Warum gerade dieser Weg? Hebammen und Ärzte, in der Regel Kinderärzte, sehen ein Kind häufiger, als der öffentliche Gesundheitsdienst es überhaupt leisten kann. Der Arzt kann also im Einzelfall Entwicklungstendenzen des Kindes beurteilen, weil er das Kind in Abständen immer wieder sieht. Ärzte sind durch die Richtlinie der Bundesvereinigung der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung gehalten, bei diesen Untersuchungen alle Entwicklungsauffälligkeiten, angefangen bei Krankheiten über Sprachstörungen, Kleinwuchs, Dickleibigkeit bis hin zu Symptomen von Vernachlässigung, festzustellen. Ärzte erkennen auch am ehesten, ob ein Kind misshandelt worden oder durch einen Unfall zu Schaden gekommen ist, also nur gestolpert ist oder dergleichen.
Der zweite Punkt, der mir sagt, es ist vernünftig, gerade diese Untersuchung zur Pflicht zu machen: Die U-1- bis U-10-Untersuchungen regelt ein Bundesgesetz. Das gilt also heute schon in allen 16 Bundesländern. Ziehen Eltern von Brandenburg in ein anderes Bundesland, haben sie dort mit einem anderen Landesrecht umzugehen. Sind diese bundesrechtlich geregelten Untersuchungen dann einheitlich in allen Bundesländern gül
tig, haben die Eltern keine Probleme. Sie wissen, wenn sie von Brandenburg nach Hessen ziehen, wird dort wie in Brandenburg verfahren. Ich finde das gerade in diesem Bereich überhaupt nicht verkehrt.
Meine Damen und Herren, wir wollen uns mit Ausreden, dass das gesetzlich nicht regelbar sei, nicht mehr zufrieden geben. Es geht um die Zukunft der Kinder, die in diesem Land in Gefahr sind. Wenn die Gesellschaft es zulässt, dass Kinder, die sich noch nicht verständlich machen können, oder Kinder, die in einem starken Abhängigkeitsverhältnis aufwachsen, in ihrer Menschenwürde verletzt werden, und tatenlos zusieht, muss sie später ungleich mehr an „Reparaturkosten“ für diese kranken Seelen aufwenden. Früherkennung und frühes Eingreifen sowie Fördern sind wichtiger als je zuvor.
Wir haben uns lange mit der Frage auseinander gesetzt, ob wir damit Familienrechte nach dem Grundgesetz berühren. Ich finde, wir tun das dort überhaupt nicht, wo Eltern ihr Erziehungsrecht bzw. ihre Elternpflicht wahrnehmen und sich auch so verhalten. Für diese Eltern - das ist die große Mehrheit - ist es selbstverständlich, Untersuchungen im Interesse ihres Kindes wahrzunehmen. Wo aber Eltern nur Rechte in Anspruch nehmen und Verpflichtungen nicht erfüllen, greifen wir ein - ich meine, zu Recht; denn der Erhalt des Kindeswohls ist für mich ein größeres Gut als die Rechte von Eltern und Familien. Nach meinem Verständnis muss Staat da ein Wächteramt ausüben, wo Kindeswohl gefährdet wird.
Natürlich haben wir überlegt, wie man die Eltern erreichen kann, die schon heute die Angebote nicht annehmen, also die rund 20 %. Was kann man tun? Meiner Ansicht nach geht das sicher besser über ein Bonussystem als über Sanktionen. Man könnte darüber nachdenken, ob wir im Bund zu einem Grundkindergeld kommen und dann für diese abgeleisteten Konsultationen bei den Kinderärzten über ein Bonussystem etwas dazugeben. Aber das sollen andere entscheiden.
Die Landesregierung soll mit diesem Antrag aufgefordert werden zu prüfen, wo man zukünftig die Pflicht zur Konsultation bei Ärzten festschreibt und wie man das erreicht.
Eigentlich ging der CDU-Fraktion dieser Antrag nicht weit genug. Wir hätten gern sofort eine Bundesratsinitiative gehabt, aber ich meine, einen kleinen Augenblick Geduld sollten wir haben, um noch genauer zu prüfen; in anderen Bundesländern wird das auch getan. Wir werden uns demnächst im Saarland einfinden und uns dort beraten. Aber es muss nach unserem Verständnis sehr schnell eine Veränderung erreicht werden. Deshalb bitte ich an dieser Stelle um Zustimmung zu unserem Antrag. Ich werbe gerade im Interesse gefährdeter Kinder in unserem Land für ihn.
da. Ich habe den gestrigen Abend als Agitation und Propaganda empfunden. Sie sind die sozialste Partei dieses Landes, haben Sie gestern gesagt. Ihre Partei hat mit ihrem Unvermögen, die Balance zwischen Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik zu halten, einen Staat in Grund und Boden gewirtschaftet. Meines Erachtens war es gut, dass dies geschehen ist. Ich möchte jedoch nicht, dass die Bundesrepublik aufgrund solcher Dinge irgendwann in Gefahr gerät.
