Vielen Dank. - Wir kommen zur nächsten Rednerin. Für die AfD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Bessin die Gelegenheit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Liebe Gäste! Wir alle haben noch die schockierenden Schilderungen der jugendlichen Bewohner der Haasenburgheime in Erinnerung. Es gab Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs, Ermittlungsverfahren wegen Misshandlungen. Wie wir heute schon mehrfach gehört haben, war die Thematik auch im Landtag bereits in der letzten Legislaturperiode ausführlich behandelt worden. Es gab eine Untersuchungskommission hierzu und viele Veranstaltungen. Nichtsdestotrotz hat die Landesre
gierung nicht gerade ein Glanzstück bei der Aufklärung vollbracht. Mit der Schließung der Heime war das Thema für RotRot dann erledigt. Thema gelöst, Problem verschoben.
Der Antrag der Grünen greift diese Problematik wieder auf. Das befürworten wir und stimmen ebenfalls für eine Überweisung in den Ausschuss.
Es ist jedoch nicht verwunderlich, dass dieser Antrag von den Grünen kommt, zeigten die Grünen doch schon in den 80erJahren ein großes Interesse am Kindeswohl.
Dass die Landesregierung aus diesem Haasenburgskandal Konsequenzen zieht, ist mehr als angebracht. Allerdings schaffen die Grünen es in ihrem Antrag, so viele bürokratische Instrumente wie möglich zu fordern.
Man fragt sich, wann die Kinder betreut werden sollen, wenn das Personal die ganze Zeit mit Qualitätsrunden und anderen Dingen beschäftigt wird. Wie wurde es gestern hier im Plenum genannt? Schaffung eines Verwaltungsmonsters?
Auch fordern die Grünen Selbstverständlichkeiten wie den möglichst weitgehenden Verzicht auf freiheitsentziehende Maßnahmen oder Entwicklung von fachlichen Standards. Wenn Sie ein Beschwerdemanagement durch unabhängige Personen mit Besuchs- und Akteneinsichtsrecht fordern, hört sich das erst einmal sehr gut an. Aber wie soll das datenschutzrechtlich geregelt werden? - Ebenfalls ein Punkt, den wir im Ausschuss besprechen sollten. Dazu kann man nur sagen: Im Antrag erst einmal gewollt, aber noch nicht bekannt, verbesserungswürdig im Ausschuss.
Ein Punkt, in dem wir Ihnen vollkommen zustimmen können, ist Ihre Forderung nach der Präzisierung der sich aus dem SGB VIII ergebenden Zuständigkeiten. Es muss klar geregelt werden, wer wofür zuständig ist. Nur so kann verhindert werden, dass Probleme und Verantwortlichkeiten hinund hergeschoben werden. Eine klare Aufgabenverteilung ist das beste Instrument, um Fälle wie bei der Haasenburg zu verhindern.
(Minister Baaske reagiert nicht. - Frau von Halem [B90/GRÜNE]: Guten Morgen! - Weitere Zurufe: Guten Morgen!)
Um diese Zeit nicht mehr. - Schönen guten Tag! Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eben wirklich abgeschaltet, denn die Vorwürfe von Frau Bessin in Richtung der Grünen-Fraktion waren unerträglich; ich konnte da nicht mehr zuhören.
Frau von Halem, Ende Mai findet die Jugend- und Familienministerkonferenz statt, und dort wird der § 45 SGB VIII in der politischen Beratung sein. Dorthin gehört es auch, denke ich. Die JFMK tagt nur einmal im Jahr. Wenn wir das Thema in den Jugendausschuss des Bundesrates einbrächten, hätten wir mit Sicherheit nicht das fachliche Forum, was sich mit dem Thema so intensiv auseinandersetzen kann wie die Jugend- und Familienministerkonferenz. Daher halte ich es für richtig, den § 45 in diesem Rahmen zu beraten. Ich gehe davon aus, dass ein Fachgespräch stattfinden kann. Die Kolleginnen und Kollegen werden sich entsprechend vorbereiten und ihre Standpunkte vortragen.
