Protocol of the Session on April 10, 2003

Offenbar scheint sich nun die Befürchtung zu bewahrheiten, dass die Privatisierung gesundheitlicher Risiken und damit die Aushebelung des Solidarcharakters der gesetzlichen Krankenversicherung zum Markenzeichen der bevorstehenden Gesundheitsreform werden wird.

Nichts anderes hat Bundeskanzler Schröder in seiner Regierungserklärung am 14. März angekündigt. Wörtlich sagte er:

„Tief greifende Einschnitte in den sozialen Wohlfahrtsstaat beim Arbeitsrecht, bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie in der gesetzlichen Krankenversicherung werden erforderlich.“

Er hat damit die Richtung vorgegeben, unabhängig davon, was die Rürup-Kommission im Einzelnen vorschlägt.

Das Konzept des Kanzlers ist eher von den Interessen der Arbeitgeberverbände, der privaten Versicherungswirtschaft und der

Pharmaindustrie diktiert als von den Vorstellungen einer Kommission.

(Beifall bei der PDS)

Hundert Tage, nachdem Gerhard Schröder 1998 zum Kanzler gewählt worden war, hatte er die Bürgerinnen und Bürger mit einer Postkartenaktion wissen lassen, er habe seine Wahlversprechen gehalten. Zu diesen Versprechen gehörte die Abschaffung des Krankenhausnotopfers in Höhe von 20 DM. Will der gleiche Bundeskanzler jetzt eine Praxisgebühr für Arztbesuche in Höhe von 15 Euro einführen, wäre das schon eine bemerkenswerte Kehrtwende. Gleiches gilt für Zuzahlungen, die 1999 gesenkt worden waren und jetzt massiv angehoben werden sollen.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Natürlich wird dies Auswirkungen auf die ohnehin schwierige Versorgungssituation in Brandenburg haben. Ohne eine gesicherte finanzielle Basis können bestehende Versorgungslücken nicht beseitigt werden. Eine Gesundheitsreform, die finanzielle Belastungen allein auf die Patienten verschiebt, untergräbt diese Grundlage weiter.

(Beifall bei der PDS)

In der Begründung des Antrages für die heutige Debatte spricht die SPD-Fraktion davon, dass die mittelfristige Sicherung einer angemessenen ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Brandenburg eine große Herausforderung für alle Verantwortlichen und Beteiligten darstellt. Das sieht die PDSFraktion nicht anders. Herr Dr. Kallenbach, ich möchte noch einmal darauf verweisen: Im Mai vergangenen Jahres hat die PDS-Fraktion den Antrag zur medizinischen Versorgung im Land Brandenburg eingebracht und die Koalitionsfraktionen haben den Entschließungsantrag nachgeschoben, der dann auch angenommen wurde. Das ist selbstverständlich; deshalb sage ich es noch einmal. Ein Entschließungsantrag ohne vorherigen Antrag geht nämlich gar nicht.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, ich glaube, man muss auf diesen Rückblick kurz verweisen, weil dies deutlich macht, dass wir nicht vor einer in diesem Moment überraschend eingetretenen Situation stehen, sondern es ist seit Monaten bekannt, dass es schon jetzt in einigen ländlichen Regionen zu wenig Ärztinnen und Ärzte gibt

(Dr. Wagner [CDU]: Seit Jahren!)

- seit Jahren - und dass sich das Problem aufgrund der Altersstruktur der Ärzteschaft schon in wenigen Jahren weiter verschärfen wird.

Die zutreffende Problembeschreibung allein hilft allerdings nicht weiter, ebenso wenig wie die Einsetzung von Arbeitsgruppen. Es muss endlich auch darum gehen, Lösungen auf den Weg zu bringen.

