Protocol of the Session on April 30, 2015

Deshalb ergreifen wir diese Initiative gemeinsam mit unseren Berliner Kolleginnen und Kollegen und fordern, endlich ein Konzept zur Weiterentwicklung der entsprechenden Hilfeangebote vorzulegen. Freiheitsentziehende Maßnahmen sollten aus unserer Sicht möglichst vermieden werden. Wir brauchen bessere Begleitung, Strukturen für die Heimaufsicht, ein effektives Beschwerdemanagement und fachliche Standards, die gemeinsam mit den örtlichen Jugendämtern entwickelt werden müssen.

Ich hoffe sehr, dass wir dazu im Ausschuss gemeinsame konkrete Schritte vereinbaren können. Gras darf über diese Sache nicht wachsen, und die inhaltsleere Synergiefloskel im Zusammenhang mit der Eingliederung des Landesjugendamts in das Ministerium ist aus unserer Sicht noch keine Antwort.

(Beifall B90/GRÜNE sowie der Abgeordneten Große [DIE LINKE])

Danke. - Es spricht nun der Abgeordnete Günther für die SPDFraktion.

Werte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nie wieder Haasenburg, darüber waren und sind wir uns einig. Auch ich erinnere mich noch an den Tag, an dem die Untersuchungskommission ihren Bericht vorstellte. Es war eine der eindrücklichsten Sitzungen, die wir im Bildungsausschuss je hatten; die Vorrednerin hat dies ausführlich geschildert.

In der Tat gab es - das haben uns die Gutachter vorgestellt - Anzeichen für klare Grenzüberschreitungen, für Demütigungen und Misshandlungen. Offenbar waren das auch keine Ausrutscher. Nein, das hatte ganz offenbar System, das gehörte zum Heimalltag, und das hatte vor allem auch die Rückendeckung des Trägers. Diese Mängel waren und sind nicht hinnehmbar.

Trotzdem war die Haasenburg eine Einrichtung, die offenbar wirtschaftlich eine Erfolgsgeschichte darstellte. Denn die immensen Tagessätze, die die Jugendämter übrigens aus ganz Deutschland zahlten, machten diese Einrichtung wohl zu einem guten Geschäft, zu einem, das - auch darauf möchte ich hinweisen - wohl auf Gegenseitigkeit beruhte. Denn viele Jugendämter belegten diese Plätze in der Haasenburg bis zum Schluss. Offenbar waren sie froh, überhaupt eine Einrichtung für Jugendliche, die sonst niemand mehr wollte, gefunden zu haben.

Um das hier einmal klar und deutlich zu sagen: Diese Haasenburg hatte mit der etablierten Brandenburger Landschaft der Jugendhilfeträger nichts, aber auch gar nichts gemeinsam.

Wir haben uns in Deutschland und Brandenburg entschieden, die Betreuung von Kindern und Jugendlichen, die aus den unterschiedlichsten Gründen - das können sehr vielfältige

Gründe sein - nicht in ihren Familien leben können, an freie Träger der Jugendhilfe zu übertragen. Bevor sie ihre Arbeit beginnen, müssen sie eine ganze Reihe von Anforderungen erfüllen. Sie müssen für jede Einrichtung ein pädagogisches Konzept vorlegen, sie müssen entsprechend qualifiziertes Personal haben, und sie müssen fachlich natürlich auf dem neuesten Stand bleiben. Und für die allermeisten Träger ist dies eine Selbstverständlichkeit.

Ich schildere einmal die Situation der Träger: Die 400 Einrichtungen nannte Frau von Halem schon. Dazu kommen noch rund 1 200 kleinere Untereinrichtungen. Gegenwärtig sind rund 5 500 Plätze in Brandenburg vorhanden, 2 280 Brandenburger Kinder sind gegenwärtig in diesen nur stationären Einrichtungen. Hinzu kommen noch die vielen Pflegefamilien. Es ist eben eine große Breite mit sehr unterschiedlichen Problemlagen bei den Kindern.

Meiner Schilderung werden Sie entnehmen können, dass es ohne eine Sache nicht geht - etwas, was heute offensichtlich völlig aus der Mode ist -, nämlich Vertrauen. Ohne Vertrauen geht es schon deshalb nicht, weil hier schließlich das Wertvollste, was wir haben, nämlich unsere Kinder, Geborgenheit, Stabilität, Bindung, Verlässlichkeit finden sollen und ein möglichst familienähnliches Klima, ein Klima einer funktionierenden Familie für Kinder, die so ein Umfeld oft noch nie erlebt haben. Die allermeisten Träger, die in Brandenburg arbeiten - das muss ich auch deutlich sagen - rechtfertigen dieses Vertrauen jeden Tag. Deshalb ist die Heimaufsicht für diese Träger eben auch eine wichtige Unterstützung, eine fachliche Hilfe, eine Begleitung, und nicht in erster Linie eine Kontrollinstanz.