Wir reden hier über Kinder, die massive und komplexe seelische Behinderungen haben, die durch stark dissoziales Verhalten auffallen, die selbst- und fremdgefährdend sind. Nicht wenige von denen, die in den Haasenburg-Heimen gelandet sind, waren vorher schon beim Jugendrichter. Dann hat das örtliche Jugendamt, speziell die Jugendgerichtshilfe, Stellungnahmen abzugeben. In den Stellungnahmen war dann eben oftmals zu lesen: Es gibt eine spezielle Einrichtung, die die Kinder aufnehmen kann; und damit kommen sie nicht in den Jugendarrest. - Sie sagten vorhin, sie wüssten, dass ein betroffener Jugendlicher inzwischen in Thüringen auf der Straße lebe. Als das Thema Haasenburg damals durch die Medien ging, riefen mich verschiedene Kollegen an und fragten: Was macht ihr denn da? Wir brauchen doch die Einrichtung. - Ich weiß noch, dass mich der Hamburger Sozialsenator Detlef Scheele benachrichtigt hat, dass er gar nicht wisse, wohin mit den Jungs und Mädels, die er nun wieder aufnehmen musste. Als ich ihn ein paar Wochen später traf, sagte er mir, dass zwei dieser Jugendlichen im Gefängnis gelandet sind, weil sie, nachdem sie wieder zuhause waren, straffällig geworden sind. Seine Kollegen aus der Jugendgerichtshilfe haben in diesem Prozess rund um die Haasenburg Erfahrungen gesammelt. Sie haben gesagt: Wahrscheinlich ist es gar nicht so gut, auf solch eine Einrichtung der Jugendhilfe zurückzugreifen, womöglich sind die Mittel der Justiz dann doch die besseren.
Die Jungs und Mädels, die in diesen Einrichtungen waren und jetzt woanders sind, haben sehr tiefgreifende persönliche Schicksale erlebt. Sie haben mit Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch zu tun. All das haben sie in jungen Jahren erfahren. Menschen werden ja nicht als Bewohner solcher Einrichtungen geboren. Der Umgang mit diesen Jungs und Mädels erfordert natürlich eine sehr hohe Fachlichkeit.
Frau Augustin, es ist eben nicht so einfach - auch für die Heimaufsicht nicht - zu sehen, was dort passiert. Den Vorwurf an die Landesheimaufsicht zu schicken halte ich für einen zu einfachen Weg. In der Tat, bei 1 500 Einrichtungen im Land brauchte ich 50 bis 60 Leute, die regelmäßig in den Einrichtungen auftauchen. Das kann es nicht sein. Das SGB VIII regelt ziem
lich klar, dass die örtlichen Träger der Jugendhilfe zu den Einrichtungen fahren und dort mit den Sozialarbeitern Hilfeplangespräche führen: Wie geht es weiter? Wie lange muss das Kind noch bleiben? Die örtlichen Träger führen auch die Kostensatzverhandlungen mit den Brandenburger Trägern vor Ort. Sylvia Lehmann und ich haben das viele Jahre gemacht. Da kann man nicht sagen, dass das alles nur Aufgabe der Heimaufsicht ist. Es sind ja auch Mitarbeiter aus Hamburg, Bayern oder woher die Jungs und Mädels auch immer kamen, in den Einrichtungen gewesen und haben mit den Sozialarbeitern und den Jugendlichen gesprochen. Sie haben gefragt, wie es ihnen gefällt und wie sie klarkommen. Dass von da nie etwas rüberkam, ist das, was mich verwundert und was ich nicht begreifen kann. Meine Leute aus dem Jugendamt haben mir früher des Öfteren mitgeteilt, dass sie mit dieser oder jenen Einrichtung nicht zufrieden sind. Erst kürzlich hat mir ein Brandenburger Träger mitgeteilt, dass er einen Jugendlichen nach Bayern in eine ähnliche Einrichtung geschickt hat, eben weil wir keine solche Einrichtung mehr haben. Ich kann mich gut daran erinnern, dass wir das Anfang der 90er-Jahre oft genug haben machen müssen, weil wir in Brandenburg keine geeignete Einrichtung zur Unterbringung der jungen Leute hatten.
Ich denke, es ist gut, dass wir den Antrag an den Ausschuss überweisen. Aber wenn ich lese, dass die Landesregierung pädagogische Maßnahmen entwickeln solle, wird mir schwummerig. Das ist kein Job, den eine Landesregierung übernehmen kann. Pädagogische Maßnahmen gibt es; die muss man nicht entwickeln, entfalten und konzipieren. Es ist ein Stück weit auch die Aufgabe von Trägern, sich Entsprechendes zu überlegen und dies den örtlichen Trägern der Jugendhilfe anzubieten. Sie müssen dann sehen, ob es passt oder nicht. Darüber, was da alles geht und was nicht, sollte man im Ausschuss verschärft und vertieft diskutieren.
