Protocol of the Session on September 14, 2006

Herr Innenminister, bitte.

Herr Kollege Scharfenberg, ein Blick in Gesetze und Verfassungen erleichtert die Rechtsfindung. Aufgrund dessen kann ich Ihre Frage im Einzelnen nicht verstehen. Dennoch werde ich versuchen, sie nach meinem Verständnis sachgerecht zu beantworten.

Es ist vollkommen klar, dass die Kommunen über die Verwendung der ihnen zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel entscheiden. Jedoch haben sie dabei zu beachten, einen Haushaltsausgleich zu schaffen. Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Kommunen, die Mittel für die Erfüllung ihrer gesetzlichen und freiwilligen Aufgaben zu verwenden. Diesem Ermessen steht jedoch eine wesentliche gesetzliche Vorgabe der Gemeindeordnung gegenüber, nämlich die Verpflichtung, den Haushalt in jedem Haushaltsjahr ausgeglichen aufzustellen. Das müsste Ihnen als Vorsitzendem des Innenausschusses und als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung von Potsdam auch bekannt sein.

Nicht zuletzt zu diesem Zweck ist eine sparsame und wirtschaftliche Haushaltsführung zu betreiben, was in § 74 Gemeindeordnung nachzulesen ist. Der Haushaltsausgleich hat dabei unter Einbeziehung früherer Fehlbeträge zu erfolgen. Diese zwingende Vorschrift der Gemeindeordnung wird nicht dadurch außer Kraft gesetzt, dass eine Kommune zum Jahresanfang ein Haushaltssicherungskonzept aufgestellt hat; denn zu Beginn des folgenden Haushaltsjahres steht wieder die gleiche gesetzliche Forderung zum Haushaltsausgleich im Raum.

Jede mit einem unausgeglichenen Haushalt arbeitende Kommune hat somit bereits während des aktuellen Haushaltsjahres die Verpflichtung, alle Maßnahmen zum Erreichen des Haushaltsausgleichs zu ergreifen. Mehreinnahmen, die den Kommunen aus der Nachsteuerung des Finanzausgleichsgesetzes erwachsen, sind zunächst für den Haushaltsausgleich zu verwenden.

Die Kommunalaufsichten haben im Rahmen der genehmigungspflichtigen Haushaltssicherungskonzepte die finanzielle Leistungsfähigkeit und die darzustellenden Konsolidierungs

maßnahmen zu bewerten. Dies erfolgt unter Berücksichtigung der rechtlich gebundenen - unabweisbaren - Ausgaben und des verfassungsrechtlich zugesicherten Mindestmaßes für freiwillige Ausgaben.

Unter Anlegung eines auch strengen Maßstabes ist für zusätzliche freiwillige Aufgaben - wie sie beispielsweise für die Stadt Potsdam über einen entsprechenden Nachtragshaushalt veranschlagt werden sollten - dann möglicherweise kein Ermessensspielraum mehr gegeben. Diesbezüglich haben Sie Recht.

Bei Ausgaben, die sich aus rechtlichen Verpflichtungen ergeben und für die keine anderen Möglichkeiten zur Abdeckung bestehen, ist dies anders zu bewerten. Hier können nicht zweckgebundene Mehreinnahmen - dazu zählen die Schlüsselzuweisungen - aus der Nachsteuerung zur Deckung herangezogen werden.

Vielen Dank. Der Fragesteller hat weiteren Informationsbedarf.

Herr Minister, Sie haben in Ihre Antwort den Begriff „möglicherweise“ eingefügt, was eine Öffnung zulässt. Ist Ihnen bekannt, dass Artikel 28 eine finanzielle Eigenverantwortung der Kommunen vorschreibt und dass in diese finanzielle Eigenverantwortung eine Ausgabenhoheit der Kommunen eingeschlossen ist? - Das wird im Grundgesetzkommentar von Maunz/Dürig interpretiert. Ich zitiere:

„Die Länder sind auch nicht berechtigt, die den Gemeinden zur Verfügung stehenden Finanzmittel in ihrer konkreten Verwendung im Übermaß an staatliche Vorgaben zu binden.“

Wie ist eine 100%ige Zweckbindung von allgemeinen Schlüsselzuweisungen mit der in Artikel 28 Gesetz fixierten Eigenverantwortung der Kommunen - insbesondere der Ausgabenhoheit - zu vereinbaren?