Das waren elf Minuten Redezeit, Frau Abgeordnete. Ich gebe folgenden Hinweis: Wenn man noch eine Minute Redezeit hat, leuchtet die gelbe Lampe auf. Ist die Redezeit ausgeschöpft, leuchtet die rote Lampe auf.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich sagte bereits in der gestrigen Aktuellen Stunde, dass die Fraktion der Linkspartei.PDS dem Vorschlag, die so genannten U-Untersuchungen verpflichtend zu machen, durchaus positiv gegenübersteht.
Lassen Sie mich aber auch aus der Stellungnahme des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte zitieren:
„Gegen Kindervernachlässigung gibt es keine Wunderwaffen. Wer kinderärztliche Vorsorgeuntersuchungen zu einem staatlichen Kontrollinstrument umwidmen will, scheut sorgfältige Analyse oder hat andere Ziele. Das komplexe Problem der Kindesmisshandlung muss komplex angegangen werden.“
Deshalb macht dieser Antrag auch einige kritische Anmerkungen notwendig. Der Antrag fordert die Landesregierung auf zu prüfen, ob die Möglichkeit einer Bundesratsinitiative besteht, diese Untersuchungen zu Pflichtuntersuchungen zu machen. Vom „prüfen können“ und „prüfen sollen“ ist nahezu in jedem Satz zu lesen.
Gestern sagte Frau Ministerin Ziegler eine solche Prüfung eigentlich zu. Allerdings - das freute uns besonders - bezog sie sich dabei auf eine inhaltliche Prüfung, weshalb ich einen Teil Ihrer gestrigen Rede zitiere:
„Ich plädiere nachdrücklich dafür, umgehend zu prüfen, ob die Früherkennungsuntersuchungen nach SGB V ein ausreichendes Instrument sind, um Vernachlässigungen und Misshandlungen rechtzeitig zu erkennen bzw. auszuschließen. Das wird noch zu diskutieren sein.“
Genau dieses von Ihnen unterbreitete Diskussionsangebot -: „über die Parteien und Fraktionen hinweg zum Wohle unserer Kinder“ - möchten wir gern annehmen. Deshalb bitten wir Sie heute, unserem Antrag auf Überweisung an den zuständigen
Wir weichen einer inhaltlichen Positionsbestimmung nicht aus und sagen Ja zu dem Ziel, die Frühuntersuchungen U 1 bis U 10 verpflichtend zu machen. Wir sagen jedoch ganz deutlich Nein zur Verknüpfung dieser Verpflichtungen mit Sanktionen wie der Streichung des Kindergeldes oder sogar der Streichung des Kita-Platzes, was bereits in der Presse stand.
Diese Verknüpfungen haben Sie etwas verschämt ans Ende der Antragsbegründung geschoben und mit dem Konjunktiv abgesichert. Ich hoffe, dies hängt damit zusammen, dass die SPDFraktion die rigiden Positionen der CDU-Fraktion nicht vorbehaltlos mitträgt.
Vonseiten der CDU-Fraktion gibt es auch aus anderen Bundesländern - etwa in Hamburg, im Saarland oder in Berlin - vergleichbare Vorschläge und Forderungen. Dabei werden immer wieder zwei Sachverhalte verknüpft. Zum einen die von uns gewollte Umwandlung der freiwilligen Vorsorgeuntersuchungen in Pflichtuntersuchungen und zum anderen die Instrumentalisierung dieser Untersuchungen für die im Übrigen sehr vage Aufdeckung von Misshandlung oder Vernachlässigung. Bei der CDU-Fraktion kommt dann auch noch die Sanktion dazu. Diese Verquickung ist untauglich und hilft niemandem - am wenigsten unseren Kindern.
Wir favorisieren eindeutig - ich bin erfreut, Frau Hartfelder, dass auch Sie sich heute dazu durchgerungen haben - positive Anreize, wofür es im Gesundheitswesen viele Beispiele gibt, unter anderem die Bonusregelungen beim Zahnersatz, die uns allen bekannt sind. Unseren Krankenkassen fällt bestimmt auch etwas zu den U-Untersuchungen ein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist wohl der bessere Weg, wenn der Landtag erst einmal selbst eine inhaltliche Position bestimmt und an die Landesregierung heranträgt, die sie dann umsetzen soll.
