Auch die jetzige schwarz-gelbe Bundesregierung übt bzw. reibt sich an der Gesundheitsreform. Herr Rösler möchte wettbewerblichere Strukturen schaffen. Und er will dafür sorgen, dass die Bedürfnisse der Patienten mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Die Lösung sieht er in der Einführung der Kopfpauschale. Sie ist sein Kernvorhaben in der Gesundheitspolitik. Danach soll die Putzfrau den gleichen Kassenbeitrag zahlen wie der Konzernchef. Niedrigverdiener - ich komme noch darauf zu sprechen - sollen über einen Sozialausgleich aus Steuermitteln finanziert werden. Ich glaube, das ist richtig; so hat er es gesagt.
Die einkommensunabhängige Kostenpauschale steht für die Zerschlagung des Solidarprinzips im Gesundheitswesen. Das, meine Damen und Herren, liebe Kollegen, ist eine elementare Frage für uns, nämlich die alles entscheidende Frage: In welche Richtung soll sich unsere Gesellschaft entwickeln? Wollen wir auch künftig an unserer Solidargemeinschaft festhalten? Wir die Sozialdemokraten - sagen Ja, weil Gesundheit ein wertvolles Gut ist. Jeder Mensch muss Zugang zur bestmöglichen medizinischen Versorgung haben. Wir wollen eine Gesellschaft, in der alle solidarisch füreinander einstehen.
Die Kopfpauschale ist ungerecht, weil sie unabhängig vom Einkommen erhoben wird. Die Kosten für Geringverdiener steigen, und Bezieher hoher Einkommen tragen weniger bei. Sie macht einen sozialen Ausgleich nur durch Bittstellerei beim Staat möglich. Sie führt dazu, dass gute medizinische Leistungen nur noch über private Zusatzversicherungen zu bekommen sein werden.
Schauen wir doch einfach einmal nach Amerika. Dort kämpft Obama darum, in seinem Land ein solidarisches Krankenversicherungssystem einzuführen.
Einen wichtigen Teilerfolg - Teilerfolg! - hat er vorletzte Nacht erzielt. Bei uns wird von der schwarz-gelben Bundesregierung dieses bewährte System infrage gestellt. Für mich ist das völlig aberwitzig.
- Danke. Aber die Kostenpauschale ist eben auch ungerecht, weil der Arbeitnehmeranteil steigt, der Arbeitgeberanteil aber auf 7 % des Bruttoeinkommens eingefroren wird. Das ist eine nicht hinnehmbare überproportionale Belastung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Die paritätische Finanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist eine erforderliche und zugleich bewährte Grundlage. Dass die Arbeitgeber von den Steigerungen der Gesundheitskosten künftig ausgenommen werden sollen, ist auch insofern völlig inakzeptabel, als viele Krankheiten und Beeinträchtigungen von Arbeitnehmern aus ihrer Erwerbstätigkeit resultieren. Zudem besteht die Gefahr, dass zumindest ein Teil der Arbeitgeber weniger in Prävention investiert, wenn er nicht mehr so stark an den Kosten beteiligt ist, weil damit der Anreiz für gesundheitsförderndes Verhalten wegfällt. Die Festschreibung des Arbeitgeberanteils ist schlicht und einfach unsozial.
Lassen Sie mich bitte etwas zur vielbesagten Kostenexplosion im Gesundheitswesen sagen. Gesundheitsausgaben sind alle Kosten, die unmittelbar mit einer medizinischen Heilbehandlung verbunden sind. Dazu zählen keine Investitionen. Im Vergleich der Gesundheitsausgaben in den OECD-Ländern lag Deutschland 2006 mit einem Anteil von 10,6 % des Bruttoinlandprodukts an vierter Stelle. Der OECD-Durchschnitt liegt hier bei 8,9 %. Das deutsche Gesundheitswesen ist damit eines der leistungsfähigsten der Welt. Darauf können wir stolz sein. Das haben wir unseren Vorvätern und Vormüttern zu verdanken, die dafür die Rahmenbedingungen geschaffen haben.
Von 1998 bis 2007 sind die Ausgaben im Gesundheitswesen stetig gestiegen: von 200 Milliarden auf über 250 Milliarden Euro. Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt aber ist im gleichen Zeitraum mit 10 bis 11 % konstant geblieben. Mit anderen Worten: Die stetig steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen werden vom Wirtschaftswachstum aufgefangen. Das ist eine wichtige Tatsache, wie ich finde, wenn wir über Kostenexplosion und Finanzierbarkeit sprechen.
Herr Rösler möchte für Niedrigverdiener einen Sozialausgleich aus Steuermitteln zahlen. Das Bundesfinanzministerium hat
auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen hin das Kostenpauschalenmodell durchgerechnet: 20 bis 35 Milliarden Euro müssten demnach aufgebracht werden.
Woher dieses Geld kommen soll, ist angesichts eines Defizits des Bundeshaushalts von 80 Milliarden Euro völlig unklar. Um einen Sozialausgleich aus Steuermitteln finanzieren zu können, müssten Gutverdiener höhere Steuern zahlen. Das steht jedoch im Widerspruch zum Versprechen der FDP, die Steuern deutlich zu senken. Im Steuerkonzept der Liberalen taucht die Gesundheitsprämie nicht auf. Ehrliche Politik schaut anders aus.