Hätte die Landesregierung eine solche 100%ige Zweckbindung vorgeben können, wenn die Nachsteuerung über das Finanzausgleichsgesetz erfolgt wäre? - Das wäre auch denkbar gewesen.

Ich glaube, Kollege Scharfenberg, Sie verwechseln zwei Dinge miteinander. Wir sprechen im Augenblick über die Stadt, in der Sie Mitglied der Stadtverordnetenversammlung sind, und zwar über die Landeshauptstadt Potsdam.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Scharfenberg [Die Links- partei.PDS])

Es geht darum, dass diese Landeshauptstadt keinen ausgeglichenen Haushalt hat. Sie müssen als Stadtverwaltung doch auch die Frage beantworten: Wie können wir diesen Haushalt ausgleichen? - Im Rahmen der Genehmigungspflicht hat das Innenministerium als Aufsichtsbehörde gegenüber den Land

kreisen und den kreisfreien Städten die Pflicht, darauf zu achten, dass die Haushalte ausgeglichen sind.

(Bochow [SPD]: Das tut manchmal sehr weh!)

- Ja, das tut manchmal sehr weh.

In einem Landkreis, in dem auch Mitglieder Ihrer Partei sehr aktiv waren, wurde unter anderem die Vorgabe für die Schülerbeförderungskosten nicht umgesetzt.

Ja, Sie lachen darüber. Dann muss das Problem im Wege der Ersatzvornahme gelöst werden, damit das Gesetz durchgesetzt wird. All diese Konflikte werden wir haben. Sie können vor Ort nur im Rahmen des vorgegebenen Finanzrahmens entscheiden. Wird dieser überschritten, müssen wir verhindern, dass die Verschuldung so hoch steigt, dass sie nachher nicht mehr handlungsfähig sind. Das ist die Aufgabe der Kommunalaufsicht und das ist einleuchtend.

Sie sprechen vom Übermaß an staatlicher Vorgabe. Möglicherweise gibt es in den Kommunen ein Übermaß an städtischer Vorgabe. Reduzierte man dies, könnte ein Übermaß an freiwilligen Leistungen entstehen.

Vielen Dank. Der Abgeordnete Domres hat eine Frage.

Sehen Sie diesbezüglich einen Zusammenhang zwischen der kommunalen Investitionskraft und dem katastrophalen Mittelabfluss vor allem im Wirtschaftsministerium?

Ich habe Ihre Frage nicht verstanden. Hinsichtlich der kommunalen Investitionskraft ist zu sagen, dass wir etwa 20 % unseres Haushalts im Lande für Investitionen ausgeben.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [Die Linkspartei.PDS])

Das ist ein sehr guter Wert, über den wir uns freuen können. Was Sie jetzt damit meinen, weiß ich nicht.

(Domres [Die Linkspartei.PDS]: Es gibt keinen Zu- sammenhang zwischen diesen Dingen?)

- Ich sehe keinen Zusammenhang.

Das war eine klare Antwort. Danke sehr. - Das Wort erhält die Abgeordnete Schulz, die Gelegenheit hat, die Frage 825 (Dif- ferenziertere Bezugsdauer bei Arbeitslosengeld nach dem SGB III) zu formulieren.

Die Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes beträgt für Personen, die 24 Monate versicherungspflichtig beschäftigt waren, zwölf Monate. Für diejenigen, die zehn oder 20 Jahre versicherungspflichtig beschäftigt waren, beträgt sie ebenfalls nur

zwölf Monate. Damit werden ältere Arbeitnehmer, die kaum noch ein Chance auf Arbeit haben - das ist eine Tatsache -, denjenigen gleichgestellt, die nur kurzzeitig tätig waren. Nach einem arbeitsreichen Leben werden die älteren Arbeitnehmer nach einem Jahr ALG-II-Empfänger. Diese Ungleichbehandlung wird als zutiefst ungerecht empfunden.

Ich frage die Landesregierung: Welche Möglichkeiten sieht sie, initiativ zu werden, um auf Bundesebene eine ausgewogenere Lösung bezüglich dieser Ungleichbehandlung herbeizuführen? - Insofern Sie meine Auffassung teilen.

(Frau Kaiser [Die Linkspartei.PDS]: Da sind wir jetzt auch gespannt!)

Vielen Dank. - Die Frage beantwortet Staatssekretär Alber.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Abgeordnete Schulz, zunächst eine Klarstellung: Mit dem Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom Dezember 2003 wurde die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf grundsätzlich zwölf Monate begrenzt. Für ältere Arbeitslose ab 55 Jahre gilt eine längere Frist - grundsätzlich 18 Monate.

