Werte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine unselige Vergangenheit kehrt derzeit zurück. Ich meine die DDRVergangenheit und insbesondere die Vergangenheit des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit, kurz Stasi genannt.
Versuchen wir uns einmal, in folgende Situation hineinzuversetzen. Ehemalige Häftlinge der DDR berichten über ihre Zeit damals im Gefängnis, über Misshandlungen, psychische Qualen und über Todesängste. Sie ernten dafür öffentlich die Beschimpfung „Lügner“ und höhnisches Gelächter von denen, die damals die Verantwortung trugen. Szenen wie diese häufen sich, nicht nur in Hohenschönhausen. Einstige Stasi-Offiziere melden sich immer lauter zu Wort. Besonders beschämend dabei ist: Wir Steuerzahler finanzieren diese Propaganda mit. Steuergeschenke für Geschichtslügen und diesmal sind es wirkliche Geschichtslügen.
Doch es kommt noch schlimmer. Der Generalsekretär des Internationalen Sachsenhausen-Komitees Hans Rentmeister räumte ein, hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein. Derselbe Herr Rentmeister, der Sie, Herr Minister Schönbohm, bei einer Gedenkveranstaltung in Sachsenhausen kürzlich bekanntlich heftig kritisierte, weil Sie auch der Opfer gedachten, die in dem nach 1945 von den Sowjets auf dem Gelände eingerichteten Speziallager gelitten haben.
Ich erinnere daran, dass Mitglieder unserer Fraktion vor eineinhalb Jahren von der offiziellen Veranstaltung im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen ausgeladen wurden, nur weil sie mit einem Kranz, ähnlich wie der Herr Innenminister Schönbohm, auch der Opfer des NKWD-Speziallagers nach 1945 gedenken wollten. Dass dies den alten SED-Stasi-Seilschaften, der PDS, aber auch den so genannten anderen Linken oder linksliberalen bis linksextremistischen Pseudoberufsantifaschisten - wie sie sich selber nennen - nicht passt, ist uns schon klar. Es verwundert daher auch nicht, dass diese Kreise alles daran setzen, dass das Stasi-Unterlagengesetz und die Birthler-Behörde in Vergessenheit geraten.
Ist es nicht beispielsweise die PDS-Fraktion in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung, Herr Innenausschussvorsitzender Dr. Scharfenberg, welche sich seit der Wende konsequent einer Stasi-Überprüfung entzieht? Mit unserer DVU-Fraktion wird dieses Unrecht jedenfalls nicht in Vergessenheit geraten. Das versprechen wir Ihnen.
Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund des soeben Gesagten läuft im Dezember 2006 nach der bisherigen Regelung die fünfzehnjährige Frist ab, innerhalb derer unter anderem Regierungsmitglieder, Beamte, Richter und sonstige öffentliche Bedienstete auf eine frühere Mitgliedschaft beim Ministerium für Staatssicherheit der DDR oder bei der ihr zugeordneten Kriminalpolizei überprüft werden können. Unerträglich ist für uns die Tatsache, dass heute wieder ehemalige Angehörige, zum Teil sogar hohe Offiziere der Stasi über von ihnen gegründete Vereine Einfluss auf die politische Öffentlichkeit mittels gezielter Geschichtsfälschungen und Provokationen bezüglich der Tätigkeit der Staatssicherheit zu nehmen versuchen und ihre ehemaligen Opfer bewusst verhöhnen.
Unerträglich ist auch, dass es noch heute, 15 Jahre nach dem In-Kraft-Treten des Stasi-Unterlagengesetzes, keine vollständige Aufklärung gibt. Niemand weiß genau, welche Personen in öffentlichen Positionen, ob gewählte oder Beamte, für das frühere MfS tätig gewesen sind. Dies gilt auch für eventuelle Neueinstellungen.
Es ist ein Gebot der Stunde und zum Schutz unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates, die Überprüfung von Trägern öffentlicher Ämter nach dem Stasi-Unterlagengesetz weiterhin durchzuführen, auf dass diese diabolische Krake nie mehr ihr Haupt erhebt. - Wer für Demokratie und Rechtsstaat, gegen DDR-Unrecht und Stasi-Terror ist, der stimmt für den von uns vorgelegten Antrag.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ruft schon ein außergewöhnliches Erstaunen hervor, dass gerade von dieser Fraktion, der undemokratischsten aller Fraktionen in diesem Hause, dieser Antrag kommt.
