Protocol of the Session on April 14, 2011

Wenn wir 5,1 % weniger Lehrerstellen im Land Brandenburg haben, wenn aber gleichzeitig die Schülerzahl in Brandenburg im Vergleich der Schuljahre 2008/2009 und 2009/2010 nur um 1,2 % abgenommen hat, ist damit ein höherer Unterrichtsausfall vorherbestimmt. Sie werden das Problem nicht in den Griff bekommen, wenn Sie nicht endlich dafür sorgen, dass es mehr Lehrer in diesem Land gibt.

(Vereinzelt Beifall GRÜNE/B90 - Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Machen wir doch!)

- Nein, das machen Sie nicht. Sie stellen Lehrer ein. Es gehen aber mehr Lehrer aus den Schuldienst heraus. Das ist das Problem. Streuen Sie doch den Menschen nicht permanent Sand in die Augen!

(Beifall FDP und GRÜNE/B90)

Wir haben zum Thema „eigenverantwortliche Schule“ oft hier im Landtag debattiert. Die Anhörung im zuständigen Ausschuss hat eindrucksvoll bescheinigt, dass diese Art von Schule am zukunftsfähigsten ist.

Frau Große, wenn Sie hier zwischenrufen, ich solle zum Bildungsbericht sprechen, dann sage ich Ihnen: Ja, genau das machen wir, weil es darum geht, welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Wie erreichen wir es, eine wirklich gute Bildungspolitik in diesem Land hinzubekommen? Das ist die Konsequenz, die wir aus dem Bildungsbericht für die Länder Berlin und Brandenburg ziehen müssen. Deswegen ist es richtig, wenn wir uns darüber unterhalten, wie die Linie in der Bildungspolitik dieser Landesregierung ist.

Wir brauchen einen Stufenplan für die weitere Verbesserung der Betreuungsrelation; dagegen dürften Sie nichts haben. Wir brauchen zudem eine bessere integrative Sprachförderung in den Kitas.

(Bischoff [SPD]: Und eine Schuldenbremse!)

Wir brauchen mehr Eigenverantwortung für die Schulen. Das ist etwas, was Sie konsequent ablehnen. Wir brauchen die Einstellung von deutlich mehr Lehrerinnen und Lehrern, um den Unterrichtsausfall endlich zu minimieren.

Vor allem aber gilt Folgendes: Stoppen Sie die Kürzungspläne im Bildungsbereich! In den Haushaltsberatungen muss klar sein, dass Bildung wirklich Priorität hat. Es gibt Dutzende Einzelbereiche, in denen wir Geld einsparen können, Kollege Bischoff. Wir werden Ihnen diese Vorschläge vorlegen. Wir glauben zum Beispiel, dass wir im Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz erhebliches Einsparpotenzial haben.

(Widerspruch DIE LINKE)

Wir wollen gute Bildung für alle - von Anfang an. Wenn auch Sie das wollen, dann fangen Sie endlich damit an, die notwendigen Veränderungen vorzunehmen. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU und GRÜNE/B90 - Bischoff [SPD]: Machen wir!)

Der Abgeordnete Günther setzt für die SPD-Fraktion fort.

(Bischoff [SPD]: Sonntags die Schuldenbremse und mon- tags mehr Geld!)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Menschen, die behaupten, dass immer dann, wenn in einem so jungen Land wie Brandenburg etwas zweimal passiert, bereits eine Tradition begründet sei. Insofern sage ich: Der 2. Bildungsbericht liegt vor. Ich versuche, mich an das Thema zu halten.

Der Bildungsbericht ist mittlerweile - auch wenn er erst zum zweiten Mal vorgelegt wird - fester Bestandteil unserer gemeinsamen Bildungsregion Berlin-Brandenburg. Er umfasst in seiner zweiten Auflage über 400 Seiten. Man kann mit Fug und Recht von einem Mammutwerk sprechen. In der Schule würde man sagen: eine Fleißarbeit.

Bei solch einem Kompendium ist es so, dass für jeden etwas dabei ist. Jeder findet irgendeine Datenlage, die auf seinen speziellen Blickwinkel passt. Jeder findet eine Zahl, die es ihm erlaubt, das zu belegen, was er schon immer über Bildung in Brandenburg wusste. Aber diese Froschperspektive sollte verlassen werden. Vielmehr geht es um die Frage, was es Neues in diesem dicken Wälzer gibt. Gibt es so etwas wie einen roten Faden?

Ja, tatsächlich, es gibt etwas Neues. Ganz neu in diesem gemeinsamen Bildungsbericht ist die Einbeziehung von soziodemografischen Daten der Eltern. Damit können erstmals auch Aussagen über Startbedingungen von Bildungskarrieren getroffen werden.

Der Bericht formuliert das Ergebnis wie folgt:

„Wie erfolgreich das bestehende Bildungssystem genutzt werden kann, hängt ganz wesentlich mit den familiären Verhältnissen zusammen, in denen Kinder und Jugendliche aufwachsen.“

Wenn das so ist, dann hat Bildungspolitik - quasi in Nachsorge - die Aufgabe, Lebenschancen zu eröffnen, Perspektiven zu bieten sowie sozialen Aufstieg durch gute Bildung möglich zu machen. Für mich ist das das zentrale politische Projekt dieser Koalition.

