Protocol of the Session on May 21, 2003

Meine Damen und Herren! Ich darf Sie recht herzlich zur 75. Sitzung des Landtages Brandenburg in seiner 3. Wahlperiode begrüßen.

Heute findet die Veranstaltung ohne einen von Journalisten besetzten Platz im Plenarsaal statt. Das ist etwas ungewöhnlich. Dafür haben wir Gäste, beispielsweise sind heute die Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammern unter uns. Ihnen und den anderen Gästen ein herzliches Willkommen, vor allen Dingen denen, die regelmäßig hier sind, zum Beispiel die beiden Vertreter der großen Kirchen. Einen wunderschönen guten Morgen!

(Allgemeiner Beifall)

Mit der Einladung ist Ihnen der Entwurf der Tagesordnung zugegangen. Gibt es von Ihrer Seite diesbezüglich Wünsche zur Veränderung, Ergänzung, Erweiterung, vielleicht auch Komprimierung? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich zu dem Entwurf der Tagesordnung etwas sagen:

Der Tagesordnungspunkt 3 „2. Lesung des Gesetzes zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben“, Drucksache 3/5867, soll nach dem Wunsch der Geschäftsführer mit Redezeiten der Variante 4, das heißt für die SPD-Fraktion 20 Minuten und - jeweils abgestuft - 15, 15, 5 Minuten für die übrigen Fraktionen und noch einmal 20 Minuten für die Landesregierung, behandelt werden.

(Zurufe von der PDS: Welche Nr. 3? Wir haben keine Nr. 3!)

- Tagesordnungspunkt Nr. 3.

(Klein [SPD] in Richtung der PDS-Fraktion: Ist Kollege Vietze nicht da, um Sie zu informieren?)

- Sie haben doch auch einen Parlamentarischen Geschäftsführer.

(Zurufe von der PDS)

- Dann würde ich die Parlamentarischen Geschäftsführer, die mich das haben wissen lassen, bitten, sich untereinander dahin gehend zu verständigen, dass das, was bei mir ankommt, auch von allen getragen wird.

(Schuldt [DVU]: Es ist allgemein abgesprochen!)

- Herr Vietze, bitte.

Da ich angesprochen worden bin, Herr Präsident, will ich sagen, dass Ihre Aussage, dass dieser Gesetzentwurf mit der Redezeitvariante 4 zu behandeln sei, hinsichtlich der Redezeiten abgestimmt worden ist. Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, dass unsere Fraktion bezüglich der Frage Bedenken geäußert hat, ob dieser Gesetzentwurf auf die heutige Tagesordnung gesetzt werden sollte, da uns die kurze Zeit zwischen

der Behandlung im Innenausschuss am Donnerstag der vergangenen Woche, der Verteilung der Drucksache am Montag und dem Aufruf heute angesichts der Bedeutung eines solchen Gesetzes natürlich zu denken gegeben hat. Unser Ansinnen war, auf die Behandlung dieses Gesetzentwurfs zu verzichten und ihn im Juni auf die Tagesordnung zu setzen.

(Homeyer [CDU]: War das jetzt ein Antrag?)

Da die formalen Voraussetzungen erfüllt sind, diesen Gesetzentwurf zu behandeln, bleibt es im Ermessen des Plenums, die Tagesordnung entsprechend auszustatten oder nicht. Insofern sind wir genau an der Stelle, an die Sie uns früher zuweilen auch geführt haben: Hierüber müsste abgestimmt werden.

Ich lasse gesondert über die beiden Änderungswünsche abstimmen. Wer mit der Aufnahme des Tagesordnungspunktes 3 2. Lesung des Gesetzes zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben - einverstanden ist, möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit mehrheitlich Zustimmung.