Der Bundesgesetzgeber verfolgte mit der Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes das Ziel, die Kosten für die Arbeitslosenversicherung zu senken und somit neue Spielräume für eine Reduzierung der Lohnnebenkosten zu eröffnen.

Ein weiteres Ziel, das mit der Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld verbunden ist, ist der Abbau der Anreize zur Frühberentung. Die frühere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von bis zu 32 Monaten hat dazu geführt, dass sich vor allem große Unternehmen ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Kosten der Solidargemeinschaft, auf Kosten der Beitragszahler entledigt haben. Diese Frühberentungspraxis können wir uns aus demografischen und finanziellen Gründen nicht länger leisten.

Mit Bezug auf die von Ihnen beschriebene vermeintliche Ungleichbehandlung von älteren und jüngeren Arbeitslosen möchte ich auch zu bedenken geben, dass die Arbeitslosenversicherung eine solidarische Risikoversicherung und keine Ansparversicherung ist. Die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit hängt nicht von der Dauer der vorherigen Beitragsleistung ab. Die Prinzipien der Arbeitslosenversicherung gleichen nicht denen der Rentenversicherung. Angespart wird nicht eine möglichst hohe Leistung im Alter, sondern um das Risiko Verdienstausfall durch Arbeitslosigkeit abzusichern.

Wichtig ist mir zu betonen, dass die Regelung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes mit verstärkten Anstrengungen einhergehen muss, die Integration - insbesondere der Älteren - in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Hierzu gibt es unter anderem bereits das Sonderprogramm zur „Weiterbildung gering qualifizierter und beschäftigter Älterer in Unternehmen“ des BMAS.

Darüber hinaus bereitet der Bund - wie Sie sicherlich wissen derzeit ein Programm „Initiative 50+“ vor. Das Land unter

stützt die Integration von Älteren in den Arbeitsmarkt mit der „Akademie 50+“.

Sie können daraus entnehmen, dass die Landesregierung keine Notwendigkeit sieht, auf bundespolitischer Ebene aktiv zu werden, um die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für Ältere wieder zu verlängern. Im Übrigen sehe ich auch für eine solche Initiative auf Bundesebene keine Mehrheiten.

(Frau Kaiser [Die Linkspartei.PDS]: Aber sie haben Überschüsse in Höhe von 6 Milliarden Euro!)

Wir kommen jetzt zur nächsten Frage. Die Frage 822, die mit der Frage 826 getauscht wurde, wird mit der Frage 795 (Vorur- teilen gegen die Sinti und Roma keinen Raum geben) getauscht, die Frau Abgeordnete Stobrawa stellt.

Im vorigen Monat hat sich der Ministerpräsident mit dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma getroffen. Hintergrund war ein Leserbrief in der Zeitschrift „der kriminalist“, in der ein bayerischer Kriminalbeamter die Minderheit verunglimpfte. Er sprach von den Sinti und Roma als einer Volksgruppe mit einer „abgeschotteten und zum Teil konspirativen Lebensweise“ und unterstellte ihnen als Ganzes kriminelles Verhalten. Die Legitimation für Diebstahl, Betrug und Sozialschmarotzerei nähmen sie „aus dem Umstand der Verfolgung im Dritten Reich“.

Statt unzweideutiger Distanzierung vom Gesagten forderte eine Brandenburger Ministerin nachfolgend Verständnis von den Betroffenen, denn schließlich sei die Presse- und Meinungsfreiheit angesichts „unserer historischen Erfahrungen“ ein hohes Gut. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin meinte mitteilen zu müssen, dass es sich bei dem Leserbrief um „eine kritische und pointierte“ Auseinandersetzung gehandelt habe. Der Generalstaatsanwalt bezeichnete die Aussagen als „im Wesentlichen tatsachenhaltige Werturteile“.

Nun liegt nicht nur eine Beschwerde des Zentralrats in dieser Sache beim UNO-Ausschuss gegen Rassismus vor, sondern Romani Rose hat der Landesregierung auch zwei Vorschläge für gesetzgeberische Maßnahmen vorgelegt.

Ich frage daher: Welche grundsätzliche Haltung hat die Landesregierung zu den Ende August überreichten Gesetzgebungsvorschlägen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma?

Frau Ministerin Blechinger, bitte.