Protocol of the Session on October 21, 2009

Drucksache 5/13

1. Lesung

in Verbindung damit:

Überprüfung der Abgeordneten des Landtages Brandenburg auf eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR

Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 5/16

und

Versöhnung in der Verantwortung vor der Geschichte

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 5/17

Wir beginnen mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. - Bitte, Herr Vogel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im 20. Jahr der friedlichen Revolution ist ein sensibler Umgang mit der Zeitgeschichte unverändert notwendig. In einem Jahr, in dem die Verdienste einer protestierenden Bevölkerung gewürdigt werden, ist der gründliche demokratische Diskurs über das Unrechtssystem Staatssicherheit mehr als angezeigt. Das sind wir den Opfern, aber auch unseren Kindern und Enkeln schuldig.

Auch im 20. Jahr des Mauerfalls müssen wir konstatieren, dass die Geschichte dieser Diktatur des Proletariats auf deutschem Boden noch längst nicht aufgearbeitet ist. Die aktuellen Diskussionen zeigen, dass der Schatten der Stasi, ein zentrales Macht- und Herrschaftselement der DDR, bis in unsere Gegenwart fällt. Wir wissen, dass Kooperation mit der Stasi für politisch Aktive im Gesellschaftssystem der DDR die Regel und nicht die Ausnahme war. Dass früheres staatstragendes Funktionieren und späteres Lavieren nicht auf Brandenburg beschränkt und kein Privileg früherer SED-Mitglieder ist, zeigen die Diskussionen der letzten Monate um die Stasifragebögen und früheren Funktionen des Ministerpräsidenten von Sachsen. Wir müssen aber die notwendige Trennschärfe wahren. Wir sind nicht der Auffassung, dass es nur graduelle Unterschiede zwischen dem Wirken in der SED, in einer Blockpartei oder anderswo gibt, wenn dieses Anderswo eine Tätigkeit für das MfS war.

In Brandenburg gibt es einige Spezifika im Umgang mit ehemaligen Mitarbeitern des MfS bei der Neubegründung unserer Demokratie nach 1989, aus denen auch ein spezieller Auftrag an uns hervorgeht. Nicht von ungefähr legte die heutige Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Marianne Birthler ihr Ministeramt in der damaligen Ampel-Koalition aus Protest gegen den Umgang des Ministerpräsidenten Manfred Stolpe mit dem Thema „Staatssicherheit“ fast auf den Tag genau vor 17 Jahren nieder.

Unvergessen ist, wie hierzulande vor jeder Neuausgabe des „SPIEGEL“ und damit verbundener neuer Enthüllungen gezittert wurde. Fast im 14-Tage-Rhythmus mussten dem Gedächtnis des damaligen Ministerpräsidenten längst entfallene Erinnerungen entrissen werden. Zugegeben wurde immer nur das, was schon hieb- und stichfest in den Medien dokumentiert war. Kein Wunder, dass nicht nur außerhalb des Landes der Eindruck bis in die heutigen Tage fortwirkt, dass man hierzulande nicht gar zu genau auf frühere Tätigkeiten im Dienste der Staatssicherheit sehen wollte. Die aufgeflammte Diskussion um die großzügige Übernahme ehemaliger neben- und hauptamtlicher Stasi-Zuträger in die neugeschaffene Polizei des Landes ist eine Spätfolge der damals geübten Praxis. Von daher wird das Thema Stasi mit einer Überprüfung der Landtagsabgeordneten nicht abgeschlossen sein.

(Schulze [SPD]: Das ist falsch, was Sie sagen!)

Als weiterer Schritt muss die wissenschaftliche und politische Aufarbeitung des Übernahmeverfahrens von Mitarbeitern der Stasi für den gesamten öffentlichen Dienst, einschließlich der Kommunen, im Land stehen. Hierzu werden wir in den nächsten Monaten die Einrichtung einer Enquetekommission vorschlagen.

(Platzeck [SPD]: Das sind die Probleme dieses Landes!)

Lassen Sie mich an dieser Stelle deutlich sagen: Wir teilen dezidiert nicht die Auffassung, dass es bereits einen Verrat an der friedlichen Revolution von 1989 bedeutet, wenn die SPD sich einen anderen Koalitionspartner sucht. Wir halten nichts davon, die Linke aus dem Spektrum der demokratischen Parteien auszugrenzen. Es geht uns bei unserer Forderung nach Überprüfung der Abgeordneten definitiv nicht um die Stigmatisierung einer einzigen Partei, sondern um die Ansprüche, die wir als Abgeordnete an uns selbst stellen.