Zur Problemlösung haben die zum 1. Januar in Kraft getretenen Vorschaltgesetze nicht beigetragen. Die verordnete Nullrunde steht in diametralem Gegensatz zu den Bemühungen, über eine bessere Vergütung zur Entspannung der Versorgungssituation

zu gelangen. Neben schlechteren Einkommensmöglichkeiten als in den westlichen Bundesländern hat der Hausarzt eine höhere Arbeitsbelastung durch die Bereitschafts- und Wochenenddienste. Rückstände in der Infrastruktur, das hohe wirtschaftliche Risiko einer Niederlassung, fehlende Kooperationsmöglichkeiten, die steigende Verwaltungs- und Abrechnungsbürokratie erhöhen die Attraktivität des Berufs des Landarztes nicht.

Über die Tätigkeit einer Arbeitsgruppe wurde im Zusammenhang mit der ambulanten Versorgung im Gesundheitsausschuss mehrmals berichtet und diskutiert. Greifbare Ergebnisse sehe ich noch nicht, Herr Dr. Kallenbach; da teile ich Ihre Meinung nicht. Es sind sämtlich Vorschläge, die - ich sehe es jedenfalls so - überhaupt noch nicht wirksam werden. Wir werden damit auch nicht schnell Lücken schließen können.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, im stationären Bereich nimmt die Landesregierung selbst massive Einschnitte vor. Die Investitionen in die Krankenhäuser sollen im laufenden Jahr um 25 Millionen Euro gekürzt werden. Das entspricht etwa einem Fünftel der geplanten Investitionssumme. Was die Landesregierung verharmlosend Streckung des Investitionsprogramms nennt, stellt die Krankenhäuser vor erhebliche Probleme, zumal sich schon aus den vergangenen Jahren Investitionsrückstände ergeben haben.

Auch beim öffentlichen Gesundheitsdienst setzt die Landesregierung auf Streichungen. Die Mittel für die gesundheitliche Prävention wurden drastisch gekürzt.

(Klein [SPD]: Sie wissen aber, wie es in den Krankenhäu- sern jetzt aussieht? - Das ist doch unglaublich!)

Dies wird sich mittel- und langfristig wegen der Folgekosten nicht nur finanziell nachteilig auswirken, sondern beeinträchtigt vor allem die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger.

(Schippel [SPD]: Wann kommt endlich ein Lösungsvor- schlag von Ihnen?)

- Hören Sie bis zum Ende zu, Herr Schippel.

(Schippel [SPD]: Jammern kann jeder!)

Meine Damen und Herren, alles in allem gibt aus Sicht der PDS-Fraktion die Situation im Lande Anlass zu ernsthaften Befürchtungen, was die Sicherung der medizinischen Versorgung angeht. Die Weichen für eine neue Gesundheitsreform sind falsch gestellt.

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, das Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung tatsächlich erhalten und stärken wollen, wie Sie immer betonen, dann sollten Sie auch für Korrekturen eintreten, die genau das und nicht die Privatisierung gesundheitlicher Risiken zum Ziel haben.

(Beifall bei der PDS)

Aus Sicht der PDS-Fraktion gehört zu den notwendigen Korrekturen vor allem die Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung.

(Homeyer [CDU]: Mit höheren Beiträgen oder wie?)

Neben einer aktiven Arbeitsmarktpolitik geht es um die Ausweitung der Versicherungspflicht - langfristig die Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht -, um die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, darum, dass die Unternehmen sich je nach ökonomischer Leistungsfähigkeit mit einer Wertschöpfungsabgabe an der Steigerung der Kasseneinnahmen beteiligen, sowie darum, dass versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln finanziert werden.

Die Stärkung und Entlastung der Einnahmeseite allein garantiert sicher noch keine effizienten und modernen Versorgungsstrukturen. Es geht also auch um die Beseitigung erheblicher Strukturmängel und Fehlsteuerungen. Dazu gehört die konsequente Stärkung von kooperativen Strukturen, wie die Verzahnung von ambulanten und stationären Leistungen oder die Ausweitung von Gesundheitszentren. Letztlich muss es um konsequente Reformbemühungen im Land gehen, zum Beispiel beim Rettungsdienst oder bei der Stärkung der Vorsorge.

