Protocol of the Session on October 28, 2004

Mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt sollen zum 01.01.2005 die gravierendsten sozialen Veränderungen seit Gründung der Bundesrepublik wirksam werden. Hartz IV bewegt die Menschen im Land. Die Proteste gegen den damit verbundenen Sozialabbau haben noch nicht aufgehört. Der Rücklauf der Anträge macht allerdings deutlich: Es macht sich Resignation - eine andere Form des Protestes breit. Das ist weder für die demokratische Entwicklung in unserem Land noch für die Mitnahme der Bürgerinnen und Bürger bei Reformen gut. Ohne diese Proteste - davon bin ich überzeugt - wäre es nicht zu Korrekturen und zu Forderungen der Ministerpräsidenten nach Änderungen gekommen.

Reformen sind notwendig. Dazu steht die PDS. Die Betreuung, Beratung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern aus einer Hand ist zweifelsohne richtig. Aber der beschäftigungspolitische Ansatz von Hartz IV zeigt in die falsche Richtung.

Nicht die Arbeitslosigkeit wird damit bekämpft, sondern die Arbeitslosen werden damit bekämpft. Auch wenn wir den Vermittlungsschlüssel auf 1 : 75 reduzieren, ändern wir die Situation nicht, weil die Arbeitsplätze nicht vorhanden sind.

(Beifall bei der PDS)

Es soll die Aufnahme von Arbeit erzwungen werden, die es nicht gibt.

Hartz IV ist somit der zweite Schritt vor dem ersten. Dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, wie Hartz IV auch wohlklingend genannt wird, hätte eigentlich ein Gesetz zur Beschaffung von Arbeit und zur Entwicklung des Arbeitsmarktes vorausgehen müssen.

(Beifall bei der PDS)

Mit Hartz IV wird die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben befördert und die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben.

(Widerspruch des Abgeordneten Schulze [SPD])

Hartz IV schafft keinen einzigen Arbeitsplatz. Wir haben gewiss unterschiedliche Auffassungen - die werden wir damit auch nicht beseitigen -,

(Schulze [SPD]: Sagen Sie doch einmal etwas anderes! Nicht immer diese Phrasen!)

ob mit den 1- bis 2-Euro-Jobs versicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängt werden und neue in einem geringerem Maße entstehen. Ich erinnere hier auch an die Befürchtung der Ministerin und ihre Aussage, dass dazu entsprechende Kontrollme

chanismen einzusetzen sind. Auch das ist eine Möglichkeit, unserem Antrag punktuell zuzustimmen.

(Beifall bei der PDS)

Ferner möchte ich an dieser Stelle klarstellen, dass sich die PDS seit Jahren dafür ausspricht, Arbeitsplätze im gemeinwohlorientierten Bereich zu schaffen. Aber diese müssen letztlich existenzsichernd sein.

Wir haben in Deutschland schon niedrige Löhne. Das darf nicht noch weiter verstärkt werden. Die Auswirkungen sind klar: Kaufkraftverluste.

Die Klagen der Einzelhandelsverbände, der Handwerker und der Unternehmer über den Rückgang der Kaufkraft belegen diesen Prozess eindeutig. Unser Ziel ist es daher, grundlegende Veränderungen auf den Weg zu bringen und das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zunächst aufzuheben. Eine entsprechende Initiative der Landesregierung über den Bundesrat ist Punkt I unseres Antrages.

Wir sind allerdings auch illusionslos und wissen, dass es wenig wahrscheinlich ist, dass die PDS hierzu in diesem Haus die Mehrheit erhält. Wir sind allerdings nicht hoffnungslos, denn im Koalitionsvertrag werden Nachbesserungen zu Hartz IV genannt. Leider habe ich das jedoch in der Regierungserklärung vermisst.

(Beifall bei der PDS)

Dass es Nachbesserungen bedarf, bestätigt ja auch die Frau Minister. Allerdings halten wir die Monitoringgruppe für nicht geeignet, diese erforderlichen Verbesserungen auf einen gesetzlichen Weg zu bringen. Deshalb wird es spannend sein zu beobachten, wie die Regierung die im Koalitionsvertrag genannten Verbesserungen auf den Weg bringen möchte.

Auch im Wahlkampf hat sich der Ministerpräsident zu Veränderungen bei den Regelleistungen bekannt. Die Landesregierung steht also bei den Bürgerinnen und Bürgern in der Pflicht.

Die wichtigsten Forderungen nach Veränderungen sind im Punkt II des PDS-Antrages formuliert. Die meisten sind Ihnen aus den Auseinandersetzungen in den letzten Monaten bekannt: die ungleichen Regelleistungen in Ost und West, die Höhe des Arbeitslosengeldes II, die so genannte 58er-Regelung und die Zumutbarkeitsregelung. Ebenso bekannt sind die Befürchtungen im Zusammenhang mit den so genannten 1- bis 2-Euro-Jobs, ihre Auswirkungen auf die regulären Beschäftigungsverhältnisse und die Konsequenzen aus der verstärkten Anrechnung der Partnereinkommen.

Eine Anmerkung zum Partnereinkommen. Eine eheähnliche Gemeinschaft wird von Hartz IV als so genannte Bedarfsgemeinschaft betrachtet und behandelt. Bei nicht verheirateten Partnern kann also die Konsequenz eintreten, dass der arbeitslose Partner überhaupt keine Leistungen mehr erhält und - das ist eigentlich das Problem - damit nicht mehr krankenversichert werden kann. Im Unterschied zum verheirateten Partner ist er nicht über die gesetzliche Krankenversicherung familienversichert. Die Krankenversicherung muss vom Lebenspartner übernommen werden.

