Protocol of the Session on January 20, 2010

(Beifall DIE LINKE)

Sie kennen die Rahmenbedingungen ganz genau und versuchen jetzt, daraus politisches Kapital zu schlagen.

(Frau Prof. Dr. Wanka [CDU]: Nein, das hat er nicht ge- macht!)

- Darüber kann man diskutieren.

Die Zahlen, die Sie heute in den Mittelpunkt Ihrer Angriffe stellen, lieber Herr Petke, haben Sie noch im vergangenen Jahr in den entgegengesetzten Kontext gestellt.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Die Ankündigung des Innenministers zu einer neuen Polizeireform und die Einsetzung einer entsprechenden Kommission sehen wir als echte Chance an. Wir verbinden damit insbesondere die Erwartung, dass aus unverkennbaren Fehlern der Vergangenheit gelernt wird. Diesen Anspruch legen wir zugrunde, um öffentliche Sicherheit auch künftig mit großer Wirksamkeit zu gewährleisten. Wir tun das vor dem Hintergrund stark gesunkener Einnahmen des Landes und der von der Bundesregierung geplanten Steuerkürzungen.

Auch wenn Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen sind, gehe ich davon aus, dass Innenminister Speer in einer fairen Zusammenarbeit gemeinsam mit der Polizei und ihren Gewerkschaften nach optimalen Lösungen sucht. Deshalb auch unsere Anregung an Herrn Speer, konkrete Formen der Einbeziehung aller drei Gewerkschaften in die Arbeit der Kommission zu finden. Sie wissen, dass die gegenwärtige Lösung schon auf Kritik gestoßen ist.

Mit unserem heute noch zu behandelnden Antrag geben wir ein Gesamtkonzept in Auftrag, mit dem die Struktur- und Personalentwicklung der Polizei vorangebracht werden soll. Im Gegen

satz zum bisherigen Vorgehen steht diese Koalition auch für eine umfassende Aufgabenkritik, um die Polizei nicht hoffnungslos zu überfordern. Auch diese Forderung wird heute ganz deutlich artikuliert, in der Vergangenheit ist sie vernachlässigt worden.

(Görke [DIE LINKE]: Genau!)

Durch eine gründliche Prüfung des Aufgabenkatalogs, durch eine veränderte Prioritätensetzung und auch durch die Infragestellung von Aufgaben sollen die vorhandenen Kräfte klug eingesetzt werden. Ziel und Maßstab ist die optimale Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit. Das schließt die Abkehr von Prestigeobjekten wie dem Gyrocopter und das Abwenden von der kennzahlenorientierten Polizeiarbeit ebenso ein wie die Beendigung der von vielen Bürgern immer wieder kritisierten offensichtlichen Abzockerei.

(Beifall DIE LINKE)

Es ist regelrecht erfrischend - das muss ich so sagen -, dass der Innenminister diese bisherigen Tabus unverblümt anspricht und anpackt.

Ich komme zum Schluss. Mit dem heute noch zu beschließenden Antrag und der Einsetzung der Kommission wird die Grundlage für das weitere Vorgehen auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit geschaffen. Lassen Sie uns nicht mit Horrorszenarien, sondern mit Unvoreingenommenheit und einem gesunden Realismus an die Arbeit gehen. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)

Der Abgeordnete Goetz spricht für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Schäuble! Lieber Herr Schuster! Es ist bereits viel zu Umfragen gesagt worden, dazu, welche Ergebnisse Umfragen brächten, wenn sie denn heute durchgeführt würden. Über das Ergebnis einer Umfrage können wir uns im Klaren sein. Wenn man den durchschnittlichen Polizeibeamten fragt, warum er Polizeibeamter geworden sei, dann wird die Antwort im Regelfall sein: aus Idealismus. - Wir hoffen, dass dieser Idealismus den Polizeibeamten erhalten bleibt; denn wer die tatsächlichen Verhältnisse kennt, wer sieht, wie es in der Polizei weitergeht, verliert diesen Idealismus. Gerade das hat man unten auf der Straße zu hören bekommen, soweit man angehalten und die Sorgen und Nöte der Polizeibeamten zur Kenntnis genommen hat.