Der vorliegende Antrag bietet nun die Möglichkeit, mit zeitlichem Abstand das Thema der Betreuung von Jugendlichen mit intensivpädagogischem Setting - und das sind sehr wenige von diesen 2 280 Brandenburger Kindern - einmal genauer in den Blick zu nehmen: die Zukunft, die Möglichkeiten und die Perspektiven dieser Kinder. Es wird kein erfreulicher Blick sein, aber er ist notwendig. Denn wenn wir davon ausgehen, dass es trotz Prävention, trotz früher Hilfen und trotz Unterstützung Minderjährige gibt und geben wird, die eine Gefährdung - und davon sprechen wir hier - für sich und die Gesellschaft darstellen, dann lautet die Gretchenfrage: Sind diese Jugendlichen auch zukünftig ein Thema für die Jugendhilfe oder überlässt man sie im Zweifelsfall der Justiz?

Wie groß ist eigentlich die Gefahr einer neuen Haasenburg? Ich würde nicht sagen, dass das in Brandenburg jederzeit wieder passieren kann. Aber wenn es sie gibt, wie verhindern wir sie und wie bewahren wir gleichzeitig das Vertrauen in unsere vielen gut qualifizierten, hervorragend arbeitenden Jugendhilfeeinrichtungen?

All diese Fragen sind wichtig. Auch wir wollen sie gerne im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport diskutieren und stimmen deshalb einer Überweisung zu. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Wir danken Ihnen und kommen zur nächsten Rednerin. Frau Abgeordnete Augustin spricht für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Berichte über die Haasenburgheime haben uns alle erschüttert. Nun sind fast zwei Jahre vergangen und unser Entsetzen wäre nicht aufrichtig gewesen, wenn es heute heißen würde: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Der heutige Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bietet Anlass, die Landesregierung an ihre Pflicht zu erinnern. Dafür danke ich.

(Beifall CDU und B90/GRÜNE)

Der Antrag soll aber nicht nur an die Pflicht erinnern, sondern auch ermahnen. Die Landesregierung muss Konsequenzen aus ihrem eigenen Versagen ziehen und die Heimaufsicht so gestalten, dass sich Schlagzeilen wie die über die Haasenburg nicht wiederholen.

Ich begrüße zugleich, dass sich der Antrag der unbequemen Einsicht nicht verschließt, dass auch der Freiheitsentzug möglich sein muss. Dabei füge ich hinzu: nur in wenigen besonders drastischen Fällen. Freiheitsentzug muss als allerletztes Mittel erhalten bleiben, nicht nur der öffentlichen Ordnung wegen, sondern auch wegen der betroffenen jungen Menschen. In Einzelfällen kann es die bessere Alternative zu Gefängnis oder Psychiatrie sein. Aber bei Jugendlichen darf Freiheitsentzug keine Strafmaßnahme sein, sondern muss immer dazu dienen, ein neues Leben in Freiheit zu ermöglichen. Das gelingt nur dann, wenn Heimunterbringung nicht Willkür und Faustrecht bedeutet. Dies aber war leider in den Haasenburgheimen - so mussten wir es den Berichten und Schilderungen darüber entnehmen - viel zu oft der Fall.

Sehr geehrte Damen und Herrn, vergessen wir nicht: Bei der Haasenburg geht es nicht nur um menschliche Schicksale oder gar menschliche Dramen. Es geht auch um einen politischen Skandal. Schutzbefohlene nicht zu schützen, das ist rot-rotes Versagen in seiner schlimmsten Form.

(Beifall CDU und AfD - Zuruf von der SPD: Das ist ja jetzt etwas!)

Alle Fraktionen des damaligen Landtages waren ehrlich entsetzt.

(Frau Lehmann [SPD]: Hier geht es gar nicht um die Poli- tik!)

- Oh doch.

Dem Ruf nach Aufklärung hat sich seinerzeit jeder angeschlossen. Aber schon bei der Art der Aufklärung endete die Einigkeit. Auch das ist ein Indiz von Versagen in der Aufsicht. Wer aufklären durfte, bestimmte nicht der Landtag, sondern ausgerechnet das Ministerium, das zuvor Versagen gezeigt hatte. Und so mischte sich in das aufrichtige Entsetzen ein übler Beigeschmack. Es folgten Kommissionen, Experten und Berichte.

Es war richtig, zunächst verstehen zu wollen, wie es überhaupt dazu hatte kommen können. Wir wollten verstehen, was passiert ist. Aber was ist seitdem geschehen? Es hat eine Fachkon

ferenz gegeben. Das Land Brandenburg hat versucht, bundesweit die Initiative zu übernehmen. Das Landesjugendamt ist in das Bildungs- und Jugendministerium gewandert. - Und das alles ist auch gar nicht falsch. Aber ob es tatsächlich die Heimaufsicht verbessert, das ist die noch offene Frage. Auf keinen Fall ersetzt es aber die Kontrolle durch unabhängige Dritte, und das in institutionalisierter Form. Das fordert auch der Antrag der Grünen, und dieser Forderung schließen wir uns ausdrücklich an.

