Protocol of the Session on April 26, 2012

Brandenburg droht mit einer solchen Strafvollzugspolitik jedenfalls die rechtspolitische Isolation.

(Krause [DIE LINKE]: Mit neun anderen Bundesländern gemeinsam erarbeitet!)

Keine einzige Landesregierung in Deutschland - egal, welcher Farbe -, auch keine, die an der Erarbeitung des Musterentwurfs beteiligt war, steht noch hinter Ihren Urlaubsplänen für Schwerverbrecher. Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Hessen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern haben bereits erklärt, bei der bewährten 10-Jahres-Frist zu bleiben. Herr Minister Schöneburg, sehen Sie endlich ein: Ihre Politik führt zum vollzugspolitischen Chaos.

Es macht doch bereits heute einen Unterschied, ob ein Mörder einen Mord in München oder Cottbus begangen hat - in Bayern sitzt er im Regelfall viel länger als in Brandenburg. Mit der von Ihnen beabsichtigten Veränderung des Hafturlaubs würde sich diese Kluft weiter vergrößern. Wir wollen jedenfalls nicht, dass Brandenburg zu einer Oase für Schwerverbrecher wird.

(Beifall CDU - Frau Kaiser [DIE LINKE]: Wir auch nicht!)

Wir wollen keinen Luxusurlaub für Schwerverbrecher, und wir wollen keine Justizvollzugsanstalten, die wie Erholungs

heime mit Minibars, Tonstudios und Kunstateliers ausgestattet sind.

(Jürgens [DIE LINKE]: Wissen Sie eigentlich, was Sie da für einen Schwachsinn erzählen?)

Wir wollen stattdessen, dass Schwerverbrecher ihre gerechte Strafe in den Gefängnissen absitzen, dass die bewährte 10-Jahres-Frist beibehalten wird und nicht nur ein, sondern zwei externe Gutachten zur Prüfung im Vorfeld von Freigängen herangezogen werden. Sie haben heute und hier die Chance, Herr Minister Schöneburg, Ihren Vorschlag für einen früheren Hafturlaub für Schwerverbrecher zurückzuziehen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU - Krause [DIE LINKE]: Unterirdisch, Herr Eichelbaum!)

Der Abgeordnete Kuhnert setzt für die SPD-Fraktion fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In London fanden vor einem Jahr im August schwere Jugendunruhen statt, die in Vandalismus und Plünderungen ausuferten. Wer schon einmal in London war - ich war gerade über Ostern dort -, weiß, dass man dort stark videoüberwacht wird. Der Großteil der Straftäter ist auch fotografiert worden. Der Innenminister hat diese Fotos ins Internet, aber auch - wie man uns erzählt hat - auf Wagen gestellt und durch die Stadtteile fahren lassen, sodass die Jugendlichen identifiziert werden konnten. 4 500 Jugendliche seien infolgedessen vor Gericht gestellt und verurteilt worden.

Die EU lässt uns zum Glück nicht in Unkenntnis darüber, wie die Kriminalitätsentwicklung in den europäischen Ländern und Metropolen ist. Eine Studie der Europäischen Union weist London als die Stadt in Europa mit der höchsten Kriminalitätsbedrohung unter allen Großstädten Europas aus; Berlin liegt auf Platz 9. Auch bei den Ländern führen Irland und Großbritannien; Deutschland liegt auf Platz 9.

Wir sind also - das haben Sie ja zitiert - mit unserem derzeitigen Strafvollzugsgesetz von 1977 gut beraten, das als einziges Vollzugsziel Resozialisierung festschreibt. Da ist der erste Punkt, an dem ich Ihnen sagen muss, Herr Eichelbaum: Sie haben das Gesetz zitiert und gelobt, aber offensichtlich nicht gelesen.

(Beifall SPD)

Denn dort ist - ob mir das gefällt oder nicht - als einziges Vollzugsziel - und das wissen Sie auch - Resozialisierung aufgeführt. Das hat einen guten Grund, denn die Erfahrung, die ich gerade aus England geschildert habe - dass ein besonders martialisches Rechtssystem keineswegs dazu führt, dass es im Land, in den Städten weniger Kriminalität gibt -, ist alt. Es ist eine Erfahrung, die alle kriminalistischen Institute längst kennen. Die deutsche Politik hat sich daran ausgerichtet.