Mittlerweile wissen wir alle, dass es auf den Anfang ankommt. Hier haben wir viel Gutes getan. Deshalb wird sich meine Kollegin Lieske in ihrem Beitrag in der zweiten Runde noch einmal ausführlich mit dem Thema der frühkindlichen Bildung beschäftigen.

Erfolge zeigen sich aber - wie überall - auch in der Bildungspolitik nur langfristig. Heute kommen die Schülerinnen und Schüler in der Grundschule immer noch mit sehr unterschiedlichen Startvoraussetzungen an. Das ist ebenfalls ein Ausdruck sozialer Ungleichheit. Dem entsprechen wir schon jetzt, unter anderem mit dem Modell der Flexiblen Eingangsphase. Das ist ein Modell, das sich heute niemand mehr wegdenken kann.

Seit seiner Einführung vor acht Jahren hat es mittlerweile in 439 Klassen an 180 Schulen in Brandenburg Fuß gefasst. Mittlerweile lernen fast 10 000 Schülerinnen und Schüler in FLEXKlassen, die übrigens eine durchschnittliche Klassenfrequenz von 22,7 haben. Auch das sagt uns der Bildungsbericht.

In die Philosophie des möglichst frühen und möglichst individuellen Förderns passt auch die jetzt geplante Einführung des Bereichs „grundlegende Bildung“, in dem mehrere Fächer in der Grundschule zusammengefasst werden und die Schule entsprechend dem Bildungsfortschritt der Kinder die einzelnen Anteile der Fächer in eigener Verantwortung variieren kann.

Zu den Förderangeboten gehört - ebenfalls fast schon selbstverständlich - auch die Ganztagsschule. Bei dem Ganztagsangebot liegen Berlin und Brandenburg deutlich über dem Bundesschnitt. Über die Hälfte der Brandenburger Schulen unterbreiten mittlerweile ein solches Ganztagsangebot.

Wichtig für den Aufstieg durch Bildung ist aber auch die Durchlässigkeit des Schulsystems. Der Grundsatz lautet: Wenn es schon ein gegliedertes Schulsystem geben muss, dann sollte der Übergang möglichst spät „erzwungen“ werden, um Entwicklungschancen zu gestalten, nicht aber zu verbauen. Da haben die beiden Länder mit der sechsjährigen Grundschule ein richtiges Pfund, mit dem sie wuchern können.

(Beifall SPD und der Abgeordneten Große [DIE LINKE])

Wenn die Übergänge anstehen, dann gilt es, Wege nicht zu verbauen, sondern Chancen zu eröffnen, damit derjenige, der eine Abfahrt verpasst hat, die nächste nehmen kann. Dabei erinnere ich mich an die gestrige Fragestunde, und ich erinnere Sie an das, was heute dazu in der Presse zitiert wird. Insofern gilt die These, die „nächste Abfahrt“ zu nehmen, nicht nur für sozial Benachteiligte, sondern beispielsweise auch für Jungen, die sich später entwickeln.

(Senftleben [CDU]: Das haben Sie gestern noch bestritten!)

- Das hat der Herr Staatssekretär nicht bestritten. Er wird vielmehr heute in der Presse mit einem wunderbaren Zitat dazu wiedergegeben.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bildungsbericht führt die Kategorie „Kinder aus Familien mit Risikolagen“ ein. Dazu gehören Familien, in denen mindestens ein Elternteil arbeitslos, alleinerziehend oder ohne Bildungsabschluss ist bzw. unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze liegt. Etwa ein Drittel der Brandenburger Schülerinnen und Schüler kommt aus einer Familie mit mindestens einer dieser Risikolagen.

Ich komme zur Verteilung auf die Schulen: Mehr als die Hälfte der Schüler an den Brandenburger Oberschulen gehört zu der genannten Risikogruppe. An Gesamtschulen sind das 42 %, an Gymnasien nur noch 20 %. Der Bericht kommt hier zu dem Ergebnis:

„Die soziale Differenzierung nach Schularten ist demnach sehr ausgeprägt.“

Meine Damen und Herren, diese Zahlen sind die beste Begründung sowohl für die Initiative Oberschule als auch für das

Schüler-BAföG. Wir tun damit bewusst mehr für eine Schulform, die unter schwierigen sozialen Bedingungen zu leiden hat. Wir erleichtern gleichzeitig - mit dem anderen Instrument Kindern aus Risikogruppen den Weg auf das Gymnasium. Insgesamt kommen am Gymnasium - auch das konnten Sie im Bildungsbericht lesen - erfreulich viele Schülerinnen und Schüler an. Fast alle schließen die Schule zudem erfolgreich ab. Aber auch wenn die Studierneigung gestiegen ist, so wünschte ich mir doch eine noch konsequentere Orientierung der Gymnasien auf die Studienvorbereitung.