(Beifall CDU)

Nicht zu vergessen: Wir haben später noch einen Tagesordnungspunkt zum Kinderbeauftragten auf der Tagesordnung, den wir, die CDU, eingebracht haben. Auch dieser wäre ein denkbarer Ansprechpartner in Bezug auf die Konsequenzen der Haasenburgheime, der die Aufsichtspflicht verbessern könnte.

(Beifall CDU)

Wir stehen vor der alten Frage: Wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure? Auf diese Frage verlangt der Antrag Antwort, und das ist richtig so.

(Zuruf der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Aus den Schlagzeilen mag der Skandal verschwunden sein. Damit er nicht aus dem Landtag verschwindet, behandeln wir heute den Antrag, und die CDU-Fraktion wird ihm zustimmen. - Danke schön.

(Beifall CDU und B90/GRÜNE)

Danke schön. - Zu uns spricht nun die Abgeordnete Große für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Auch ich möchte der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein herzliches Dankeschön dafür sagen, dass sie diesen qualifizierten Antrag heute auf den Weg gebracht hat und uns damit auch noch einmal in die Mangel nimmt, darüber zu sprechen.

Ganz so, Frau Kollegin Augustin, ist es ja nicht: dass seitdem nichts passiert wäre. Ich möchte auch Ihre Beschreibung dessen, was im Jahr 2013 passiert ist, ein Stück weit korrigieren. Es war Ministerin Münch, die die Betriebserlaubnis entzogen hat, und zwar gegen den Widerstand diverser Fachleute und selbst auch aus dem eigenen Haus. Es war Frau Ministerin Münch, die die Kommission als unabhängige Kommission eingesetzt hat. Die rot-rote Landesregierung mit einer Bildungsministerin Martina Münch war sehr wohl handlungsfähig. Und ja, wir haben uns alle das Ausmaß dessen, was in der Haasenburg passiert ist, bis dahin nicht vorstellen können. Es hat eine Weile gedauert, bis interveniert wurde. Das aber wiederum ist passiert.

Dass auch nach der Betriebserlaubnisentziehung und im Übrigen auch der juristischen Folgebehandlung - 70 Klagen sind gegenüber der Haasenburg immer noch anhängig - noch einiges passiert ist, zeigt die von Ihnen, Frau Augustin, benannte

Fachkonferenz. Gehen Sie einfach einmal auf die Internetseite des MBJS und sehen und hören Sie sich an, was auf dieser hochkarätig besetzten Fachkonferenz weitergedacht wurde! Ein endgültiges Ergebnis hat niemand, hat keines der teilnehmenden Bundesländer dort erhalten. Es hat dort auch keine Entscheidung gegeben, inwieweit geschlossene Unterbringungen eine Möglichkeit sind, mit diesen besonders herausfordernden Jugendlichen - so heißen sie im Fachjargon - umzugehen.

Die Linke ist bisher überwiegend der Meinung, dass wir geschlossene Unterkünfte vermeiden müssen, dass sie wirklich die absolute Ultima Ratio sein müssen und wir vorher alles tun müssen, um zu verhindern, dass junge Menschen, die so auf die schiefe Bahn geraten sind, weggesperrt werden.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Wir möchten auch nicht mehr diejenigen sein, die das für andere Bundesländer tun. Gleichwohl wissen wir, dass wir junge Menschen mit einem enorm hohen Hilfebedarf haben.

Ich sage hier auch: Wir werden mit dem Ansatz der Grünen, den wir teilen, nicht weiterkommen. Wir werden uns im Bildungsausschuss weiter damit beschäftigen und versuchen, unsere Ideen, wie wir diese jungen Menschen auffangen und Kinderschutz gewährleisten können, weiterzuentwickeln. Aber ich bin auch der Meinung, wir müssen weiterdenken. Wir brauchen eine stärkere Kooperation zwischen Justiz, Psychiatrie, Schule und Jugendhilfe. In diesem Komplex muss man das Ganze betrachten.

(Beifall der Abgeordneten von Halem [B90/GRÜNE])

Wir brauchen auch mehr Verbindlichkeit in den Standards. Und natürlich brauchen wir eine starke Heimaufsicht, die aber nicht nur aus dem Bereich des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport kommt, sondern der örtliche Träger der Jugendhilfe steht hier auch in Verantwortung.

Noch einmal herzlichen Dank für diesen Antrag. Wir müssen ihn gemeinsam qualifizieren. Wir müssen weiterdenken, wir müssen natürlich auch hinterfragen, inwiefern die Struktur, die wir jetzt haben, geeignet ist, genau das auf den Weg zu bringen. Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Wir kommen zur nächsten Rednerin. Für die AfD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Bessin die Gelegenheit.