Ich habe 1990, als sich für uns auch die Gefängnistore öffneten, zum Beispiel die der JVA Brandenburg - sie gehört bis heute zu meinem Wahlkreis -, erlebt, welcher Widerspruch es

eigentlich ist, dass wir Resozialisierung zwar als oberstes Ziel benennen, die Strafgefangenen aber notgedrungen - es ist notwendig; das bestreite ich nicht - zunächst einmal aus allen sozialen Bezügen herausnehmen und in die Parallelgesellschaft des Strafvollzugs hineinbringen. Diese Parallelgesellschaft sucht wirklich ihresgleichen - das weiß man, nachdem man sie das erste Mal erlebt hat - und hat mit dem, was außerhalb passiert, keine Übereinstimmung. Ich betone: Es ist notwendig, dass Straftäter weggesperrt werden; aber das widerspricht im Grunde dem Ziel der Resozialisierung.

Also ist es doch berechtigt, dass - mindestens - zehn Bundesländer darüber nachdenken, wie man Resozialisierung als den besten Schutz für die Bevölkerung noch effektiver als bisher gestalten kann.

(Beifall SPD, DIE LINKE und des Ministerpräsidenten Platzeck)

Was Sie uns auch verschwiegen haben, Herr Eichelbaum: Es sind drei CDU-geführte Bundesländer aus dem Osten, die an dem Musterentwurf mitgearbeitet haben.

(Beifall SPD)

Sie zitieren zwar Mecklenburg, aber Sie zitieren nicht Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen; es ist nicht bekannt, dass sich letztere von dem Musterentwurf distanziert hätten. Diese Länder werden gute Gründe dafür haben, nämlich die Gründe, die ich gerade genannt habe.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Auch wenn es in Ihrem Antrag nicht direkt darum geht, weise ich doch auf das schwedische Modell hin. Dort verbüßen sogenannte „Kurzstrafer“ - bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe - ihre Haft zu Hause, versehen mit einer Fußfessel und mit Auflagen, zum Beispiel Drogenentzug, Antiaggressionstraining usw. Wenn die Auflagen nicht erfüllt werden, müssen die Straftäter in den Vollzug. Dass sie - bei Beachtung der Auflagen - in ihren sozialen Netzen bleiben, ist in der Tat die beste Möglichkeit zur Resozialisierung, wenn man diese denn als besten Schutz für die Bevölkerung ansieht, und das derzeitige Bundesgesetz sieht es so.

Ich wiederhole es: Wichtig ist ein Nachdenken darüber, wie wir Resozialisierung noch effektiver machen können.

Herr Eichelbaum, Sie loben das Strafvollzugsgesetz von 1977. Aber Sie erinnern sich sicherlich auch daran, dass es damals von SPD und FDP - gegen die Stimmen der CDU! - beschlossen worden ist. Dass Sie nach 35 Jahren sagen, dass das Gesetz doch nicht so schlecht war, ist doch nur ein Hinweis darauf, dass der Prozess des Nachdenkens heute zu Recht weitergehen muss.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Auf der anderen Seite ist die Zumutbarkeit für die Opfer und ihre Angehörigen ein sehr wichtiger Aspekt; da bin ich völlig auf Ihrer Seite. Sie haben die Fälle beschrieben. Ich kann Ihnen versichern: Nachdem ich den Posten des rechtspolitischen Sprechers meiner Fraktion übernommen hatte, traf ich mich als Erstes mit Herrn Lüth, als Zweites mit Frau Priet - von der Op

ferhilfe - und als Drittes mit einem Verrieteter des Täter-OpferAusgleichs. Sie sollten nicht denken, dass uns die Opfer gleichgültig seien. Ich wiederhole: Die Zumutbarkeit für die Opfer und die gesamte Gesellschaft muss ein ganz wichtiger Aspekt in der Abwägung sein. Die Gesellschaft solidarisiert sich selbstverständlich mit den Opfern, nicht mit den Tätern.

