Protocol of the Session on April 26, 2007

Drucksache 4/4451

Herr Abgeordneter Sarrach eröffnet die Aussprache.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der berühmte Müller Arnold sagte einmal zu König Friedrich II: Es gibt noch Richter in Berlin! - Er meinte das Kammergericht. Und natürlich gibt es auch Richter in Brandenburg, zum Glück. Die Frage lautet aber heute nicht mehr, ob es sie gibt, sondern wo wir sie finden und vor allem, wie lange noch an dieser und jener Stelle.

Die Schließungsabsichten zu sieben Amtsgerichten und einem Arbeitsgericht haben nicht nur die Menschen im Land und die Kommunen verunsichert, die betroffen sind. Es besteht guter Grund anzunehmen, dass auch die Landespolitik über keinen klaren Überblick über die zukünftige amtsgerichtliche Struktur verfügt und landesplanerisch kein einheitliches Ziel verfolgt.

Auf uns jedenfalls wirkten die zahlreichen Neuordnungen und Umstrukturierungen der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit der Amtsgerichte nicht gerade planvoll abgestimmt. Wer wissen möchte, wie etwas konzeptionell gemeint ist, ist gut damit beraten, denjenigen zu fragen, der den Anspruch erhebt, überhaupt ein Konzept zu haben. Dieses bescheidene Anliegen verfolgt der Ihnen vorliegende Antrag.

Aus unserer Sicht kann es auf diesen Antrag aus logischen Gründen nur vier Reaktionsmöglichkeiten geben. Erstens könnte man sagen, die amtsgerichtliche Struktur der Zukunft interessiere nicht so sehr. Das zu sagen wird wohl schwerfallen, weil wir wissen, welch hohen infrastrukturellen Wert eine gleichmäßige Struktur der Zivil- und Strafgerichte erster Instanz für das Flächenland Brandenburg hat.

Zweitens könnte man sagen, man wisse auch ohne dieses mit

dem Antrag verfolgten Gutachten sicher genug, auf welchen Weg uns die Landesregierung führen wird.

(Minister Junghanns: Richtig!)

- Das würde mich sehr überraschen, Herr Junghanns, da ich im zuständigen Rechtsausschuss einen solch hochentwickelten Erkenntnisstand nicht beobachten konnte.

Drittens könnte man sagen, man wisse zwar nichts Präzises über ein Gesamtkonzept der Landesregierung zur amtsgerichtlichen Struktur der Zukunft, verzichte jedoch auf das angeregte Gutachten, weil man der Landesregierung zutraue, das Richtige vorzuhaben. In diesem Fall möchte ich an unsere Verantwortung als einzige vom Brandenburger Wahlvolk direkt legitimierte Gewalt im Land erinnern. Wir werden uns nicht sagen lassen wollen, dass wir nicht genau wissen wollten, was die Regierung tut und was sie vorhat.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich kann mir kaum vorstellen, dass das für eine solche Bekundung unerhört hohe Maß an Vertrauen schon deshalb vorhanden ist, weil man auf den Bänken der Koalitionsparteien Platz genommen hat.

In erster Linie sind wir nicht die Helfer der Exekutive, sondern ihre Kontrolleure. So funktioniert Gewaltenteilung, und zwar unabhängig von dem Platz, auf dem Sie oder wir sitzen. Aufgrund dessen gibt es eine vierte Möglichkeit, die Sie durchaus ernsthaft in Betracht ziehen dürfen, nämlich, unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Annahme des Antrags würde Ihnen aller Erwartung nach eine Darstellung liefern, mit der Ihnen die Landesregierung ihre Vorstellung zu der amtsgerichtlichen Struktur in naher Zukunft offenbart, oder aber Sie müssten im Ergebnis des Gutachtens feststellen, dass ein solch geschlossenes Konzept nicht existiert. Auch dann wäre das Gutachten natürlich von hohem Erkenntniswert. Ich darf Sie daher an die zugrunde liegende Situation erinnern.

Ein solches Gutachten erginge vor der Tatsache, dass sich die Schließungsankündigungen der Landesregierung zu den sieben Amtsgerichten wie ein märchenhafter Abzählreim lesen: Juni, September, November, Januar und zuletzt März. Es fehlen zwei Monate, um die magische Sieben auch hier vollzubekommen; möglicherweise Juli oder Oktober?

Ein solches Gutachten erginge vor der Tatsache, dass das gemeinsame zentrale Mahngericht am Amtsgericht Wedding offenbar nur mit wochenlanger Verzögerung maschinelle Mahnbescheide erlassen kann, obwohl anderes versprochen wurde. Das zeigt Ihnen, dass die bereits beschlossenen Umstrukturierungen der Landesregierung nicht gerade reibungslos funktionieren. Aus welchem Grund sollten wir also voller Vertrauen ihren zukünftigen Entscheidungen entgegensehen?

