Protocol of the Session on February 24, 2011

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Petke, ich bin auch gespannt auf die weitere Debatte. Vor allen Dingen

bin ich gespannt, wie Sie sich dann entscheiden werden, wenn es nicht mehr nur um Rederei geht, sondern wirklich um Entscheidungen.

(Beifall DIE LINKE)

1992 hat sich das Land Brandenburg nach einer intensiven, breiten öffentlichen Diskussion in einem Volksentscheid eine Verfassung gegeben, die zu den fortschrittlichsten in der Bundesrepublik zählte. Dazu gehörte auch ein modernes Verfahren der Volksgesetzgebung. Seitdem sind fast 20 Jahre vergangen, und wir sind in dieser Zeit nicht besser geworden. Andere Länder haben zugelegt und sind an uns vorbeigezogen. Das zeigt ein von „Mehr Demokratie“ angestellter Ländervergleich, bei dem wir auf Platz 12, also im letzten Drittel der Bundesländer, zu finden sind.

Ich erinnere daran, dass die Linke zu diesem Thema als Oppositionsfraktion eine ganze Reihe von Anträgen in den Landtag eingebracht hat, die allerdings durch maßgebliches Zutun der CDU-Fraktion - so ist das -, mit der Regierungsfraktion CDU keine Chance auf inhaltliche Behandlung hatten und durch die Bank in 1. Lesung abgelehnt wurden.

(Senftleben [CDU]) : Das ist Ihre Geschichte, Herr Scharfenberg!)

Die rot-rote Koalition hat sich vereinbart, das Volksabstimmungsgesetz ausgehend von den bisherigen Erfahrungen zu novellieren und an die heutigen Gegebenheiten anzupassen. Ziel ist vor allem, die Zugangsbedingungen zu erleichtern. Dabei spielt natürlich eine Rolle, dass es bisher eine ganze Reihe von Volksinitiativen gegeben hat, aber von acht Volksbegehren keines zum Erfolg geführt wurde. Demzufolge hat es bisher auch keinen Volksentscheid im Ergebnis eines Volksbegehrens gegeben.

Jede der bisherigen Volksinitiativen hat zweifellos zu einer öffentlichen Diskussion geführt und zur demokratischen Meinungsbildung beigetragen. Jede dieser Initiativen hat das Parlament zu einer Entscheidung gezwungen, ob das nun eine Ablehnung oder eine teilweise bzw. vollständige Übernahme des Anliegens war. Damit wird aber auch deutlich, dass nicht jede Volksinitiative a priori richtig und sachdienlich ist. Deshalb gibt es das gestufte Verfahren, in dem der Landtag Verantwortung übernimmt und die wesentlichen Weichen stellen kann.

Ich halte es für falsch, die Elemente der unmittelbaren Demokratie unter dem Vorzeichen der Gefahr eines Missbrauchs zu betrachten. Dabei werden gern das Beispiel einer drohenden Wiedereinführung der Todesstrafe durch einen Volksentscheid oder verschiedene Beispiele aus anderen Ländern, insbesondere der Schweiz, angeführt, wobei völlig verkannt wird, dass wir auf Bundesebene gar keine Elemente der unmittelbaren Demokratie haben. Solide Untersuchungen weisen darauf hin, dass bei der Darstellung der Möglichkeiten eines solchen Missbrauchs maßlos übertrieben wird. Und - meine Damen und Herren - es gibt auch keine Gefahr für die repräsentative Demokratie. Die repräsentative Demokratie hat unzweifelhaft Vorrang, und es wird höchste Zeit, dass auf Bundesebene unmittelbar demokratische Elemente dazu kommen; wenn sich die CDU da endlich einmal bewegen würde, wären wir schon ein ganzes Stück weiter.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir stimmen inhaltlich weitgehend mit den hier vorgeschlage

nen Neuregelungen überein, die ja keine sensationellen Neuerungen sind,

(Beifall DIE LINKE)

sondern etwas, was es in anderen Ländern bereits gibt oder was seit Längerem intensiv diskutiert wird. Dazu gehört die freie Straßensammlung bei Volksbegehren, die in den anderen neuen Ländern gilt. Sie wird dort angewandt. Fakt ist, dass durch die in Brandenburg geltende Amtseintragung eine deutliche Hürde geschaffen wird - das zweifelt auch niemand an -, die den Zugang zu einem Volksbegehren mit einem erheblichen persönlichen Einsatz verbindet. Nun kann man sich trefflich darüber streiten, ob dieser persönliche Einsatz als Ausdruck für die Ernsthaftigkeit einer Unterschrift vorausgesetzt werden muss. Wir meinen, dass die Voraussetzungen, dass man mit seinen persönlichen Daten und seiner Unterschrift für ein Volksbegehren stehen muss, die Ernsthaftigkeit einer Beteiligung ausreichend belegen.

