Protocol of the Session on March 3, 2004

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte.

Bitte schön, Herr Abgeordneter Sarrach.

Frau Ministerin, ist es, unabhängig von dem, was Sie jetzt zur Frage der Verantwortung vorgetragen haben, nicht trotzdem wichtig, dass man in Brandenburg frühzeitig zur Klärung beiträgt, weil natürlich die sich berechtigt fühlenden Menschen zurzeit vor die Brandenburger Justiz, vor die Brandenburger Gerichte drängen, weil sie glauben, sie müssten jetzt Wiederaufnahmeklagen erheben, sie müssten jetzt rechtlich tätig werden?

Natürlich müssen wir uns mit dem Thema befassen. Da haben Sie Recht. Aber man muss auch ganz klar sagen, dass in den Medien durch Juristen, durch Rechtsanwälte zum Teil falsche Auskünfte gegeben worden sind. Es war nämlich nicht nötig, wie es in den Medien hieß, bis zum 23. Februar einen Antrag für ein Wiederaufnahmeverfahren zu stellen. Ich meine, dass die Informationen, die hierzu seitens der Landesregierung gegeben wurden, ausreichend sind.

Die Bundesjustizministerin hat am vergangenen Donnerstag, dem 26. Februar 2004, mitgeteilt, dass die Bundesregierung Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird. Sie wird, wie das die Menschenrechtskonvention auch vorsieht, den Antrag auf Verweisung der Sache an die Große Kammer stellen, weil das Urteil grundsätzliche Bedeutung für die Frage der Bodenreform in der DDR hat. Es spricht einiges dafür, dass der Prüfungsausschuss die Voraussetzungen für die Verweisung an die Große Kammer bejaht. Sodann wird sich die Große Kammer auch mit dem Fall der Neusiedlererben beschäftigen und eventuell eine endgültige Entscheidung treffen.

Aber unter folgenden Gesichtspunkten, die ich noch ausführen werde, kann ich Ihnen, meine Damen und Herren, nicht empfehlen, dem Antrag der PDS zuzustimmen. Wir sollten nämlich nicht vergessen, dass es hier um ein Bundesgesetz geht, nämlich das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz. In erster Linie kommt daher wirklich dem Bund die Verantwortung für die Entscheidung zu, ob Rechtsmittel eingelegt werden sollen oder nicht, zumal diese bundesgesetzlichen Vorschriften auch vom Bundesgerichtshof und vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß angesehen worden sind.

Ich habe durchaus Verständnis für die betroffenen Personen, die möglichst bald Rechtssicherheit und Klarheit über ihre Ansprüche haben wollen. Aber das Verfahren vor der Großen Kammer wird sich nicht - wie immer prognostiziert - über mehrere Jahre hinziehen. Die Finanzministerin hat darüber hinaus bereits klargestellt, dass bis zum Eintritt einer Rechtskraft der Vollzug der geltenden Vorschriften gestoppt wird.

Aber es stellt sich die Frage - sie ist zum Teil schon gestellt worden -: Worum geht es eigentlich bei dem Urteil? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat über einzelne Individualbeschwerden von Erben so genannter Neubauern ent

schieden, die durch die Bodenreform in der ehemaligen DDR Eigentum an landwirtschaftlichen Grundstücken erworben hatten. Die Beschwerdeführer wurden auf der Grundlage des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes aus dem Jahre 1992 zur Erklärung der Auflassung ihrer Grundstücke an den Fiskus der Länder verpflichtet, da sie eben selbst nicht in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft tätig waren.

Der Gerichtshof hat hierzu festgestellt, dass eine Verletzung des Eigentumsrechts nach dem ersten Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention vorliege, weil den Beschwerdeführern keine angemessene Entschädigung gewährt worden sei. Der Gerichtshof stellt dabei jedoch entschieden darauf ab, dass die Beschwerdeführer infolge des Volkskammergesetzes vom 6. März 1990 vollwertige Eigentümer geworden seien, da dieses Gesetz sämtliche Beschränkungen hinsichtlich der Grundstücke beseitigt habe.

In dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz sieht der Gerichtshof folglich eine Enteignung „durch Gesetz“. Bei der Bewertung der Frage, ob sie im öffentlichen Interesse liegt, gesteht der Gerichtshof dem nationalen Gesetzgeber aber eine Einschätzungsprärogative zu. Er bezweifelt demzufolge nicht das sollten wir beachten -, dass der deutsche Gesetzgeber die Eigentumsverhältnisse wohl neu ordnen kann und die aus seiner Sicht unfairen Wirkungen des Volkskammergesetzes vom 6. März 1990 korrigieren durfte.

Nach der Auffassung des Gerichtshofs ist Eigentumsentzug jedoch nicht verhältnismäßig, wenn das Gesetz keine angemessene Entschädigung vorsieht. Man macht es sich aber meiner Meinung nach zu einfach, wenn man hier von gesetzlichem Unrecht spricht. Gerade die PDS scheint hier einiges aus der Geschichte der DDR ausblenden zu wollen.