Ein solches Gutachten erginge vor dem Hintergrund, dass das Gerichtsverfassungsgesetz des Bundes in Wortlaut und Zweckabsicht von einer dezentralisierten Aufgabenstruktur ausgeht. Dennoch finden wir in Brandenburg bereits heute die Mahn-,

Insolvenz- und Vereinsregisterangelegenheiten in zentralisierter Form vor. Ein zentrales Grundbuchamt ist schon in Planung. Weitere Planungen kennt wahrscheinlich niemand von uns. Das ist schlecht; denn als Landtag sollten wir darüber Bescheid wissen.

Ein solches Gutachten erginge nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Teilüberlegungen zur amtsgerichtlichen Struktur, die das Justizministerium bereits vorlegte, nie den Test der Auseinandersetzung mit der kritischen Öffentlichkeit bestanden haben. Zur Erinnerung: Der erste Konzeptentwurf zur angeblich sachgerechten Prüfung der Schließung von Amtsgerichten und der Errichtung eines zentralen Grundbuchamtes musste wegen vieler offensichtlicher Fehler und Mängel gewissermaßen zurückgezogen werden. Der Entwurf enthielt falsche Angaben zum Sanierungsstand von Gerichtsgebäuden und regionalplanungsuntypische Vorgaben, unter anderem eine Luftlinie von 35 km als angeblich zumutbare Entfernung zum Gericht auszuweisen, und anderes mehr.

Der Entwurf berücksichtigte nicht die vorgebrachten justizpolitischen und fachlichen Argumente wie etwa den Platzbedarf in Verhandlungssälen. Auch der tatsächliche Grund für die beabsichtigte Gerichtsschließung blieb lange Zeit im Dunkeln. So wurde vielfach angenommen, man wolle in der Regierung wegen des Ziels der Einräumigkeit der Verwaltung je Landkreis und kreisfreier Stadt zukünftig ein Amtsgericht vorsehen.

(Unruhe - Zuruf von der SPD: Was ist denn los, Herr Sar- rach?)

Sehr verehrte Abgeordnete, ich bitte Sie inständig, dass wir in den letzten Minuten noch so fair miteinander umgehen, dass der hier vorn stehende Redner tatsächlich derjenige ist, der das Wort hat. Danke schön.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zuruf des Abgeordne- ten Karney [CDU])

- Uns steht eine Redezeit von zehn Minuten zu, Herr Kollege.

Aus dieser Zielstellung - möglicherweise der Einräumigkeit der Verwaltung - resultierte dann wohl auch der Vorschlag, die Zahl der Gerichte von 25 auf 18 Gerichte zu reduzieren. Diesbezüglich musste man jedoch in der Regierung feststellen, dass nicht jeder Kreis ein Gericht hat und manche Kreise dagegen mehr als eines. Man argumentierte dann einfach mit dem demografischen Wandel, um später einzuräumen, dass sich dieser nicht dafür eignet, daran Gerichtsstrukturen festzumachen.

Dann ging es auf einmal um Spezialisierung in der Richterschaft, was in kleinen Gerichten nicht gut funktionieren könne. Als aber der Nachweis nicht erbracht werden konnte, dass kleine Gerichte langsamer und schlechter arbeiten, sondern - im Gegenteil - sehr effektiv sind, und nun auch das kleinste brandenburgische Amtsgericht in Zehdenick erhalten bleibt, verfiel auch dieser Begründungsansatz schneller, als er gefunden wurde.

Doch geht es um gute Begründungen in der Politik. Es geht da

rum, darzustellen, was man vorhat, und anschließend zu begründen, warum man es vorhat. Kann man das nicht leisten, sollte man auch nicht politisch handeln und unter anderem nicht sieben Amtsgerichte bzw. die verbliebenen vier in Guben, Zossen, Eisenhüttenstadt und Bad Freienwalde schließen.

Dass die Darstellungen und Begründungen der Landesregierung in dieser Angelegenheit so schwerfallen, liegt natürlich auch an den Differenzen zwischen den Ressorts. Von Anfang an gab es - offen ausgetragen - zwischen den Ressorts erhebliche Uneinigkeit über die Ziele und Inhalte der Neuordnungen. Finanzminister Rainer Speer wollte sparen, sprich Gerichte schließen, und Justizministerin Blechinger wollte - wenn möglich - niemandem weh tun.

Genau diese Differenzen führen mich zum Hauptziel unseres Antrages. Wenn Sie ihm zustimmen, erhalten sie erstmals keine Teilauffassung bzw. Teildarstellung eines Ressorts, sondern eine Gesamtdarstellung der Landesregierung nach einer vorangegangenen ausreichenden Einigung aller Häuser, nach einer Abstimmung der einzelnen Ressorts untereinander. Dann hätte das Gezerre ein Ende.