(Beifall GRÜNE/B90)

Und wer da so tut, als ob die Leute unter dem Druck stünden, wenn sie auf der Straße angesprochen werden, unbedingt unterschreiben zu müssen - also meine Erfahrungen sind, dass die Mehrheit der Bürger sich das sehr wohl überlegt, dass die Bürger lesen, was sie unterschreiben, und wissen, dass ihre persönlichen Angaben von Gewicht sind.

Auch der unbegrenzte Haushaltsvorbehalt im Volksabstimmungsgesetz muss in seiner Absolutheit diskutiert werden - wir sollten uns das vornehmen. Es gibt weitere Überlegungen Kollege Kosanke hat es hier angesagt -, die im Gesetzentwurf gar nicht berücksichtigt sind, wie das Abstimmungsalter von 16 Jahren, die Briefwahl zur Erleichterung gegenüber der Amtseintragung oder vielleicht eine prozentuale Festlegung von Quoren. Wir haben also ausreichend Stoff für die Diskussion im Ausschuss für Inneres und im Hauptausschuss. Ich denke, es ist auch förderlich, dass sich der Innenausschuss vorgenommen hat, sich dem Thema unmittelbarer Demokratie ganz intensiv zu widmen und dazu eine Ausschussreise zu machen. Ich denke, das wird in den Diskussionsprozess einfließen, und das kann dann dazu beitragen, dass wir eine wohlüberlegte und langfristig tragfähige Entscheidung treffen können. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Scharfenberg. - Wir kommen nun zum Beitrag der Fraktion der FDP. Der Abgeordnete Goetz hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Wir Brandenburger Liberale treten für ein aktives Wahlrecht zu Kommunalwahlen ab 16 Jahren und für mehr direktdemokratische Elemente in der Verfassung Brandenburgs ein. Insbesondere soll es zusätzlich zu den Eintragungsmöglichkeiten in Amtsräumen die freie Unterschriftensammlung bei Volksbegehren geben.

(Beifall FDP und GRÜNE/B90)

Das, was ich eben vorgetragen habe, war nicht von mir, es war ein Zitat. Es stammt aus dem Landtagswahlprogramm der FDP-Fraktion zur Landtagswahl 2009, beschlossen am 4. April 2009 auf unserem Landesparteitag in Falkenberg. Insofern ist die Richtung klar, wie wir mit dem Antrag der Grünen hier umgehen werden.

Richtig ist, dass Brandenburg aus seiner Landesverfassung, aus der Gesetzgebung heraus seit 1992 bundesweit vergleichbar niedrige Quoren hat und deswegen damals auch bundesweit gelobt worden ist, weil eben Demokratie hier lebbarer wäre, weil Demokratie einfacher zu handhaben wäre.

Richtig ist aber auch, dass bisher keines der Begehren, keiner der Volksentscheide über die Initiative hinausgekommen ist, dass also tatsächlich irgendetwas erfolgreich gewesen ist. Das heißt, die 20 000 Unterschriften für Volksinitiativen sind ein gutes Quorum, mit dem wir gut leben können. Wir haben auch in vielen Fällen Erfolge gehabt, zuletzt eben mit der großen Unterschriftensammlung der Gewerkschaft der Polizei, der Justizgewerkschaft und mit anderen Beteiligten zu den Polizeistandorten.

Aber die 80 000 Unterschriften für ein Begehren sind eben zu viel, wenn sie in Amtsräumen geleistet werden müssen; auch das ist deutlich geworden. Die GdP hat mit ihren 97 500 Unterschriften verdeutlicht, dass auch die Hürde von 80 000 zu nehmen ist, aber eben dann, wenn frei gesammelt werden kann, wenn man die Menschen direkt ansprechen kann und nicht darauf hoffen muss, dass irgendjemand sich irgendwohin bewegt. Mit Appellen allein werden Volksentscheide und Volksbegehren in Brandenburg nicht erfolgreich sein.

Richtig ist, dass es derzeit noch eine Vielzahl von Themenausschlüssen gibt. Darüber werden wir auch zu reden haben - auch im Ausschuss -, auch über die Anregungen, die von den Grünen gekommen sind. Wenn ich das richtig verstehe, denken Sie darüber nach, zum Beispiel auch den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg durch Volksentscheid zu wählen. Das könnte man fast so verstehen. Wir werden jedenfalls darüber zu reden haben, ob das denn so gemeint war oder nicht.

