Protocol of the Session on November 5, 2003

Viertens: Hohe Qualität der Leistungen.

Fünftens: Die zentrale Rolle des Subsidiaritätsprinzips in diesem Bereich unter anderem in der Frage, welche Dienste unter diesen Begriff fallen, wer sie erbringt und wie ihre Organisations- und Finanzierungsform aussehen soll.

Deshalb sage ich an der Stelle nochmals: Wir als Landtag Brandenburg müssen darauf achten, dass der von der Europäischen Kommission betonte Gestaltungsspielraum der Nationalstaaten, Länder und Kommunen faktisch nicht über das erforderliche Maß hinaus eingeschränkt wird. Das Thema der öffentlichen Daseinsvorsorge sollte aus meiner Sicht in Brandenburg zukünftig vor dem Hintergrund der EU-Behandlung in den zuständigen Ausschüssen debattiert werden.

Ihrem Antrag, meine Damen und Herren der PDS, kann meine Fraktion in der vorliegenden Form nicht zustimmen, da er aus meiner Sicht in vielen Punkten weit über Länderinteressen hinausgeht. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Abgeordneten Lenz und gebe der Fraktion der DVU das Wort. Bitte, Herr Abgeordneter Nonninger.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der PDSFraktion zur öffentlichen Daseinsvorsorge im Lichte der EU-Liberalisierungspolitik enthält zwar den einen oder anderen Ansatz, den die DVU-Fraktion unterstützen könnte. Dennoch lehnen wir den Antrag ab, meine Damen und Herren von der PDSFraktion. Die Ausgangslagen sind nämlich grundverschieden.

Während der PDS-Antrag erkennbar darauf abzielt, im Bereich der Daseinsvorsorge alles und jedes möglichst in Staatshand mit einer Bestandsgarantie zu versehen, zielt die Politik unserer DVU-Fraktion darauf ab, die Kernbereiche der Daseinsvorsorge im Sinne des Sozialstaatsprinzips des Grundgesetzes bei voller Geltung des Leistungsprinzips nicht aushöhlen zu lassen.

Die Politik der DVU-Fraktion als zugleich der individuellen Freiheit, dem Gemeinwohl verpflichteten Kraft mit bürgerlichdemokratischem Grundverständnis wendet sich dagegen, Neoliberalismus über die EU oder auf sonstigem Wege sozusagen durch die Hintertür nach Deutschland zu importieren. Spielarten, die auf Manchester-Kapitalismus hinauslaufen, halten wir für nicht vereinbar mit den Grundwerten des Grundgesetzes, Freiheit, Demokratie und Sozialstaatlichkeit. Kurzum: Aufgabe internationaler politischer Zusammenarbeit kann und darf nicht sein, Dritte-Welt-Zustände nach Deutschland zu importieren. Aufgabe kann nur sein, durch internationale Zusammenarbeit auch anderen Ländern Gelegenheit zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu geben, jedoch ohne in Deutschland erreichte Grundstandards zu gefährden.

Schon aus diesen Gründen hält die DVU-Fraktion unabdingbar am Primat des Nationalstaates mit demokratischer Legitimation fest und lehnt - schon da scheiden sich wohl die Geister jedwede Bestrebung in Richtung europäischer Superstaat ab.

Die für eine EU-Osterweiterung notwendigen Bedingungen sind gegenwärtig nicht gegeben. Es sind nach wie vor insbesondere politische wie sozial schwerste Verwerfungen zu befürchten, die in besonderem Maße zulasten wirtschaftlich schwächerer Kreise unserer Bevölkerung gehen.

Die DVU-Fraktion sieht nicht - der Antrag der PDS-Fraktion schweigt sich dazu bezeichnenderweise aus -, wie unter den aktuellen finanzpolitischen Möglichkeiten Deutschlands und anderer EU-Staaten Abhilfe geschaffen werden könnte. Zudem liegt Ihrem Antrag ein von unserer Politik verschiedener Ansatz des Verhältnisses von Subsidiarität und Solidarität zugrunde. DVUPolitik ist zuallererst Garant der individuellen Freiheit der Bürger.