Die nächste Änderung, die ins Auge gefasst wird, bezieht sich auf den Tagesordnungspunkt 10. Es ist hierzu von Ihrer Fraktion, Herr Vietze, der PDS-Fraktion, wie von den Parlamentarischen Geschäftsführern vorgeschlagen worden, einen Tausch der Beratung des Antrags „Umgestaltung des 610-Stellen-Programms“, Drucksache 3/5858, mit der für morgen unter Tagesordnungspunkt 8 vorgesehenen Beratung des Antrags „Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide“, Drucksache 3/5859, unter Beibehaltung der Redezeiten vorzunehmen. Das ist wohl im Zusammenhang mit der aktuellen Situation der Demonstration bzw. Behandlung des Problems so beabsichtigt. Gibt es dazu Anmerkungen?

Wer dem Tausch des Tagesordnungspunktes 10 für Mittwoch gemäß Entwurf mit dem Tagesordnungspunkt 8 vom Donnerstag gemäß Entwurf zustimmen möchte, der möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Dann bitte ich abschließend noch einmal um Zustimmung, dass die nun mehrheitlich so geänderte und beschlossene Tagesordnung als Gesamttagesordnung für heute gilt. Wer damit einverstanden ist, möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit mehrheitlich so beschlossen.

Ich komme unter Punkt 1.0 zu einer freudigen Einlage. Wir haben heute jemanden, der nicht 28 Jahre alt geworden ist, aber mit „Acht“ war etwas. Unser Alterspräsident hat Geburtstag. Ich denke auch in Ihrem Namen zu sprechen, wenn ich ihm eine stabile Gesundheit und Schaffenskraft wünsche. Auf weitere gute parlamentarische Zusammenarbeit!

(Allgemeiner Beifall - Präsident Dr. Knoblich überreicht dem Alterspräsidenten, Abgeordneten Dobberstein, einen Blumenstrauß.)

Zwei Bemerkungen noch zu Abwesenheitserklärungen: Der Ministerpräsident ist am Vormittag nicht anwesend; er wird durch seinen Stellvertreter vertreten. Zu den Abgeordneten ist mir mitgeteilt worden, dass Frau Förster aus der SPD-Fraktion ganztägig abwesend ist.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 1:

Fragestunde

Es gibt zu einer Thematik, nämlich zu der V-Mann-Situation, zwei Dringliche Anfragen, die das Problem allerdings unter zwei verschiedenen Aspekten betrachten. Die zweite Dringliche Anfrage wäre eigentlich erst morgen zu behandeln. Herr Innenminister, besteht die Möglichkeit, beide Aspekte in einer Antwort zusammenzufassen?

(Minister Schönbohm: Ich würde das sehr begrüßen!)

Sind die Fragesteller einverstanden, dass wir entsprechend verfahren? - Dann geht das Wort zunächst an Frau Kaiser-Nicht, um die Dringliche Anfrage 38 (Neuer Skandal um V-Mann des Verfassungsschutzes im Land Brandenburg?) zu formulieren.

Laut Pressemeldungen vom vergangenen Wochenende wurde erneut ein V-Mann-Skandal des Brandenburger Verfassungsschutzes öffentlich.

(Homeyer [CDU]: Es ist kein Skandal!)

Ein rechtsextremer V-Mann verriet eine von der Polizei geplante Durchsuchung in Potsdam. Es steht der Vorwurf im Raum, dass dadurch auch Ermittlungen des Generalbundesanwalts behindert wurden. Der Verfassungsschutz des Landes hat diese Vorgänge zwei Jahre lang verschwiegen. Damit wird erneut sichtbar, dass von einer wirksamen Kontrolle der brandenburgischen Verfassungsschutzbehörde nicht die Rede sein kann.

Ich frage die Landesregierung, welche Position sie zu den Vorwürfen gegen den Verfassungsschutz im Land Brandenburg bezieht.

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Schuldt zur Formulierung seiner Dringlichen Anfrage 39 (Erneute V-Mann-Affäre des Brandenburger Verfassungsschutzes).

