Gerade als wir begannen, darüber nachzudenken, wie man etwas beim Kinderschutz verbessern kann, und dann mit dem Gesundheitsgesetz auf das Einladungs- und Meldewesen kamen, sind wir - damals noch mit Ihnen - durch das Land gefahren und haben geguckt, was man machen kann. Eines stand fest: Sanktionen gehen nicht. Die Untersuchungen sind freiwillige Untersuchungen, sie sind keine Pflichtuntersuchungen. Da kann man das Fernbleiben der Eltern nicht durch Sanktionen ahnden. Das widerspricht sicherlich nicht nur meinem Gerechtigkeitsgefühl.
Zweitens möchte ich darauf hinweisen, dass das Einladungsund Rückmeldewesen 2008 eingeführt wurde. Es ist selbstverständlich, dass in knapp zwei Jahren noch keine fundierte, für weitergehende Schlussfolgerungen belastbare Bewertung seiner Auswirkungen auf Kinderschutz und Kindergesundheit vorgenommen werden kann. Die hier schon in Rede stehende Evaluation bestehender Instrumente und Vorschriften zur Kindergesundheit und zum Kinderschutz hat betont voreilige Schlussfolgerungen vermieden. Eine solche Schlussfolgerung im Sinne Ihres Antrages jetzt schon zu ziehen bedarf einer breiteren Datenbasis, das heißt die Beobachtung über mindestens noch zwei oder drei Jahre hinweg. Auch sollten wir dem mit zwei Jahren noch jungen Verfahren des Einladungs- und Meldesystems doch genügend Zeit geben. Die Berichte zeigen ja, dass es bei den Kinderärzten Unsicherheiten im Umgang damit gibt und dass es die vielfältigsten Gründe für Eltern gibt, mit ihren Kindern nicht zu diesen Untersuchungen zu kommen. Man kann nun nicht von vornherein sagen: Dieses System funktioniert nicht, deshalb muss man Sanktionen haben.
Mit Sanktionen entbindet man die Eltern von ihrer Entscheidung, sich an den freiwilligen Untersuchungen zu beteiligen.
Wir brauchen nicht Sanktionen, sondern gezielte Information, Beratung und Familienförderung. Damit haben wir uns erst kürzlich im Zusammenhang mit dem Maßnahmenpaket beschäftigt. - Schönen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der CDU-Fraktion folgt dem Prinzip „Keine Leistung ohne Gegenleistung!“ Es ist grundsätzlich ein vertretbarer, guter Ansatz, dem Land das Recht einzuräumen, die Inanspruchnahme von Mitteln, die es zur Verfügung stellt, an Bedingungen zu knüpfen. In dem vorliegenden Fall sehen wir das aber als schwierig an. Wir können deshalb dem Antrag nicht folgen. Unsere Zustimmung können wir insbesondere deshalb nicht geben, weil Vorsorgeuntersuchungen nicht verpflichtend sind. Die Nichtteilnahme an freiwilligen Angeboten kann man jedoch nicht auf der anderen Seite sanktionieren; Sie haben es gerade gesagt, Frau Prof. Heppener. Einen solchen Politikansatz kann ich schon aus meiner liberalen Grundhaltung heraus nicht teilen.
Wir teilen die Einschätzung der CDU-Fraktion, dass sich die Bereitschaft zur Teilnahme an U-Untersuchungen möglicherweise erhöht, wenn man einzelne Maßnahmen aus dem Maßnahmenpaket an die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen koppelt. Trotz allem ist es aus politischen und inhaltlichen Gründen nicht möglich, diese Kopplung vorzunehmen. Über die Evaluation des zentralen Einlade- und Rückmeldewesens wurde im Mai dieses Jahres im Ausschuss für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz beraten. Anders als im Antrag der CDU-Fraktion formuliert, wurde im Ausschuss darauf hingewiesen, dass über die Beteiligung an den jeweiligen Untersuchungen noch keine Auskunft gegeben werden könne, da das System der zentralen Einladungen und Rückmeldungen erst 2008 eingeführt worden sei, aber valide Daten erst 2012 erwartet werden.