Auch der Finanzminister Herr Schäuble hat bereits verdeutlicht, dass er für Reformen kein Geld hat. Der Rest der Welt damit meine ich Herrn Seehofer und sein Bayern - ist sowieso dagegen. Zu guter Letzt käme nur noch eine Mehrwertsteuererhöhung infrage. Diese Situation wäre dann aber tatsächlich paradox; denn wenig verdienende Versicherte würden ihren Sozialausgleich in der Folge selbst mitbezahlen. Meine Damen und Herren, diese Gesundheitsreform muss man mit allen Mitteln verhindern. - Herzlichen Dank.
Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Der Abgeordnete Büttner erhält das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Prof. Schierack hat eben bereits die begriffliche Klarstellung geliefert. Frau Lehmann, Sie haben sie ebenfalls verwendet. Die Fraktionen DIE LINKE und die SPD sprechen von einer Kopfpauschale. Dieser Kampfbegriff wird in der Diskussion gern benutzt, trägt jedoch zur Sachlichkeit der Diskussion,
Wir dagegen - auch die Mehrheit der Wissenschaftler - sprechen von einer Gesundheitsprämie. Dabei handelt es sich um die künftige Finanzierung des Gesundheitssystems. Dies muss in der Diskussion verdeutlicht werden. Bei der Finanzierung des Gesundheitssystems müssen wir die demografische Entwicklung im Blick behalten. Die Menschen werden glücklicherweise zwar immer älter, jedoch gibt es auch immer weniger Beitragszahler. Zudem hat der medizinische Fortschritt seinen Preis.
Die Gesundheitsprämie ist nicht - wie von Ihnen offensichtlich vermutet - der Untergang des Abendlandes und schon gar nicht der des deutschen Sozialstaats.
Im Gegenteil. Mit der Einführung eines Prämienmodells werden zentrale strukturelle Diskriminierungen des derzeitigen Gesundheitssystems beseitigt; denn - darüber herrscht Konsens bei den internationalen Experten...
Deutschlands Gesundheitssystem gehört zu den ungerechtesten seiner Art. Nach elf Jahren, in denen sogenannte „grüne“ und „rote“ Ministerinnen und Minister immer wieder neue kurzatmige und wenig ausgereifte Kostendämpfungsgesetze erlassen haben, sind FDP und CDU angetreten, das System langfristig und nachhaltig auf feste Grundlagen zu stellen.
Der Sozialausgleich wird endlich dorthin verlagert, wo er viel präziser funktioniert und wo auch Miet- und Zinseinkünfte als Berechnungsgrundlage herangezogen werden: ins Steuersystem.
Dies bedeutet, dass nicht mehr nur Arbeiter, Angestellte und freiwillig gesetzlich Versicherte zur Finanzierung des Solidarsystems herangezogen werden, sondern auch privat Versicherte, Beamte, Selbstständige und Personen, die über der Beitragsbemessungsgrenze liegen.
(Holzschuher [SPD]: Warum dann keine Bürgerversiche- rung? Frau Lehmann [SPD]: Wollen Sie Steuererhöhun- gen?)
Die Subventionierung der Gesundheitsversorgung von sozial Schwachen und Kindern wird damit auf eine breitere und gerechtere Basis gestellt. Das ist ein Meilenstein in der Geschichte des deutschen Gesundheitssystems, meine Damen und Herren.
(Zuruf der Abgeordneten Wöllert [DIE LINKE] - Bi- schoff [SPD]: Wie finanziert man den? - Beifall FDP und CDU)
Ich darf Ihnen nun eine kurze Rechnung aufmachen und zitiere den „Spiegel“, der wahrlich nicht im Verdacht steht, besonders FDP-nah zu sein.
„Angenommen, ein Bankdirektor mit einem Jahresgehalt von 1 Million Euro wäre bei der AOK versichert. Als Spitzenverdiener zahlt er 296,25 Euro. Das entspricht einem Beitragssatz von 0,36 % seines Bruttogehalts.“
„Die Haushälterin des Bankiers und ihr als Gärtner angestellter Ehemann, Jahresgehalt jeweils 25 000 Euro,“
Willkommen in der gesetzlichen Krankenversicherung! Das ist vermutlich das einzige solidarische System der Welt, bei dem Angestellte ihre Chefs subventionieren. Wer das System noch solidarisch nennt, der hat es nicht verstanden.
(Beifall FDP und CDU - Holzschuher [SPD]: Deswegen wollen wir eine Bürgerversicherung! Sagen Sie einmal etwas dazu! Die ist solidarisch!)
Das ist nicht sozial gerecht. Insofern wird die FDP-Fraktion gemeinsam mit der CDU-Fraktion dieses System verbessern.
Die FDP ist mit dem Ziel angetreten, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nachhaltig und konjunkturunanfällig auszugestalten. Insbesondere in Zeiten eines konjunkturellen Abschwungs zeigt sich die gravierende Schwäche des Systems. Durch konjunkturbedingte Einnahmeausfälle beträgt der Bundeszuschuss in diesem Jahr 3,9 Milliarden Euro. Eine Erhöhung des bundesweit einheitlichen Beitragssatzes, um steigenden Ausgaben oder Einnahmeausfällen zu begegnen, ist generell Gift für den Erhalt von Arbeitsplätzen und für die konjunkturelle Entwicklung. Aus dem Teufelskreis von steigenden Beiträgen, höheren Lohnzusatzkosten, gestiegener Arbeitslosigkeit, Einnahmeausfällen bei den Krankenkassen und wiederum höheren Beiträgen bzw. sogar Leistungskürzungen kommen wir nur über eine konjunkturunanfälligere Finanzierung der Krankheitskosten heraus. Deshalb wollen wir den Arbeitgeberbeitrag konstant halten.
Dass nun aber insbesondere die SPD und die Grünen dies als Ausstieg aus der Solidarität titulieren, ist geradezu absurd.