Laut Pressemeldungen soll ein Mitarbeiter des Brandenburger Verfassungsschutzes im Februar 2001 eine Polizeirazzia gegen eine mutmaßliche terroristische Vereinigung an ein Mitglied dieser Vereinigung verraten haben. Der für die Kontrolle des Verfassungsschutzes zuständigen Parlamentarischen Kontrollkommission wurde die Angelegenheit bis vor wenigen Tagen verschwiegen.

Ich frage deshalb die Landesregierung: Welche organisatorisch-disziplinarischen Maßnahmen will die Landesregierung

ergreifen, um gesetzwidriges Verhalten beim Brandenburger Verfassungsschutz in Zukunft zu verhindern?

Herr Innenminister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Abgeordnete Kaiser-Nicht! Herr Abgeordneter Schuldt! Gestern hat die Parlamentarische Kontrollkommission in einer dreistündigen Sitzung den Sachverhalt erörtert. Dies war eine Sitzung, die nicht öffentlich war, sondern der Geheimhaltung unterlag, weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt. In dieser Sitzung haben der Staatssekretär des Innenministeriums, der Leiter des Verfassungsschutzes, der Leiter des Landeskriminalamtes, der Polizeipräsident Potsdam und der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg den Mitgliedern der Parlamentarischen Kontrollkommission Rede und Antwort gestanden. Aus der Teilnehmerzahl ersehen Sie, dass es ein sehr komplexes Verfahren war, um das es geht. In dieser geheimen Verhandlung wurde festgestellt, dass die hier soeben wiederholten Vorwürfe keinen Bestand haben.

Ich könnte es bei dieser Feststellung bewenden lassen, möchte aber, Herr Präsident, auf zwei Punkte eingehen, die, glaube ich, sowohl für den Landtag wie auch für die Landesregierung von Bedeutung sind.

Zunächst möchte ich mich bei der Parlamentarischen Kontrollkommission, dem für diesen Bereich zuständigen Organ des Parlaments, dafür bedanken, dass sie so schnell und ausführlich in die Erörterung eingetreten ist und dem Innenministerium mit seinen Mitarbeitern und dem Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg die Möglichkeit gegeben hat, die Sachverhalte im Einzelnen zu erläutern. Die Parlamentarische Kontrollkommission hat mit ihren Kommissionsmitgliedern unter Leitung von Kollegen Schulze der Landesregierung wirklich kritisch und bohrend auf den Zahn gefühlt. Ich sage das deswegen, weil viele an dieser Veranstaltung teilgenommen haben und Zeuge dessen geworden sind. Sie hat damit den Selbstanspruch und den Prüfmaßstab der Kommission verdeutlicht und damit auch hohe Anforderungen gestellt. Vor allem aber hat sie deutlich gemacht, dass auch in einer von außen aufgeheizten Diskussionsatmosphäre Fairness und Augenmaß möglich sind. Den allgegenwärtigen Skandalisierungstendenzen hat sie Nüchternheit und Faktenorientierung entgegengesetzt. Und sie hat deutlich gemacht, wo in diesem Land die Trennlinie zwischen den Verteidigern des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates und seinen Feinden verläuft. Dies war eine gemeinsame Arbeit der gesamten Parlamentarischen Kontrollkommission. Der Verfassungsschutz Brandenburg steht diesseits der Barrikade, und die Versuche, ihn zu skandalisieren, sind nicht akzeptabel. Wo Fehler gemacht werden, werden wir diesen nachgehen und sie ausräumen.

Ich möchte noch einen anderen Punkt erwähnen, Herr Präsident. Die Situation, die ich beim Verfassungsschutz Brandenburg bei meinem Amtsantritt vorgefunden habe, war in vielfacher Hinsicht schwierig. Es gab eine hohe Belastung durch rechtsextremistische Gewalttaten und sonstige Straftaten. Es gab eine schlechte und problematische Zugangslage zum rechtsextremistischen Lager. Es gab so gut wie keine Zugangs

lage zum ausländerextremistischen oder terroristischen Umfeld. Nach der durch Geheimnisverrat verursachten Enttarnung der Quelle Piato war der Zugang zum rechtsextremistischen Lager praktisch gleich null.

