Protocol of the Session on October 21, 2009

Wir setzen mit dem Beitrag der Linksfraktion fort. Es spricht die Abgeordnete Kaiser.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linksfraktion stimmt der Überweisung des vorliegenden Gesetzesentwurfs an den Hauptausschuss zu. Ich denke, dass wir die Debatte zu den Einzelheiten dort zügig bewältigen werden. In der Sache haben wir dem Anliegen des Gesetzentwurfs vorab bereits entsprochen. Wir haben gestern einstimmig beschlossen, dass sich die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE freiwillig überprüfen lassen, auch in den Fällen, in denen das bereits mehrfach geschehen ist.

(Vereinzelt Beifall)

Bezüglich der Einzelheiten werden wir uns schnell verständigen.

Herr Dombrowski, ich gehe davon aus, dass es nicht nur eine formale Frage ist, dass die PDS bzw. die Linke rechtsidentisch ist mit ihrer Vorgängerpartei SED. Das heißt auch, dass wir uns sehr klar dazu bekennen und die politische Verantwortung persönlich und als Partei - tragen.

(Dombrowski [CDU]: Dann fangen Sie mal an!)

Für die Mitglieder meiner Fraktion - die heutige Linke und zuvor die PDS - gilt: Wir sehen in der Aufrichtigkeit und der Offenheit des Einzelnen in Bezug auf die politische Biografie durchaus eine Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit unserer Politik, ja von Politik überhaupt. Ich denke, dass diese Offenheit des Einzelnen zugleich eine Voraussetzung für einen demokratischen Prozess bzw. eine demokratische Kultur in diesem Land ist. Wenn Wählerinnen und Wähler in voller Kenntnis der Biografie, des Lebens und der Verantwortung eines Menschen diesen in ein Parlament wählen, dann sage ich: Angesichts der Tatsache, dass wir ja Lehren gezogen haben und wissen, dass ideologische Bevormundung und die Verletzung von Bürger- und Menschenrechten mit einer demokratischen, toleranten und pluralistischen Gesellschaft nicht vereinbar sind, nehme ich dieses Mandat und die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler an und ernst, und zwar unabhängig davon, wen es dann betrifft.

Die Linke bzw. die PDS hat sich diesen offenen und öffentlichen Umgang mit politischen Biografien und ihrer Verantwortung erkämpft und erstritten. Es war ein widersprüchlicher und schmerzreicher Prozess. Herr Kollege Vogel, Sie haben gesagt, Sie wollen uns diese Debatte nicht ersparen. Diesbezüglich entgegne ich: Wir selbst wollten und wollen uns diese Debatte nicht ersparen. In den Reihen unserer Partei gibt es Mitglieder mit bereits zu DDR-Zeiten gebrochenen Biografien, die an dieser Debatte teilnehmen. In deren Sinne müssen wir Rücksicht nehmen, aber das ändert nichts an dem Anspruch einer öffentlichen Debatte.

Warum jetzt? Warum muss dieser Prozess jetzt angestoßen werden? - fragen viele. Ich denke, dieser Prozess muss in Brandenburg nicht angestoßen werden, sondern er läuft seit Anfang der 90er Jahre; der Beschluss „Die Vergangenheit mit menschlichem Maß bewerten“ ist schon erwähnt worden. Man muss uns, die Linke, in diesem Zusammenhang wirklich nicht treiben. Das wurde auch in der Debatte im Zusammenhang mit der Stelle eines Stasibeauftragten, die wir im ersten Halbjahr gemeinsam führten, deutlich. Unsere Partei sucht diese Auseinandersetzung seit 20 Jahren, und wir werden damit nicht aufhören. Denn es ist für uns kein tagespolitischer Zweck, der mit dieser Debatte verfolgt wird, sondern es geht um Antworten auf die Fragen von heute und morgen, wenn wir uns der Vergangenheit stellen.

(Senftleben [CDU]: Nennen Sie mal die Details der Frei- willigkeit!)

Ich denke, wenn wir 60 Jahre nach Gründung und 20 Jahre nach dem Ende der DDR die Fragen nach der Geschichte und uns selbst stellen, dann sind wir auf der Suche nach Antworten, die über den Tag hinaus Gültigkeit haben.

So möchte ich Sie mit großer Nachdenklichkeit bitten, zu prüfen, ob Sie unserem Antrag „Versöhnung in der Verantwortung vor der Geschichte“ nicht zustimmen können. Es geht aus meiner Sicht darum, dass wir in diesem Landtag, in dem die Rechtsextremen nicht mehr vertreten sind, sondern es nur noch Abgeordnete demokratischer Parteien gibt,

(Senftleben [CDU]: Das ist Ihre Sicht!)

unsere gemeinsame demokratische Kultur weiterentwickeln, und nicht darum, zu polarisieren.