Sylvia Lehmann, wir haben im Sozialausschuss gute Erfahrungen mit den sogenannten Fachgesprächen gemacht. Ich habe gehört, im Bildungsausschuss gibt es das nicht. Aber ich würde einmal anregen, dass man örtliche Träger der Jugendhilfe einlädt und auch die Erfahrungen anderer Länder mit ihren verschiedenen Einrichtungen einfließen lässt. Gibt es Einrichtungen, die ohne freiheitsentziehende Maßnahmen bei dieser Klientel von jungen Leuten klarkommen? Darüber sollte man einmal diskutieren. Ich glaube nicht, dass wir da eine brandenburgselektive Lösung hinkriegen. Das ist echt ein Problem, das alle Länder angeht. Andere Länder haben ihre Jugendlichen gern hierher geschickt, weil sie sie bzw. solche Einrichtungen nicht mehr haben wollten. Ein Stadtstaat hat es immer leichter an so einer Stelle. Er ist örtlicher und überörtlicher Träger gleichermaßen. Bei uns gibt es eben örtliche Träger, die können sich wehren wie die Zicke am Strick und sagen: Wir wollen keine Kostensatzverhandlungen mit dir führen. - Aber am Ende werden sie doch geführt. Dann ist eben der Träger vor Ort in Brandenburg nicht selten auch für Kinder zuständig, die im Wesentlichen aus Berlin kommen, die hier Kräfte in den Jugendämtern binden, Kosten auslösen usw. All das sollten wir einmal im Ausschuss diskutieren und vielleicht Schlussfolgerungen daraus ziehen, wie wir in Brandenburg damit umgehen. - Danke schön.
Wir danken Ihnen. - Frau von Halem hat noch einmal Gelegenheit, für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu sprechen.
Vielen Dank an alle für die insgesamt doch sehr positive Resonanz auf unseren Antrag. Einige Punkte möchte ich gern herausgreifen. Herr Günther, Sie haben gesagt, Sie hätten keine Angst vor einer neuen Haasenburg bzw. sähen wenig Gefahr, dass sich so etwas wieder ereignet. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die Gerichtsverfahren noch nicht abgeschlossen sind und dass wir, wenn ein Träger käme und solch eine Einrichtung errichten wollte, keinerlei Handhabe hätten, das zu verbieten bzw. genauer hinzusehen. Wir würden es vielleicht tun, aber es gäbe keine Sicherheit.
Wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure? Das war das Stichwort von Frau Augustin. Herr Günther, Sie hatten über die Heimaufsicht bzw. deren beratende und unterstützende Funktion gesprochen. Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist es wichtig, uns daran zu erinnern, dass im Bericht der Untersuchungskommission gerade die Nähe zwischen Beratung und Unterstützung einerseits und der Kontrollfunktion andererseits gerügt wurde. Der Bericht hat deutlich dargelegt, dass genau das ein großes Problem war. Da müssen wir in Zukunft sehr viel genauer hinschauen.
Herr Baaske, wenn ich von Ihnen höre, dass der § 45 SGB VIII auf der Jugend- und Familienministerkonferenz diskutiert werde, so ist das natürlich erfreulich, aber das hat Frau Münch vor zwei Jahren auch schon gesagt. Es kann nicht sein, dass ich immer nur erfahre, dass darüber diskutiert werde, sondern ich würde schon auch gern einmal wissen, wie eigentlich der Fortgang ist. Denn wir wissen ja, dass diese Fragestellungen sehr wohl auch in anderen Bundesländern diskutiert werden.
Sie kritisieren, dass das Ministerium pädagogische Alternativen formulieren soll, Herr Baaske. Vielleicht ist das in unserem Antrag missverständlich oder sogar falsch formuliert. Mir geht es darum, dass insbesondere auf der Fachtagung im Juli 2013 im SFBB in Klein Glienicke deutlich geworden ist, dass auch die Vertreterinnen und Vertreter der Jugendämter ein großes Interesse daran haben, dass gemeinsame Standards entwickelt werden und es pädagogische Alternativen gibt. Es war deren Wunsch, dass das Ministerium eine solche Koordination und Weiterentwicklung in die Hand nimmt. Denn sie können das nicht, das ist Aufgabe des Ministeriums. Das ist es, was ich meine.