Das Prinzip der Subsidiarität, dieser bürgerlich-demokratische Grundansatz, erschöpft sich eben nicht in der kommunalen

Selbstverwaltung. Er geht sozusagen durch das ganze Land, beginnt beim Einzelnen und seiner Familie, geht über die örtliche Gemeinschaft, über die Landesebene, die Bundesebene als nationale Einheit bis zur europäischen Ebene als Wertegemeinschaft der europäischen Nationalstaaten.

So wie diese Subsidiaritätsebenen schnittmengenartig übereinander liegen, so besteht für die DVU-Fraktion die Vermutung für die Regelungszuständigkeit der jeweils unteren Ebene, wobei - das ist an der gegenwärtigen Reformdebatte zu kritisieren keine dieser Ebenen vom Einzelnen über die Familie unter dem Stichwort „Eigenverantwortung“ in seiner Leistungsfähigkeit überfordert oder etwa nach mittelalterlich bis feudal anmutender Art mit einer Kopfsteuer oder mit Kopfbeiträgen mit Leistungsstärkeren über einen Leisten geschlagen werden darf.

Zugleich ergeben sich aus dem so verstandenen Subsidiaritätsprinzip vier Dinge, meine Damen und Herren der PDS-Fraktion: erstens die Beschränkung der Daseinsvorsorge in Staatshand auf das zur Absicherung gegen Lebensrisiken sowie zur Sicherung der elementaren Lebensgestaltung erforderliche Maß, zweitens die Verpflichtung unter Berücksichtigung der Effizienz, staatliche Daseinsvorsorge in jeder Hinsicht räumlich und organisatorisch so dicht wie möglich an die Menschen zu bringen, drittens die Verpflichtung eines jeden Trägers der Daseinsvorsorge, nach den Grundsätzen der Betriebswirtschaft ein möglichst günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis für die Empfänger seiner Leistung zu erzielen, viertens ein Primat zur Verbesserung der Bedingungen für kleine und mittelständische Betriebe als diejenigen, bei denen sich unser Land wie die Familie in demographischer und wirtschaftlicher Hinsicht regeneriert.

Dieser Politikansatz ist mit dem Ihrigen, der natürlich auch Ihrem Antrag zugrunde liegt, nicht zu vereinbaren, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke dem Abgeordneten Nonninger und gebe der Fraktion der CDU das Wort. Bitte, Herr Abgeordneter Petke.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Domres, staatstragend war Ihre Rede tatsächlich nicht. Aber ich finde es schon bemerkenswert, dass uns die PDS im Landtag Brandenburg zumutet, heute ihre kommunalpolitische Konferenz West im November in Offenbach vorzubereiten. Weite Passagen Ihres Antrages finden sich in der Vorbereitung der dortigen Konferenz wieder. Ich glaube, es ist schon ein einmaliger Vorgang, dass wir heute - ich kann sagen - ein Stück weit dafür missbraucht werden sollen,

(Unmut bei der PDS)

dass Sie Ihr bis jetzt zu Recht gescheitertes Projekt „West-Ausdehnung der PDS“ vielleicht doch noch auf die Beine bringen.

Zum Antrag selbst. Die PDS läuft der Zeit hinterher.

(Homeyer [CDU]: Seit 40 Jahren!)

- Seit 40 Jahren. Daran hat sich nichts geändert, wenigstens da zeigt die PDS Kontinuität.

Die PDS läuft diesem Thema hinterher. Wir reden mittlerweile nicht allein über das Grünbuch, das Sie in Ihrem Antrag vor allem ansprechen, sondern über den EU-Verfassungsvertrag.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [PDS])

Wir finden darin Aussagen zur Daseinsvorsorge, die wir an dieser Stelle durchaus kritisch diskutieren können.