Gut ist - damit bin ich bei dem, was hier von der SPD vorgetragen worden ist - zum Beispiel, durch Briefwahl die Möglichkeit der Stimmabgabe zu erleichtern - das ist eine gute Idee und auch das Zugangsalter zu senken, wie wir uns das in absehbarer Zeit bei Kommunalwahlen wahrscheinlich vornehmen werden.

Ich denke darüber nach, dass auch andere Themen zugeführt werden müssen. Die Bauleitplanung zum Beispiel ist ein solches Thema. Wenn man in einer Gemeinde irgendwo fragt: Was ist euch wichtiger - eure Polizeiwache oder eure Umgehungsstraße?, dann entscheiden die Leute - auch das ist hinterher haushaltswirksam. Insofern glaube ich, dass auch da, selbst bei solchen haushaltswirksamen Beschlüssen, die richtig Geld kosten, eine größere Bürgerbeteiligung möglich sein muss, als es gegenwärtig der Fall ist.

Es gibt ein Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 20. September 2009, das sich mit genau dieser Ausgabenproblematik befasst. Es hebt auf das Gewicht der Ausgaben ab: Je gewichtiger eine Ausgabe gemessen am Gesamtvolumen des Haushaltes oder auch dem Einzeletat des jeweiligen Ministeriums ist,

desto schwieriger wird ein Volksbegehren. Wenn es aber im Zuge eines ohnehin laufenden Verfahrens dazu eine Äußerung des Volkes gibt, dann ist das auch zu beachten. Auch das ist zulässig. Insofern ist es richtig, dann auf diese Weise zu verfahren und auch hier aufzuweiten und mehr direkte Demokratie zuzulassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Liberale verstehen uns als Rechtsstaatspartei, als Bürgerrechtspartei, als Freiheitspartei. Wir sind der Auffassung, dass nicht der Staat unsere Freiheit gewährleistet, sondern dass wir als Bürger des Landes dem Staat Einschränkungen unserer Freiheit erlauben. Vor diesem Hintergrund ist der Antrag der Grünen soweit gut, dass er überwiesen werden muss. Ich freue mich darauf, meine Damen und Herren Innenpolitiker, diesen Antrag gemeinsam im Innenausschuss noch zu verbessern. Der Überweisung stimmen wir zu. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP und GRÜNE/B90)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Goetz.

Bevor wir die Aussprache mit dem Beitrag der Landesregierung fortsetzen, möchte das Fundbüro des Präsidiums eine Damenbrille - türkis, mit orangefarbenen Bestandteilen - zur Versteigerung anbieten. Wer sie vermisst, kann sie hier abholen des besseren Durchblicks wegen.

Herr Minister Dr. Woidke, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Landtag Brandenburg hat, wenn man nach 20 Jahren Volksgesetzgebung Bilanz zieht, Grund, auf die hier getroffenen Regelungen stolz zu sein. Wir können auch stolz darauf sein, wie in diesem Hohen Haus mit den Initiativen aus dem Volk umgegangen worden ist.

Frau Nonnemacher, wir haben nicht nur ein niedriges, sondern das bundesweit niedrigste Quorum in Sachen Volksgesetzgebung. Die Hürden, die gern für das Scheitern bisheriger Volksbegehren verantwortlich gemacht werden, sind also gar nicht so hoch.

Mit den erforderlichen 80 000 Unterstützern braucht ein Volksbegehren weniger als 4 % der Stimmberechtigten, um erfolgreich zu sein. Niemand kann also ernsthaft behaupten, es liege am Quorum. Während der Redebeiträge einiger Vorredner habe ich mich gefragt, ob es nicht vielleicht auch daran liegen könnte, dass bestimmte Themen im Volk nicht gewollt waren und deshalb Volksbegehren gescheitert sind.

Das Volksgesetzgebungsverfahren, wie es in unserer Verfassung steht, hat sich aus meiner Sicht im Grunde bewährt. Die Bürgerinnen und Bürger nutzen die Mitbestimmungsinstrumente, um sich einzubringen. Seit 1993 haben 22 Volksinitiativen den Landtag erreicht. 20 von ihnen hatten die erforderlichen 20 000 Unterschriften. In dieser Zeit gab es sieben Volksbegehren.

Das Hohe Haus hat in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe solcher Initiativen aufgenommen. Bei der Volksgesetzgebung

geht es nämlich auch um die Frage: Sehen die Initiatoren ihre Ziele zumindest teilweise als erfüllt an und treiben das Verfahren nicht weiter, weil sich der Landtag mit ihrem Anliegen ernsthaft auseinandergesetzt hat und ihnen in Teilen entgegengekommen ist?

