Protocol of the Session on August 27, 2003

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Große, die CDU frohlockt nicht; wir werden unsere Ansichten dazu jetzt darstellen. Sicherlich habe ich noch Zeit, auf das eine oder andere einzugehen.

Nachdem der Koalitionspartner dankenswerterweise diese Aktuelle Stunde zu den Ganztagsschulen anberaumt hat, möchte ich einige Herausforderungen nennen, die der CDU bei diesem Thema am Herzen liegen. Auf zwei Dinge, um die es bei jeder Diskussion um Schulen gehen muss, möchte ich gleich zu Anfang zu sprechen kommen.

Zum einen muss es, Frau Große - Frau Siebke, Sie haben es am Ende Ihrer Ausführungen gesagt -, immer um die Verbesserung der Unterrichtsqualität gehen, wenn wir Schule verändern. Zum anderen muss es uns um die Vermeidung von Unterrichtsausfall gehen. Das ist der Kern guter Bildungspolitik und alles andere hat sich an diesen beiden zentralen Aufgaben zu orientieren. Das gebietet uns nicht nur die Notwendigkeit, sondern ist auch das, was die Menschen in unserem Lande bewegt. Ich erinnere an die vielen Petitionen, die in den letzten Jahren zum Thema Unterrichtsausfall an den Petitionsausschuss gerichtet worden sind. Natürlich führen wir alle auch Gespräche mit Eltern, wobei die Eltern immer wieder genau diese beiden Punkte - Qualität und Unterrichtsausfall - interessieren.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Fechner [DVU])

Die Bundesregierung hat mit ihrem populistischen Versuch, sich in Landeskompetenzen einzumischen, viel Staub aufgewirbelt. Dabei hat sie vernebelt, worum es nach PISA und IGLU gehen muss, nämlich um die Verbesserung der Qualität und die Vermeidung von Unterrichtsausfall.

Brandenburg erhält vom Bund 130 Millionen Euro, verteilt über vier Jahre, für die Ausgestaltung von Ganztagsangeboten, zum Beispiel für Investitionen, Umbau- und Ausbauarbeiten, aber auch für die Beschaffung von Inventar. Sie wissen, dass es gerade zu dem letzten Punkt eine sehr lange Diskussion in der Kultusministerkonferenz gegeben hat. Die CDU hat gerade auf diesen Punkt sehr viel Wert gelegt.

Ich frage Sie: Bringen 130 Millionen Euro - ich spitze an dieser Stelle zu - für eine Suppenküche mehr Unterrichtsqualität? Verhindert das Unterrichtsausfall? Wohl kaum.

An dieser Stelle will ich nicht lange auf den Finanzfragen herumreiten, weil Bildung Zukunft bedeutet und Zukunft nicht vom Geldbeutel abhängen sollte. Aber dennoch: Wer bezahlt - und da bin ich mit der Argumentation von Frau Große einig die Gebäude und die dann erforderliche zusätzliche Ausstattung für das Personal, das notwendig ist - auch das ist schon erläutert worden -, über das Jahr 2007 hinaus, wenn die Bundesförderung endet? Wird der Schulträger die Kosten für die Instandsetzung der getätigten Investitionsmaßnahmen tragen können, obwohl die Gemeinden schon heute unter ihren Pflichtaufgaben stöhnen und freiwillige Aufgaben kaum noch zu bewältigen sind? Diese Fragen sind schlüssig zu beantworten.

In Brandenburg existieren bereits 85 Ganztagsschulen. Das ist die bundesweit höchste Zahl im Verhältnis zur Bevölkerung. Diese Schulen gab es schon vor der PISA-Untersuchung, sie haben uns dennoch kein besseres Ergebnis beschert. Wenn es wirklich einen Zusammenhang zwischen Ganztagsschulen und Unterrichtsqualität gäbe, hätte Brandenburg bei PISA sicherlich besser abgeschnitten.

Das miserable PISA-Ergebnis war für viele ein Schock und das vom Bildungsministerium vorgelegte Konzept beinhaltet gute und richtige Ansätze. Sie haben frohlockt; Sie hören jetzt meine Meinung.

Ich stimme dem Minister zu, wenn er in der Grundschule keine verbindlichen, pflichtigen Ganztagsangebote zulassen will. Diese brauchen wir aufgrund des Hortangebotes nicht. Ich sehe allerdings die Ungleichbehandlung, die Frau Große beschrieben hat, so nicht. Allerdings ist eine engere Verzahnung zwischen Hort und Schule notwendig. Dann wird es uns gelingen, besonders Kindern aus sozial schwachen Familien besser und vor allem frühzeitiger unter die Arme zu greifen. Je früher wir Fehlentwicklungen entgegentreten, desto besser ist es für die Kinder.