Wir wissen, dass es unterschiedliche Grade der Zusammenarbeit mit der Stasi gab und nicht jeder IM Schaden für andere hervorgerufen hat. Insofern kann es auch gar nicht darum gehen, alle damaligen IMs über einen Kamm zu scheren. Wer sich schuldig gemacht hat, ist aufgefordert, seinen Beitrag zur Aufklärung und zur Versöhnung zu leisten. Verlangen kann man aber, dass eine Tätigkeit für das MfS öffentlich gemacht wird, um eine öffentliche Auseinandersetzung über das Wirken der betreffenden Landtagsabgeordneten und deren ureigenen Umgang mit ihrer persönlichen Biografie nach 1989 zu ermöglichen.

Ich räume ein: Viele von uns gruselt es, neben einem Landtagsabgeordneten zu sitzen, der 12 Jahre Schließer in einem StasiGefängnis war. Die öffentliche Auseinandersetzung um seinen Lebenslauf können und wollen wir ihm nicht ersparen. Im Gegensatz zu Sachsen oder Thüringen sehen wir aber keine Rechtfertigung dafür, dass eine Parlamentsmehrheit frei gewählten Abgeordneten das Mandat entziehen kann. Wenn im Rahmen einer Überprüfung bislang unbekannte Tatbestände bekannt werden, so ist es Aufgabe der betroffenen Fraktionen und Parteien, daraus Konsequenzen zu ziehen.

Nach unserem Gesetzentwurf soll der Landtagspräsident ermächtigt werden, die notwendigen Auskünfte bei der Stasiunterlagenbehörde einzuholen. Dies geht nur auf Grundlage eines Gesetzes, für das wir hiermit einen Entwurf vorgelegt haben.

Der Ansatz einer freiwilligen Überprüfung, wie von der CDU vorgeschlagen, kann unseres Erachtens nur ein allererster Schritt sein. Unser Gesetzentwurf ist ein erster Vorschlag, der in den weiteren parlamentarischen Beratungen weiterqualifiziert werden kann. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zur Überweisung dieses Antrags an den Ausschuss. Ich sage aber auch: Wir begrüßen ausdrücklich, dass trotz aller Bedenken zur konkreten Wortwahl die SPD und die Linke sich ebenfalls für eine Überprüfung aussprechen, und unterstützen diesen Antrag auch. - Herzlichen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und DIE LINKE - Zuruf des Abgeordneten Schulze [SPD])

Wir setzen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort, für die der Abgeordnete Baaske spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zur CDU-Fraktion teile ich die Auffassung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass wir eine gesetzliche Regelung brauchen. § 20 Stasi-Unterlagen-Gesetz sieht eindeutig vor, dass eine Normierung geschaffen werden muss, in welchem Rahmen eine solche Überprüfung stattfindet und wer wie mit diesen Unterlagen umgeht. Nur dann wird die Birthler-Behörde entsprechend zuarbeiten.

Die SPD unterstützt diesen Antrag. Wir werden einer Überweisung zustimmen. Ich glaube, dass die Gelegenheit, die wir jetzt zum letzten Mal haben, genutzt werden sollte. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz wurde vom Bundestag verändert. Es ist geregelt, dass dieses Verfahren nur bis zum Jahre 2011 zulässig ist. Insofern ist es jetzt die letzte Gelegenheit. Man sollte sie nutzen.

Dies sage ich nicht etwa, weil ich Angst habe, dass in meiner Fraktion irgendetwas hochkocht, was uns dann Sorgen bereiten könnte, weil wir lieber den bösen Schein wahren wollen, sondern ganz im Gegenteil: Wir wollen deutlich machen, dass wir mit der Geschichte leben können. Wir wissen, dass wir in unseren Reihen zumindest keine hauptamtlichen Mitarbeiter haben. Genau das wollen wir damit auch sagen.