In Ihrer Vorlage - auch das will ich vorab sagen - ist nicht alles schlecht. Sicherheit ist für alle da; das ist sicherlich unstreitig. Was Ihre Vorlage enthält, könnte eigentlich von der Opposition stammen. Nur muss auch hier gesagt werden: Sie sind die Regierung, Sie bilden die Regierungskoalition und haben einen Koalitionsvertrag geschlossen. Wenn Sie meinen, diesen Koalitionsvertrag, der erst wenige Wochen alt ist, jetzt schon nachbessern zu müssen, dann frage ich: Was haben Sie denn damals gemacht?

Natürlich ist es positiv, wenn Sie die Forderung bringen, dass Sicherheit gewährleistet werden muss, und die eigene Regierung beauftragen wollen. Aber dann liegt es auch an Ihnen, das umzusetzen und nicht nur den Auftrag zu erteilen.

Im Strafrecht gibt es den Begriff „bedingter Vorsatz“. Sie können Kollegen Schöneburg fragen, was dieser Begriff ausmacht. „Bedingter Vorsatz“ bedeutet, dass man einen bestimmten Erfolg eines Handelns eigentlich nicht will, ihn aber quasi als Nebeneffekt billigend in Kauf nimmt. Natürlich wollen Sie nicht - auch Sie in der Regierungskoalition -, dass unsere Polizeibeamten im Durchschnitt immer älter werden. Das ist aber das Ergebnis; denn selbst wenn nur die gegenwärtig vorhandenen Polizeianwärter übernommen werden und wenn dann, wie Innenminister Speer kürzlich im Innenausschuss andeutete, einige davon vielleicht nach Berlin gehen, wird der Altersdurchschnitt weiterhin ansteigen.

(Zuruf des Abgeordneten Krause [DIE LINKE])

- Herr Kollege, der Altersdurchschnitt der Polizeibeamten wird weiterhin ansteigen. - Dass mit steigendem Altersdurchschnitt auch die Krankenzahlen ansteigen, versteht sich von selbst. Wir haben bereits jetzt durchschnittlich über 30 Tage Krankheit je Beamten im Jahr. Wenn wir das einschließlich Ferienzeiten umrechnen, heißt das, dass wir, wenn die Polizisten gleichzeitig krank würden, im Land Brandenburg für zwei Monate keine Polizei mehr hätten. Das ist der gegenwärtige Stand. Das heißt, die Verbliebenen, die Gesundgebliebenen müssen sich mühen, die Löcher zu stopfen und das zu ersetzen, was erkrankte Kollegen - auch durch die starke Arbeitsbelastung erkrankte - so nicht mehr zu leisten vermögen. So ist das.

Natürlich wollen Sie nicht, dass die Interventionszeiten ansteigen. Wenn jetzt Interventionszeiten von 20, 22, 23, 24 Minuten angegeben werden, dann sind das Durchschnittszeiten. Passiert hier im Landtag irgendetwas, dann dauert es 10 Sekunden, bis die Beamten im Gebäude sind. Aber fragen Sie in der Uckermark oder in der Prignitz nach, wie lang dort die Interventionszeiten, wie groß die Entfernungen zwischen der einzelnen Wache, den Beamten und dem möglichen Tatort sind. Wir sind eben nicht Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz.

Wenn Sie einen Durchschnitt berechnen wollen, dann rechnen Sie doch einmal den Durchschnitt Beamte je Fläche, Beamte je km2 aus. Brandenburg ist mit fast 30 000 km2 fast so groß wie Belgien. Das unterscheidet uns eben von Schleswig-Holstein. Uns unterscheidet von anderen auch das Vorhandensein einer der Haupttransitstrecken in ganz Europa mit einer riesigen Autobahn. Das hat nichts mit unseren Bevölkerungszahlen zu tun. Uns unterscheidet die Berlinnähe. Uns unterscheidet die Nähe zu einem anderen Land, unserem Nachbarland Polen. Wir haben viele Bereiche, die sich deutlich von Schleswig-Holstein unterscheiden, deshalb einer besonderen Bearbeitung bedürfen und auch einen besonderen Einsatz unserer Polizeibeamten erfordern.