Bezüglich der weiterführenden Schulen sind wir der Ansicht, dass weitere Ganztagsschulen nicht nötig sind, dass sich weitere Ganztagsangebote ausschließlich am Bedarf zu orientieren haben.

(Beifall bei der CDU)

Diese sind in der offenen Form zu organisieren. Das heißt, sie sollen freiwillige Angebote sein.

Die Familienstrukturen haben sich verändert. Dem muss die Schule Rechnung tragen. Ganztagsangebote erleichtern die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Berufstätigkeit. Es ist dennoch deutlich zu sagen, dass die Ganztagsschule eher den

berufstätigen Eltern einen Gewinn bringt, weniger aber den Kindern,

(Frau Große [PDS]: Das ist falsch!)

die jedoch Adressaten unserer Politik sein sollten. Nicht alle Kinder wünschen sich, den ganzen Tag in der Schule zu verweilen.

Wenn wir uns anschauen, wie viele Kinder im Jahr 1999 eine Kita besuchten, dann wissen wir: In der Klasse 5 haben noch 14 % der Kinder den Hort besucht, in der Klasse 6 waren es 9 %. Ganztagsschule heißt auch für die 15-/16-Jährigen noch Ganztagsschulbetrieb. Sprechen Sie mit den Kindern! Nur wenige können sich dafür erwärmen.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser-Nicht [PDS])

Es gilt nach wie vor, meine Damen und Herren, dass die Familie die Basis für eine funktionierende Gesellschaft ist

(Beifall bei der CDU)

und dass es gerade deshalb falsch ist, die Ganztagsschule zum Regelfall zu machen. Das widerspräche auch dem Erziehungsrecht und der Erziehungspflicht der Eltern.

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Das ist einfach falsch!)

Der Staat ist nicht gut beraten, Eltern aus der Verantwortung zu entlassen

(Zuruf der Abgeordneten Große [PDS])

oder die „Lufthoheit über die Kinderbetten“ zu übernehmen.

Zurück zum Konzept des Bildungsministeriums! Worin ich Herrn Minister Reiche ausdrücklich zustimme, ist die Vergabe eines Budgets, damit Schulen Nachmittagsangebote unterbreiten können. Dieses Budget sollte an allen weiterführenden Schulen - und nicht nur an einigen ausgewählten - zur Verfügung stehen, damit diese Arbeitsgemeinschaften und andere außerunterrichtliche Aktivitäten am Bedarf orientiert organisieren können. Das ist ein guter Schritt, um die Selbstständigkeit von Schule zu erhöhen. Ich würde allerdings keine pauschale Finanzierung vornehmen, sondern hierfür ein anderes Modell vorschlagen, nämlich eine Drittelfinanzierung - einen Sockelbetrag für alle Schulen, einen Teil entsprechend den Schülerzahlen sowie den dritten Teil für besondere Profile und Bedingungen wie soziale Brennpunkte.

Auch die regelmäßige Evaluierung und die Überprüfung der Ziele dieser Angebote sind gute Vorschläge, denn sie tragen zur Sicherung der Qualität bei.

Meine Damen und Herren! Was die Euphorie für die Ganztagsschule immer wieder anfacht - das ist heute wieder deutlich geworden -, ist, dass die im PISA-Vergleich erfolgreichsten Bildungssysteme ganztägigen Unterricht als Normalfall kennen. Das ist wohl wahr. Wahr ist aber auch, dass die Ganztagssysteme in Spanien, Griechenland und Luxemburg auf den Plätzen 18, 25 und 29 von insgesamt 32 Teilnehmern lagen. Nirgendwo ist zu erkennen, dass die längere Verweildauer in der Schule tatsächlich zu größeren Lernerfolgen führt.

Eine Studie des Bundesbildungsministeriums vom 4. Juli 2003 zu den Schulsystemen ausgewählter PISA-Teilnehmerstaaten führt zu den PISA-Siegern aus:

„Hier findet - auch in den an egalitären Prinzipien orientierten nordischen Staaten - eine klare Auswahl nach Leistungskriterien statt.“

Das schlägt sich unter anderem in der Veröffentlichung der Gesamtergebnisse externer Abschlussprüfungen nieder.

