Protocol of the Session on April 26, 2012

(Beifall FDP, SPD, DIE LINKE und GRÜNE/B90)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Herr Eichelbaum.

Frau Kollegin Teuteberg, würden Sie mir Recht geben, dass im Antrag der drei Oppositionsfraktionen vom letzten Jahr unter dem ersten Spiegelstrich die Formulierung gewählt worden ist: „An den bewährten Normen und den grundsätzlichen Prinzipien des Bundesstrafvollzugsgesetzes“ ist festzuhalten?

Bewährte Normen müssen auf den Prüfstand gestellt und dort, wo sie sich bewährt haben, beibehalten werden. Aber es liegt noch nicht einmal ein Gesetzentwurf vor. Diese Art der Panikmache wird der Sache nicht gerecht, Herr Eichelbaum.

(Beifall FDP, SPD, DIE LINKE und GRÜNE/B90)

Da wir hier das Thema sowieso nicht in der wünschenswerten Tiefe besprechen können, will ich eine grundsätzliche Anmerkung machen - diese hat auch den Hintergrund, dass sich in

Brandenburg ein Wettbewerb darum abzeichnet, wer denn nun der Hüter des liberalen Erbes sei -: Für sattelfeste Liberale steht über allem der so wunderbar formulierte Satz unseres Grundgesetzes:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

(Bischoff [SPD]: Sehr gut!)

Dort heißt es nicht, nur die Würde des nicht straffällig gewordenen bzw. des gesetzestreuen Menschen sei unantastbar. Dort steht, dass auch die Würde des Mörders geschützt werden muss.

(Beifall FDP und GRÜNE/B90)

Diese absolute Verpflichtung zur Menschenwürde ist ein Kraftquell des Liberalismus.

Wir werden übrigens auch den Opfern der Kriminalität nicht gerecht, das heißt, ihre verletzte Würde können wir nicht wiederherstellen, indem wir den Tätern die Chance auf einen Neuanfang, auf Besserung verweigern oder erschweren.

Die politische Diskussion über den zunächst von Fachleuten erarbeiteten Musterentwurf ist leider ein gutes Beispiel dafür, welche Risiken es auch birgt, im Rahmen der Föderalismusreform Gesetzgebungskompetenzen auf die Länder zu übertragen, wenn wir jetzt in einen medialen Wettbewerb der Scharfmacher geraten sollten. Die Debatte über den gemeinsamen Musterentwurf wird dadurch unnötig belastet. Wir Liberale verstehen gut die Bedenken und Sorgen der Strafvollzugsbediensteten, die sie zum Ausdruck gebracht haben, insbesondere eine möglichst einheitliche, vergleichbare Praxis in der gesamten Bundesrepublik im Vollzug zu sichern.

(Beifall FDP - Vereinzelt SPD und DIE LINKE)

Dazu aber braucht es vor allem Verhandlungen und sachliche Diskussionen. An die Stelle der fachlichen Überlegungen und der Kenntnisnahme der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse tritt jetzt leider die parteipolitische Profilierung. Ich bin froh, dass mein Parteifreund, der sächsische Justizminister, zunächst an der Regelung des Musterentwurfs festhält und auf dieser Grundlage weiter diskutieren will.

(Beifall FDP und SPD - Eichelbaum [CDU]: Gegen den Widerstand der CDU!)

Meine Damen und Herren! Viel wichtiger als die Frage, ob die Zahl 5, 8 oder 10 am Ende im Gesetz stehen wird, ist doch, wie wir diese Diskussion führen, das heißt, ob wir die nötige Besonnenheit an den Tag legen und damit den Anforderungen gerecht werden, die der Strafanspruch des Staates mit sich bringt.

Damit bin ich wieder bei den Fundamenten des Liberalismus: Für mich ist es selbstverständlich, dass wir jeden zusätzlichen Tag, den wir einen Menschen nicht in Freiheit lassen, auch rechtfertigen müssen. Letztlich geht es um eine sorgfältige Abwägung im Einzelfall. In einem gewaltengeteilten Staat wird diese nicht vom Gesetzgeber getroffen; wir setzen nur Rahmenbedingungen. Es muss dann, wie gesagt, ganz sorgfältig abgewogen werden, und es sind sehr genaue Prognosen und Gutachten zu erstellen.