Ich habe hier sicherlich keine Empfehlungen zu geben. Aber Sie sollten einmal Ihr grundsätzliches Verständnis der demokratischen Rechtsordnung hinterfragen. Sie sollten sich einmal überlegen, in welcher Tradition Sie selbst als Partei und als Fraktion stehen. Da dreht es einem schon den Magen um, wenn man so etwas liest und dazu eine solche Rede hört.
Frau Fechner hat, als sie in der Aussprache zum vorherigen Tagesordnungspunkt den Verfassungsschutz als „Schnüffelbehörde“ bezeichnete, wieder deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es nötig ist, ihr Verhältnis zum demokratischen Staat, zur demokratischen Grundordnung in Ordnung zu bringen. Nehmen Sie doch endlich einmal den Unterschied zur Kenntnis: Das Machtinstrument der SED war in der Tat eine Krake, ohne gesetzliche Grundlagen, ohne demokratische Legitimierung und ohne parlamentarische Kontrolle; jeder konnte einfach
machen, was er wollte. Heute hingegen gibt es einen Verfassungsschutz, der, weil er auf dem Grundgesetz bzw. auf der Landesverfassung beruht, eine gesetzliche Grundlage und eine parlamentarische Kontrolle hat. Diesen lehnen Sie am laufenden Band ab, stellen Sie immer wieder infrage, wollen Sie nicht mehr finanzieren. Bei jeder Haushaltsdebatte kommen dazu Ihre Anträge.
Ein Zweites: Sie wollen eine Bundesratsinitiative. Sie wissen ganz genau, wie Bundesratsinitiativen laufen und wer dafür zuständig ist. Das macht mich insofern wütend und versetzt mich in Erstaunen, als wir gerade gestern in diesem Hause eine Föderalismusdebatte hatten, anlässlich derer wir uns über bestimmte Dinge, die derzeit in Bewegung sind, unterhalten haben. Sie haben sich dieser Debatte entzogen. Auch das zeigt, dass Sie kein demokratisches Grundverständnis für diese Dinge haben.
Auf der einen Seite entziehen Sie sich der Debatte, auf der anderen Seite fordern Sie genau diese Instrumente. Also, hören Sie auf mit Ihrer Bigotterie. - So viel zu den Formalien und zu Ihnen selbst.
Herr Kollege Werner, Sie sprechen von unserer Tradition. Ist Ihnen bekannt, dass unsere Partei erst 1987 gegründet worden ist?
Also, von welcher Tradition sprechen Sie? - Wir sind eine Partei, die sich ohne Wenn und Aber zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt.
Das beweisen Sie ja, wie ich gerade sagte, jedes Jahr dadurch, wie Sie sich beispielsweise gegenüber dem Verfassungsschutz verhalten. Es muss ja nicht unbedingt eine direkte Fortsetzung einer Parteilinie geben. Es gibt ja auch eine geistige Verwandtschaft, eine geistige Hinterlassenschaft, um das einmal deutlich festzustellen.
- Auf der Seite wäre ich mit dem Beifall ein bisschen vorsichtig, um das auch einmal mit aller Deutlichkeit zu sagen.
Um zur Sache zu kommen: Es ist in der Tat so, dass Ende dieses Jahres eine Verfristung eintritt. Es war sicherlich vor 15 Jahren, als das Gesetz entstanden ist, nicht absehbar, dass diese Aufgabe nach 15 Jahren noch nicht erledigt sein wird. Von daher halte ich es für außerordentlich wichtig, dass es eine Änderung gibt, jedoch nicht nur in diesem Bereich. Es gehört dazu, dass dieses Gesetz umfassend überarbeitet wird; denn das, was Sie hier beantragen, deckt nur einen Teilbereich einer großen, umfassenden Thematik ab.
Es geht - ich will nur einige Stichpunkte nennen - auch um den Umgang mit den Unterlagen Verstorbener, es geht um den Umgang mit dem Recht auf Selbstauskunft, zum Beispiel um die veränderte Regelung bezüglich des Auskunftsrechts für Personen des öffentlichen Lebens usw. usf.
Wenn wir Ihren Antrag also heute gesondert behandeln würden, würde das eine Herauslösung einer einzelnen Thematik aus einer komplexen Materie bedeuten. Es muss also eine Paketlösung geben. Es muss an dieses Gesetz insgesamt herangegangen werden. Das ist derzeit im Gange. Frau Birthler hat es angemahnt. Diese Initiativen sind derzeit in Vorbereitung. Es gibt zwar noch keine Entwürfe, aber die große Koalition in Berlin befindet sich in ersten Abstimmungsprozessen dazu. Deshalb sind wir auch guter Hoffnung, dass es bis zum Jahresende eine Überarbeitung des Gesetzes geben wird. Es ist allen bekannt, dass die Fristen ablaufen und dass es notwendig ist, dies zeitlich auf die Reihe zu kriegen.