Genau das war hier der Fall, in den vergangenen anderthalb Jahren zwei Mal. Zum Ersten hat das Hohe Haus das Anliegen der Volksinitiative zur musischen Bildung in Teilen aufgenommen. Zum Zweiten ist der Landtag den Trägern der Volksinitiative zur Polizeistrukturreform - darüber reden wir momentan ein ganzes Stück entgegengekommen.

Gibt es angesichts dessen tatsächlich ein Gegeneinander von „direkter“ und „indirekter“ Gesetzgebung? Gibt es ein Gegeneinander von Volksgesetzgebung und parlamentarischer Gesetzgebung? Ich glaube, das ist nicht der Fall. Der Landtag lebt nicht fünf Jahre lang auf dem Mond, sondern er ist für die Bürgerinnen und Bürger durchaus zu erreichen und beschäftigt sich intensiv mit dem, was in unserem Land vorgeht und was die Bürgerinnen und Bürger bewegt. Der Landtag versucht - so verstehe ich auch die Arbeit der Abgeordneten -, den vorgetragenen Anliegen möglichst weit entgegenzukommen. Ein Entgegenkommen ist natürlich nur in dem Maße möglich, wie sowohl der einzelne Landtagsabgeordnete als auch das Parlament insgesamt das Wohl des gesamten Landes Brandenburg im Blick haben.

Liebe Kollegen von der Fraktion der Grünen, liebe Frau Nonnemacher, Sie kritisieren auch das bestehende Amtseintragungsverfahren. Sie behaupten, dass denjenigen, die berufstätig sind, angesichts der Öffnungszeiten der Amtsstuben das Leisten der Unterschrift erschwert werde. Auch Bürgerinnen und Bürger mit körperlichen Einschränkungen oder solche mit schlechten Verkehrsanbindungen hätten große Mühe, die Unterschrift in der entsprechenden Behörde zu leisten und damit ihr verbrieftes Recht auszuüben.

Es ist auch meine Meinung, dass wir über die Zugangsbedingungen nachdenken sollten. Ich bin aber auch dankbar für die Ausführungen von Herrn Kosanke zu Leuten, die mit Listen durch die Gegend laufen und gegebenenfalls an Wohnungstüren klopfen oder klingeln oder die sich vor Supermärkten postieren. Herr Kosanke hat dazu eine klare Meinung geäußert. Ich denke, dem ist nicht allzu viel hinzuzufügen.

Wie kann man die Zugangsbedingungen trotzdem erleichtern? Aus meiner Sicht sollte man über ein Briefwahlverfahren nachdenken. Die nötigen Unterlagen könnten online beantragt werden. Die Möglichkeit der Briefwahl wäre für alle, die ihr Recht auf Teilnahme an der Volksgesetzgebung wahrnehmen wollen, ein einfacher Weg. Die Landesregierung sperrt sich also nicht dagegen, das bestehende Volksgesetzgebungsverfahren weiterzuentwickeln. Allerdings müssen wir das wohlüberlegt tun.

Die Gesetzentwürfe der Grünen haben einige offene Flanken. Ich nenne nur Stichpunkte: Der Finanzvorbehalt soll gestrichen und damit finanzielle Folgewirkungen für den Landeshaushalt zugelassen werden, ohne dass von den Initiatoren ein Deckungsvorschlag vorzulegen ist. Ferner sollen Initiativen zu Dienst- und Versorgungsbezügen sowie zu Abgaben- und Personalentscheidungen möglich sein. Das ist bisher in keinem Bundesland üblich. Zur freien Unterschriftensammlung habe ich schon etwas gesagt.

Sie von den Grünen wollen die Schwelle für vom Volk zu beschließende Gesetze deutlich senken. Ich frage mich aber, ob man ein Gesetz tatsächlich als „vom Volk beschlossen“ bezeichnen kann, wenn - im Extremfall - nur 4 % der wahlberechtigten Brandenburger darüber abgestimmt haben, das Gesetz also gut finden. Soll ein solches Gesetz tatsächlich ein vom Landtag einstimmig beschlossenes Gesetz ablösen können? Ich glaube nicht nur, dass es nicht vom Volk beschlossen wäre. Ich meine auch, dass wir uns auf fragwürdigem verfassungsrechtlichem Terrain bewegen würden.

Ich freue mich auf die Debatte im Innenausschuss und wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag.

(Beifall SPD und vereinzelt DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Minister Dr. Woidke. - Wir sind damit am Ende der Aussprache angelangt.