Die Pläne der Bundesregierung, wie sie vom Bundeskanzler vorgestellt wurden, lehnt die PDS ab. Hier erreicht die Umverteilung von unten nach oben eine neue Dimension. Wir wenden uns entschieden gegen die Entsolidarisierung des Gesundheitswesens. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die CDU-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Dr. Wagner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eingangs sei klargestellt: Es geht uns in dieser Aktuellen Stunde nicht um das Beklagen der schwierigen Lebenssituation von immer mehr Ärztinnen und Ärzten im stationären und ambulanten Bereich, sondern es geht mit aller Konsequenz - dies müssen wir uns immer vor Augen halten - um die Sicherung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung Brandenburgs, und das zunehmend nicht nur in den Randregionen des Landes.

(Beifall bei CDU und SPD)

Lassen Sie mich nun eine kurze Situationsbeschreibung, basierend auf aktuellen Daten - nämlich vom gestrigen Tage -, vornehmen. Sonst haben wir hier nur die halbe Wahrheit auf dem Tisch und können keine exakte Analyse vornehmen.

Zurzeit fehlen im Land Brandenburg - dem Land mit der geringsten Arztdichte je 100 Betten in Deutschland - ca. 175 bis 180 Ärztinnen und Ärzte im stationären Bereich. Hierbei ist das EUArbeitszeiturteil überhaupt noch nicht berücksichtigt.

Während der berlinnahe Raum derzeit kaum nennenswerte Besetzungsprobleme hat, leiden die ländlichen Regionen - wie es bereits von meinem Kollegen Dr. Kallenbach richtig gesagt wurde - wie die Uckermark, die Prignitz und vor allem der südöstliche Raum entlang der Oder zunehmend unter Ärztmangel im stationären und ambulanten Bereich.

Fachbezogen sind die größten Engpässe in den Fachgebieten Innere Medizin - 35 Kollegen -, Anästhesie 31, Chirurgie 23,

Gynäkologie/Geburtshilfe 19, Psychiatrie 15 Kollegen - zu verzeichnen. Die Anästhesiologen nehmen dabei eine Schlüsselstellung ein, da sich die Anzahl der Operationen auch an ihrer Verfügbarkeit orientiert.

Geradezu bedrückend ist die Tatsache, dass selbst 10 Chefarztstellen nicht mehr besetzt werden können - und das trotz guter materieller Einsatzbedingungen. Ein früher undenkbarer Zustand!

Integrierte Versorgung, verehrter Herr Kollege Kallenbach, ja. Aber glauben Sie doch bitte nicht, dass in einem unterbesetzten Haus mit schon erhöhter Arbeitsbelastung auch noch die ambulante Versorgung garantiert werden kann. Wir sollten uns hüten, hier ex cathedra irgendetwas zu versprechen, was an der Basis dann nicht ausgestaltet werden kann.

Die ambulante Versorgung wartet mit ähnlichen Hiobsbotschaften auf. So sind derzeit 193 so genannte Arztsitze im niedergelassenen Bereich zu verzeichnen, davon 143 Hausarztsitze und 50 Facharztsitze. Besonders dramatisch stellt sich die Lage bei Betrachtung der hausärztlichen Versorgung dar. So ist - auch das ist keine Angstmacherei -, wenn man den hausärztlichen Versorgungsgrad in Prozent ohne Ärzte älter oder gleich 60 Jahre nimmt - da muss man ja weiter denken -, sage und schreibe in rund 63 % aller Kreise eine hausärztliche Unterversorgung zu konstatieren bzw. droht in den nächsten Jahren. Nur die Kreise Oberhavel, Elbe-Elster und Barnim sowie die kreisfreien Städte Potsdam, Cottbus und Frankfurt (Oder) bilden zurzeit eine rühmliche Ausnahme.

(Frau Birkholz [PDS]: Noch, Herr Wagner!)

- Danke, Frau Birkholz, Sie haben ja Recht.