Ich bin, um das abschließend noch einmal deutlich zu machen, dafür, dass diese schlimme Geschichte weiterhin aufgearbeitet wird, und dass die Archive offen gehalten werden. Gerade auch vor dem Hintergrund dessen, was ich gestern im Rahmen einer mündlichen Anfrage darzustellen versucht habe, vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Aktivitäten ehemaliger StasiMitarbeiter, ist es außerordentlich notwendig, sich dieser Vergangenheit zu stellen, und diese Vergangenheit weiterhin einer entsprechenden Bewertung und Aufarbeitung zu unterziehen. Dazu bedarf es unter den jetzigen Umständen und unter dem Aspekt, dass es in der großen Koalition dazu Gespräche gibt, jedoch nicht Ihres Antrags. Darauf können wir gern verzichten. - Danke schön.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die DVU will heute wieder einmal den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat schützen. Es geht um die Vermeidung „linksextremistischer antidemokratischer Infiltration“, heißt es. Insoweit ist die Trennlinie also klar gezogen. Sie beklagen, dass 15 Jahre nach In-KraftTreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes die Frist auslaufe, innerhalb derer Regierungsmitglieder, Beamte, Richter und sonstige öffentliche Bedienstete auf eine frühere Mitarbeit im MfS über
prüft werden können. Ihre Bundesratsinitiative will nun jegliche Befristungsregelungen ersatzlos streichen. In der Sache selbst ist aber dieser Antrag nicht hilfreich, wenn Sie hier, wie vorgetragen, eigentlich eine andere Auseinandersetzung, nämlich die zu Sachsenhausen, führen wollen.
Es ist in dieser Frage immer bildend, den ehemaligen Bundestagspräsidenten Thierse zur Kenntnis zu nehmen. In der „Lausitzer Rundschau“ antwortete er gestern auf die Frage, wie mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz umzugehen sein werde:
„Ja, wir diskutieren über eine Veränderung des StasiUnterlagen-Gesetzes. Neben technischen Dingen geht es dabei um Überprüfungen für Personen in herausgehobener Stellung auch nach 2006. Ich sage: Schluss mit der Regelanfrage. Aber bei Personen mit herausgehobener politischer Verantwortung muss die Stasi-Überprüfung auch in Zukunft erlaubt sein. Das betrifft Minister genauso wie Abgeordnete.“
Der Bundestag wird also beraten, wie mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz umzugehen sein wird. Schon 2002 ging es bei einer öffentlichen Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages anlässlich der zehnjährigen Geltung des StasiUnterlagen-Gesetzes um diese Frage. Dr. Dix, unser ehemaliger Landesbeauftragter für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht, führte als Sachverständiger damals aus:
„Die Verwendung von Informationen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit für Zwecke der Prüfung von Personen auf eine mögliche Mitarbeit ist auf einen Zeitraum von 15 Jahren begrenzt. Es besteht keine Veranlassung, diese Frist zu verändern, also insbesondere zu verkürzen. Allerdings sind die öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen gehalten, vor der Entscheidung über eine Anfrage bei der Bundesbeauftragten für die StasiUnterlagen sorgfältiger als bisher zu prüfen, inwiefern eine Überprüfung von Personen auf eine mögliche frühere Zusammenarbeit mit dem MfS auch im elften Jahr nach der deutschen Einigung noch erforderlich ist. Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Dabei spielen insbesondere auch Fragen der Bedeutung der jeweiligen Tätigkeiten und des jeweiligen Amtsverhältnisses eine Rolle. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz begründet jedenfalls keine Verpflichtung, pauschal bestimmte Personenkreise durch Anfrage bei der Bundesbeauftragten zu überprüfen. Die anfrageberechtigten Stellen sollten bei der Ausübung ihres Ermessens schon vor dem 1. Januar 2007 die bisher verstrichene Zeit berücksichtigen. Auch soweit es sich nicht um so genannte Jugendsünden handelt, die nach dem geltenden Stasi-Unterlagen-Gesetz ohnehin außer Betracht zu bleiben haben, sollte zunehmend das Verhalten der zu überprüfenden Personen unter der Geltung des Grundgesetzes in den Vordergrund treten.“