Dazu haben wir keinen gesonderten Punkt formuliert, sondern wollen das mit dem von uns vorgeschlagenen Freibetrag von 1 000 Euro pro Bedarfsgemeinschaft lösen. Jetzt werden die Leute praktisch animiert, entweder zu heiraten oder ihre Bedarfsgemeinschaft aufzulösen. Darunter werden am meisten die Kinder leiden, die in diesen Bedarfsgemeinschaften leben.

Dabei wird die Auflösung dieser Partnerschaft jedoch zu mehr Wohnbedarf und damit höheren Kosten führen. Das Problem wird damit verschärft und nicht gelöst.

(Beifall bei der PDS)

Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung. Handlungsbedarf gibt es nach unserer Meinung auch bei der Entschädigung des Ehrenamtes. Frau Minister hat uns Hoffnungen gemacht, dass es dazu eine veränderte Regelung geben wird. Ich gehe davon aus, dass unser Antrag auch in diesem Punkt Zustimmung finden wird.

So wie Hartz IV zurzeit angelegt ist, ist es eine Kombination von Leistungskürzungen und Sanktionen. Mit unserem Antrag sollen die schlimmsten Auswüchse des Gesetzes gemildert werden. Natürlich steht für uns die Aufhebung des Gesetzes im Vordergrund. Die PDS beantragt aus diesem Grund eine getrennte Abstimmung und über Einzelpunkte eine namentliche Abstimmung. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Für die Fraktion der SPD spricht jetzt die Abgeordnete Dr. Schröder. - Gestatten Sie mir bitte, zuvor eine Information zu korrigieren. Mir wurde vorhin gesagt, dass Schüler der 9. Klasse des Fontane-Gymnasiums aus Strausberg hier seien. Strausberg sei richtig. - So lange ein hohes Haus noch in der Lage ist, Irrtümer oder Falschmeldungen selbst zu erkennen, ist die Hoffnung nicht verloren.

(Beifall bei der PDS)

Bitte, Frau Dr. Schröder, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was uns heute von der PDS zur Beratung vorliegt, ist Verklärung per Antrag. Nun könnten wir sagen „Weg damit!“ aber so leicht machen wir es Ihnen und uns nicht; denn meiner Fraktion geht es um Aufklärung statt Verklärung. Sie haben die Intentionen des SGB II nie in Gänze verstanden.

(Zurufe der Abgeordneten Dr. Enkelmann [PDS])

Aus meiner Sicht sind Sie zwei Grundirrtümern erlegen. Erstens: Grundsicherung heißt nicht staatliche Absicherung des gewohnten Lebensstandards auf Dauer, sondern heißt staatliche Sicherung des Lebensunterhalts. Mit dem Arbeitslosengeld II wird den in Not - sprich Arbeitslosigkeit - Geratenen ein Rettungsring zugeworfen. Wir wollen aber nicht, meine Damen und Herren, dass die- oder derjenige mit dem Rettungsring ewig im Wasser treibt. Wir wollen Hilfebedürftige dort heraus

holen, also Arbeitslose wieder in das Beschäftigungssystem eingliedern, sodass sie eben nicht auf Dauer vom Arbeitslosengeld II leben müssen.

Zweitens: Wir sprechen bei Hartz I, II, III, IV über Arbeitsmarktpolitik, also im Kern über verbesserte Eingliederung durch moderne Arbeitsvermittlungs-, Beratungs- und Betreuungsdienstleistungen. Niemand hat jemals behauptet, dass sich allein über Hartz IV das Beschäftigungsproblem lösen ließe. Hierzu müssten Arbeitsmarkt-, Finanz- und Wirtschaftspolitik ineinander greifen.

Meine Damen und Herren, die PDS unterstellt der Bundesregierung unlautere Motive für die von ihr eingeleiteten Reformen am Arbeitsmarkt. Sie spricht von einem Missbrauch der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur Durchsetzung massiver Leistungskürzungen und von Sanktionen gegenüber Arbeitslosen.

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Das ist Fakt!)

Ich frage Sie: Ist es gerecht, wenn heutige Sozialhilfeempfänger als Arbeitsuchende dritter Klasse behandelt werden und keine Maßnahmen der Arbeitsförderung in Anspruch nehmen können?

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Nein, das ist nicht gerecht! Das ist auch gar nicht der Streitpunkt!)

Oder ist es gerecht, wenn jemand aufgrund eines früheren hohen Einkommens auf Jahre eine relativ hohe Arbeitslosenhilfe bezieht - steuer- und nicht beitragsfinanziert, wohlgemerkt und ein anderer noch nicht einmal so viel netto in der Tasche hat, obwohl er für seinen Niedriglohn tagtäglich schwer arbeitet und dann auch noch über Steuerabführung die Arbeitslosenhilfe mitfinanziert?

(Beifall bei der SPD sowie Zurufe bei der PDS)

Oder ist es ungerecht, dass Einkommens- und Vermögensverhältnisse geprüft werden, wenn Steuergelder wirklich Hilfebedürftigen zugute kommen sollen? - Ich sage Nein.

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Genau, nein!)

Zu Ihren so genannten acht Änderungsvorschlägen im Einzelnen: In den Punkten 1, 2 und 4 tragen Sie - das wissen Sie auch - Eulen nach Athen. Die Angleichung der Regelleistungen in Ost und West ist im Koalitionsvertrag als ausdrückliche Zielstellung verankert.

(Zuruf von der PDS: Dann stimmen Sie doch zu!)

Die Bundesregierung hat nach Prüfung aktueller Statistiken zur Höhe der Lebenshaltungskosten in Ost und West bereits Bereitschaft zur Angleichung signalisiert. Der Bestandsschutz bei der so genannten 58er-Regelung ist längst Gegenstand aktueller Beratungen in der Steuerungsgruppe

(Zuruf von der PDS: Wurde dort aber abgelehnt!)