Ich möchte meine Rede mit einem Zitat aus dem Antrag, zu dem wir uns ausdrücklich bekennen, beenden:

„Vergangenheit darf die Zukunft nicht dominieren - Geschichte darf nicht verdrängt oder vertuscht werden. Jeder Einzelne...“

- das gilt natürlich auch für mich selbst -

„... sollte sich selbstkritisch die Frage stellen, welche Verantwortung er selbst bis 1989 getragen hat, unabhängig davon, ob er in der SED, in einer der Blockparteien oder anderswo tätig war. Der offene und kritische Umgang mit früheren Fehlern ist ebenso notwendig wie die Übernahme von Verantwortung für verursachtes Unrecht in Missachtung von Freiheit und Demokratie. Der Respekt muss den Opfern gelten, das Andenken an erlittene Repressalien muss gewahrt werden. Die Lehren der Geschichte müssen im gesellschaftlichen wie individuellen Leben wachgehalten werden. Das Verhalten vor 1989 soll in Brandenburg auch weiterhin ,mit menschlichem Maß‘ betrachtet und zugleich im Lichte der letzten 20 Jahre bewertet werden.“

- Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Der Abgeordnete Dombrowski hat zu diesem Beitrag eine Kurzintervention angemeldet und dafür maximal drei Minuten Redezeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Kaiser, Ihre Worte höre ich gern. Wenn ich glauben könnte, dass sie ernst gemeint sind, wäre es ja gut. Die Frage ist jedoch anders zu sehen: Wenn jemand freiwillig seine Kollegen, Freunde und Familienmitglieder bespitzelt und Nachrichten liefert, dann ist das für mich eine Charakterfrage. Diejenigen, die sich als IM zur Verfügung gestellt haben, taten dies nicht, weil man ihnen die Pistole an den Kopf gehalten hat, sondern teils aus Überzeugung oder weil sie meinten, sie würden etwas für den Frieden tun, oder weil sie sich davon Vorteile versprachen. Sie taten es jedenfalls nicht aus edlen Motiven, oder weil Sie sich irrten. Dies ist eine Frage der persönlichen Integrität und für mich eine Frage des Charakters.

(Beifall CDU und vereinzelt FDP)

Ich glaube nicht, dass Menschen ihren Charakter einfach ändern. Man kann sein Verhalten anpassen - selbstverständlich -, aber der Charakter ist angelegt.

(Holzschuher [SPD]: Wie ist das denn mit den ehemali- gen Blockparteien oder mit ehemaligen Mitgliedern der SED in Ihrer Partei?)

- Kollege Holzschuher, halten Sie die Luft an, dazu komme ich gern. In allen Fraktionen dieses Landtages haben ehemalige IMs gesessen. In den Reihen der SPD war in der 1. Wahlperiode sogar ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS vertreten.

(Schulze [SPD]: Das ist unglaublich, was Sie hier sagen!)

Das ist alles klar. Nur: Als in der CDU-Fraktion in der Wahlperiode 1995 bis 1999 ein IM enttarnt wurde, hat es keine 48 Stunden gedauert, und er war nicht länger Mitglied unserer Fraktion. Das wissen Sie. Das war die Entscheidung der CDUFraktion.

(Beifall CDU)

Wir - sowohl die CDU-Fraktion als auch die Partei - haben klare Schnitte vollzogen. Lothar de Maizière und ich haben damals auf jegliches Vermögen aus DDR-Zeiten für die CDU Brandenburg verzichtet; das hätten andere auch tun können, aber sie haben sich darum gestritten.

Es geht nicht darum, darzustellen, dass dies oder jenes unbedingt besser gewesen wäre, sondern um die Frage, wie wir heute mit der Vergangenheit umgehen. Diesbezüglich gibt es unterschiedliche Auffassungen. Unsere Meinung ist: Wer freiwillig und ohne Not andere Leute bespitzelt und ans Messer liefert, der hat in so wichtigen Ämtern nichts zu suchen. Natürlich ist das, wenn Sie gewählt werden, Ihre Sache.