Ich habe andererseits auch Verständnis für die, die bei uns in der Fraktion und anderswo im Land sagen: Leute, jetzt haben wir uns viermal, fünfmal, vielleicht schon sechsmal gaucken oder birthlern lassen. Muss es jetzt wirklich noch einmal sein? - Da sage ich: Gut. Aber ich nehme an, dass bei der BirthlerBehörde am Ende nur Daten wie Name, Adresse etc. abgeglichen werden und festgestellt wird: Die Person haben wir im vorigen Jahr überprüft; das schicken wir so noch einmal raus. Dann ist das auch nicht so aufwendig und dient vielleicht auch in diesem Hause der Klarheit.

Noch einige Bemerkungen dazu, was wir in den kommenden Wochen, wenn wir diesen Antrag diskutieren, berücksichtigen sollten: Zum einen verweisen Sie, Herr Vogel, in Ihrer Begründung in fast jedem Absatz auf das Thema Stasi. Wir müssen aufpassen, dass wir für all das, was unter und mit der Stasi passiert ist, nicht allein die Stasi verantwortlich machen. Die Stasi war ein Handlanger in einem System, in dem eine Partei besonders gewirkt hat, aber in dem auch andere Parteien mitgewirkt und dieses System gesteuert haben. Die haben sich der Staatsicherheit bedient, dass sie die Menschen unter Repressionen setzt, sie bespitzelt und verfolgt. Das kann man nicht allein der Stasi anhängen, denn um so etwas zu ermöglichen, bedurfte es mehr als nur der Staatssicherheit.

Ich appelliere noch einmal an die CDU, der Überweisung dieses Antrags zuzustimmen, denn wir kommen mit Ihrem Antrag nicht weiter. Ich will darauf hinweisen, dass in anderen Landtagen, zum Beispiel in Sachsen oder in Thüringen, nicht nur die Überprüfung der IMs der Staatssicherheit berücksichtigt wurde, sondern man auch die IMs, die zum Beispiel für das Amt für Nationale Sicherheit oder für die Spezialabteilung der Polizei, die K1, gewirkt haben - die hatten auch inoffizielle Mitarbeiter -, überprüft wurden. Dafür gibt es in der Birthler-Behörde eine entsprechende Abteilung. Wir sollten es wie andere Landtage im Abgeordnetengesetz regeln.

Herr Vogel, zum anderen - darüber haben wir schon gesprochen - glaube ich nicht, dass das Präsidium des Landtags die als Bewertungskriterium geeignete Institution ist. Ich glaube, man sollte noch einmal in Ruhe darüber reden, wen man da anspricht. Ich glaube, das sollte in einer anderen Runde geschehen als ausgerechnet in der des Präsidiums des Landtags, denn es muss auch eine Möglichkeit für diejenigen geben, die mit einer Akte daherkommen, sich an irgendjemanden zu wenden und zu sagen: Ich erkläre dir einmal, was damals passiert ist. - Genau das meinten wir mit der Aussage - von Stolpe übernommen - „mit menschlichem Maß“. - Danke schön.

(Beifall SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir setzen mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort, für die der Abgeordnete Dombrowski spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es vorweg zu sagen: Die CDU-Fraktion begrüßt, dass mittlerweile alle Fraktionen dafür sind, eventuelle Stasitätigkeiten von gewählten Abgeordneten zu überprüfen - erstens.

Zweitens: Selbstverständlich begrüßen wir auch, dass im Rahmen eines Gesetzes vielleicht sogar weitergehende Regelungen, die dann eine Regelung vornehmen, wenn sich eine Belastung darstellt, abbilden können. Das werden wir dann auch unterstützen, aber wir sind schon der Meinung, dass wir ohne Zeitverzug handeln sollten; denn diese konstituierende Sitzung des Landtags und auch die ins Haus stehende Regierungsbildung tragen ja Vorzeichen, die es durchaus gerechtfertigt erscheinen lassen, ein Zeichen zu setzen, dass man mit ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit in verschiedenen Funktionen auch kritisch und angemessen umgeht. Von daher ist es schön, dass wir in der Sache den Konsens erzielt haben, dass eine Überprüfung stattfinden wird. Wir sind dennoch der Meinung, dass unserem Antrag gefolgt werden sollte, um keine Zeit zu verlieren.

Ich möchte noch kurz auf den Kollegen Vogel eingehen, der hier feststellte, dass von ehemaligen Stasimitarbeitern - sei es offiziell, sei es inoffiziell - immer nur das zugegeben wurde, was sowieso schon öffentlich war, weil es in der Presse stand. Das sehe ich auch so. Darauf komme ich gleich.