Beim gesundheitspolitischen Ziel der Prävention, Früherkennung und Vermeidung gesundheitlicher Fehlentwicklungen dürften wir nicht weit auseinander liegen. Jedoch halten wir die Debatte über den richtigen Weg zum Ziel für ebenso wichtig. Wir möchten vorher wissen, wofür sich die Landesregierung konkret einsetzt. Weil der vermeintlich gute Zweck nicht alle Mittel heiligt, wird die Linkspartei.PDS keine Blankounterschrift in Form einer Zustimmung geben. Diesbezüglich schließen wir uns wieder dem Verband der Kinder- und Jugendärzte an, der Folgendes dazu sagt:
„Wir Kinder- und Jugendärzte unterstützen und fordern alle Hilfen und Maßnahmen für Kinder und deren Familien in sozialer Bedrängnis. Vorsorgeuntersuchungen sind für uns von zentraler Bedeutung. Wir lehnen aber ab, verlängerter Arm einer staatlichen Kontrolle zu werden. Das würde unsere über Jahrzehnte gewachsene Vertrauensposition den Eltern gegenüber nachhaltig schädigen. Wir unterstützen jedoch alle staatlichen Dienste, die sich fürsorgend und aufsuchend um Familien kümmern. Hierzu
Dem können wir uns nur anschließen und deshalb bitte ich Sie: Lassen Sie uns - so wie es angeboten wurde - noch einmal tiefgründig über die Wege diskutieren. Wenn Sie ganz ehrlich sind: Zeitverzug wäre kein begründendes Argument; denn Sie erklärten uns in anderen Bereichen, wie lange es dauere, eine Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dennis, die namenlosen Babys von Brieskow-Finkenheerd, die verdursteten Brüder in Frankfurt (Oder) - all diese Kinder starben mitten unter uns, ohne dass sich auch nur ein Mensch ihres Martyriums erbarmt oder ihrer Hilflosigkeit angenommen hätte. Teilweise war die Überforderung der Eltern Verwandten und Ämtern bekannt. Wie im Fall Dennis, der derzeit in Cottbus vor Gericht verhandelt wird, haben sämtliche Behörden in ihrer jeweiligen Funktion scheinbar alles richtig gemacht. Jeder beruft sich auf Zuständigkeiten, Verordnungen und Gepflogenheiten.
Die Summe dieses unverbindlichen Dienstes nach Vorschrift der verschiedenen Akteure erzeugt eine institutionelle Unbarmherzigkeit, die im Extremfall kleinen und hilflosen Kindern - die sich noch nicht wehren oder Hilfspersonen offenbaren können - das Leben kostet. Wir alle wissen, dass die bekannt gewordenen Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind.
Jährlich sterben in Deutschland 280 Kinder an Krebs und 120 Kinder kommen durch Verkehrsunfälle ums Leben. Dagegen gibt es pro Jahr 1 500 Anzeigen wegen körperlicher Misshandlung und mehr als 20 000 Fälle von Vergewaltigung und schwerer sexueller Nötigung. Die Dimensionen - über die wir sprechen - müssen uns also klar sein; denn es handelt sich nicht um Randerscheinungen oder einmalige Fälle.
Experten rechnen mit einer hundertfach höher liegenden Dunkelziffer, was die erschreckenden Dimensionen des namenlosen täglichen Leids von Kindern aufzeigt, die mitten unter uns, in unserer Nachbarschaft wohnen. Natürlich wächst ein großer Teil unserer Kinder in intakten Familien auf. Auch in sozial schwierigen Verhältnissen kümmern sich die meisten Mütter und Väter liebevoll um ihre Kinder; das muss unbedingt festgehalten werden. Dennoch wird es Zeit, die Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, dass die größte Gefahr für Kinder - insbesondere für die kleinen - von ihren eigenen Eltern, ihren Verwandten oder deren Freunden ausgeht.
Kindheit mit ihrer Abhängigkeit und Hilflosigkeit. Wir machen es uns zu einfach, wenn wir uns mit den Wunschvorstellungen einer heilen Familie den Blick dafür vernebeln lassen, dass diese Familie bei weitem nicht immer so existiert.
Daher muss der Staat eine Wächter- und Schutzfunktion für die Kinder erfüllen. Werden dramatische Fälle von Kindesmisshandlungen aufgedeckt, reagiert die Öffentlichkeit meist hoch emotional und fragt sich, wie all das nur geschehen konnte. Eine Fülle von Vorschlägen unterschiedlichster Art wird unterbreitet. Jedoch legen sich Empörung und öffentliche Diskussion nach kurzer Zeit wieder.
Deshalb ist es an der Zeit, endlich den Schritt von Betroffenheit und Empörung hin zu klaren Strukturen und gesetzlichen Vorschriften zu gehen, um betroffenen Kindern, aber auch ihren Eltern effektiv helfen zu können.
Was also ist zu tun? Es geht zum einen darum, Fälle von Misshandlung und Vernachlässigung aufzudecken. Vor allem aber geht es darum, solche Fälle gar nicht erst entstehen zu lassen.
Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir aber auch erreichen, dass entwicklungsbedingte Defizite rechtzeitig erkannt und einer Therapie zugeführt werden können. In einem weiteren Schritt - da haben wir heute noch erhebliche Defizite - muss sichergestellt werden, dass die erhobenen Befunde auch weitergegeben werden. Unabdingbar ist deshalb eine verbindliche Zusammenarbeit und ein klar definierter Informationsfluss zwischen allen Beteiligten. Hierbei kommt besonders dem öffentlichen Gesundheitsdienst eine wichtige Rolle zu.