selten vorkommt, dass jemand mit 35 Jahren plötzlich den glühenden Wunsch verspürt, Sorbisch zu lernen, heißt das: Wir müssen den Spracherwerb bereits in Kitas und Schulen fördern.

Hier nenne ich vor allem das WITAJ-Projekt, das seit dem Start im Jahr 1998 ein Erfolgsprojekt ist. Damals sind zwölf Kinder in das WITAJ-Projekt eingestiegen. Heute existieren in Brandenburg neun Kitas mit sorbischem Sprachangebot. Wir haben 23 Grundschulen, eine Gesamtschule, ein Oberstufenzentrum. Am Niedersorbischen Gymnasium in Cottbus wird bilingual unterrichtet. Wir sorgen mit diesen Schulen dafür, dass die sorbische Sprache nicht nur in der Kita gelernt, sondern ihr Erwerb weiterverfolgt wird. Insbesondere das Niedersorbische Gymnasium, welches das einzige Gymnasium ist, in dem in niedersorbischer Sprache unterrichtet wird, verdient eine Würdigung. Das hat sich gestern auch im Sorben/WendenRat herauskristallisiert. Deshalb ist es für mich vollkommen unverständlich, warum das Niedersorbische Gymnasium nicht in die Lage versetzt wird, eine 4. Klasse einzurichten.

(Beifall CDU, B90/GRÜNE, BVB/FREIE WÄHLER Gruppe und AfD)

- Ja, da kann man ruhig einmal klatschen.

Das war gestern Thema, weil zehn Kinder an ein anderes Gymnasium weitergeleitet wurden. Das finde ich sehr schade. Dort ist die sorbische Sprache nicht als weitere Fremdsprache ausgewählt. Im Niedersorbischen Gymnasium ist man quasi eine große Familie; da werden nicht nur die Sprache und die Tradi

tion gepflegt. Ich gehe davon aus, dass diese zehn Kinder, die an ein anderes Gymnasium verwiesen wurden, nun eher weniger in der sorbischen Sprache gefördert werden.

Liebe Kollegen, ich bin gespannt, wie der Maßnahmenplan zur Stärkung der niedersorbischen Sprache aussehen wird. Sie halten Ihren Antrag ziemlich allgemein.

Laut Antwort der Landesregierung auf meine Anfrage vom 20. Mai 2015 gibt es keine Bewerber für das Fach Sorbisch im Studienseminar Cottbus. Für eine effektive Förderung der sorbischen Sprache in Brandenburg wäre es sicherlich auch hilfreich, wenn die Attraktivität des Faches im Studienseminar Cottbus so gestärkt würde, dass es wieder Bewerber gibt. Schon, um eine ausreichende Anzahl qualifizierter SorbischLehrer zu garantieren, sollte die Landesregierung dringend entsprechende Schritte unternehmen.