Sie wollen nicht die Schwächung unserer Polizei. Niemand wird etwas anderes behaupten. Aber, meine Damen und Herren, Sie nehmen es billigend in Kauf, wenn Sie von vornherein Personalstrukturen vorgeben und sagen: Es wird eine bestimmte Anzahl Beamter weniger, ob 2 000 oder 3 000,

(Zuruf des Abgeordneten Görke [DIE LINKE])

und hinterher schauen wir einmal, wie viel Sicherheit wir uns noch leisten können. - Das ist genau der Punkt. Eigentlich ist der Weg ein anderer. Man kann nicht von vornherein sagen: Es verschwinden 2 000, 3 000 Polizeibeamte, und dann schauen wir mal, was an Sicherheit übrig bleibt - ein bisschen Sicherheit für jeden. Der Anfang muss doch eine Aufgabenkritik sein. Wir müssen zuerst schauen, welche Aufgaben die Polizei erfüllen soll, wie viel Sicherheit gewährleistet werden soll, wie die Zugriffszeiten für die einzelnen Beamten sind. Das sind die Fragen, die gestellt werden müssen. Das kann man auf die Fläche des Landes umrechnen. Dann kommt man auf eine Zahl von Beamten, die in jedem Falle gebraucht wird. So muss ein Strukturkonzept gebaut werden; Sie zäumen das Pferd jedoch vom Schwanz her auf - und genau so funktioniert es eben nicht.

(Baaske [SPD]: Dafür brauchen wir aber Einnahmen!)

Es gibt Kernbereiche staatlicher Tätigkeit. Die entsprechenden Aufgaben müssen ohne Abstriche erfüllt werden. Kernbereiche sind die Bildung und die Justiz als dritte Säule der staatlichen Gewalt. Ja, Kernbereich staatlicher Tätigkeit ist auch die Polizei.

Wir haben ein staatliches Gewaltmonopol. Wenn es ausgeübt werden soll, brauchen wir eine starke, einsatzbereite, gute Polizei, die zügig in der Fläche ist, keine weiteren Wachenschließungen zulässt und gewährleistet, dass jeder Bürger Brandenburgs, egal, wo er sich befindet, in kurzer Zeit mit Beamten rechnen kann.

Insofern begrüße ich die von Ihnen eingerichtete Aktuelle Stunde. Ich hoffe, dass die heute hier vorgetragenen Informationen von Ihrer eigenen Landesregierung auch wahrgenommen werden. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP)

Die Abgeordete Nonnemacher spricht für die Fraktion GRÜNE/ B90.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kompromisse im politischen Raum haben gelegentlich die Eigenheit, asymmetrisch zu sein. Dies gilt - schaut man sich den Koalitionsvertrag der neuen rot-roten Landesregierung an - für Themen wie die Braunkohleverstromung und den Aufschluss neuer Tagebaue, aber auch für die Personalentwicklung im öffentlichen Dienst. Die Kompromisse liegen befremdlich nahe bei den Positionen der Sozialdemokraten und sind Lichtjahre von den Wahlkampfversprechungen der Linken entfernt. Bei unfreundlicher Interpretation könnte man auch von Wählertäuschung sprechen, wenn vor der Wahl ein weiterer Personalabbau verhindert und die Lebensarbeitszeit bei der Polizei nicht verändert werden soll.

(Oh! bei der Fraktion DIE LINKE)

Eine weitere Merkwürdigkeit der Regierungskoalition ist der Umgang mit plakativen Kennzahlen. Schon bei den 1 250 einzustellenden Lehrern war große Skepsis geboten, und ein der Mathematik mächtiger Finanzminister hat inzwischen erkannt,

dass diese Zahl erheblich nach oben korrigiert werden muss, um wenigstens den Status quo zu sichern.