Ich möchte es den Vorrednern nicht gleichtun und nicht noch einmal betonen, wie wichtig Daseinsvorsorge ist - kommunale Selbstverwaltung und Daseinsvorsorge gehören zusammen -, aber auf einen Punkt hinweisen. Dieser fehlt in den drei Seiten des PDS-Antrags; auch da Kontinuität in Gänze. Das ist die Frage: Für welchen Preis werden die Leistungen der Daseinsvorsorge erbracht? Den Preis müssen die Kunden, in dem Fall die Bürgerinnen und Bürger, bezahlen. Neben den vielen hier angeführten Punkten wie Qualitätssicherung, stabile Leistungsangebote, Transparenz ist die Frage des Preises, den die Bürgerinnen und Bürger bereit und zu zahlen in der Lage sind, ganz wichtig. Da vermisse ich entsprechende Aussagen der PDS. Ich habe beim Antragsteller ebenfalls vermisst, dass er bei der Diskussion der Daseinsvorsorge darauf hinweist, dass die Frage der Arbeitsplätze der Unternehmen virulent ist.

Auf der anderen Seite haben wir ja Erfahrungen, was Liberalisierung betrifft. Wir haben eben auch positive Erfahrungen mit der Liberalisierung gesammelt. Da sind neue Techniken erschlossen worden, da hielt die technische Entwicklung Einzug bei den Anbietern, da sind vor allen Dingen Arbeitsplätze geschaffen worden. Schauen Sie sich die Liberalisierung auf dem Telekommunikationsmarkt an: neue Techniken, neue Anbieter, viel mehr Arbeitsplätze bei günstigeren Preisen für die Kundinnen und Kunden. Von daher gesehen gibt es eben durchaus positive Auswirkungen der Liberalisierungspolitik.

Um zum EU-Verfassungsvertragsentwurf zurückzukommen: Wir lehnen eine Zuständigkeit der EU-Ebene für die Daseinsvorsorge ab. Mich wundert schon sehr, dass die PDS in ihrem Antrag genau dies fordert. Sie fordern ein europäisches Gesetz. Wir sind der Meinung, wir können das hier in Deutschland auf Länderebene besser erledigen.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Wenn Sie eingegriffen hat, geht das überhaupt nicht mehr!)

- Nein, die EU, verehrte Kollegin, greift über die Wettbewerbsregeln ein. Wenn Sie den Vertragsentwurf der EU lesen, finden Sie im dritten Abschnitt Aussagen dazu, dass sich die EU möglicherweise nicht über den Wettbewerb, sondern direkt gesetzliche Zuständigkeiten zuschreiben will. Sie wollen auf alle Fälle - es steht auf der zweiten Seite Ihres Antrages - ein EU-Gesetz. Wir lehnen dies ab, weil wir glauben, dass wir die Angelegenheiten der Daseinsvorsorge hier in Brandenburg wie in den anderen 15 Ländern in Deutschland besser erledigen können, als das irgendjemand in Brüssel kann. Ich glaube, das gehört hierher, das muss hier gelöst werden und nicht in Brüssel.

(Beifall bei der CDU)

Von daher gesehen bin ich der PDS durchaus dankbar, dass sie

dieses Thema hier im Landtag eingebracht hat. Vielleicht üben Sie noch ein wenig. Der Weg, den Sie vorschlagen, alles nach Brüssel zu geben,

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Haben Sie den Antrag über- haupt nicht verstanden?)

würde bedeuten, dass wir den Interessen der Bürger unseres Landes genau entgegenarbeiteten.

(Zurufe)

- Schauen Sie sich doch einmal die Situation an, ob es im ÖPNV, in den Wasserwerken ist. Was in der Prignitz, was in der Uckermark, was in Potsdam zu lösen ist, können wir hier im Land besser entscheiden.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Die Chance lässt uns die EU gar nicht mehr!)