Bildung als besonders schützenswertes Gut hat in den untersuchten Ländern einen besonders hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Die Gesamtbedingungen dieser Länder - Finnland wird hier immer wieder angeführt und zitiert - sind also zu betrachten. Es ist wenig hilfreich, sich nur ein oder zwei populäre Elemente eines Bildungssystems herauszupicken.

Finnland verfügt außer über Ganztagsschulbetrieb und integrierte Schulen über ein ausgezeichnetes Fördersystem. Das ist der Grund des Erfolgs. Denn in Finnland sind zwei Lehrer in der Klasse keine Seltenheit. Lerndefizite werden in Kleinstgruppen oder im Einzelunterricht aufgearbeitet. Es gibt Sprachtherapeuten, Ärzte, Krankenschwestern sowie Schulassistenten in den Schulen, die die Lehrer von all dem entlasten, was die Konzentration auf den Unterricht beeinflussen könnte.

Wenn man finnische Erfolge will, muss man auch finnische Verhältnisse schaffen. Wenn man den Rahmen austauscht und verkündet, das Bild habe sich geändert, wirft man Nebelkerzen um sich, um die eigenen Defizite zu verstecken. Abgesehen davon besteht in Finnland eine ausgeprägte Lesetradition. Während Deutschland nur 4,8 % seines Bruttoinlandproduktes für die Bildung ausgibt, sind es in Finnland 7,8 %.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass Österreich und auch Bayern bei PISA besser abgeschnitten haben als der deutsche Durchschnitt oder gar Brandenburg, denn sie platzierten sich im oberen Drittel - trotz der Halbtagsschule.

So komme ich wieder auf den Beginn meiner Rede zurück. Was uns fehlt, ist Qualität - Qualität des Unterrichts. Wenn wir sicherstellen, dass Qualität erreicht, dass Unterrichtsausfall vermieden wird, das heißt, dass mehr Zeit zum Lernen für die Kinder da ist, dann werden wir bei der nächsten PISA-Studie auch besser abschneiden. Die Ganztagsschulangebote können dazu einen Beitrag leisten.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Sie sind aber kein Allheilmittel.

Ich habe noch einen Augenblick Zeit. Frau Kollegin Siebke, ich habe feststellen können, dass wir uns einig sind. Ganztagsschule ist nicht Allheilmittel. Einig sind wir uns aber nicht in der Frage von Alzheimer. Ich bin in den letzten vier Jahren auch ein bisschen älter geworden, kann mich aber noch sehr gut an die Zeit von 1994 bis 1999 erinnern.

Fünf Jahre lang hat die Sozialdemokratische Partei allein mit einer komfortablen Mehrheit in diesem Land regiert, fünf Jahre lang hatte sie die Möglichkeit, ganz allein Entscheidungen zu treffen und Korrekturen vorzunehmen. Im Frühjahr 1999 stand Frau Peter - damals war sie Bildungsministerin - recht allein in

diesem Saal mit ihren Vorstellungen, die damals, also neun Jahre lang, vertreten wurden. Der damalige Landesvorsitzende, Herr Reiche, hat im Frühjahr 1999 eins, zwei, drei, vier Punkte...

Frau Abgeordnete, ich höre Ihnen gerne zu.

Das ist nett.

Aber diese Krankheitserscheinungen scheinen auch auf die Augen zu gehen. Sie sehen die rote Lampe nicht.

(Heiterkeit)

Diesen Satz darf ich noch zu Ende sprechen, Herr Präsident: Es gab also vier Punkte, die damals die gesamte SPD durcheinander brachten. Ich meine schon, dass wir auf einiges, was wir erreicht haben, stolz sein können. Aber zu meinen, dass dies der SPD eingefallen ist, ist verwegen. - Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Schönen Dank, Frau Abgeordnete Hartfelder. - Das Wort erhält die Fraktion der DVU, Frau Abgeordnete Fechner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Land herrscht absoluter Bildungsnotstand. Und wie reagieren die Verantwortlichen darauf? Unter anderem mit dem Ausbau des Netzes der Ganztagsschulen. 4 Milliarden Euro stellt die Bundesregierung dafür bereit und auch Brandenburg bekommt etliche Millionen davon ab. Darüber freut sich natürlich unser Bildungsminister Reiche, denn nun kommt er ja seinem Traum, Ganztagsangebote an jeder zweiten Schule zu unterbreiten, ein ganzes Stück näher.