Wenn man überlegt, wer wofür zuständig gewesen ist, was in der Kompetenz des Landesjugendamtes gelegen hat und worauf die entsendenden Jugendämter in teilweise großer Entfernung hätten achten müssen, muss ich an mein damaliges Empfinden zurückdenken. Wir waren uns alle einig: Da sind Dinge passiert, die wir in unserem Land nicht haben wollen. Aber es war irgendwie keiner verantwortlich. Das bezeichne ich als Bürokratenperspektive. Es wird nach der eigenen formalen Zuständigkeit gefragt, aber keine Verantwortung übernommen. Es muss jemand Verantwortung übernehmen.
Es geht nicht um Zuständigkeitsfragen, sondern darum, dass jemand überlegt, wie die Zuständigkeiten so geordnet werden, dass es am Ende klappt. Es kann nicht sein, dass etwas nicht klappt, und keiner will’s gewesen sein.
Zum Schluss möchte ich Prof. Schrapper aus Koblenz zitieren. Er hielt auf der Fachtagung in Klein Glienicke eines von vielen Referaten und sagte:
„Nur wer von klein auf lernt, dass er mit Zähnen und Klauen verteidigen muss, was er hat, oder erkämpfen, was er braucht, wird Strategien entwickeln, die dann im Kindergarten- oder Schulalter von anderen als anstrengend empfunden werden. Diese Selbstbilder von Kindern müssen verstanden werden.“
Danke schön. - Es ist eine Kurzintervention angemeldet worden. Herr Abgeordneter Günther hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin von Halem, Sie haben mich interpretiert, ich sähe nicht die Gefahr eines neuen Haasenburg-Falls. Ich will klarstellen: Das eine sind in der Tat die noch laufenden Gerichtsverfahren, zu denen ich keine Prognose abgeben kann. Aber ich glaube, dass es dem ehemaligen Träger eher darum geht, Schadensersatzansprüche geltend zu machen anstatt eine neue Einrichtung zu gründen. Sollte sich ein vergleichbarer Träger finden, der Vergleichbares tut, so bleiben die Maßnahmen, die gegenüber den Kindern in den Heimen angewandt wurden, in jedem Fall illegal. Ich gehe davon aus, dass eine Heimaufsicht ein besonderes Auge auf die geschlossenen Unterbringungsplätze - das sind sehr wenige - hat, insbesondere nach den Vorfällen in der Haasenburg. Aber das ist eine Frage, die wir im Ausschuss stellen sollten. Deshalb ist es gut, wenn wir eine Anhörung oder ein Fachgespräch durchführen. Das ist ein gutes Instrument. - Vielen Dank.
Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr Günther! Genau das haben wir immer gedacht, dass diese Aufsicht erfolgen würde. Sie ist nicht erfolgt.
Danke. - Wir sind am Ende der Debatte angekommen und stimmen ab über den Antrag auf Überweisung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 6/1118, Konsequenzen aus der Haasenburg: Kinderschutz gewährleisten, an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport. Wer dem Überweisungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist dem Antrag auf Überweisung einstimmig gefolgt worden.
„Die Jugendlichen kommen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, dem Irak, dem Sudan oder aus Vietnam. Das Haus nimmt jeden auf, unabhängig von Nationalität, Kultur und Religion. Das war damals ein Versuch für das Land Brandenburg, aber ich denke, er ist gelungen. Nach einer Anpassungszeit von etwa einem halben Jahr genießen die Kinder und Jugendlichen das Zusammenleben hier sehr.“
Das sagt die Leiterin Mathilde Killisch. Dabei ist die Situation denkbar schwierig, wenn Flüchtlingskinder ankommen. Sie befinden sich plötzlich in einer völlig fremden Kultur, ohne Familie oder Freunde. Manche von ihnen wurden auf der Flucht von ihren Eltern getrennt, andere - vor allem junge Männer wurden in einen Bus gesetzt und losgeschickt, um sie vor Anschlägen und Terror zu schützen.