Ich beschreibe die Situation, um die Ausgangslage der Arbeit des Verfassungsschutzes deutlich zu machen. Seine Aufgabe war unter diesen Bedingungen extrem schwierig. Es musste eine Behörde nicht nur kräftemäßig aufgebaut, sondern auch hochsensible Tätigkeitsfelder mussten neu bzw. intensiv erarbeitet werden. Dies ist unter der Verantwortung von Herrn Weggesin geschehen. Ich möchte ausdrücklich lobend herausstellen, dass ich und - wie ich meine - wir ihm dafür Dank schulden.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Er hat ferner etwas getan, was auch nicht selbstverständlich ist. Verfassungsschutz ist nicht dazu da, den Minister zu schützen, sondern dazu, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen. Wer es ernst meint mit der Bekämpfung des Extremismus in allen seinen Formen, seien sie rechtsextremistisch, linksextremistisch, ausländerfeindlich oder ausländerextremistisch, muss in einen Grabenkampf mit den Feinden unserer Grundordnung eintreten. Das ist eine Situation, mit der wir uns auseinander setzen müssen und der sich jeder Innenminister stellen muss. Hierbei müssen wir die Grenzen des Rechtsstaates ausschöpfen, aber auch wahren. Das haben wir bei all den Dingen, die hier erörtert wurden, getan.

Dass bei diesem Grundsatz die Gefahr besteht, dass auch einmal Pannen passieren, ist klar. Wenn Pannen passieren, muss den Ursachen nachgegangen und müssen die Konsequenzen gezogen werden. Solche Pannen sind passiert. Die erforderliche Anwerbung zahlreicher Quellen hat zu Fehlern geführt. Ich habe die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre von meiner Verwaltung eingehend analysieren lassen. Ich habe ein Maßnahmenbündel erarbeiten lassen, das die Arbeit des Verfassungsschutzes und die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden optimiert und unnötige Risiken beseitigt. Ein Teil dieser Maßnahmen ist gestern in der PKK vorgetragen worden. Ich werde ein Gesamtkonzept der Auswirkungen und der Konsequenzen aus dem, was wir bisher festgestellt haben, der PKK demnächst in einer Vorlage vorstellen.

Herr Präsident, lassen Sie mich zusammenfassen. Wir sind auf unserem Weg im Kampf gegen den Extremismus ein gutes Stück vorangekommen. Wir haben heute eine bessere Zugangslage zum rechtsextremistischen Spektrum als seinerzeit. Mit diesen Erkenntnissen konnten wir die rechtsextremistische Musikszene zerschlagen und erreichen, dass in Brandenburg keine Skinhead-Konzerte mehr stattfinden.

Wir haben keine netzwerkartige Struktur des Rechtsextremismus festgestellt, sondern verschiedene, allein agierende Kleinstgruppen, vor allem aber eine Reihe zutiefst primitiver und brutaler Schlägertruppen. Diese Schlägertypen sind weniger ein Fall für den Verfassungsschutz, sondern eher für Polizei und Staatsanwaltschaft. Das Schlimme an diesen Typen ist nicht nur die von ihnen ausgehende Gewalt und Gefahr für die körperliche Unversehrtheit, sondern auch, dass sie ein Zeichen von Fehlentwicklungen sind, mit denen wir uns auseinander setzen müssen. Meine Damen und Herren, wir werden uns dieser Auseinandersetzung annehmen müssen, wenn wir

es mit der Bekämpfung des Extremismus ernst meinen. Der Verfassungsschutz und der Innenminister stellen sich dieser Aufgabe.

(Beifall bei CDU und SPD)

Es gibt noch Klärungsbedarf. Wir beginnen mit der Fragestellerin. Bitte sehr.