Es muss nicht alles von Portugal bis Großbritannien und Brandenburg in Brüssel entschieden werden. Dazu würden wir Sie gerne einladen. Aber wenn Sie sich der Verantwortung dann lieber nicht stellen, müssen wir es ohne Sie machen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke dem Abgeordneten Petke und gebe der Landesregierung das Wort. Frau Ministerin Richstein, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich könnte es kurz machen und sagen, ich teile die Auffassung meiner Vorredner zur Bewertung des vorliegenden Antrages. Er ist lediglich eine bunte Mischung aus vielleicht zum Teil berechtigten Befürchtungen, aber dennoch widersprüchlicher Anliegen und Forderungen, die in ihren Auswirkungen schlicht nicht im Interesse des Landes Brandenburg liegen können.

Zunächst möchte ich feststellen, dass der Binnenmarkt und die damit verbundene Liberalisierung von Dienstleistungen, die bislang von öffentlicher Seite erbracht wurden, zu den wesentlichen Politikfeldern der Europäischen Union gehört und dass die Vorteile die Nachteile durchaus überwiegen. Die meisten Bürgerinnen und Bürger, auch in Brandenburg, profitieren davon, dass in wichtigen Dienstleistungsbereichen an die Stelle des staatlichen Monopols der freie Wettbewerb getreten ist. Evaluierungen, die übrigens bisher durchaus durchgeführt wurden, haben ergeben, dass die Verbraucher für diese Bereiche heute weit weniger Geld bezahlen müssen als noch vor wenigen Jahren. Die Entwicklung der Telefonkosten ist, denke ich, ein eindrucksvolles Beispiel in diesem Bereich.

Gleichwohl ist nicht zu bestreiten, dass Ihre Analyse in einem Punkt zutreffend ist, wenngleich sie nicht neu ist. Es gibt durchaus Dienstleistungsbereiche und es wird sie weiterhin geben müssen, die nicht oder nicht in vollem Umfang den Wettbewerbsvorschriften unterliegen. Dabei geht es um wesentliche und zentrale Bereiche der so genannten öffentlichen Daseinsvorsorge. Dienstleistungen in diesem Bereich werden gegen

wärtig in großem Umfang vor allen Dingen von den Kommunen wahrgenommen. Ihre Aufgaben liegen darin, soziale Standards für die Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, die nach den Gesetzen des freien Wettbewerbs einfach nicht gewahrt werden können.

Wir sind uns mit dem Bund und den anderen Ländern einig, dass diese geschützten Bereiche erhalten bleiben müssen. Diese Auffassung teilen mit uns auch eine ganze Reihe von Mitgliedsstaaten. Unterschiedliche Auffassungen bestehen allerdings darin, ob die Ausnahmen, die zugelassen werden müssen, auf europäischer Ebene, das heißt durch die Europäische Union, oder auf der Ebene der Mitgliedsstaaten bzw. sogar der regionalen und kommunalen Untergliederungen festgelegt werden sollten.

Der vorliegende Antrag beinhaltet, dass ein europäisches Gesetz zu verabschieden sei, das diese Aufgabenbereiche definiert. Das ist ein Ansatz, den sowohl der Bund als auch die Länder aus wirklich guten Gründen ablehnen. Seit Jahren setzen wir uns dafür ein, dass gerade den Kommunen und den Ländern insoweit ein weiter Handlungsspielraum erhalten bleibt. Das ist nicht nur ein fundamentaler Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung, sondern Ausdruck der festen Überzeugung, dass die jeweils gerade niedrigste politische Ebene am besten beurteilen kann, was für die Bürgerinnen und Bürger gut ist und was in ihrem Interesse im Bereich der Daseinsvorsorge erbracht werden sollte. Der Abgeordnete Petke hat schon darauf hingewiesen.

Wir haben uns daher auch ganz deutlich gegen den Vorschlag des Europäischen Verfassungskonvents gewandt, eine eigene Gesetzgebungszuständigkeit der Europäischen Union im Bereich der Daseinsvorsorge einzuführen. Es ist ein durchaus positives Zeichen, dass in den jetzigen Beratungen der Regierungskonferenz eine Reihe von Mitgliedsstaaten unsere Sorgen und Bedenken bezüglich dieser Regelung teilt. Ich hoffe natürlich, dass es auch nicht im Verfassungsvertrag stehen bleibt.