Ich habe lange darüber nachgedacht, bin dann aber doch zu diesem Urteil gekommen: Wir dürfen in unserer Debatte und durch unser politisches Agieren die Würde der Opfer nicht ein zweites Mal verletzen. Insoweit ist sehr viel Sensibilität gefragt.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Im Übrigen bitte ich Sie, die Rechtslage nicht falsch darzustellen. Auch nach der - heute geltenden - Frist von zehn Jahren besteht kein solcher Rechtsanspruch. Dieser entsteht nur dann, wenn mehrere Gutachten - in der Regel zwei - bescheinigen,

(Eichelbaum [CDU]: Ein Gutachten!)

dass der Täter zum Ausgang befähigt ist. Diese Regelung würde auch für alle anderen Fristen, die im Gespräch sind, gelten.

Die Debatte ist notwendig und berechtigt. Ich wiederhole: Auch die CDU-geführten Länder im Osten führen die Debatte; sie sind noch mitten drin. Uns liegt bisher nur ein Musterentwurf vor, noch nicht einmal eine Gesetzesvorlage.

Ich fasse zusammen: Die Debatte muss Resozialisierung als besten Schutz für die Bevölkerung im Auge haben; es gilt zu überlegen, wie sie verbessert werden kann. Ferner muss sie die Zumutbarkeit für die Opfer, deren Angehörige und die gesamte Gesellschaft im Auge haben.

Es ist wichtig, dass wir einen möglichst breiten Konsens zwischen allen Bundesländern herstellen können. Kleinstaaterei in diesem sensiblen Bereich kann uns nicht viel helfen, zumal wir gerade in unserem Land darüber nachdenken, wie wir im Justizvollzug mit anderen Ländern kooperieren können; das würde erschwert, wenn wir deutlich unterschiedliche Gesetzeslagen hätten.

Welche Zahl am Ende in diesem Gesetz stehen wird - das wir, wie gesagt, noch gar nicht kennen; es liegt uns noch nicht vor , wird eine gewissenhafte Debatte ergeben, die das Gesamtpaket und nicht nur einen Aspekt daraus umfassen muss.

Ich erlaube mir anzumerken, dass ich schon der Meinung bin, dass die Zahl näher an der 10 als an der 5 liegen wird. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, DIE LINKE und von Ministerpräsident Platzeck)

Für die FDP-Fraktion spricht die Abgeordnete Teuteberg.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will mit einem Zitat aus einem gemeinsamen Antrag der

Opposition „Resozialisierung von Straftätern verbessern“ beginnen:

„Der Landtag fordert die Landesregierung auf, dem Landtag bis zum Ende des Jahres 2011 ein Strafvollzugsgesetz vorzulegen, welches u. a. nach Maßgabe des Artikels 54 der Verfassung des Landes Brandenburg eine optimale Resozialisierung von Straftätern gewährleistet. Eine qualitativ gute Resozialisierung führt zur Senkung der Rückfallquote bei den Gefangenen.“

Meine lieben Kollegen von der CDU, das war im Juni letzten Jahres unser gemeinsamer Antrag; wir haben im Plenum dazu auch eine gute Debatte geführt. Deswegen verwundert mich der Duktus Ihrer Begründung für die heutige Aktuelle Stunde ungemein.

(Beifall FDP, SPD und DIE LINKE)

Sie sind offensichtlich bei diesem so ernsten und wichtigen Thema auf einem neuen Kurs. Deshalb möchte ich hier klarstellen: Das geht nicht mit uns!

(Beifall der Abgeordneten Mächtig [DIE LINKE])

Wir Liberalen halten an der einst gemeinsam verfolgten Marschrichtung fest. Wir beteiligen uns nicht daran, das Ringen um die effektivste Form der Resozialisierung gegen den Anspruch der Bevölkerung auf Sicherheit populistisch auszuspielen.

(Beifall FDP, SPD, DIE LINKE und GRÜNE/B90)