Des Weiteren hat die CDU-Fraktion kein Problem damit, die Linkspartei zu respektieren. Sie ist in freier und geheimer Wahl gewählt; das ist in Ordnung. Wir haben ein Problem damit, dass ehemalige Mitarbeiter des MfS in der Partei führende Funktionen ausüben. Wenn hier auf das demokratische Spektrum der Partei hingewiesen wurde, dann sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen: Kommunistische oder linkssozialistische Parteien sind ja in der demokratischen Geschichte Westeuropas nichts Besonderes; nur haben diese Parteien in der Regel eine demokratische Geschichte. Die Linkspartei, die seit 63 Jahren - seit Gründung der SED - besteht, hat diese demokratische Geschichte eben nicht. Um das zu untermauern, darf ich die im Zusammenhang mit dem Thema Vermögenssicherung von Herrn Holluba, Bundesschatzmeister der Partei DIE LINKE, am 28. April dieses Jahres getätigte eidesstattliche Versicherung vortragen:

„DIE LINKE ist rechtsidentisch mit der Die Linkspartei.PDS, die es seit 2005 gab, und der PDS, die es vorher gab, und der SED, die es vorher gab.“

Also ist völlig klar: Wenn ich im Weiteren von 63 Jahren SED spreche, dann wissen Sie, was gemeint ist: Sie sind die juristischen Erben der SED, und von daher haben Sie auch das politische Erbe anzutreten und offen zu vertreten. Das ist auch gut.

Herr Baaske, bei der Überprüfung vonseiten der Birthler-Behörde geht es nicht nach dem Prinzip: Name, Adresse, Geburtstag - hatten wir schon. Nein, in der Birthler-Behörde wird geforscht. Wenn Sie einen Antrag einreichen, geht die gesamte Prüfung noch einmal vonstatten. Es kommen erfreulicherweise immer neue Akten hinzu. Von daher ist es keine Formfrage.

Bezüglich Ihrer These, dass die „arme Stasi“ der Handlanger im System gewesen sei, möchte ich darauf hinweisen, dass das Ministerium für Staatssicherheit nicht der Regierung der DDR, sondern dem Politbüro der SED unterstellt war. Das ist allge

mein bekannt. Von daher: Wessen Handlanger bzw. wessen Gehilfe die Stasi war, ist ausreichend bekannt, auch wenn Sie es anders darstellen.

(Beifall CDU und FDP)

Um es kurz zu sagen, aber unter neuen Vorzeichen: Die neuerliche Stasiüberprüfung - sofern wir sie denn beschließen - ist ein Zeichen der Transparenz. Das, was uns ins Haus steht, ist nicht, dass aus zwei Parteien eine Regierung gebildet wird, sondern der Koalitionsvertrag wird aufseiten der SPD von Herrn Platzeck und Herrn Baaske und aufseiten der Linken von Frau Kaiser und Herrn Nord, zwei ehemaligen Mitarbeitern des MfS, unterzeichnet. Darin liegt das Besondere, und es ist erforderlich, dass man in besonderer Weise Obacht gibt und jeder Bürger zur Kenntnis nimmt, was hier in Brandenburg geschieht.

(Beifall CDU)

Wenn im Antrag von SPD und DIE LINKE, den wir ablehnen werden, sehr viel von Lehren aus der Geschichte ziehen, vom Wachhalten des individuellen Lebens und von der Betrachtung mit menschlichem Maß gesprochen wird, dann sage ich: Das alles wollen wir tun, aber es bleibt dabei: Wenn Frau Kaiser, die früher bei der Stasi gesungen hat, jetzt auf den Marktplätzen singt und zukünftig am Kabinettstisch sitzen wird, sollten es die Bürgerinnen und Bürger erfahren. Das darf nicht unter den Tisch gekehrt werden.

(Holzschuher [SPD]: Inzwischen weiß es doch sogar der Letzte! - Schulze [SPD]: Für wie uninformiert halten Sie die Wähler!)

Im 20. Jahr der friedlichen Revolution haben die Bürger einen Anspruch auf Klarheit, wer sich hinter denjenigen verbirgt, die dieses Land führen wollen. - Danke schön.

(Beifall CDU und FDP)

Wir setzen mit dem Beitrag der Linksfraktion fort. Es spricht die Abgeordnete Kaiser.