Der Bericht der Landesregierung „Evaluation bestehender Instrumente und Vorschriften zur Kindergesundheit und zum Kinderschutz“ deutet an, dass das zentrale Einlade- und Rückmeldewesen bislang nur zu einer bedingten Steigerung der Teilnehmerzahlen geführt hat. Trotz dieser Daten möchten wir als Fraktion erst die umfassende Datenauswertung im kommenden Jahr abwarten, damit wir uns einen umfassenden Überblick über Teilnehmerzahlen, Rücklaufquoten und möglicherweise bestehende Defizite in dem 2008 eingeführten System verschaffen können.
Ich weise darauf hin, dass es im Zusammenhang mit der schwierigen Frage der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen erhebliche datenschutzrechtliche Probleme gibt, auf die schon verschiedene Landesdatenschutzbeauftragte immer wieder hingewiesen haben. Zur Rückmeldung an die Jugendämter gibt es keine Verpflichtung. Diese ist schon deshalb nicht durchzusetzen, weil auch die Vorsorgeuntersuchungen nicht verpflichtend sind. Insofern halten wir die in dem Antrag der CDU-Fraktion
enthaltene Aussage, die Teilnahmezahlen an den U-Untersuchungen hätten sich nach der Gesetzesänderung 2008 kaum erhöht, für verfrüht, Frau Blechinger.
Ein anderes für uns Liberale schwerwiegendes Argument, dem Antrag der CDU-Fraktion nicht zuzustimmen, ist die Rolle, die den Gesundheits- und Jugendämtern bei der Prüfung der Frage, ob die Kinder der Antragsteller an den U-Untersuchungen teilgenommen haben, zukommen soll. Gegenwärtig erfolgt die Rückmeldung ausschließlich über den Kinderarzt, nicht über die Gesundheits- und Jugendämter. Das Gesundheitsamt kommt erst dann ins Spiel, wenn Eltern trotz Erinnerung bei der U6, der U7 und der U8 offensichtlich nicht zur Früherkennungsuntersuchung beim Kinderarzt erschienen sind.
Dies hat übrigens häufig ganz einfache, praktische Gründe. Manchmal schafft man es nicht zu dem Termin. Auch wir hatten das Problem, dass die auf der Einladung genannte Frist lange überschritten war. Man darf also nicht gleich unterstellen sie haben es auch nicht getan, Frau Blechinger -, dass irgendetwas Schlimmes vorliege. Das schwingt allerdings bei Ihrem Ansatz immer ein Stück weit mit.
Wir befürchten, dass durch die von der CDU-Fraktion geforderte Vorabprüfung bei Antragstellern die Kompetenzen der Gesundheits- und Jugendämter übermäßig ausgedehnt werden und hierdurch indirekt Druck auf die Familien ausgeübt wird. Wir dagegen setzen auf die Eigenverantwortung der Familien und die Bereitschaft der großen Mehrheit der Eltern, die bestehenden Kinderschutzangebote in Anspruch zu nehmen. Wir betrachten die Forderungen der CDU-Fraktion als zu weitgehend und können dem Antrag nicht zustimmen. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann fast nahtlos an die Ausführungen von Herrn Büttner anknüpfen.
Erstens: Kollegin Blechinger, wir haben am Donnerstag voriger Woche an dem Fachtag zu Kindergesundheit und Kinderschutz an der Fachhochschule Potsdam teilgenommen. Frau Schulz-Höpfner ist leider nicht im Plenarsaal; sie sagte vorhin, sie sei noch traurig, dass wir dem Modell der Familienhebamme nicht zugestimmt haben. Prof. Wiesner, der dort zum Entwurf eines Bundeskinderschutzgesetzes sprach, hat genau die Argumente der Koalitionsfraktionen gegen eine Zustimmung zum Antrag der CDU-Fraktion aufgegriffen und bestätigt. Am Nachmittag habe ich eine Veranstaltung besucht, in der sehr differenziert die Möglichkeiten der Früherkennungsuntersuchungen und des Einladewesens erörtert wurden. Dort ist bestätigt worden, was Herr Büttner vorhin sagte: Wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass es vielfältige Gründe gibt, warum die Eltern mit ihren Kindern noch nicht bei der Untersuchung waren; manchmal fehlen einfach nur die Meldungen von den Kinderärzten.