Unrecht ist es dann doch auch, lediglich eine vermeintliche Eigentümerstellung zuzugestehen und diese mit vielfachen Verfügungsbeschränkungen zu versehen. Das Grundstück musste landwirtschaftlich genutzt werden. Es galten nicht die Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts. Vorschriften des Erbrechts waren durch Besitzwechselverordnungen überlagert worden. Dementsprechend mussten auch Grundstücke aus der Bodenreform wieder an den Staat abgeführt werden.

Unrecht ist doch auch, dass zum Teil nur Zufälle darüber entschieden, ob eine Familie ein Grundstück aus der Bodenreform behalten durfte oder nicht. Entgegen dem geltenden DDRRecht wurde von den Behörden nämlich häufig versäumt, die Grundstücke wieder in den staatlichen Bodenfonds zurückzuführen und eine Berichtigung des Grundbuchs vorzunehmen. Dies geschah teils aus Nachlässigkeit, teils aber auch aus der Erwägung heraus, dass diese Grundstücke in der Nutzung der LPG standen, sodass es eigentlich egal sei und nicht darauf ankomme, wer im Grundbuch eingetragen war.

Frau Ministerin, könnten Sie zum Ende kommen?

Ja, einen Satz noch. - Letztendlich hat das Volkskammergesetz vom 6. März 1990 die bestehenden Eigentumsbeschränkungen zwar aufgehoben, aber keine Regelung zu der Stellung der

nicht zuteilungsberechtigten Erben getroffen. Obgleich das Urteil einstimmig getroffen wurde, muss man auch anerkennen, dass gerade der Vorsitzende der Kammer erhebliche Zweifel hatte und ein abweichendes Votum abgegeben hat.

Ich möchte abschließend noch einmal klarstellen, dass ich hoffe, dass das weitere Verfahren - egal, ob die Beschwerde angenommen wird oder nicht - zügig betrieben wird und dass im Interesse aller Beteiligten und betroffenen Personen bald endgültig Klarheit über die völkerrechtliche Beurteilung der Rechtsfragen im Zusammenhang mit Bodenreformen hergestellt wird. - Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke Ihnen, Frau Ministerin Richstein. - Wir sind am Ende der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Zum Antrag der Fraktion der PDS, Drucksache 3/7069, ist namentliche Abstimmung beantragt worden. Ich bitte - wie üblich -, dass Sie laut und deutlich Ihr Abstimmungsvotum bekannt geben. Ich eröffne die Abstimmung und bitte um das Verlesen der Namen.

(Namentliche Abstimmung)

Gibt es Abgeordnete, die nicht abstimmen konnten?

(Der Abgeordnete Dr. Kallenbach [SPD] gibt sein Votum ab.)

Dann schließe ich die Abstimmung und wir kommen zur Auszählung. Haben Sie bitte etwas Geduld.

Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Antrag der Fraktion der PDS in der Drucksache 3/7069 bekannt: Für den Antrag stimmten 24 Abgeordnete, gegen ihn stimmten 43 Abgeordnete. Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.

(Abstimmungslisten siehe Anlage S. 6355)

Ich rufe den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion und der CDU-Fraktion, der Ihnen in der Drucksache 3/7136 vorliegt, zur Abstimmung auf. Wer diesem Entschließungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mehrheitlich angenommen worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 13 und rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Die Forderung bleibt: Die EU-Förderpolitik nach 2006 muss auf eine solide Grundlage gestellt werden

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 3/7070

Außerdem liegt Ihnen dazu ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU - Drucksache 3/7141 vor.

Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Fraktion der PDS der Abgeordneten Stobrawa das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDS-Fraktion hätte heute auch andere EU-Themen auf die Tagesordnung setzen können, zum Beispiel die rückläufige Sprachausbildung in Polnisch, den Wegfall der Unterstützung der polnischen Studenten an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) oder die Auflösung der TWG in Gorzow. Die Begründung der Landesregierung ist immer gleich: weil die Ost-Erweiterung vollzogen wird. Ich gehe davon aus, dass diese wichtigen Aufgaben verstärkt fortgesetzt werden müssen.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Wir haben aber ein Thema auf die Tagesordnung gebracht, das in der vergangenen Landtagssitzung schon einmal auf der Tagesordnung stand. Warum? Mit diesem Antrag geht es um Geld, um sehr viel Geld. Ostdeutschland würde die Situation nach dem Herausfallen aus der Ziel-1-Förderung ab 2006 kaum verkraften. Darüber herrscht über Parteigrenzen hinweg Konsens. Entsprechende Forderungen haben die ostdeutschen Länder bereits gegenüber dem Bund erhoben. Das Herausfallen aus der Ziel-1-Förderung war politisch nicht beabsichtigt, sondern ergibt sich als statistischer Effekt in dem Moment, in dem die EU um eine Reihe wirtschaftlich und strukturell schwächerer Länder wächst. Allerdings dürfen statistische Effekte die Politik nicht knebeln. Im Gegenteil, kluge politische Gestaltung erkennt solche Effekte rechtzeitig und steuert gegen.