Wir können heute schließlich mit gutem Gewissen sagen: Eine gute Ausbildung lohnt sich wie nie zuvor - auch und gerade für Kinder aus sozial schwachen Familien. Wir leben in einer Zeit, in der kaum noch Jungen und leider auch viel zu wenig Mädchen gefunden werden, damit sie etwas tun, was früher absolut angesagt war - das Berufsbild hat sich geändert -: Autos reparieren. Diese Entwicklung ist schlecht. Da gibt es leider einen Fachkräftemangel. Wenn dem so ist, dann kann man zu Recht sagen, dass die Berufschancen für Leute mit hellem Köpfchen wirklich auf der Straße liegen.

Keine Chance allerdings - auch das zeigt uns der Bildungsbericht Berlin-Brandenburg - hat man ohne Schulabschluss. Der Bericht gibt leider keine Erklärung dafür, warum die Zahl der Schüler ohne Schulabschluss in Ostdeutschland insgesamt und in Brandenburg im Speziellen so unerträglich hoch ist. Es wird jedenfalls nichts daran vorbeiführen, sich weiterhin den einzelnen Schulen mit verstärkten Problemen in dieser Hinsicht zu widmen.

Wer sich anschaut, wer heute Schüler ohne Abschluss entlässt, der kommt nun einmal an den Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen nicht vorbei, die einen Anteil von 55 % beisteuern. Diese Kinder gehören in die Schulen, in denen es Normalität ist, dass Lehrer ihre Schüler zu einem Abschluss führen. Da ist mir auch völlig egal, ob dieser Prozess 2018, 2019 oder 2020 endet. Wichtig ist, dass die Richtung stimmt, und die Richtung heißt „Integration und Inklusion“.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Zu diesem Thema nenne ich aus dem Bildungsbericht eine weitere Zahl - ich verspreche, es ist die letzte -: Der Anteil der Förderschüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen an der Gesamtzahl der Förderschüler beträgt in Brandenburg 81 %; der Bundesdurchschnitt liegt bei nur 52 %. Diese Differenz konnte mir bis heute niemand erklären. Auch der Bildungsbericht sieht an der Stelle eine zentrale Herausforderung für beide Länder.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition in Brandenburg hat sich sowohl, was die Eröffnung von Bildungschancen angeht, als auch, was die Reduzierung der Anzahl der Schüler ohne Abschluss angeht, hohe Ziele gesteckt. Um das alles zu realisieren, braucht es viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer und natürlich das nötige Geld. Dass Brandenburg insoweit nicht luxuriös ausgestattet ist - auch das zeigt der Bildungsbericht deutlich. Da ich weiß, dass auch unser Finanzminister ein Herz für Bildung hat, empfehle ich ihm die Seiten 55 bis 62 zur Lektüre. Jedem, der einen realistischen Blick auf die Gesamtlage hat, dürfte klar sein, dass wir auch künftig nicht in Unmengen von Geld schwimmen werden. Aber gute Bildung braucht vor allem eine verlässliche Finanzierung. Die enorme Herausforderung liegt darin, Schuljahr für

Schuljahr hunderte neue Lehrerinnen und Lehrer zu gewinnen und ihnen in Brandenburg eine Perspektive zu bieten. Das ist aber nur die Basisausstattung, ohne Extras. Die Basisausstattung muss jedoch stimmen; denn sie ist die Voraussetzung dafür, dass die Grundaussage des nächsten Bildungsberichts lauten kann: Brandenburg bietet Bildungschancen und Aufstiegsmöglichkeiten für alle. Hier wird niemand zurückgelassen. Jeder wird gebraucht. Jeder findet in unserem Land seinen Platz. Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das Schwerste sind offenbar immer die Schlusssätze, Herr Thomas Günther. - Der Abgeordnete Hoffmann spricht jetzt für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bildungsbericht ist uns in der vergangenen Woche zugeleitet worden. Darin finden sich zahlreiche Punkte, die aufzeigen, an welchen Stellen in unserem Bildungssystem Handlungsbedarf besteht; einige sind schon angesprochen worden.

Herr Günther, ich hatte es geahnt, dass Sie auf die Abschlussquote an unseren Förderschulen zu sprechen kommen und daraus das große Bild des Untergangs für Kinder an Förderschulen zeichnen würden. Sie haben gesagt, Sie wollten sich dieser Schulform besonders widmen. Wie diese „besondere Widmung“ aussieht, wissen wir seit vergangener Woche,

(Beifall CDU und FDP - Frau Lehmann [SPD]: Jetzt fängt er schon wieder an!)

als die Ministerin verkündet hat, diese Schulen mit besonderer Widmung zu schließen, das heißt, bis 2019 abzuschaffen. Ich sage Ihnen: Wenn das die Art und Weise ist, in der Sie sich Schulen widmen, dann hoffen wir, dass Sie sich weiterhin den anderen Schulen nicht widmen.

(Beifall CDU und FDP - Frau Alter [SPD]: Die Schüler sind uns wichtig, nicht die Schulen!)