Protocol of the Session on November 22, 2013

Meine Damen und Herren! Ab heute gilt: Aller guten Dinge sind 85. Ich begrüße Sie also zur 85. Plenarsitzung und damit der letzten in diesem Hause. Genießen Sie es!

(Zurufe: Ja, das werden wir!)

Ihnen ist der Entwurf der Tagesordnung zugegangen. Gibt es Bemerkungen hierzu? - Da das nicht der Fall ist, bitte ich um Zustimmung zur Tagesordnung. - Danke sehr, damit ist die Tagesordnung beschlossen.

Wir haben heute ganztägig auf Minister Christoffers zu verzichten, der von Minister Markov vertreten wird, auf Ministerin Tack ab 17 Uhr, die dann von Minister Schöneburg vertreten wird, auf Frau Ministerin Kunst bis 14 Uhr - sie wird von Frau Ministerin Münch vertreten. Wie Sie sehen, ist auch der Ministerpräsident zumindest vorerst - offenbar durch Koalitionsverhandlungen - gebunden und wird im Laufe des Tages zu uns stoßen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Brandenburg (Antirassismus-Novelle)

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD der Fraktion Die LINKE der Fraktion der FDP der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/7321

3. Lesung

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses zur 2. Lesung

Drucksache 5/8173

Wir beginnen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Der Abgeordnete Ness spricht zu uns.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste Redner an einem Plenartag zu sein ist immer etwas schwierig, weil man sich die Aufmerksamkeit erkämpfen muss. Aber es ist schon etwas Besonderes, heute, am letzten Tag hier, erster Redner auf dem Brauhausberg zu sein.

Die Parlamentarischen Geschäftsführer, die die Tagesordnung vorbereitet haben, haben eine gute Wahl getroffen, nämlich bei der Festlegung, dass wir heute, an diesem letzten Tag hier auf dem Brauhausberg, eine Verfassungsänderung zum Abschluss bringen.

Verfassungsänderungen sind schon die Königsdisziplin eines Parlaments, und diese Verfassungsänderung ist eine ganz be

sondere, weil wir es in langen Debatten geschafft haben, zu einer Lösung bei dieser Verfassungsänderung zu kommen, die von allen Fraktion getragen werden kann. Das ist ein gutes Zeichen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Für mich ist diese Verfassungsänderung heute - die Antirassismusklausel, die wir in unsere Landesverfassung aufnehmen in gewisser Hinsicht auch der Höhepunkt eines Lernprozesses, eines schmerzhaften Lernprozesses, den wir in den letzten gut zwei Jahrzehnten in Brandenburg durchmachen mussten. Wir haben häufig in diesem Plenum über Rechtsextremismus, über Ausländerfeindlichkeit debattiert, denn es gab leider immer wieder Anlässe, darüber nachzudenken, wie wir mit diesem Thema umgehen.

Wir mussten leider auch konstatieren, dass wir dieses Thema in unserer eigenen Geschichte - in der ersten Hälfte der 90erJahre - auch verdrängt haben. Viele der damals politisch Aktiven - einige sind heute noch dabei - haben gedacht, dass es eine vorübergehende Erscheinung sei. Aber wir mussten im Laufe der 90er-Jahre und auch im letzten Jahrzehnt feststellen, dass es brutale Realität ist, der zahlreiche Menschen zum Opfer gefallen sind. Ich erinnere an den Mord in Eberswalde. Ich denke an den brutalen Mord in Prötzel, und ich denke auch an die Hetzjagd in Guben. Nicht nur diese drei Vorfälle, sondern auch viele andere haben dazu geführt, dass der Potsdamer Politologe Heinz Kleger den Begriff für Brandenburg gefunden hat: „Brandenburg ist ein kompromittiertes Land.“ Das heißt, diese Vorgänge haben den Ruf Brandenburgs - in anderen ostdeutschen Ländern war es nicht anders - nachhaltig geschädigt. Wir haben lange gebraucht, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

Ich habe hier an verschiedenen Stellen schon darauf hingewiesen, dass ich nie vergessen werde, wie Manfred Stolpe in einem Interview in der „ZEIT“ Selbstkritik geübt hat, zugegeben hat, dass das Problem des Extremismus, Rassismus in Brandenburg unterschätzt worden ist. Dann hat er aber Konsequenzen daraus gezogen, und ich freue mich, dass heute auch Vertreter des Aktionsbündnisses „Tolerantes Brandenburg“ anwesend sind.