Zum Zweiten haben wir das Problem, dass die meisten Krankenkassen selbst bei nur kurzer Überschreitung der gesetzten Frist die Kosten der Untersuchung nicht mehr übernehmen.
Dort sollten wir lieber einhaken und dafür sorgen, dass dennoch gezahlt wird. Das ist eine Aufgabe, die wir hier übernehmen können.
Drittens ist bestätigt worden, dass die Anzahl der Teilnehmer durchaus schon hoch ist. Es trifft demnach nicht zu, dass kaum jemand die Früherkennungsuntersuchungen wahrnimmt.
Einen vierten Aspekt möchte ich anfügen: Sie wollen immer mit Sanktionen irgendetwas durchsetzen. Was das angeht, trennen uns in der Tat Welten, denn das ist nicht die Politikauffassung der Linken. Wir möchten überzeugen, anbieten, erklären und auf diese Art und Weise zu Ergebnissen kommen, und das möglichst niederschwellig, sodass sich niemand diskriminiert fühlt; denn auch das ist wichtig.
Letzte Bemerkung: Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie das, was Sie möchten, realisiert werden soll. Für die Kinder wäre Ihr Ansatz jedenfalls kontraproduktiv. Ich stelle mir eine Familie mit mehreren Kindern vor. Vor einer Reise müssten die Eltern erst einmal die Vorsorgeuntersuchungshefte von allen Kindern zur Kontrolle vorlegen. Wenn eines der Kinder nicht bei der Früherkennungsuntersuchung war, dürfte die Familie nicht verreisen. Ich weiß nicht, wie Sie sich das vorstellen. Für mich ist das jedenfalls kein praktikabler Vorschlag. Deshalb lehnen wir den Antrag der CDU-Fraktion selbstverständlich ab.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, mit diesem Antrag können wir uns überhaupt nicht anfreunden. Wir wollen auch keinen Modellversuch zu etwas, was wir schon im Ansatz für falsch halten.
Erstens halten wir Sanktionen für problematisch und ungeeignet, um unser aller Anliegen, die Förderung von Kindergesundheit und Kinderschutz, voranzubringen. Auch wenn wir die Teilnahme aller Kinder an den Früherkennungsuntersuchungen für richtig halten und ein Einlade- und Rückmeldewesen befürworten, so stehen doch zielgruppenorientierte Hilfsangebote und vertrauensbasierte, aufsuchende Maßnahmen im Vordergrund grüner Politik. Wir setzen bei der Kindergesundheit und beim Kinderschutz auf Primärprävention und frühe Hilfen. Problemfamilien für die Nichtteilnahme an den U-Untersuchungen durch Entzug des Familienpasses oder die Streichung von Familienferien zu bestrafen - das trifft doch vor allem die Kinder, denen wir helfen wollen. Die Kindergesundheit fördert es sicher nicht.
Nach den Sanktionen gilt es die Teilnahmequote zu betrachten. Letzten Monat haben wir hier über die Evaluation bestehender Instrumente und Vorschriften zur Kindergesundheit und zum
Kinderschutz gesprochen. Wie schwierig eine Evaluation in diesem Bereich ist, hat der Bericht selbst verdeutlicht. Klar ist, dass die Teilnahmerate an Früherkennungsuntersuchungen als alleiniger Indikator hinsichtlich der Gesundheit der Kinder wenig Aussagekraft hat. Ob unser Einlade- und Rückmeldewesen, wie wir doch alle hoffen, durch Steigerung der Teilnahmerate einen positiven Effekt auf die Zielgröße - die Kindergesundheit - hat, ist noch unklar.
Dazu sollen die Schuleingangsuntersuchungen 2014 abgewartet werden. Ob die sicherlich erwünschte Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen in der heutigen Form ein wirksames Instrument des Kinderschutzes darstellt, ist selbst unter Experten umstritten. Abgesehen davon, dass wir Sanktionen grundsätzlich als problematisch ansehen, macht es wenig Sinn, Sanktionen zu erproben, wenn wir nicht wissen, ob die sanktionierte Verhaltensänderung überhaupt wirksam ist.