Ähnliches erleben wir mit den 3 000 abzubauenden Stellen bei der Polizei, die während der Koalitionsverhandlungen ins Spiel gebracht worden sind. Auch diese Zahl gehört seit letztem Freitag in die Mottenkiste. Sie war - man höre und staune - nicht solide erarbeitet, sondern war eher ein Testballon, um das Thema Personalabbau aktuell zu halten. Diese Intention ist ja prächtig geglückt. So diskutieren wir heute in Brandenburg die innere Sicherheit, die eine handlungsfähige und bürgernahe Polizei gewährleisten soll. Nun haben selbst die schärfsten Kritiker keine Zweifel an der Handlungsfähigkeit unserer Polizei, und die Bürgernähe wird nur durch die subjektive Wahrnehmung getrübt, dass man Polizisten so selten zu Gesicht bekommt.

Die Diskussion um die Polizeistruktur 2020 wäre so viel inhaltlicher zu führen, wenn der Eindruck vermieden werden könnte, es ginge ausschließlich um die Umsetzung schon beschlossener Sparvorhaben. Um es aus unserer grünen Sicht klar zu sagen: Ja, es ist legitim, zu überprüfen, ob angesichts der erheblichen Mindereinnahmen im Landeshaushalt in den nächsten Jahren und bei weiterem Bevölkerungsrückgang im Rahmen des demografischen Wandels auch bei der Polizei gespart werden kann und gegebenenfalls gespart werden muss. Ja, es ist legitim, wenn eine Landesregierung in Zeiten knapper Budgets einen Schwerpunkt auf Bildung und Forschung legen will. Sie soll das aber bitte dann auch tun.

Es ist des Weiteren nicht zu beanstanden, wenn der Aufgabenkatalog der Polizei einer Revision unterzogen und von Bagatellaufgaben entrümpelt wird. In diesem Sinne begrüßen wir prinzipiell die Einsetzung der Strukturkommission. Diese Kommission muss aber schonungslos ergebnisoffen Aufgabenkritik betreiben und darf nicht vorab festgelegte Einsparsummen ideologisch verbrämen. Eine flächendeckende Wahrnehmung hoheitlicher Polizeiaufgaben mit akzeptablen Interventionszeiten und eine gute Aufklärungsquote müssen die Richtschnur ihrer Arbeit sein. „Ergebnisoffen“ kann aber auch bedeuten, dass die Kommission zu dem Schluss kommt, dass kein Spielraum für weitere Personalkürzungen in diesem Land besteht.

Darüber hinaus mahnen wir für die Kommission folgende Aufgabenfelder an: eine wissenschaftliche Begleitung der Aufgabenkritik, wirkliche Zukunftsfähigkeit der neuen Konzepte, eine verbesserte Ausbildung mit Spezialisierung und intensiver Fortbildung, Auflösung des Beförderungsstaus, Hebung der Motivation durch Fortbildung und berechenbare Karrierechancen bei der Polizei, starke Einbindung der Kollegen vor Ort statt Beschäftigung der Leitungszirkel. Das ist die HäuptlingeIndianer-Problematik: Es scheint zu viele Häuptlinge in der Kommission zu geben.

Kontinuierliche Einstellungskorridore zur Verbesserung der Altersstruktur und ein sinnvoller Einsatz moderner Kriminaltechnik statt prestigeträchtiger Spielwiesen sind wichtig, und es müssen klare Zuständigkeiten erarbeitet werden.

Ein weiteres Problem: Im Koalitionsvertrag wird an vielen Stellen ausdrücklich die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften erwähnt. Vor diesem Hintergrund befremdet es uns sehr, dass von den drei in Brandenburg etablierten Gewerkschaften und Berufsverbänden der Polizei die Deutsche Polizeigewerkschaft

und der Bund Deutscher Kriminalbeamter nicht an der Kommission beteiligt werden. Eine stärkere Einbeziehung unterer und mittlerer Dienstgrade - wenigstens über Gewerkschaftsvertreter - würde der Praxistauglichkeit der zu erarbeitenden Konzepte deutlichen Vorschub leisten.

Abschließend möchte ich unseren Innenminister mit einem tiefgründigen Satz zitieren, den er im Innenausschuss am 07.01. gesagt hat:

„Demografie ist, wenn immer welche ausscheiden.“

(Heiterkeit SPD)

Möge dies nicht das Motto für die Strukturreform sein. - Danke.

(Beifall GRÜNE/B90 und FDP)

Für die Landesregierung spricht der Innenminister. Bitte, Herr Speer.