Diesen liberalen Anspruch aber hat Ihr Antrag, liebe Kollegen von der CDU, nicht. Für die FDP gilt Folgendes: Das bislang geltende Bundesrecht stammt aus dem Jahr 1977; es muss unbestritten schnellstmöglich reformiert und modernisiert werden. Dem Resozialisierungsgedanken muss Rechnung getragen werden. Hafturlaub ist noch immer die letzte Stufe möglicher Lockerungen und muss genau geprüft werden. Es gibt keinen zwingenden Anspruch auf den sogenannten Langzeitausgang. Auch zukünftig wird es nicht dazu kommen müssen, dass gefährliche Gewalt- oder Sexualstraftäter für Lockerungen in Betracht kommen. Die Behauptung, dass der offene Vollzug die Risiken erhöht habe, teilen wir nicht. Uns sind keinerlei Fakten bekannt, die diese Behauptung belegen.

Dieses sensible Thema muss ernsthaft diskutiert werden. Wir brauchen eine fundierte Diskussion, um es gut zu machen. Wir Liberale sind Überzeugungs- und Wiederholungstäter in unserem Misstrauen gegen platte Stammtischparolen. Für uns gilt das Misstrauen gegen zu weit gehende staatliche Eingriffe in allen Bereichen, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch bei den Bürgerrechten. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, SPD, DIE LINKE, GRÜNE/B90 und des Abgeordneten Burkardt [CDU])

Die Abgeordnete Mächtig spricht für die Linksfraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Um es gleich zu Beginn des heutigen Tages festzustellen: Eine heftige Welle der Entrüstung hat in den vergangenen Tagen und Wochen die Tatsache ausgelöst, dass eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Justizverwaltungen aus zehn Bundesländern nach eineinhalbjährigen Beratungen bereits im September 2011 den Musterentwurf für ein neues Strafvollzugsgesetz vorgelegt hat. Dabei waren die Länder Berlin und Thüringen federführend.

Ich will hier nicht den Versuch unternehmen, herauszufinden, warum ein Gesetzentwurf, der am 06.11.2011 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, mit solcher Verzögerung in den Medien seinen Niederschlag findet und warum aus diesen Regelungen eine Einzige vorab diskreditiert wird.

Entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und den Empfehlungen der meisten Kriminalisten und Kommentatoren des Strafvollzugsrechts wird im Mustergesetzentwurf der zehn Bundesländer die Möglichkeit erweitert, Urlaub zu gewähren. Es geht um Hafturlaub, nicht um Erholungsurlaub!

Bei Strafgefangenen, die zu lebenslanger Haft verurteilt werden, soll künftig nicht erst nach zehn, sondern schon nach fünf Jahren die Möglichkeit eines Hafturlaubs geprüft werden können. Natürlich gibt es weder jetzt noch künftig den Urlaubsanspruch eines Gefangenen. Was es gibt - und weiterhin geben soll -, ist das Recht auf Prüfung und ermessensfehlerfreie Entscheidung, ob einem Urlaubsgesuch entsprochen werden kann. Wohlgemerkt: Einen Rechtsanspruch auf Vollzugslockerung gibt es weder im bisherigen Strafvollzugsgesetz des Bundes noch in den geplanten Gesetzen der Länder.

Ich werde auch nicht der Versuchung erliegen zu analysieren, warum dieser seit fünf Monaten bekannte Gesetzentwurf - und damit auch dieser Vorschlag - in der Öffentlichkeit weitestgehend nur im Zusammenhang mit dem Justizminister Brandenburgs - Klammer auf: DIE LINKE; Klammer zu - kommuniziert wurde und wird, und das natürlich in dem Wissen, dass auch Justizminister von CDU, SPD und FDP beteiligt waren.

Der Gesetzentwurf ist notwendig und entspricht dem, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit langem fordern. Er versucht umzusetzen, was das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen vorgegeben hat.

Herr Jurist Eichelbaum, Sie wissen es besser und legen hier falsch Zeugnis ab. Das ist Populismus. Das ist falsche Politik, verdammt noch mal!

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich kann ja politische Auseinandersetzungen verstehen; was ich nicht verstehe, ist, dass Sie hier kraft Ihres eigenen Wissens und wider besseres Wissen agieren. Das macht es eben manchmal schwierig, Sie in Ihrer Funktion zu akzeptieren; ich habe Ihnen das schon mal gesagt.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich will jetzt versuchen, kurz darzustellen, warum dieser Musterentwurf eines Strafvollzugsgesetzes aus unserer Sicht, nämlich aus der Sicht der Linken, einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem modernen, das heißt resozialisierenden und so weit wie möglich humanen Strafvollzug, bedeutet.