Damit kommen wir zu einem dritten Problemkreis. Die sogenannten Vorsorgeuntersuchungen für Kinder sind 1971 eingeführt worden. Dabei handelt es sich um klassische Früherkennungsuntersuchungen im Sinne einer Sekundärprävention. Kinder- und Jugendärzte in Deutschland fordern seit längerer Zeit eine Reform der Vorsorgeuntersuchungen vom Kleinkind- bis ins Jugendalter hin zu mehr primär-präventiven Maßnahmen. Klassische Kinderkrankheiten sind bei uns auf dem Rückzug. Entwicklungsstörungen und psychosoziale Probleme nehmen drastisch zu.
Wir verzeichnen eine erhebliche Zunahme von Sprachstörungen und motorischen Defiziten, von Übergewicht, manifester Adipositas, Verhaltensauffälligkeiten, Depressionen, Aufmerksamkeitsdefiziten und Angststörungen. Diese Probleme treten wie auch der große Kinder- und Jugendgesundheitssurvey KIGGS von 2007 darlegt - vorwiegend bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status auf. Vier von fünf Kindern mit Fettsucht stammen aus sozial schwachen Familien. Das Risiko für Störungen der emotionalen und kognitiven Entwicklung ist bei diesen Kindern 17-mal höher als bei Kindern aus gebildeten Mittelschichtfamilien.
Immer mehr Kindern fehlt es an entscheidenden Entwicklungsimpulsen. Statt mit ihnen zu sprechen und zu spielen, werden sie vor dem Fernseher „abgelagert“. Sie werden falsch ernährt. Ihr Bewegungsdrang und ihre Sozialkompetenz werden nicht gefördert. Die Anzahl erziehungsinkompetenter Familien hat besorgniserregend zugenommen. Wir müssen diese Familien erreichen, bevor die Kinder Störungen entwickeln. In die Kinder- und Jugendmedizin müssen mehr Maßnahmen der Primärprävention eingebaut werden. Die U-Untersuchungen müssen entsprechend weiterentwickelt werden. Dazu brauchen wir auf Bundesebene endlich ein Präventionsgesetz.
Aber die Medizin allein kann nicht richten, was gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. „Eine gute Kita ist für die Sprachentwicklung eines Kindes besser als ein Logopäde“, sagt ein bekannter Kinderarzt.
Statt mehr Kindergeld und Ergotherapie müssen wir die Lebensräume unserer Kinder entwicklungsfördernder und gesünder in Kita und Schule gestalten und niedrigschwellige Hilfsangebote ausbauen. Mit den niedrigschwelligen Angeboten bin ich bei der CDU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Zeit von vorhin wieder herausholen. Ich will deutlich machen, dass ich zu all dem stehe, was die vier letzten Redner hier vorgetragen haben.
Ich kann dem Antrag der Fraktion der CDU beim besten Willen nicht folgen, weil mir wirklich nicht klar ist, warum wir bei allen Argumenten, die hier vorgetragen wurden, gerade den Eltern, die womöglich jetzt einen Antrag auf Familienbildung stellen, jetzt, wo man darüber aufklärt, wie wichtig die Untersuchungen U9, U7 und U8 sind, sagen sollen: Da darfst du nicht hin, weil du irgendwann mit deinem Kind nicht bei der UUntersuchung warst. Diese ganze Geschichte macht aus meiner Sicht überhaupt keinen Sinn. Wir würden gerade die Eltern ausklammern, die es am schwersten haben. Ich würde aber bezweifeln, dass das überhaupt die Eltern sind, die an einer Familienbildung teilnehmen oder einen Familienpass beantragen. Wenn sie aber den Familienpass in Anspruch nehmen und wenn sie eine Familienbildung machen wollen, dann sollen es gerade diese Eltern um Gottes Willen tun. Vielleicht wird ihnen dann beigebracht, dass es wichtig ist, eine U7 und eine U8 durchführen zu lassen. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann nur vermuten, dass mich einige missverstehen wollten. Davon nehme ich Frau Prof. Dr. Heppener ausdrücklich aus.