Es wird immer gesagt, Frau Kaiser und andere würden so offen mit ihrer Vergangenheit umgehen. Natürlich, wenn ich enttarnt bin, gehe ich in die Vorwärtsstrategie, greife an und gehe offen damit um. Fragt man nach, wie es gewesen ist, liest man Aussagen von Frau Kaiser wie: Ich habe in Moskau studiert. Dort gab es gar kein Westradio, und ich habe insofern auch nicht melden können, dass Kommilitonen Westradio hörten. - Ich darf Sie herzlich von Werner Bader grüßen - der Ministerpräsident kennt ihn -, er war langjähriger Chef der Deutschen Welle. Er weiß, dass man in Moskau die Deutsche Welle hören konnte. Selbstverständlich.

Frau Kaiser sagte an anderer Stelle: In jedem Staat gibt es Geheimdienste. - Natürlich gibt es die! Aber wenn Sie als Mitglied dieses Parlaments das Ministerium für Staatssicherheit der SED unterstellt - mit unseren Staatsschutzorganen vergleichen, dann machen Sie deutlich, was Sie von diesem Staat halten, nämlich nicht viel.

(Beifall CDU und FDP)

Herr Dombrowski, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.

Danke, Herr Präsident. Ich wollte nur versuchen, ein paar Dinge klarzustellen. Fünf Minuten sind wenig.

(Beifall CDU und FDP - Holzschuher und Schulze [SPD]: Drei Minuten!)

Die Abgeordnete Kaiser hat Gelegenheit, darauf zu reagieren. Bitte schön.

Sehr geehrter Kollege Dombrowski, in meinem Respekt Ihnen und Ihrer Geschichte gegenüber möchte ich sagen: Ich will mit

Ihnen in den nächsten Jahren weiterhin - wie hier vor Monaten sachlich über Geschichte debattieren. Über all das, was Sie soeben gesagt haben, will ich an dieser Stelle nicht reden. Lassen Sie uns das miteinander besprechen. Meine Akten liegen seit 1994 vollumfänglich auf dem Tisch und bei den Journalisten. Darin ist nichts vertuscht oder verschwiegen.

Ich wollte Ihnen nur eines sagen: Man kann aus Hunderten von Puzzleteilchen immer wieder neue Bilder zusammensetzen.

(Dombrowski [CDU]: Darin sind Sie ja Weltmeisterin!)

Aber wir beide würden unserer Verantwortung nicht gerecht werden, wenn wir uns dabei immer nur an die Bau- und Bastelanleitung der BILD-Zeitung hielten. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Vielen Dank. - Wir setzen mit dem Redebeitrag der Fraktion der FDP fort. Es spricht die Abgeordnete Teuteberg.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum geht es heute? Es geht um ein wichtiges Signal, und zwar eines, das ureigene Angelegenheit des Parlaments ist und nicht von Koalitionsverhandlungen oder Verfahrensfragen abhängen muss. 20 Jahre nach der friedlichen Revolution gibt es ein ungebrochenes Interesse der Menschen in unserem Lande an dem Thema Staatssicherheit und daran, welche Rolle dieser Staatssicherheitsdienst im Leben der Bürger der DDR gespielt hat. Die gestiegenen Antragszahlen bei den Außenstellen der Bundesbeauftragten legen Zeugnis von diesem öffentlichen Interesse ab.

Was wir nicht brauchen, das sind Relativierungen und eine Vermischung von anderen Fragen und Formen historischer Verantwortung mit dem heutigen Thema. Wir brauchen auch keine Belehrung unserer Bürger darüber, wem sie wann und wie zu verzeihen haben. Unsere Brandenburger Bürger haben einen Anspruch auf Transparenz, um sich dann auf dieser Grundlage ihre eigene Meinung zu bilden.

Was wir auch nicht brauchen, ist, Selbstverständlichkeiten in Anträge zu schreiben, wie es im Antrag von SPD und DIE LINKE getan worden ist.

Was wir dagegen brauchen, das ist die Auseinandersetzung mit vermeintlichen Selbstverständlichkeiten. Das MfS war eben kein Geheimdienst wie jeder andere. Die DDR war auch kein Staat wie jeder andere und schon gar kein legitimes Experiment, wie man es immer wieder aus den Reihen der Linkspartei hört. Sie war von Anfang an undemokratisch.

(Beifall FDP und CDU)

Die DDR war auch nicht nur kein fröhlicher Rechtsstaat, sie war überhaupt kein Rechtsstaat. Es liegt mir durchaus am Herzen: Wir müssen gerade jungen Menschen nahebringen, dass Demokratie und Rechtsstaat Werte an sich sind, übrigens gerade dann, wenn sie nicht fröhlich, sondern mühsam und anstren