In der Pressemitteilung der Justizminister der beteiligten Länder kann man dazu lesen:

„Der Entwurf für ein Strafvollzugsgesetz betont die Wiedereingliederung der Gefangenen in die Gesellschaft, verliert aber die Sicherheitsinteressen der Bürgerinnen und Bürger nicht aus dem Blick.“

Meine Damen und Herren, das Strafrecht in Deutschland ist bekanntermaßen so aufgebaut, dass auf eine bestimmte Tat eine Strafe folgt. Unterschieden wird zwischen Maßregeln der Besserung und Sicherung, Nebenstrafen, Geld- und Vermögensstrafen sowie Freiheitsstrafen mit und ohne Bewährung. Beim Strafmaß wird die Schuld berücksichtigt. Das Strafgesetzbuch, also das Gesetz, aufgrund dessen Menschen in Strafvollzugsanstalten landen, gibt vor, dass die Strafe der Schuld der Täter angemessen sein muss. Dem Gedanken der Sühne „Täter müssen büßen“ -, soweit man ihm überhaupt folgen will, ist mit dem Urteil Freiheitsstrafe gefolgt.

Ab dem Einzug in die Justizvollzugsanstalt gilt es auch künftig, den Gedanken des ehemals bundesweit geltenden Strafvollzugsgesetzes Rechnung zu tragen. Das Strafvollzugsgesetz falls Sie es während Ihres Studiums nicht gelesen haben sollten hat die Aufgaben des Vollzuges wie folgt definiert:

„Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen... Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.“

Weiter heißt es:

„Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden... Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken... Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“

Der beherrschende Grundsatz des Strafvollzugsgesetzes war und ist Resozialisierung.

(Beifall DIE LINKE)

Nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern auch das Grundgesetz - hier vor allem die Würde des Menschen - gebietet den Grundsatz der Resozialisierung. Niemand bestreitet, dass Straftäterinnen und Straftäter bitteres Leid über andere Menschen gebracht haben. Niemand stellt infrage, dass Opferschutz, Opferentschädigung und vor allem Opferbetreuung notwendige und nicht zu vernachlässigende Aufgaben rechtlichen und gesellschaftlichen Wirkens sind.

(Beifall DIE LINKE)

Es hilft den Opfern aber nicht, wenn die Straftäter in den JVAs verschlossen und erst kurz vor ihrer Entlassung wieder an das Leben draußen gewöhnt werden und so weiterhin eine hohe Gefährdung darstellen. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seiner Entscheidung zur Sicherungsverwahrung darauf hingewiesen, dass im Rahmen des Strafvollzuges den Gefangenen verbindliche Angebote zu Therapie und Resozialisierung unterbreitet werden müssen und der Strafvollzug auf das Ziel auszurichten ist, den Inhaftierten zukünftig ein straffreies Leben zu ermöglichen.

Wir können doch nicht verschweigen, dass die Rückfallstraftaten nicht die Ausnahme, sondern bisher die Regel sind. Da müssen wir uns doch fragen, warum, Herr Kollege. Sie wissen es: Im März haben die Experten auf ihrem Strafverteidigertag 2012 festgestellt, dass eine Entlassungsvorbereitung in vielen Fällen überhaupt nicht stattfindet. Sie fordern, dass ein gelungener Übergang aus dem Gefängnis in die Freiheit bereits während der Haft beginnen muss.

Genau dieser Forderung trägt der neue Entwurf Rechnung. Dazu gehört auch - und das weiß jeder -, die Bedingungen zu schaffen, die einem Haftentlassenen eine Chance für einen Neuanfang geben. Dass dies für die Opfer von Straftaten schwer zu verstehen und zu akzeptieren und nachzuvollziehen ist, ist doch klar. Aber was Sie hier als Opposition betreiben, ist das billige Spiel des Stammtischpopulismus. Das ist nicht Politik. Das ist Spielen mit den Ängsten der Bürgerinnen und Bürger vor weiteren Straftaten.

(Beifall DIE LINKE, SPD und GRÜNE/B90)