(Allgemeiner Beifall)

Eine Konsequenz war, dass das Handlungskonzept Tolerantes Brandenburg entwickelt worden ist, dass wir eine Konzeption entwickelt haben, dass staatliche Instanzen, Bildungsinstanzen, aber auch Zivilgesellschaft zusammenwirken sollen, um gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit tätig zu werden. Wenn wir heute unsere Verfassung ändern, ist das auch eine Anerkennung der Arbeit der Menschen im Handlungskonzept Tolerantes Brandenburg, aber vor allem der breiten Zivilgesellschaft im Land Brandenburg, die dann irgendwann einmal aufgestanden ist und gesagt hat: Es reicht jetzt! Wir setzen uns zur Wehr, wenn Nazis durch unsere Städte ziehen! - Ich glaube, dass wir heute dieses Zeichen setzen, ist wichtig, denn es soll die Menschen bestärken, bei diesem Ansinnen weiter aktiv mitzuwirken.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Diese Verfassungsänderung ist von unserem Landtagspräsidenten, Gunter Fritsch, und von Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg angestoßen worden. Ich möchte Ihnen herzlich für die Initiative danken.

Kollege Scharfenberg und ich haben dann die Vertreter der anderen Fraktionen eingeladen und auf der Basis eines ersten Vorschlags beraten, wie wir eine kluge Verfassungsänderung zustande bringen. Wir haben dann einen umfassenden Diskussionsprozess geführt, in dem wir uns Schritt für Schritt annäherten. Das fand seinen Höhepunkt in der Anhörung im Hauptausschuss, wo Jes Möller, unser Verfassungsgerichtspräsident, in gewisser Hinsicht dann den Knoten durchschlagen hat. Er hat einen klugen Vorschlag unterbreitet, der es ermöglicht hat, dass heute alle Fraktionen zustimmen können. Ich bin ihm sehr dankbar dafür.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Uns allen muss bewusst sein: Wenn wir heute die Verfassung ändern, die Antirassismusklausel aufnehmen und den überkommenen Begriff „Rasse“ aus unserer Verfassung streichen, dann ist das der Höhepunkt eines Lernprozesses, aber nicht der Endpunkt der Auseinandersetzung mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Es bleibt auf der Tagesordnung.

Wir hatten gestern eine Aktuelle Stunde, beantragt von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema Asyl. Dabei ist uns deutlich geworden, dass weiterhin Nazis in unserem Land aktiv sind. Sie versuchen, in der Mitte der Gesellschaft Unterstützung zu finden. Ich glaube, dass Brandenburg im Vergleich zu anderen Ländern relativ gut aufgestellt ist, was diese Auseinandersetzung angeht. Aber sie ist nie gewonnen. Wir werden sie weiter führen müssen. Wir werden weiter gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus aktiv sein müssen.

Mit unserer Verfassungsänderung gehen wir heute einen wichtigen Schritt, dass dieser Kampf dauerhaft gewonnen werden kann. Ich danke Ihnen für die Unterstützung.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Wir setzen mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Der Abgeordnete Dombrowski spricht zu uns.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 14. Juni 1992 wurde die Verfassung des Landes Brandenburg von der Bevölkerung durch einen Volksentscheid mit über 94 % der gültigen Stimmen angenommen. Sie hat also wohlgemerkt in ihrer Ursprungsfassung eine stärkere Legitimation als jede Landesregierung. Aus Respekt vor dieser deutlichen Willensbekundung sind besondere Zurückhaltung und Augenmaß geboten, wenn es darum geht, diese vom Volk autorisierte Verfassung zu verändern.

Weil aber seit 1992 im Schnitt alle zwei Jahre etwas verändert wurde, ist die CDU-Fraktion besonders sensibel, wenn ein Antrag zur Verfassungsänderung kommt. So wurde auch der heute

vorliegende Vorschlag genau unter die Lupe genommen: In der ersten Fassung sollte einfach auf den Begriff „Rasse“ verzichtet werden, was von Experten, aber auch von uns sehr kritisch bewertet wurde. Auch die in 1. Lesung eingebrachte Variante wollten wir nicht einfach durchwinken, nur weil das Anliegen grundsätzlich lobens- und begrüßenswert war. Folglich haben wir eine Anhörung im Hauptausschuss beantragt, die, wie ich meine, für alle, die dort zugegen waren, sehr hilfreich und zweckdienlich gewesen ist.

Insbesondere die Hinweise von Jes Möller, dem Präsidenten unseres Landesverfassungsgerichts, waren für die CDU-Fraktion wichtig. Er wies darauf hin, dass die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ein Staatsziel und keine Verfassungsgrundlage ist. Die Verankerung im zweiten Hauptteil ist deshalb der richtige Ort, einen solchen Auftrag festzuschreiben.