Ob Sie oder wir anschließend mit den konkreten Inhalten des Gutachtens übereinstimmen, ist eine andere Frage. Das Gutachten selbst würde zum ersten Mal Klarheit zu den Absichten der Landesregierung in ihrer Gesamtheit schaffen, und zwar in verbindlicher Form. Sie müssen heute entscheiden, ob Sie sich diese Gelegenheit, für mehr Klarheit zu sorgen, entgehen lassen wollen. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Für die SPD-Fraktion erhält der Abgeordnete Holzschuher das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mich verwundert dieser Antrag etwas. Ich habe mich bemüht, zuzuhören, was angesichts der Geräuschkulisse nicht einfach war. Aber ich habe nicht recht verstanden, warum wir zum jetzigen Zeitpunkt ein - ich sage bewusst - neues Gutachten brauchen. Im Herbst 2005 wurde ein Konzept zur sachgerechten Reduzierung der Amtsgerichtsbezirke vorgelegt. Man kann darüber streiten, ob die Reduzierung nun sachgerecht gewesen ist oder nicht; diese Frage können Sie wohl ins Feld führen, nichtsdestotrotz: Es war ein Konzept. Dieses Konzept wird seit anderthalb Jahren diskutiert. Wenn wir im Laufe der letzten Monate von den betroffenen Amtsgerichten eines erfahren haben, dann das: Man möchte Klarheit hinsichtlich der neuen Strukturen.

Aus den beteiligten Ressorts ist zu hören, dass die Verständigung auf einen abschließenden Vorschlag kurz bevorstehe. Wie der aussieht, wissen wir noch nicht. Wir werden also am heutigen Tag noch nicht darüber diskutieren können, ob er uns alle wird überzeugen können. Aber man ist, wie gesagt, diesbezüglich in einem sehr fortgeschrittenen Stadium.

Gerade zu diesem Zeitpunkt kommen Sie und sagen: Wir brauchen mehr. Wir brauchen im Grunde eine Gesamtschau der zukünftigen Zuständigkeiten - wobei ich nicht weiß, woher man

dieses Wissen nehmen will; denn vieles ist bundesrechtlich vorgegeben -, wir brauchen andere Ansätze für die Zuordnung von Amtsgerichten zu den umliegenden Gemeinden, möglicherweise andere Gerichtsstrukturen, vielleicht auch Schließungen einzelner Amtsgerichte - das scheint mir nach Ihrem Antrag nicht ausgeschlossen -, und wir müssen noch einmal von vorn beginnen. - Ich glaube, wir könnten niemandem, der im Justizbereich dieses Landes tätig ist, begreiflich machen, warum wir jetzt, wo wir auf eine Entscheidung warten, sagen: Alles zurück auf null; wir warten ein Gutachten ab, und vielleicht stehen dann auch wieder Rathenow, Schwedt oder andere Gerichte zur Disposition. Dann warten wir ein Jahr oder anderthalb Jahre, bis wir ein neues Konzept haben, und dann wird wieder alles neu diskutiert. - Auch wenn ich Ihren Ansatz grundsätzlich für richtig halte, so etwas wäre im Augenblick fatal. Das meine ich wirklich ernst, auch wenn Herr Vietze denkt, ich nähme Ihre Anträge nicht ernst. Ich meine es in diesem Falle ernst: Es wäre derzeit fatal, die ganze Diskussion von vorn zu beginnen.

Ich hoffe, dass schnell eine Entscheidungsgrundlage haben werden und wissen, ob und welche Amtsgerichte möglicherweise geschlossen werden, damit wir darüber diskutieren können.

Alles Weitere derzeit erneut infrage zu stellen würde in allen Amtsgerichtsbezirken unseres Landes Verunsicherung schaffen. Daran würde ich mich nicht beteiligen wollen. Deswegen bitte ich Sie, Ihren Antrag in dieser Form noch einmal zu überdenken. Am heutigen Tage halte ich ihn tatsächlich nicht für sachdienlich. Wir werden ihn ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abgeordneter Schuldt.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir von der DVU-Fraktion werden diesen Antrag selbstverständlich ablehnen. Das damit beantragte Gutachten zu den Brandenburger Amtsgerichten unter Berücksichtigung von Schließungsabsichten ersetzt aus unserer Sicht nicht schlüssiges Regierungshandeln. Unsere Fraktion ist nicht dazu bereit, dieser Regierung auch noch die Arbeit abzunehmen.

(Beifall bei der DVU)

Hinzu kommt, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wer daran etwas ändern will, hat meines Erachtens erstens eine Bringschuld zu erfüllen. Das heißt, er muss schlüssig darlegen, dass die beabsichtigten Änderungen unserem Land Vorteile und keine Nachteile bringen - kurzum ein schlüssiges Justizkonzept für die Zukunft vorlegen.

Zweitens: Ein solches zukunftsfähiges schlüssiges Justizkonzept dieser Landesregierung, Herr Sarrach, liegt noch gar nicht vor.

Drittens: Ein Gutachten ersetzt nicht ein solches schlüssiges und zukunftsfähiges Justizkonzept. Es ist lediglich geeignet, ein solches vorliegendes Justizkonzept auf seine Schlüssigkeit und Zukunftsfähigkeit hin zu untersuchen sowie Alternativen aufzuzei

gen. Anderenfalls werden wir in diesem Land von Gutachtern und nicht von der Landesregierung regiert. Dazu sind die Gutachter aber weder gewählt noch berufen. Wohin so etwas letztlich führen kann, haben wir auf Bundesebene oft genug erlebt.

(Beifall bei der DVU)