Die Bundesregierung allerdings mit ihrem inzwischen „hinlänglich bekannten Gespür“ für die Belange Ostdeutschlands hat das offensichtlich nicht für so wichtig gehalten. Die Landesregierung hingegen hat nun nicht etwa versucht, dem Bund Beine zu machen, sondern hat auf eine vermeintlich eigene, oberschlaue Lösung gesetzt: die Aufteilung des Landes in verschiedene Fördergebiete - ein typisches Beispiel eingegrenzter großkoalitionärer Kreativität, die vor allem eines beachten muss: Bloß kein Ärger mit dem Bund! Man wollte diese Auseinandersetzung in der Tat hier bei uns nicht.

Jeder im Plenum kann sich daran erinnern: Im September und Oktober 2002 hat es zwei Anträge aus unserer Fraktion gegeben. Diese korrespondierten mit Standpunkten aus der Mitte des Landtages, mit den Auffassungen der Landkreise und kreisfreien Städte wie mit denen der kommunalen Spitzenverbände. Diese beiden Anträge hatten ein einziges Ziel, nämlich das Ziel, die Landesregierung zu bewegen, die betreffende EU-Förderverordnung noch einmal in diesem Hause zu diskutieren. Damals, im Herbst 2002, hatte sich die EU-Kommission noch nicht entschieden. Die Verordnung lag lediglich als Entwurf vor.

Was aber tat die Landesregierung? Nichts. Sie hielt still, wie immer, wenn „da oben“ im Bund oder auch in Europa problematische Entscheidungen heranreifen. Das Ergebnis ist für Brandenburg wieder einmal beschämend. Setzt sich die Auffassung von EU-Kommissarin Schreyer durch, nach der es nicht angeht, die Ärmsten in Europa zulasten der Zweitärmsten zu fördern, dann hat die Landesregierung dafür gesorgt, dass genau dieser falsche Grundsatz in Brandenburg zur Geltung kommt. Im gespaltenen Land würden die ärmsten Regionen

zulasten der zweitärmsten und zulasten des gesamten Landes gefördert - eine Glanzleistung gestaltender, vorausschauender Politik auf der Höhe der Zeit, eine wahre Großtat für jene, die, wie auch der Herr Innenminister, nicht müde werden, das Land vor den vermeintlichen Risiken der EU-Erweiterung schützen zu wollen.

(Beifall bei der PDS)

Allerdings könnte der Bundeskanzler nun dazu beigetragen haben, dass die Landesregierung ihr Gesicht wahren kann; denn Anfang des Jahres hat Herr Schröder gemeinsam mit fünf weiteren Staats- und Regierungschefs Herrn Prodi aufgefordert, den EU-Haushalt bei 1 % des Bruttoinlandprodukts der Union einzufrieren. Möglich ist allerdings bekanntlich eine Obergrenze von 1,27 %. Im Interesse des Landes war und ist es notwendig, den Bundeskanzler von diesem Spardruck auf Brüssel abzuhalten; denn der Haushaltsrahmen muss wohl schon weiter ausgeschritten werden, damit Ostdeutschland Ziel-1-Fördergebiet bleiben kann. Das klingt logisch, ist aber offensichtlich nicht im Interesse der Regierenden in Bund und Land. Berlin muss überall die Ausgaben drosseln, damit die riesigen Einnahmeverluste nach der fatalen Steuerreform nicht gar zu sehr auffallen und zu Buche schlagen, und Potsdam könnte seinen vorauseilenden Gehorsam gegenüber der für die Bürgerinnen und Bürger schlechtesten Lösung wieder als weitsichtig und schlau darstellen.

Sicher: Es bliebe die für unser Land schlechteste Lösung. Der Landtag muss jetzt nur entscheiden, worauf es ihm ankommt, auf die Standessolidarität mit den Parteifreunden in den Kabinetten oder auch auf ein bisschen Zivilcourage im Umgang mit der Obrigkeit und im Interesse der Menschen im Lande.

Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Stobrawa. - Das Wort erteile ich jetzt der Fraktion der SPD. Bitte, Herr Abgeordneter Lenz.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir ein Wort vorab. Frau Stobrawa, Sie haben gesagt, dass die Teilung des Landes irgendwie Ergebnis der Finanzausstattung der EU sei. Die Finanzausstattung der EU ist bis 2006 gesichert. Wir sprechen jetzt über den Zeitraum von 2007 bis 2013. Darauf werde ich in meinen weiteren Ausführungen noch näher eingehen. Den direkten Zusammenhang, den Sie hier dargestellt haben, sehe ich also nicht.

Meine Damen und Herren, am 18. Februar dieses Jahres hat der für die europäische Regionalpolitik zuständige Kommissar Michel Barnier den dritten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, den so genannten Kohäsionsbericht, vorgestellt. Die im Vorfeld bekannt gewordenen Zahlen haben die Diskussion über die im Jahre 2002 durch das Kabinett vollzogene Zweiteilung des Landes wieder entfacht. Fakt ist, dass das für die Jahre 1999, 2000 und 2001 ermittelte Brut

toinlandsprodukt für Gesamt-Brandenburg im Europa der Fünfundzwanzig bei 75 % liegt. Wir wären also als Land Brandenburg insgesamt in der Ziel-1-Förderung.