In der besagten Anhörung habe ich die Experten gefragt, was sich denn aus der Verfassungsänderung konkret ergibt. Daraufhin gaben nahezu alle Anzuhörenden zu Protokoll, dass diese Formulierung für sich genommen nur symbolischen Charakter besitze. Für eine tatsächliche Wirkung in die Gesellschaft sei es dringend erforderlich, das neue Staatsziel mit konkreten Maßnahmen zu untersetzen. Aus diesem Grund ist es nicht mit der heutigen Verabschiedung getan. Ich möchte dies an folgendem Beispiel verdeutlichen: Auch wenn wir in der Verfassung das Recht auf Arbeit verankert haben, entstehen aus diesem Verfassungsziel keine Arbeitsplätze. Daran müssen viele - auch wir arbeiten, aber vor allen Dingen die Unternehmerinnen und Unternehmer, die Gewerkschaft. Alle sind dazu aufgerufen.

(Beifall CDU sowie der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Ähnlich verhält es sich hier. Wenn wir als Staatsziel das friedliche Zusammenleben der Menschen und das Entgegentreten gegen rechtsextremistische Tendenzen festschreiben, erfordert dies auch ein aktives politisches Handeln. Das ist unser Kritikpunkt an der Stelle. Was haben wir eigentlich in der Vergangenheit bezüglich dessen, was der Kollege Ness benannt hat, was es abzuwehren gilt, nicht getan, was wir nach dieser Verfassungsänderung tun könnten oder tun müssten? Das steht noch in den Sternen, und da sollten wir eigentlich weiter sein. Es kann jedenfalls mit der Änderung der Verfassung nicht sein Bewenden haben, sondern es muss danach weitergehen.

(Beifall CDU, FDP und SPD)

Wir bringen uns da gerne ein.

Herr Kollege Ness, die Verfassung unseres Bundeslandes ist eine Verfassung von friedliebenden Menschen, und darum finde ich es nicht hilfreich, wenn Sie immer von Kampf sprechen. Unsere Aufgabe besteht darin, die Demokratie zu stärken. Dazu gehört natürlich auch die Abwehr verfassungsfeindlicher Initiativen und Parteien. Aber zuallererst sollten wir auf dem aufbauen, was uns, die Menschen in diesem wunderbaren und friedlichen Land Brandenburg, verbindet, und das ist nicht der Kampf gegen irgendetwas, sondern ist das Eintreten für die Demokratie.

(Beifall CDU und FDP)

Wenn es die Initiatoren und damit wir alle - wir werden ja zustimmen, wie Sie wissen - mit der Verfassungsänderung ernst meinen, müssen in den nächsten Wochen und Monaten entsprechende Schritte folgen, sonst bleibt es nur Symbolpolitik.

Für mich gehört zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem neuen Verfassungsauftrag auch, dass die bisherigen Maßnahmen des Landes überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Das gilt beispielsweise auch für das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“, für den Wirkungskreis der politischen Bildung, insbesondere durch die Landeszentrale, oder für die Stärkung des Demokratieverständnisses in der Jugend- und Bildungsarbeit. Da sind wir gern dabei, wenn es darum geht, diese Maßnahmen zu überprüfen und noch effizienter zu gestalten.

Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion hat sich nach reiflicher Überlegung und intensiver Prüfung für die Zustimmung zu dieser Änderung entschieden, und weil damit alle Fraktionen des Landtages dabei sind, sind wir wieder im Bereich der 94 % der Volksabstimmung. Näher kann man als Parlament nicht am Willen der Bürgerinnen und Bürger sein. Ich denke, dass ein gemeinsamer Beschluss aller Fraktionen ein sehr guter Auftakt für den letzten Plenartag in diesem Gebäude ist - auch, wenn ich nur als Zweiter spreche. - Danke schön.

(Allgemeiner Beifall)

Der Abgeordnete Scharfenberg setzt für die Linksfraktion fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verfassungen ändert man nicht alle Tage. Wir entscheiden heute über eine Änderung, die nach Auffassung der Linken große Wirkungen entfalten kann. Für uns ist seit langem klar, dass wir den Spielraum, den uns das Landesverfassungsrecht bietet, nutzen sollten, um das friedliche Zusammenleben der Menschen in unserem Land zu fördern. Deshalb haben wir in der Vergangenheit unter dem Vorzeichen einer antifaschistischen Klausel schon verschiedene Vorstöße in dieser Richtung unternommen - ohne Erfolg.

Umso erfreulicher ist es, dass sich mit dieser 3. Lesung eine fraktionsübergreifende Zustimmung verbindet, die vor wenigen Monaten nicht zu erwarten war. In der 1. Lesung hat sich die CDU diesem Änderungsgesetz noch verschlossen. Dass die Antirassismusnovelle nun von allen fünf Fraktionen getragen wird, ist ein echter Lichtblick. Die CDU ist über ihren Schatten gesprungen. Dafür gebührt insbesondere Herrn Dombrowski Respekt.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Diese breite Übereinstimmung zur Antirassismusnovelle ist da bin ich sicher - eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das neue Staatsziel die erwünschte Wirkung entfalten kann.